FG Nürnberg, Urteil vom 11.12.2008 - 4 K 1394/2007
Fundstelle
openJur 2012, 97293
  • Rkr:
Tatbestand

Streitig ist, ob aufgrund einer neuen gewerblichen Tätigkeit des Insolvenzschuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit gegenüber dem Insolvenzverwalter festgesetzt werden kann.

Der Insolvenzschuldner betrieb das Einzelunternehmen A , eingetragen als Einzelfirma im Handelsregister des Amtsgerichts 1 unter Nr. A. Gegenstand des Unternehmens war eine Rolladen- und Fensterfabrikation.

Auf Antrag des Insolvenzschuldners vom 14.05.1999 wurde durch Beschluss des Amtsgerichts – Insolvenzgericht – 1 vom 30.07.1999 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Insolvenzschuldners eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt (Az. {   } ). Das Gewerbe wurde zum 30.08.1999 abgemeldet.

Vor und nach Insolvenzeröffnung ist es nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft 1 zu zahlreichen Vermögensverschiebungen gekommen, für die ausschließlich der Insolvenzschuldner verantwortlich sein soll. Der Insolvenzschuldner hat nach der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft 1 vom 12.10.2001 (Az. {   } ) strafbare Handlungen begangen, indem er Gegenstände, die zur Masse gehörten, an Dritte veräußert, beiseite geschafft oder verheimlicht hat. Dies sei zum Teil unter Beteiligung von in 2 ansässigen Unternehmen geschehen, an denen der Insolvenzschuldner beteiligt war. Die Erträge aus der Tätigkeit seien nach der Staatsanwaltschaft 1 nicht nach § 35 InsO zur Masse herausgegeben worden. Der Kläger stellte am 23.07.2005 bei der Staatsanwaltschaft 1 Strafanzeige gegen den Insolvenzschuldner wegen des Verdachts auf Veruntreuung und Unterschlagung von Massemitteln und Bankrotthandlungen. Die Staatsanwaltschaft stellte dieses Verfahren am 22.08.2005 nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung ein, da diese Strafvorwürfe bereits Gegenstand des Strafverfahrens unter dem Az. {   }  sind.

Im Rahmen der Durchführung einer Steuerfahndungsprüfung , die mit Bericht vom 08.12.2004 abgeschlossen wurde, fand das Finanzamt Rechnungen der Firmen Fa. 1 und Fa. 2 , beide {   } , 2 , an die Firma A GmbH in 1 aus den Jahren 1999 und 2000 vor. Mit den Rechnungen, die Buchungs- und Zahlungsvermerke tragen, wurden im Jahr 1999 Beratungs- und Vermittlungsleistungen in Höhe von 24.070 DM und die Lieferung von Waren und Werkzeugen in Höhe von 8.879 DM sowie im Jahr 2000 Beratungs- und Vermittlungsleistungen in Höhe von 30.745 DM und die Lieferung von Waren und Werkzeugen in Höhe von 40.000 DM jeweils zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Firma A GmbH in 1 ist A1 , der Sohn des Insolvenzschuldners. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass der Insolvenzschuldner die spanischen Firmen nur zum Schein vorgeschaltet habe und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund eigener Beratungsleistungen u.a. auch über die spanischen Firmen Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 25.931 DM im Jahr 1999, 114.380 DM im Jahr 2000 und 2.784 DM im Jahr 2001 erzielt habe.

Mit Einkommensteuerbescheiden vom 01.04.2005 und 25.04.2005 setzte das Finanzamt dem Bericht der Steuerfahndung folgend gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter Einkommensteuer für den Zeitraum vom 30.07.1999 bis 31.12.1999 in Höhe von 1.417 DM und für 2000 in Höhe von 34.118 DM sowie mit Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 01.04.2005 in Höhe von 4.030 DM fest. Am 01.04.2005 erging zudem an den Kläger ein Bescheid für 2000 über den Gewerbsteuermessbetrag in Höhe von 1.269 DM und der Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.1999 über 0 DM.

Das Einspruchsverfahren verlief erfolglos.

Mit der Klage begehrt der Prozessbevollmächtigte die Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 1999 (für den Zeitraum 30.07.1999 bis 31.12.1999), 2000 und 2001 jeweils vom 01.04.2005 und 25.04.2005, des Bescheids über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.1999 vom 01.04.2005, des Bescheids für 2000 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 01.04.2005 und der Einspruchsentscheidung dazu vom 26.07.2007.

Hilfsweise wird die Feststellung der Nichtigkeit der vorstehend genannten Bescheide beantragt.

Für den Fall des Unterliegens wird die Zulassung der Revision beantragt.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen:

Der Kläger und Insolvenzverwalter habe an der Fahndungsprüfung nicht teilgenommen, auch sei eine Anhörung zu den Ergebnissen der Außenprüfung unterblieben. Dem Kläger läge weder der Betriebsprüfungsbericht noch die in diesem Zusammenhang gewonnen Ermittlungsergebnisse vollumfänglich vor. Deshalb bestünde ein Anhörungsmangel, denn nach § 91 AO sei dem von einem Verwaltungsakt Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Des Weiteren seien die für eine Außenprüfung geltenden Bestimmungen der §§ 193 ff. AO nicht eingehalten worden.

Die Bescheide seien rechtswidrig, da im Streitfall weder eine Masseverbindlichkeit noch eine Insolvenzforderung vorliege. Der Masse sei nichts zugeflossen und daher sei eine Inanspruchnahme der Masse unzulässig. Der Insolvenzschuldner habe nach der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft 1 vom 12.10.2001 Straftaten (Bankrottdelikte, Veruntreuung, Unterschlagung) zu Lasten der Insolvenzmasse begangen. Der Kläger habe jedoch keine Kenntnisse über Art und Umfang des Verkaufs von Massegegenständen durch den Insolvenzschuldner oder sonstige in dessen Auftrag tätige Dritte und bestreite daher einen entsprechenden Verkauf.

Die Masse hafte in keiner Weise für jene Steuerverbindlichkeiten, die aus der unternehmerischen Tätigkeit des Schuldners stammen, die dieser außerhalb des Insolvenzverfahrens nach Insolvenzeröffnung entfaltet habe. § 55 InsO nenne abschließend die Voraussetzungen, unter denen eine Masseverbindlichkeit entstehen könne. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lägen jedoch nicht vor. Weder seien Handlungen des Insolvenzverwalters noch Erfüllung gegenseitiger Verträge zur Masse noch ungerechtfertigte Massebereicherung noch Handlungen des starken vorläufigen Insolvenzverwalters und auch keine Erfüllung von Dauerschuldverhältnissen an den vorläufigen Insolvenzverwalter durch die ihn verwaltete Masse gegeben.

Zwar seien nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch solche Verbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten, die in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden. Jedoch ergebe sich aus § 80 Abs. 1 InsO und der Systematik des Gesetzes, dass nur der Verwalter Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründen könne, denn ansonsten könnte der Insolvenzschuldner die Masse willkürlich schmälern und so letztendlich die Tätigkeit des Insolvenzverwalters unterminieren (vgl. Urteil des Landgerichts Erfurt vom 30.10.2002 3 O 2992/01, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2002, 2325). Aber selbst wenn man den Anwendungsbereich des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch auf Tätigwerden des Insolvenzschuldners erweitere, habe dieser im Streitfall keine Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorgenommen, sondern habe die Insolvenzmasse illegal verschoben.

Da im Streitfall der Insolvenzverwalter den Erlös aus den Geschäften des Insolvenzschuldners nicht habe zur Masse ziehen können, handle es sich um Ansprüche, die - wenn überhaupt - allein gegen den Insolvenzschuldner in seiner insolvenzfreien Vermögenssphäre zu richten wären. Nach dem zum Einkommensteuerrecht ergangenen Urteil des BFH vom 29.03.1984 (IV R 271/83, BStBl. II 1984, 602) könne die Einkommensteuer nur insoweit die Qualität eines Masseanspruchs erlangen, als das Steuerobjekt auch tatsächlich zur Masse gelangt sei. Auch im Falle von Verwertungshandlungen des Insolvenzschuldners könnten Einkommensteuerschulden deshalb nur dann als Masseverbindlichkeiten i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 zweite Alternative InsO eingestuft werden, wenn der Insolvenzschuldner Vermögensgegenstände der Insolvenzmasse ertragbringend nutze und der Neuerwerb auch tatsächlich zur Masse gelange. Entscheidend sei nicht, dass der schuldrechtliche Zahlungsanspruch aus dem Neuerwerb unmittelbar der Masse zuzuordnen sei (§ 35 InsO), sondern dass der Insolvenzverwalter durch den Zufluss in die Lage versetzt werde, über den Neuerwerb tatsächlich zu verfügen . Ansonsten wäre die Masse doppelt geschädigt, durch den Entzug von Massevermögen und zudem durch die Haftung für die daraus entstehende Einkommensteuerschuld. Schließlich sei auch zu beachten, dass die Verwertung von Wirtschaftsgütern zu einer Aufdeckung stiller Reserven führen könne, die zu einer Einkommensteuerlast führe, die höher sei als der Zuwachs aus dem Veräußerungsgeschäft. Deshalb könne es für den Insolvenzverwalter geboten sein, von einer Verwertung absonderungsbelastetem Vermögens abzusehen.

Auch aus § 35 InsO könne nicht hergeleitet werden, dass die Einkommensteuer Masseverbindlichkeit sei. Nach dieser Vorschrift erfasse das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehöre und das er während des Verfahrens erlange. Jedoch sei der Regelungsgehalt dieser Norm umstritten (vgl. FK -InsO/Schumacher § 35 Rz. 9). Aus Wortlaut, systematischer Stellung und Zweck der Norm ergebe sich, dass hierdurch nur der Umfang der Insolvenzmasse, nicht aber die Frage geregelt werde, welche Verbindlichkeiten von der Masse zu tragen seien. Auch der Gläubigerschutz spreche dafür, dass unter Neuerwerb i.S. des § 35 InsO nur das neu erworbene Nettovermögen, d.h. das Aktivvermögen nach Abzug der neuen Schulden, zu verstehen sei.

Die gegenüber dem Insolvenzverwalter erlassenen Steuerbescheide seien zudem nichtig, wenn man von einer Insolvenzforderung ausgehe.

Das Finanzamt beantragt Klageabweisung. Für den Fall des Unterliegens beantragt es die Zulassung der Revision.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass nach § 35 InsO das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen erfasse, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehöre und das er während des Verfahrens erlangt habe. Deshalb falle auch der aus den persönlichen Beratungsleistungen des Insolvenzschuldners erwirtschaftete Ertrag in die Insolvenzmasse.

Es sei ausschließlich darauf abzustellen, ob der Vermögenswert abstrakt der Vermögensmasse i.S. des § 35 InsO zuzurechnen sei. Auf die Frage, in welcher Höhe die Masse durch die in Frage stehenden Einkünfte tatsächlich bereichert ist, komme es nicht an. Infolgedessen habe der Insolvenzverwalter auch die aus dem Neuerwerb geschuldete Einkommensteuer zu entrichten, da die zu besteuernden Einkünfte der von ihm zu verwaltenden Vermögenssphäre unterliegen würden. Es handle sich um eine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, die in „anderer Weise“ begründet worden sei.

Aus dem zum Umsatzsteuerrecht ergangenen BFH-Urteil vom 07.04.2005 (Az. V R 5/04, BStBl. II 2005, 848) könnten für die Einkommensteuer keine Rückschlüsse gezogen werden, da es bei der Umsatzsteuer gleichgültig sei, ob die Entgelte in die Masse fallen. Auch das vom Prozessbevollmächtigten angeführte BFH-Urteil vom 29.03.1984 (IV R 271/83, BStBl. II 1984, 602) könne im Streitfall nicht angewendet werden, da die Entscheidung des BFH unter Geltung der Vorschriften der Konkursordnung ergangen und daher für die Auslegung der §§ 35, 55 InsO nicht maßgeblich sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 90 Abs. 2 FGO).

Dem Gericht liegen die vom Finanzamt vorgelegten Einkommensteuerakten 1999 bis 2004, Gewerbesteuerakten 1994 bis 2001, Bilanzakten 1996 und 1997 sowie zwei Bände Rechtsbehelfsakten vor.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Die auf die vom Finanzamt angesetzten Einkünfte des Insolvenzschuldners aus gewerblicher Tätigkeit entfallenden Ertragsteuern sind keine Masseverbindlichkeiten und können daher nicht durch Bescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.

Deshalb sind die gegenüber dem Insolvenzverwalter ergangenen Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000, der Gewerbesteuermessbescheid 2000 sowie die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer für 1999 aufzuheben. Ebenso ist der Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 01.04.2005 mit Wirkung gegenüber dem Kläger aufzuheben, weil auch für 2001 keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgesetzt werden können, die vom Insolvenzschuldner erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, selbst wenn sie der Masse zuzuordnen wären, den Grundfreibetrag von 14.093 DM nicht erreichen und die von der mit dem Insolvenzschuldner zusammenveranlagten Ehefrau erzielten Einkünfte nicht gegenüber dem Kläger festgesetzt werden können, sondern nur der Ehefrau und dem Insolvenzschuldner gegenüber (vgl. BFH-Urteile vom 14.02.1978 VIII R 28/73, BStBl II 1978, 356 (357 Zif. 1b); vom 11.11.1993 XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477; und vom 25.07.1995 VIII R 61/94, BFH/NV 1996, 117). Das Urteil des Senats wirkt nur im Steuerrechtsverhältnis des Klägers zum Finanzamt, nicht aber im Steuerrechtsverhältnis des Insolvenzschuldners und seiner Ehefrau zum Finanzamt.

1. Der Klageantrag ist dahin auszulegen, dass die Klage sich gegen die Einkommensteuerbescheide vom 01.04.2005 und 25.04.2005 richtet. Zwar richtet sich der Antrag dem Wortlaut nach gegen die Einkommensteuerbescheide vom 10.04.2005, es entspricht jedoch ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, Prozesserklärungen in entsprechender Anwendung des § 133 BGB auszulegen. Danach ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Der Prozessbevollmächtigte hat dem Klageschriftsatz vom 27.08.2007 Ablichtungen der Bescheide vom 01.04.2005 und 25.04.2005 beigefügt, so dass die Klage dahin auszulegen ist, dass er diese Bescheide anficht.

2. Die Bescheide sind nicht bereits wegen der von Klägerseite vorgetragenen Verletzung des rechtlichen Gehörs und Nichteinhaltung der §§ 193 ff AO rechtswidrig. Die nach § 91 Abs. 1 AO vorgesehene Anhörung des Beteiligten, in dessen Rechte eingegriffen wird, kann nach § 126 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 AO im Einspruchsverfahren nachgeholt werden (vgl. Tipke/Kruse AO/FGO, § 91 AO Rz. 25 und § 126 Rz. 6 ff). Dem Kläger wurden am 11.02.2005 und damit noch vor Erlass der angefochtenen Bescheide zwei Abschriften des Prüfungsberichts übersandt und damit Gelegenheit gegeben, sich hierzu zu äußern. In den Jahren 2005 und 2006 fand zwischen den Beteiligten eine umfangreiche schriftliche Korrespondenz statt, sodass eine möglicherweise unterlassene Anhörung nachgeholt wurde. Die Nichteinhaltung der §§ 193 ff AO durch das Finanzamt ist dadurch gerechtfertigt, dass die Behörde im Streitfall eine Steuerfahndungsprüfung und keine Außenprüfung nach den §§ 193 ff AO durchführte und für diese nach § 208 ff AO eigene Vorschriften gelten (vgl. Tipke/Kruse AO/FGO, vor § 193 AO Rz. 15).

303. Die auf Einkünfte des Insolvenzschuldners aus gewerblicher Tätigkeit entfallenden Ertragsteuern sind keine„in anderer Weise“durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da der Insolvenzschuldner die Tätigkeit ohne Wissen und Billigung durch den Insolvenzverwalter ausgeübt hat und die Erträge tatsächlich nicht zur Masse gelangt sind. Eine Masseverbindlichkeit liegt auch deshalb nicht vor, weil nicht nachgewiesen ist, dass der Insolvenzschuldner Insolvenzmasse Ertrag bringend nutzt.

Sonstige Masseverbindlichkeiten sind nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören.

a) Es ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob der Insolvenzschuldner durch im Zusammenhang mit einem in die Masse fallenden Neuerwerb begründete Verbindlichkeiten, in anderer Weise eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründen kann. Dies wird teilweise abgelehnt mit der Begründung, dass hierfür das insolvenzfreie Vermögen des Insolvenzschuldners zur Verfügung stehen müsse (so Braun/Bäuerle, InsO 2004 § 55 Rz. 12 m.w.N.; Uhlenbruck/Berscheid, InsO § 55 Rz. 27; MünchKomm InsO/Hefermehl, § 55 Rz. 69; Urteil des Landgerichts Erfurt vom 30.10.2002 3 O 2992/01, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2002, 2325). Teils wird das Entstehen einer Masseverbindlichkeit bejaht (vgl. BFH-Urteil vom 07.04.2005 V R 5/04, BStBl II 2005, 848 zur Umsatzsteuer), wobei dies teilweise unter der Voraussetzung steht, dass der Neuerwerb zur Masse gelangt (vgl. FK -InsO/Schumacher § 55 Rz. 20). UnterGeltung der Konkursordnunghat der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Einkommensteuerforderungen aus nach der Konkurseröffnung erzielten Gewinnen dann als Massekosten anzusehen sind, wenn die den Gewinnen entsprechenden Vermögensmehrungen zur Konkursmasse gelangt sind (vgl. BFH-Urteile vom 05.03.2008 X R 60/04, BStBl II 2008, 787; vom 29.03.1984 IV R 271/83, BStBl II 1984, 602; und vom 09.11.1994 I R 5/94, BStBl II 1995, 255). Der Senat ist der Auffassung, dass durch eine Betätigung des Insolvenzschuldners zumindest dann keine Masseverbindlichkeit „in anderer Weise“ nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet werden kann, wenn dieser die Tätigkeit ohne Wissen und Billigung durch den Insolvenzverwalter ausgeübt hat und die Erträge tatsächlich nicht zur Masse gelangt sind. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht nach § 80 Abs. 1 InsO nur dem Insolvenzverwalter das Recht zu, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen. Damit kann grundsätzlich nur er Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründen. Dies erfordert es nach der Meinung des Senats, die Möglichkeit der Begründung von Masseverbindlichkeiten„in anderer Weise“eng auszulegen. Eine Belastung der Insolvenzmasse durch Steuern ergibt sich regelmäßig in anderer Weise aus den nach Insolvenzeröffnung durch den Insolvenzverwalter getätigten Geschäften, denn in diesem Fall werden die Verbindlichkeiten nicht durch diesen, sondern als Folge der Amtstätigkeit begründet (so auch MünchKomm InsO/Hefermehl, § 55 Rz. 69). Eine Ausdehnung der Vorschrift auf Ertragsteuern, die durch eine ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters ausgeübte gewerbliche Tätigkeit des Insolvenzschuldners entstanden sind und deren Erträge tatsächlich nicht zur Masse gelangt sind, ist nicht möglich. Andernfalls könnte der Insolvenzschuldner die Masse willkürlich schmälern und so letztendlich die Tätigkeit des Insolvenzverwalters untergraben. Es wäre auch unverständlich, weshalb die Insolvenzmasse für Verbindlichkeiten einzustehen hätte, die sich aus einer Tätigkeit ergeben, deren Erträge nicht zur Insolvenzmasse gelangen. Der Senat vertritt diese Meinung auch in Anlehnung an die Rechtsprechung des BFH zur Einkommensteuer unter Geltung der Vorschriften der Konkursordnung, denn durch § 55 Abs. 1 InsO sollte insoweit keine Änderung der Rechtslage gegenüber § 58 Nr. 2 KO eintreten (vgl. BT-Drucksache 12/2443, Seite 18 und 126). Dem widerspricht auch nicht das zum Umsatzsteuerrecht ergangene BFH-Urteil vom 07.04.2005 (Az. V R 5/04, BStBl. II 2005, 848). Hieraus können für die Einkommensteuer keine Rückschlüsse gezogen werden, da der Umsatzsteuer nicht Entgelte, sondern Lieferungen und sonstige Leistungen unterworfen werden und es damit unerheblich ist, ob die Entgelte in die Masse fallen.

b) Im Streitfall ist die den streitbefangenen Einkommensteuerveranlagungen und der Gewerbesteuermessbetragsfestsetzung zugrundeliegende steuerrelevante Tätigkeit ohne Wissen und Zutun des Insolvenzverwalters ausgeübt worden und die Erträge sind nicht zur Masse gelangt. Dies gilt nach den Angaben des Insolvenzverwalters sowohl für den pfändbaren als auch für einen etwaigen unpfändbaren Neuerwerb. Der Insolvenzverwalter wusste nichts von der Betätigung. Dem hat das Finanzamt nicht widersprochen; auch für das Gericht ergeben sich keine Anhaltspunkte, an der Mitteilung des Insolvenzverwalters zu zweifeln. Die Steuerverbindlichkeiten wurden damit nicht inanderer Weisei.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet.

c) Zudem wurden die Verbindlichkeiten nicht durchVerwaltung, Verwertung und Verteilungder Insolvenzmasse begründet. Sofern der Insolvenzschuldner Gegenstände, die zur Masse des Insolvenzverfahrens derA GmbHin {   }  gehören, an Dritte veräußert und verschoben hat, kann dies ohnehin keine Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse des persönlichen Insolvenzverfahrens bedeuten. Sofern der Insolvenzschuldner Gegenstände, die zur Masse seines eigenen Insolvenzverfahrens gehören, an Dritte veräußert und verschoben hat - wie dies in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft1ausgeführt wird - hat er die Insolvenzmasse weder verwaltet, verwertet noch verteilt. Dieses Recht steht nach § 80 Abs. 1 InsO allein dem Insolvenzverwalter zu, der einer eventuellen Verwaltung und Verfügung auch nicht zugestimmt hat. In den von der Rechtsprechung zur Umsatzsteuer entschiedenen Sachverhalten, bei denen eine Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse angenommen wurde, war die weitere gewerbliche Betätigung des Insolvenzschuldners anders als im Streitfall von den Gläubigern bzw. dem Insolvenzverwalter genehmigt worden (vgl. BFH-Urteil vom 07.04.2005 V R 5/04, BStBl. II 2005, 848; Urteil des Finanzgerichts München vom 29.05.2008 14 K 3613/06, EFG 2008, 1483). Im Streitfall war das Gewerbe des Insolvenzschuldners jedoch zum 30.08.1999 abgemeldet worden. Das Finanzamt hat weder vorgetragen noch nachgewiesen noch hat der Senat den Eindruck gewonnen, dass die die Festsetzung von Ertragsteuern auslösende Tätigkeit des Insolvenzschuldners unter Verwendung von Insolvenzmasse seines persönlichen Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde. In der Akte befindet sich ein Aktenvermerk vom 19.07.2006 über ein Telefongespräch einer Sachbearbeiterin des Finanzamts mitA2, dem Insolvenzschuldner, wonach keine Waren oder Ausstellungstücke aus der Masse der Einzelfirma über die spanischen FirmenFa. 1undFa. 2veräußert worden seien, sondern Waren oder Ausstellungstücke der FirmaA GmbHin {   } . Auch aus den in den Akten befindlichen Kopien der Rechnungen der spanischen Firmen lässt sich nicht entnehmen, dass die die Festsetzung von Ertragsteuern auslösende Tätigkeit des Insolvenzschuldners unter Verwendung von Insolvenzmasse ausgeübt wurde. Dementsprechend führt das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung vom 26.07.2007 (Seite 4) nur „Beratungsleistungen“ an. Damit liegt jedenfalls keine Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse des Insolvenzschuldners vor. Weiter steht nicht fest, dass die Einnahmen der spanischen Firmen dem Insolvenzschuldner zuzurechnen sind. Im Ergebnis besteuert das Finanzamt Einnahmen, die vielleicht der Insolvenzschuldner erzielt hat, jedenfalls aber ohne Zutun und Wissen des Klägers und ohne dass der Insolvenzmasse etwas zugeflossen wäre.

353. Die auf die vom Finanzamt angesetzten Einkünfte des Insolvenzschuldners aus gewerblicher Tätigkeit entfallenden Ertragsteuern sind auch keine Masseverbindlichkeiten nach§ 35 InsO 2001. Nach dieser Vorschrift erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Die Ergänzung des § 35 InsO durch die Absätze 2 und 3 mit Gesetz vom 13.04.2007 (BGBl. 2007, 509) gilt hierbei erst für Betätigungen ab dem 01.07.2007 und ist daher im Streitfall nicht anwendbar. Jedoch ist der Regelungsgehalt dieser Norm nach ganz überwiegender Ansicht in der Kommentarliteratur dahin einzuschränken, dass hierdurch nur der Umfang der Insolvenzmasse, nicht aber die Frage geregelt werde, welche Verbindlichkeiten von der Masse zu tragen sind. Aus Wortlaut, systematischer Stellung und Zweck der Norm folgert die Kommentarliteratur, dass unter Neuerwerb das neu erworbene Nettovermögen, also das Aktivvermögen nach Abzug der Neuverbindlichkeiten zu verstehen ist (vgl. Braun/Bäuerle, InsO 2004 § 35 Rz. 77; Uhlenbruck, InsO § 35 Rz. 39; FK -InsO/Schumacher § 35 Rz. 9). Der Senat schließt sich dem an. So ist gewährleistet, dass die Neugläubiger des Schuldners als natürliche Person auf eine Haftungsmasse zugreifen können. Die vom Schuldner begründeten Neuverbindlichkeiten stellen daher keine Masseverbindlichkeit dar (vgl. Braun/Bäuerle, InsO 2004 § 35 Rz. 77 und § 55 Rz 12). Auch der Gläubigerschutz spricht dafür, dass unter Neuerwerb im Sinne des § 35 InsO nur das neu erworbene Nettovermögen, d.h. das Aktivvermögen nach Abzug der neuen Schulden, zu verstehen ist. Im Streitfall floss der Insolvenzmasse kein Vermögen zu, sodass die Steuern keine Masseverbindlichkeit nach § 35 InsO wurden.

Die Revision wird den Anregungen der Beteiligten folgend wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen. Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu der im Schrifttum unterschiedlichen Auslegung der §§ 55 Abs. 1 Nr. 1, 35 InsO ist für den Bereich der Ertragsteuern nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten der Kläger sowie die Abwendungsbefugnis, der von Amts wegen zu erfolgen hat, ergibt sich aus den §§ 151 Abs. 1 Satz 1 FGO, 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage für notwendig erklärt (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).

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