Bayerischer VGH, Beschluss vom 16.12.2008 - 12 ZB 07.3381
Fundstelle
openJur 2012, 96675
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 18. Oktober 2007 ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 124 a Abs. 4 VwGO).

Er ist aber unbegründet, weil die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung und der rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO), nicht hinreichend dargelegt sind oder aber nicht greifen.

1.1 Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Solche ernstlichen Zweifel bestehen etwa dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG vom 26.3.2007 BayVBl 2007, 624 und vom 23.6.2000 NVwZ 2000, 1363) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG vom 10.3.2004 DVBl 2004, 838).

Die Klägerin meint, solche ernstlichen Zweifel lägen vor, weil das Verwaltungsgericht bei ihr unzutreffend eine positive Gesundheitsprognose verneint habe. Dabei habe es sich auf die Angaben des Integrationsfachdienstes gestützt, es seien bereits mehrfach Arbeitsversuche gescheitert. Wiedereingliederungsversuche seien obsolet, auch sei die Wiedereingliederung am 12. September 2006 gescheitert. Diese Annahme und die zugrunde liegende Tatsachenfeststellung seien jedoch unzutreffend.

Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis ernsthaft in Frage zu stellen.

Die zur Kündigung eines Schwerbehinderten erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes nach §§ 85 ff. SGB IX ist eine zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung für diese rechtsgeschäftliche Gestaltungserklärung, erschöpft sich aber auch hierin (BVerwG vom 7.3.1991 ZFSH/SGB 1991, 311 = Behindertenrecht 1991, 113).

Die Zustimmungsentscheidung ist eine Ermessensentscheidung (dazu ausführlich Kuhlmann, Behindertenrecht 2006, 93/97 f., m.w.N.), mit der das Integrationsamt die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe mit den Schutzinteressen des behinderten Arbeitnehmers abwägt (zu alledem zuletzt BayVGH vom 18.6.2008 Az. 12 BV 05.2467). Sie ist an Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes für Schwerbehinderte auszurichten. Danach ist das Interesse der schwerbehinderten Arbeitnehmer, ihren Arbeitsplatz zu behalten, mit dem Interesse des Arbeitgebers, Personalkosten zu sparen, abzuwägen (BVerwG vom 19.10.1995 BVerwGE 99, 336 = Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1986 Nr. 10). Es ist dem Fürsorgegedanken des Gesetzes Rechnung zu tragen, das die Nachteile schwerbehinderter Arbeitnehmer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen will und dafür in Kauf nimmt, dass die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers eingeengt wird (vgl. BVerwG vom 28.2.1968 BVerwGE 29, 140).

Sinn und Zweck des Zustimmungsverfahrens ist es nicht, eine zusätzliche, zweite Kontrolle der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit der Kündigung zu schaffen. Die §§ 85 ff. SGB IX sollen nach ihrer Regelungskonzeption erkennbar keinen umfassenden Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer vor einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bieten (BVerwG vom 11.5.2006 Behindertenrecht 2007, 107 und vom 11.9.1990 Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1986 Nr. 4). Das Integrationsamt hat im Zustimmungsverfahren deshalb grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Schwerbehinderten etwa sozial gerechtfertigt im Sinn von § 1 Abs. 2 KSchG ist (vgl. BVerwG vom 2.7.1992 BVerwGE 90, 287/294 = DVBl. 1992, 1490, Leitsatz 3). Denn diese Prüfung ist allein von den Arbeitsgerichten vorzunehmen. Ist die beabsichtigte Kündigung allerdings nach arbeitsrechtlichen Vorschriften offensichtlich unwirksam, d. h. dass die Unwirksamkeit der Kündigung „ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt, sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt“, ist der Zustimmungsantrag abzulehnen bzw. eine erteilte Zustimmung vom Gericht aufzuheben. Das Integrationsamt soll nicht an einer offensichtlich rechtswidrigen Kündigung zum Nachteil des Schwerbehinderten mitwirken (BVerwG vom 2.7.1992 a.a.O.; BayVGH vom 16.11.1993 Az. 12 B 92.84; GK zum KSchG, Luchterhand 5. Aufl. 1998, §§ 15 bis 20 SchwbG RdNr. 83).

Die gegenüber der Klägerin ausgesprochene Kündigung war nicht offensichtlich rechtswidrig. Mit Urteil vom 4. Dezember 2007 (Az. 14 Ca 959/07) hat das Arbeitsgericht Nürnberg die ausgesprochene Kündigung als sozial gerechtfertigt angesehen.

Die Zustimmung zu dieser Kündigung war auch nicht ermessenfehlerhaft. Das Integrationsamt hat bei seiner Ermessensentscheidung von Amts wegen all das zu ermitteln, was erforderlich ist, um die gegensätzlichen Interessen des Arbeitgebers und des schwerbehinderten Arbeitnehmers abwägen zu können. Maßgeblich für die Entscheidung des Beklagten und damit maßgebliche Sach- und Rechtslage für die Beurteilung eines bestehenden, gegen das Interesse des Schwerbehinderten abzuwägenden Kündigungsinteresses des Arbeitgebers, ist der der Kündigung zugrunde liegende historische Sachverhalt. Grundsätzlich beurteilt sich die Frage, ob ein Kündigungssachverhalt vorliegt, aus dem der Arbeitgeber das seinem Antrag zugrunde liegende Kündigungsinteresse herleitet, nach dem historischen Sachverhalt, der den Kündigungsgrund bildet und bis zum Zugang der Kündigungserklärung vorliegt (vgl. BVerwG vom 7.3.1991 a.a.O.; OVG NW vom 23.1.1992 NZA 1992, 844; VGH BW vom 15.7.1997 Behindertenrecht 1998, 75; BayVGH vom 18.6.2008 a.a.O., vom 20.6.2006 Az. 9 ZB 06.930 und vom 31.1.2005 Az. 9 ZB 04.2740). Für diesen Zeitpunkt hat die Behörde für ihre Entscheidungsfindung all diejenigen Umstände zu berücksichtigen, die von den Beteiligten an sie herangetragen worden sind oder die sich ihr sonst hätten aufdrängen mussten. Denn nur die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe sind mit dem Schutzinteresse des behinderten Arbeitnehmers abzuwägen. Tatsachen und Umstände, die erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind, gehören nicht zu dem zugrunde zu legenden Sachverhalt.

Das Verwaltungsgericht hat die besonders hohen Anforderungen an die Zumutbarkeit beim Arbeitgeber beachtet, die im Rahmen der Abwägung der gegensätzlichen Interessen dann zu stellen sind, wenn die Kündigung auf Gründen beruht, die - wie hier - in der Behinderung selbst ihre Ursache haben (vgl. BVerwG vom 19.10.1995 a.a.O.). Danach kann der Arbeitgeber im „Ausnahmefall“ sogar verpflichtet sein, den schwerbehinderten Arbeitnehmer „durchzuschleppen“. Allerdings findet das seine Grenze dort, wo eine Weiterbeschäftigung des Schwerbehinderten allen Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft widersprechen, insbesondere dem Arbeitgeber einseitig die Lohnzahlungspflicht auferlegen würde (vgl. BVerwG vom 28.11.1958 BVerwGE 8, 46). Der Arbeitgeber muss sich auch nicht mit „Hilfsarbeit“ zufrieden geben und auch keinen neuen Arbeitsplatz schaffen oder einen anderen Arbeitnehmer entlassen. Zuzumuten ist ihm aber, den Schwerbehinderten nach Möglichkeit umzusetzen, d. h. ihm im Rahmen vorhandener Arbeitsplätze einen geeigneten Arbeitsplatz zuzuweisen (zusammenfassend BVerwG vom 5.6.1975 BVerwGE 48, 264 und vom 28.2.1968 a.a.O.).

Die Weiterbeschäftigung der Klägerin ist der Beigeladenen nicht (mehr) zumutbar. Zwischen den die Kündigung auslösenden Fehlzeiten der Klägerin und ihrer Behinderung besteht unstreitig ein Zusammenhang; davon sind sowohl das Integrationsamt als auch die Widerspruchsbehörde ausgegangen, ebenso das Verwaltungsgericht. Hinzu kommen weitere Fehlzeiten, bei denen ein solcher Zusammenhang nicht ohne Weiteres anzunehmen ist. Das kann jedoch dahinstehen. Denn die auf die Behinderung beruhenden Fehlzeiten weisen einen über jedes normale Maß hinausgehenden Umfang auf. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beigeladenen ergeben sich bei der Klägerin folgende Ausfallzeiten (ohne Urlaub und Kuraufenthalte): 1999 etwa 10 Monate, 2002 von 57,20 %, 2003 von 33,60 %, 2004 von 23,22 %, 2005 von 77,69 % und 2006 von mehr als 69%. Die Beigeladene hat weiter vorgetragen, dass die seit 1. September 1989 bei ihr beschäftigte Klägerin aufgrund ihrer psychischen Erkrankung und die dadurch bedingten Fehlzeiten die an eine Texterin zu stellenden Anforderungen nicht mehr erfüllt habe. Deshalb sei versucht worden, die Klägerin auf eine für sie geeignete Stelle umzusetzen. Sie sei als Sachbearbeiterin in der Requisitenverwaltung eingesetzt worden, dabei habe es aber unüberbrückbare Differenzen mit einer anderen Kollegin gegeben. Danach sei sie als Sachbearbeiterin im Bereich Werbekontrolling eingesetzt worden, habe dort die Anforderungen aber nur bedingt erfüllt. Die Gesamtvertrauensfrau der Schwerbehinderten bestätigt in ihrer Stellungnahme vom 17. Oktober 2006, dass die Arbeitsanforderungen bei der Klägerin ständig ihrem Leistungsvermögen angepasst worden seien. Sie sei inzwischen nur noch „mit größter eigener Anstrengung“ und immer wieder erheblichen Ausfallzeiten einsetzbar. Die Klägerin ist demgegenüber der Auffassung sie sei im gesunden Zustand allen Anforderungen des Berufslebens „gewachsen“, nur nicht, wenn sie krank sei. Das Fehlzeitenproblem könne organisatorisch gelöst werden.

Die vom Integrationsamt und der Widerspruchsbehörde getroffene negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes der Klägerin, auf die es nach all dem maßgeblich ankommt (vgl. BayVGH vom 13.6.1996 Az.12 B 95.3309), ist nicht zu beanstanden. Das Integrationsamt ist seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nachgekommen und hat mehrere ärztliche Gutachten eingeholt. Dr. med. ... teilte unter dem 22. November 2006 mit, er habe die Klägerin seit 2004 bis März 2006 unregelmäßig nervenärztlich behandelt und eine Psychose vom schizophrenen Typ diagnostiziert. Über den künftigen Verlauf der Erkrankung könne er keine Aussage treffen. Der Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie ... beantwortete in seiner Stellungnahme vom 5. Dezember 2006 u. a. die Frage, ob die Klägerin in der Lage sei, ihre Tätigkeit als Sachbearbeiterin im Bereich Werbekostenkontrolling in vollem Umfang auf Dauer ausüben zu können, mit “Ich denke ja“. Die Frage nach Einschränkungen bei der Tätigkeit beantwortete er mit „Ich wüsste keine“. Er sah auch kein weiteres Risiko erheblicher Ausfallzeiten. Eine nachvollziehbare Begründung ist seiner Stellungnahme aber zu keiner Antwort zu entnehmen. Das Klinikum Nürnberg hielt in seiner Stellungnahme vom 22. August 2006 zwar eine erfolgreiche Wiederaufnahme der Arbeit für „durchaus wahrscheinlich“, es sei aber eine langsame Eingliederung indiziert. Aus medizinischer Sicht gelte das aufgrund der geringen Belastungstoleranz aber nur für nicht allzu anspruchs- und verantwortungsvolle Tätigkeiten, auch wenn die Klägerin das selbst zum Teil als Kränkung erfahre. Die Integrationsberaterin Dr. Schäuble vom Integrationsfachdienst kam in ihrer Stellungnahme vom 18. Dezember 2006 zum Ergebnis, die Klägerin zeige wenig Einsicht in ihre krankheitsbedingten psychischen Defizite, es komme deshalb zur Vermischung organischer (Rückenschmerzen) und psychischer Symptome. Sie erscheine als Sachbearbeiterin überfordert, fordere aber, als Texterin eingesetzt zu werden. Sie sei auch nicht in der Lage, flexibel über Möglichkeiten der Arbeitsgestaltung im Bereich Texterin zu reden. Dazu müsste sich die Klägerin auch mit den aktuellen Anforderungen insoweit erst vertraut machen, um einen Einsatz in diesem Bereich realistisch einschätzen zu können. Die Schaffung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes werde nicht für möglich gehalten. Werde die Klägerin mit einfachen Tätigkeiten betraut, die sie nach ärztlicher Aussage durchführen könne, erlebe sie das als Bestätigung ihrer Minderwertigkeit, was die Wahrnehmung für Schmerzen verstärke. Es sei davon auszugehen, dass eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt letztlich nicht zur Stabilisierung ihres psychischen Gesundheitszustandes beitragen werde und es wie in der Vergangenheit immer wieder zu hohen Ausfallzeiten kommen werde.

Das Integrationsamt hat aus alldem nachvollziehbar den Schluss gezogen, dass aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin ein weiterer Einsatz im bisherigen Beschäftigungsbereich bei der Beigeladenen medizinisch nicht vertretbar sei. Diese Auffassung kann sich sowohl auf die Stellungnahme des Klinikums Nürnberg als auch des Integrationsfachdienstes stützen. Die Stellungnahme des Facharztes ... steht dem schon deshalb nicht entgegen, weil es für die dort gegebenen Antworten an einer nachvollziehbaren Begründung mangelt. Eine, wie vom Klinikum Nürnberg geforderte Stelle ohne anspruchs- und verantwortungsvolle Aufgaben gibt es - unwidersprochen - bei der Beigeladenen nicht und würde von der Klägerin auch nicht akzeptiert. Diese geht davon aus, sie brauche eine abwechslungsreiche Arbeit und „blühe bei Stress auf“, was den Stellungnahmen des Klinikums Nürnberg und des Integrationsfachdienstes ebenso eklatant widerspricht wie der Stellungnahme der Gesamtvertrauensfrau. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch darauf, dass für sie ein Telearbeitsplatz geschaffen wird. Auf die Frage, ob die Wiedereingliederungsmaßnahme im September 2006 abgebrochen oder nur unterbrochen wurde, kommt es demnach entscheidungserheblich nicht an.

1.2 Die Rechtssache weist auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Eine hinreichend sichere Prognose über den Ausgang des Rechtsstreits ist bei summarischer Prüfung (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 124 RdNr. 27) ohne Weiteres möglich.

Abgesehen vom Darlegungserfordernis (vgl. § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) gelten hier die vorstehenden Ausführungen (1.1) entsprechend. Aus der anzustellenden Gesundheitsprognose ergeben sich rechtliche Schwierigkeiten nicht, ebenso wenig aus einem „über den normalen Fall hinausgehenden aufzuklärenden Sachverhalt“, wie die Klägerin meint.

1.3 Da andere Zulassungsgründe schon nicht geltend gemacht worden sind, hat der Zulassungsantrag mithin insgesamt keinen Erfolg.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 VwGO.

3. Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 1 VwGO).

4. Mit dieser Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts vom 18. Oktober 2007 gemäß § 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.