Bayerischer VGH, Beschluss vom 16.09.2008 - 21 ZB 08.655
Fundstelle
openJur 2012, 94432
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. Januar 2008 wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren und unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. Januar 2008 der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren werden auf jeweils 8.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Bescheides des Landratsamts Amberg-Sulzbach vom 23. März 2007, mit dem die waffenrechtlichen Erlaubnisse des Klägers in der Form der Waffenbesitzkarten sowie in der Form der eingetragenen Mitbenutzungsberechtigung auf den Waffenbesitzkarten des Herrn ... – des Sohnes des Klägers – widerrufen worden sind. Dem vorausgegangen war ein Vorfall, der sich am 18. November 2006 in dem Haus des Klägers, das er zusammen mit seinem Sohn bewohnt hatte, ereignet hat. An diesem Tag erschoss sich der 21-jährige Sohn des Klägers. Im Verlauf der polizeilichen Ermittlungen stellte sich heraus, dass für verschiedene Waffen und Gegenstände keine Besitzberechtigung bestanden habe. Der Kläger wurde beschuldigt, diese Gegenstände selbst unerlaubt in Besitz gehabt zu haben oder an den waffenrechtlichen Verstößen seines verstorbenen Sohnes beteiligt gewesen zu sein. Der Kläger gab dazu im Wesentlichen an, dass er von der Existenz der illegalen Waffen, der Chemikalien und der Betäubungsmittel keine Kenntnis gehabt habe und deren Existenz bei sich auch nicht geduldet hätte.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Klage des Klägers gegen den Bescheid des Landratsamts Amberg-Sulzbach vom 26. März 2007 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29. Januar 2008 abgewiesen. In den Gründen ist ausgeführt, dass Tatsachen vorlägen, die die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen bzw. Waffen und Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt seien (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b und c WaffG). Das Gericht sei davon überzeugt, dass der Kläger von den Tatsachen, die die Unzuverlässigkeit seines Sohnes begründeten, Kenntnis gehabt und diesen Zustand geduldet habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung. Er macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend und rügt Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht.

Ernstliche Zweifel liegen zwar schon dann vor, wenn der Inhalt der Zulassungsschrift begründeten Anlass gibt, das Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung noch einmal zu überdenken, weil es möglich erscheint, dass die Entscheidung anders ausfallen könnte. Der Begriff der ernstlichen Zweifel bezieht sich aber vorrangig nicht auf die vom Verwaltungsgericht abgegebene Begründung, sondern auf das von ihm gefundene Ergebnis. Nach § 45 Abs. 2 WaffG ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Eine solche Sachlage ist nach Maßgabe des § 4 Abs. 2 Nr. 2 WaffG unter anderem dann gegeben, wenn nachträglich Tatsachen offenbar geworden sind, die die Annahme rechtfertigen, dass der Betroffene die erforderliche Zuverlässigkeit im Sinne von § 5 WaffG nicht mehr besitzt. Nach § 5 Abs. 1 Nrn. 2 Buchst. b und c WaffG genügt es, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren wird.

Die Vorschrift des § 5 WaffG betrifft die allgemeine Besorgnis, der Waffenbesitzer werde mit seinen Waffen so umgehen, dass andere Personen dadurch zu schaden kommen können. Von den Inhabern waffenrechtlicher Erlaubnisse muss schon wegen ihrer nachgewiesenen Sachkunde (§ 7 WaffG) nämlich erwartet werden, dass sie die Vorschriften des Waffengesetzes einhalten (vgl. BVerwG Beschluss vom 20.3.1989 Buchholz 412.5 WaffG Nr. 52).

Die Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit ist anhand einer umfassenden Einbeziehung und Bewertung aller Tatsachen vorzunehmen, die für die zu treffende zukunftsbezogene Beurteilung bedeutsam sein können. Die erforderliche Prognose hat sich am Zweck des Gesetzes zu orientieren. Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, sind nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen (vgl. BVerwG Beschluss vom 12.10.1998 Buchholz 402.5 WaffG Nr. 83). Der Mangel der Zuverlässigkeit setzt nicht etwa den Nachweis voraus, dass der Betroffene mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Waffen und Munition nicht sorgsam (verantwortungsbewusst) umgehen wird. Vielmehr genügt, dass bei verständiger Würdigung aller Umstände eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen nicht ordnungsgemäßen Umgang mit Waffen besteht. Liegen Tatsachen vor, die eine solche Annahme rechtfertigen, fehlt es an der erforderlichen Zuverlässigkeit.

Gemessen an diesen Maßstäben haben der Beklagte und das Verwaltungsgericht die waffenrechtliche Zuverlässigkeit des Klägers zu Recht verneint. Ob aufgrund der im Ermittlungsverfahren vorgefundenen Verhältnisse in der Wohnung des Klägers eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Kläger mit Waffen und Munition auch zukünftig nicht ordnungsgemäß umgehen wird, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen und zu würdigen. Es kann offen bleiben, ob die vom Beklagten und dem Verwaltungsgericht vorgenommenen Prüfungen den oben genannten Anforderungen an die zu treffende Prognoseentscheidung gerecht werden und ob eine ausreichende inhaltliche Auseinandersetzung mit den vom Kläger vorgetragenen Aspekten, dass er keine Verantwortung für das Tun und Handeln seines Sohnes trage, erfolgt ist. Denn die angegriffene waffenrechtliche Verfügung und das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnen im Ergebnis keinen ernstlichen Zweifeln, weil die vom Kläger vermisste Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung seines Zulassungsvorbringens zu seinen Ungunsten ausfällt. Bei verständiger Würdigung dieser Einzelfallumstände spricht nämlich eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für einen nicht ordnungsgemäßen Umgang mit Waffen und/oder Munition (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG).

Nach dem vom Kläger insoweit nicht bestrittenen Akteninhalt steht fest, dass der Kläger die Zahlenkombination des kleinen Möbeltresors gekannt hat, in dem die nicht angemeldeten Kurzwaffen seines Sohnes aufbewahrt wurden. Im Hinblick auf die nachgewiesene Sachkunde des Klägers als Sportschütze (§ 7 WaffG) wäre es seine Verpflichtung gewesen, den zwingenden Vorgaben des Waffengesetzes entsprechende Verhältnisse herbeizuführen und/oder seinen Sohn zu einem solchen Handeln zu veranlassen.

Soweit er in diesem Zusammenhang vorträgt, er habe diesen Möbeltresor nur selten benutzt und die Aufbewahrung der Waffen nach dem Schießen im Regelfall seinem Sohn überlassen, ändert dies an der rechtlichen Beurteilung nichts. Denn das oben dargestellte Verhalten des Klägers (Unterlassen) stellt einen besonders groben und leichtfertigen Verstoß gegen die waffenrechtlichen Sorgfaltspflichten dar, der durch die Einlassungen des Klägers nicht nachhaltig entkräftet wird.

Mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass der Sohn des Klägers im hohen Maße waffenrechtlich unzuverlässig gewesen war. Denn er war im Besitz von drei Kurzwaffen und Munition, zu deren Besitz er nicht berechtigt war. Außerdem besaß er explosionsgefährliche Stoffe, die der Erlaubnispflicht nach § 27 SprengG unterlagen. Nachdem in den Waffenbesitzkarten des Klägers auch sein Sohn als mitnutzungsberechtigte Person eingetragen war, hält es der Senat für ausgeschlossen, dass der Kläger von den Tatsachen, die die Unzuverlässigkeit seines Sohnes begründeten, keine Kenntnis hatte. Dass der Kläger darüber hinaus diese waffenrechtlich illegalen Zustände auch geduldet hat, ergibt sich zur Überzeugung des Senats bereits daraus, dass zahlreiche dieser Gegenstände in den gemeinsam von Vater und Sohn genutzten Räumen gefunden wurden.

Soweit der Kläger im Zulassungsantrag seine Mitverantwortung für diese illegalen Zustände in Abrede stellt, handelt es sich nach all dem um eine bloße unsubstantiierte Schutzbehauptung, die die vom Senat festgestellte waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers nicht in Zweifel ziehen kann.

An der Feststellung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers ändert auch die Einstellung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens nichts. Denn die Strafverfolgungsbehörden untersuchen den Sachverhalt nur im Hinblick auf die Frage, ob der Kläger einen subjektiv vorwerfbaren (vorsätzlichen oder fahrlässigen) Tatbeitrag am Tod seines Sohnes geleistet hat. Die notwendige Zuverlässigkeit des Waffenbesitzers bestimmt sich aber aus dem sicherheitsrechtlichen Charakter dieser Voraussetzung nach objektiven verschuldensunabhängigen Kriterien (BayVGH Beschluss vom 19.3.1996 BayVBl 1996, 534; Steindorf Waffenrecht 8. Auflage § 5 WaffG RdNr. 3).

Der geltend gemachte Verfahrensmangel nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt nicht vor. Der anwaltlich vertretene Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 2008 keine förmlichen Beweisanträge gestellt, die nach § 86 Abs. 2 VwGO nur durch einen zu begründenden Gerichtsbeschluss hätten abgelehnt werden können. Die Niederschrift über die mündliche Verhandlung enthält auch keinen Hinweis darauf, dass der Kläger dort angesprochen hätte, verschiedene Gegenstände seien im Rahmen der polizeilichen Durchsuchung seines Hauses am 20./21. November 2006 von der Polizei zum Fotografieren zurechtgestellt worden, so dass sich eine Beweiserhebung nicht in der Weise aufgedrängt hat, dass das Unterbleiben einen Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO bedeuten würde. Im Übrigen wäre es Sache des durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen Klägers gewesen, durch Stellung von Anträgen, auch Beweisanträgen, die nunmehr vermisste weitere Aufklärung zu erreichen und sein Vorbringen näher zu untermauern (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. RdNr. 19 zu § 138).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 2 GKG, § 173 VwGO, § 5 ZPO i.V.m. Nr. 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, Anhang zu § 164 RdNr. 14; NVwZ 2004, 1327 ff). Dabei waren zusätzlich zum Auffangstreitwert von 5.000,-- Euro vier weitere Waffen mit einem Streitwert von je 750,-- Euro zu berücksichtigen, so dass der Gesamtstreitwert in der Hauptsache 8.000,-- Euro beträgt. Die Abänderung der Streitwertfestsetzung für das erstinstanzliche Verfahren beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).