Bayerischer VGH, Urteil vom 17.11.2008 - 14 B 06.3096
Fundstelle
openJur 2012, 96069
  • Rkr:
Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 28. September 2006 wird geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2005 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die mit Antrag vom 19. Februar 2004 beantragte Baugenehmigung zur Errichtung von zwei Werbeanlagen auf dem Grundstück FlNr. 673/47 der Gemarkung Höfen zu erteilen.

II. Die Beklagte trägt die Verfahrenskosten in beiden Rechtszügen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in der Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in derselben Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die baurechtliche Genehmigung zweier Werbeanlagen mit je zwei einseitig beleuchteten Großflächentafeln aus Holz mit den Ausmaßen 2,52 m mal 3,56 m. Einschließlich der Fußkonstruktion sollen die Werbeanlagen eine Höhe von je 3,12 m erreichen.

Die Klägerin lehnte mit Bescheid vom 21. Oktober 2005 den Bauantrag mit der Begründung ab, § 9 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 FStrG stehe der Baugenehmigung entgegen, weil das Vorhaben außerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teile der Ortsdurchfahrt der Bundesstraße 8 geplant sei. Diese Vorschrift gehöre zwar nicht zum Prüfungsprogramm des Art. 73 BayBO, es fehle jedoch das Sachbescheidungsinteresse.

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 28. September 2006 abgewiesen. Bei dem Baugrundstück handele es sich um planfestgestelltes Bahnbetriebsgelände. Der Erteilung der begehrten Baugenehmigung stehe der Fachplanungsvorbehalt des § 38 BauGB entgegen. Die bauaufsichtliche Genehmigung einer bahnfremden Anlage scheide hier aus.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung führt sie aus, die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass der Fachplanungsvorbehalt des § 38 BauGB der Erteilung der Baugenehmigung entgegenstehe, sei unzutreffend. Das Vorhaben verstoße auch nicht gegen die Bestimmungen des Fernstraßengesetzes. Unabhängig davon sei im vereinfachten Genehmigungsverfahren gemäß Art. 73 Abs. 1 BayBO 1998 ein vermeintlicher Verstoß dagegen nicht zu prüfen. Ein solcher Verstoß sei im Übrigen nicht geeignet, das Sachbescheidungsinteresse der Klägerin entfallen zu lassen.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 28. September 2006 und unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 21. Oktober 2005 diese zu verpflichten, der Klägerin die begehrte Baugenehmigung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

§ 38 BauGB hindere die Erteilung der beantragten Genehmigung, weil die Werbeanlagen mit dem Betrieb eines Eisenbahnnetzes und deshalb mit der Fachplanung der Bahn nicht vereinbar seien. Der vorliegende Verstoß gegen § 9 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 FStrG müsse wegen Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 BayBO – zugleich mit der Entscheidung über die Baugenehmigung sei nämlich über eine Ausnahme nach § 9 Abs. 8 FStrG zu entscheiden – zur Ablehnung des Bauantrags führen. Jedenfalls aber habe die Klägerin kein Sachbescheidungsinteresse hinsichtlich ihres Antrags auf Baugenehmigung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat am 5. Juni 2008 einen Augenschein durchgeführt. In der Folge haben die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Schriftwechsel im vorliegenden Berufungsverfahren, insbesondere die Niederschrift über den Augenschein sowie die beigezogenen Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Gründe

Über die zulässige Berufung kann der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die Berufung ist begründet.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts steht der Fachplanungsvorbehalt des § 38 BauGB der Erteilung der begehrten Baugenehmigung nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Erteilung einer Baugenehmigung für bahnfremde Nutzungen auf planfestgestelltem Bahnbetriebsgelände nicht prinzipiell ausgeschlossen. Sie kann allerdings nur erteilt werden, wenn die Gemeinde als Trägerin der Planungshoheit auch in der Lage ist, ihre Planungshoheit in Bezug auf das zu beurteilende Vorhaben auszuüben (BVerwG vom 24.4.1998 Buchholz 406.11 § 38 BauGB Nr. 12). Planfestgestelltes Bahnbetriebsgelände ist der gemeindlichen Planungshoheit nicht – „nach Art eines exterritorialen Gebiets“ – völlig entzogen. Sie ist der gemeindlichen Planung und damit auch der Anwendung der planersetzenden Vorschriften der §§ 34 und 35 BauGB insoweit zugänglich, als diese der besonderen Zweckbestimmung der planfestgestellten Anlage, nämlich dem Betrieb der Bahn zu dienen, nicht widersprechen (BVerwG vom 16.12.1988 BVerwGE 81, 111). Vorhaben, die auf planfestgestelltem Bahnbetriebsgelände ausgeführt werden sollen und die nicht nach § 18 AEG einer Planfeststellung bedürfen, unterliegen grundsätzlich sowohl den formellen als auch den materiellen Vorschriften des allgemeinen Baurechts. Zuständig ist die jeweilige Bauaufsichtsbehörde. Die Entscheidung ergeht gegebenenfalls im Einvernehmen mit der Gemeinde. Soweit ein derartiges Vorhaben mit der Fachplanung nicht vereinbar ist, räumt § 38 BauGB dieser den Vorrang ein. Jedoch ergeben sich aus dieser Vorschrift keine Einschränkungen, wenn das Vorhaben der fachplanerischen Zweckbestimmung nicht widerspricht (BVerwG vom 16.12.1988 a.a.O.).

Die verfahrensgegenständlichen Werbeanlagen dienen zwar nicht dem fachplanerischen Zweck, dem Betrieb einer Eisenbahn, sie widersprechen ihm aber auch nicht. Allein aus der Betriebsfremdheit dieser Anlagen kann nicht geschlossen werden, dass sie die fachplanerische Zweckbestimmung beeinträchtigen oder ihr gar entgegenstehen würden. § 38 BauGB steht damit der Erteilung der beantragten Baugenehmigung nicht entgegen.

Die Werbeanlagen sind bauplanungsrechtlich zulässig. Nach dem Ergebnis des Augenscheins liegt das Baugrundstück innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils, denn es wird jedenfalls durch die übrige Nutzung, nämlich einem Betrieb zur Verladung von Paketen der Post geprägt, der seinerseits in einer Reihe weiterer gewerblicher Betriebe steht. Die Umgebung ist auch nördlich der Fürther Straße durch gewerbliche Nutzung gekennzeichnet. Die Einmündung des Frankenschnellwegs in die Fürther Straße gegenüber dem Standort der beantragten Werbeanlagen hat insoweit keinen Einfluss auf die Prägung des Baugrundstücks. Die Tatsache, dass das Baugrundstück mit seiner gewerblichen Nutzung innerhalb des planfestgestellten Bereichs einer Bahnanlage liegt, ändert nichts daran, dass es samt seiner näheren Umgebung einem Gewerbegebiet im Sinn von § 8 BauNVO entspricht. Gemäß § 34 Abs. 2 BauGB sind die in einem Gewerbegebiet allgemein zulässigen Werbeanlagen (§ 8 Abs. 2 BauNVO) bauplanungsrechtlich zulässig.

Es kann dahinstehen, ob die verfahrensgegenständlichen Werbeanlagen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 6 FStrG möglicherweise nicht errichtet werden dürfen. Diese Vorschriften gehören sowohl gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 BayBO 1998 als auch gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO 2008 nicht zu den nach Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayBO 1998 bzw. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO 2008 im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 BayBO 1998 bzw. Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO 2008 werden andere als baurechtliche öffentlich-rechtliche Anforderungen in das Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens einbezogen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen werden. D.h., immer dann, wenn ein fachrechtliches Anlagenzulassungsverfahren einem gleichzeitig durchzuführenden Baugenehmigungsverfahren diesem die Prüfung materiellen Fachrechts – sog. aufgedrängtes öffentliches Recht – zuweist, ist dieses im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen. Das sachnähere Fachrecht entscheidet darüber, ob und in welchem Verfahren seine jeweiligen materiellen Anforderungen zu prüfen sind (vgl. Begründung zum Gesetzesentwurf zur BayBO 2008, Landtagsdrucksache 15/7161 zu § 1 Nrn. 42, 43 und 44).

Bei den Vorschriften des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 6 FStrG handelt es sich nicht um aufgedrängtes Recht in diesem Sinn (vgl. Wolf in Simon/Busse, BayBO 2008, RdNr. 25 zu Art. 59; Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, BayBO 2008, RdNr. 42 zu Art. 59; a.A. Koch/Molodovsky/Famers, BayBO 2008, RdNr. 22 zu Art. 59), denn das Bundesfernstraßengesetz – FStrG – enthält insoweit keine Verfahrenszuweisung. Nach § 9 Abs. 8 FStrG kann die Oberste Landesstraßenbaubehörde im Einzelfall Ausnahmen vom Anbauverbot zulassen. Den Bauaufsichtsbehörden werden insoweit aber keine Prüfungskompetenzen zugewiesen, womit diese Regelungen im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen sind. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (vom 26.3.2007 NVwZ-RR 2007, 740 zu § 57 HBO), denn diese Entscheidung erging zu dem vorliegend nicht gegebenen Sonderfall des § 9 Abs. 3a FStrG.

Unabhängig von vorstehenden Ausführungen, würden aber auch straßenrechtliche Hinderungsgründe nach § 9 Abs. 2 und 3 FStrG nicht bestehen. Die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs wird durch die Werbeanlagen nicht gefährdet. Davon wäre nur dann auszugehen, wenn nach allgemeiner Erfahrung in überschaubarer Zukunft der Eintritt eines Verkehrsunfalls oder doch einer Verkehrsbehinderung infolge der Werbeanlagen zu erwarten wäre. Abzustellen ist dabei auf den Horizont eines geeigneten Kraftfahrers, der sein Verhalten im Straßenverkehr nach den geltenden Vorschriften ausrichtet. Werbeanlagen gehören im städtischen Innenbereich zu den üblichen Erscheinungsformen, mit denen ein Verkehrsteilnehmer rechnet und auf die er sich einstellt. Deshalb können sie nur ausnahmsweise zu einer Gefährdung führen (VGH BW vom 16.6.2003 NVwZ 2004, 357).

Solche besonderen Umstände sind nicht ersichtlich. Die Plakatanschlagtafeln zeigen anders als Wechselwerbeanlagen nur ein feststehendes Bild. Sie beanspruchen daher keine aus dem üblichen Rahmen fallende Aufmerksamkeit. Eine konkrete Gefährdung ergibt sich aus der Verkehrssituation am Baugrundstück nicht. Die Werbeanlagen sind nur für den aus dem Frankenschnellweg in die Fürther Straße einbiegenden Verkehrsteilnehmer erkennbar. Die Einmündung des Frankenschnellwegs in die Fürther Straße ist mit einer Lichtzeichenanlage geregelt, wobei die Einmündungssituation ohnehin die Aufmerksamkeit des Verkehrsteilnehmers auf sich zieht. Fußgängerüberwege gibt es an dieser Stelle nicht.

Die beantragte Baugenehmigung war schließlich nicht deswegen abzulehnen, weil im Falle eines Anbauverbots gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 6 FStrG das Sachbescheidungsinteresse für den Bauantrag entfallen würde. Das Sachbescheidungsinteresse an dem Bauantrag entfällt nur dann, wenn ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, dass von der Genehmigung in keiner Weise Gebrauch gemacht werden kann (BayVGH vom 23.3.2006 BayVBl 2006, 537). Daran fehlt es hier schon deshalb, weil entgegen der Stellungnahme des Tiefbauamts der Beklagten (Bl. 10 der Genehmigungsakten) nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden kann, dass eine Ausnahme nach § 9 Abs. 8 FStrG verweigert werden muss. Angesichts einer Reihe weiterer – nach der Mitteilung der Beklagten zum Teil Bestandsschutz genießender Werbeanlagen – erscheint eine für die Klägerin positive Ermessensentscheidung nicht schlechthin ausgeschlossen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

 

Beschluss

Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird auf 20.000 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG).