Bayerischer VGH, Beschluss vom 21.05.2008 - 7 CE 08.10093
Fundstelle
openJur 2012, 91754
  • Rkr:
Tenor

I.Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.II.Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes für das Wintersemester (WS) 2007/2008 die vorläufige Zulassung zum Studium der Tiermedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) im ersten Fachsemester. Sie ist der Meinung, dass mit der in der Zulassungszahlsatzung festgesetzten Zahl von 283 Studienplätzen die im WS 2007/2008 vorhandene Aufnahmekapazität nicht erschöpft ist.

Mit Beschluss vom 10. Januar 2008, der laut Empfangsbekenntnis der Bevollmächtigten der Antragstellerin am 28. Januar 2008 zugegangen ist, verpflichtete das Verwaltungsgericht München den Antragsgegner, im Wege der Verlosung zwei weitere Studienplätze an die in den erstinstanzlichen Verfahren beteiligten Antragsteller für das erste Fachsemester zu vergeben; im Übrigen wurde der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Mit der vorliegenden Beschwerde, die am 12. Februar 2008 beim Verwaltungsgerichtshof einging, wendet sich die Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 10. Januar 2008, soweit darin ein Anspruch auf Zulassung zum ersten Fachsemester verneint worden ist. Sie trägt verschiedene Gründe vor, aus denen sich eine höhere als die vom Verwaltungsgericht errechnete Kapazität ergebe. Zugleich beantragt sie hinsichtlich der versäumten Beschwerdefrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Rechtsanwaltsfachangestellte W. habe wohl versehentlich das falsche Datum im Eingangsstempel eingestellt (29.1.2008) und sei bei der späteren Eintragung im Terminkalender von dem fehlerhaften Stempelaufdruck ausgegangen.

Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Hierbei kann dahinstehen, ob hinreichende Gründe für die Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist vorliegen. Selbst wenn dies angenommen wird, ist die Beschwerde jedenfalls unbegründet. Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf die sich die Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof im Eilverfahren beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), lassen nicht erkennen, dass über die bereits tatsächlich besetzten Studienplätze hinaus im Fach Tiermedizin weitere Ausbildungskapazitäten bestünden.

1. Soweit die Antragstellerin sich auf den Hochschulpakt 2020 beruft, lässt sich daraus kein Recht auf außerkapazitären Zugang zum Hochschulstudium ableiten. Der genannte Pakt und die zu seiner Umsetzung ergriffenen hochschulplanerischen Maßnahmen vermitteln keine individuellen Ansprüche auf Schaffung von Ausbildungskapazitäten in einzelnen Studienfächern. Es handelt sich vielmehr um eine die Hochschulfinanzierung betreffende Bund-Länder-Vereinbarung gemäß Art. 91b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG, aus der sich Rechte und Pflichten nur im Verhältnis der beteiligten Körperschaften untereinander ergeben können (vgl. bereits BayVGH vom 21.9.2007 Az. 7 CE 07.10320).

Dass die von der Bundesregierung und den Regierungschefs der Länder erst am 20. August 2007 abgeschlossene und am 5. September 2007 öffentlich bekanntgemachte (Bundesanzeiger Nr. 171 vom 12.9.2007 S. 7480) Verwaltungsvereinbarung über den Hochschulpakt 2020 keine auf bestimmte Hochschulen oder gar auf einzelne Studiengänge bezogenen Rechtsansprüche auf Kapazitätserweiterung begründet, folgt zwingend aus Ziel und Inhalt der genannten Vertragsbestimmungen. Mit dem in Art. 1 enthaltenen „Programm zur Aufnahme zusätzlicher Studienanfänger“ wird lediglich angestrebt, bis zum Jahre 2020 ein „der Nachfrage insgesamt entsprechendes Studienangebot“ bereitzustellen (Art. 1 § 1 Abs. 1), wobei in quantitativer Hinsicht davon ausgegangen wird, dass die Länder während der ersten Programmphase bis zum 31. Dezember 2010 91.370 zusätzliche Studienanfänger im ersten Hochschulsemester an den Hochschulen aufnehmen (Art. 1 § 1 Abs. 2), von denen 18.259 auf den Freistaat Bayern entfallen (Anlage zur Verwaltungsvereinbarung). Für die Verwendung der Finanzmittel, an denen sich der Bund zur Hälfte beteiligt (Art. 1 § 1 Abs. 3), bestehen Zielvorgaben nur insoweit, als die Länder „Schwerpunkte in der Schaffung zusätzlicher Stellen an den Hochschulen“ setzen und für eine Erhöhung des Anteils der Studienanfängerplätze an Fachhochschulen sowie des Anteils von Frauen bei der Besetzung von Professuren und sonstigen Stellen sorgen sollen (Art. 1 § 1 Abs. 4). Die Verwaltungsvereinbarung zum Hochschulpakt 2020, die ohnehin unter dem Vorbehalt der Mittelbereitstellung durch die jeweiligen gesetzgebenden Körperschaften steht (s. Präambel), enthält somit keine – über den allgemeinen Verfassungsauftrag nach Art. 12 Abs. 1 GG hinausgehende – spezielle Verpflichtung zum Abbau von Zugangsbeschränkungen in den sog. harten Numerus Clausus-Fächern. Sie überlässt die Einzelheiten des vereinbarten Ausbaus der Hochschulen vielmehr den auf Länderebene abzustimmenden „Aufwuchsplanungen“ (Art. 1 § 4), in deren Rahmen die zusätzlich bereitstehenden Finanzmittel auf die einzelnen Ausbildungsstätten und die dort angebotenen Studiengänge zu verteilen sind.

Unabhängig von der fehlenden „Drittgerichtetheit“ der Pflichten aus der Bund-Länder-Vereinbarung kann auch keine Rede davon sein, dass der Freistaat Bayern seiner vertraglichen Umsetzungspflicht bisher nicht oder nur zögerlich nachgekommen wäre. Zwar ist die Verwaltungsvereinbarung vom 20. August 2007 rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft getreten (Art. 3 Abs. 2). Dies bedeutet aber nicht, dass die Länder etwa verpflichtet waren, schon zum Wintersemester 2007/2008 eine Mindestzahl neuer Planstellen an den einzelnen Hochschulen auszuweisen. Abgesehen von dem insoweit zu beachtenden Vorbehalt des Haushaltsgesetzes bedurfte die Verteilung der zusätzlichen Finanzmittel einiger planerischer Vorentscheidungen und Abstimmungen, die nicht schon im Jahr 2007 zum Abschluss gebracht werden konnten. Die Vereinbarung sieht demgemäß für die erste Programmphase keinen jahres- oder semesterbezogenen Zuwachs von Studienplätzen vor, sondern nur eine im Gesamtzeitraum von vier Jahren (2007 bis 2010) erhöhte Zahl von Studienanfängern (Art. 1 § 1 Abs. 2 und 3).

In Bayern hat der Ministerrat bereits in seiner Sitzung vom 12. Juni 2007 einen Investitionsplan zum schrittweisen Aufbau von 3.000 zusätzlichen Personalstellen beschlossen, mit dem – über die quantitativen Vorgaben im damals noch unverbindlichen Hochschulpakt 2020 hinausgehend – insgesamt 38.000 neue Studienplätze an den staatlichen Hochschulen geschaffen werden sollen (vgl. http://www.stmwfk.bayern.de/hs_ausbau.html). Nach einer Pressemitteilung des Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst vom 10. Januar 2008 ist im Haushaltsjahr 2008 ein erster Einstieg im Umfang von 35,66 Mio. Euro vorgesehen, von denen auf die LMU München 2.385.800 Euro entfallen (http://www.stmwfk.bayern.de/presse/meldung.asp?NewsID=989). Um alle Beteiligten in die Planungen dauerhaft einzubeziehen, wurde mit Vertretern von Wirtschaft, Wissenschaft und kommunalen Spitzenverbänden am 18. Januar 2008 ein „Bündnis Studieren in Bayern“ abgeschlossen (http://www.stmwfk.bayern.de/buendnis.html), zu dessen Umsetzung derzeit in allen sieben Regierungsbezirken Regionalkonferenzen mit Vertretern der Wissenschaftsverwaltung und der einzelnen Universitäten stattfinden (http://www.stmwfk.bayern.de/ regionalkonferenz.html). Die konkreten Zielvereinbarungen zwischen den Hochschulen und dem zuständigen Staatsministerium, in denen die künftige Zahl der Studienplätze für die einzelnen Fächer festgelegt werden soll, stehen nach Auskunft des Antragsgegners derzeit noch aus. Aufgrund des bisherigen Verfahrensablaufs kann aber erwartet werden, dass sich das von Bund und Land zusätzlich bereitgestellte Finanzvolumen bereits im Wintersemester 2008/2009 oder spätestens im nachfolgenden Sommersemester 2009 in einer erhöhten Zahl von Planstellen an den einzelnen Hochschulen bemerkbar machen wird. Erst wenn dies der Fall ist, können sich daraus nach den kapazitätsrechtlichen Vorschriften konkrete Folgerungen zugunsten einzelner Studienbewerber ergeben.

2. Soweit die Antragstellerin die gegenüber dem Vorjahr vorgenommene Stellenreduzierung bei der Zahl der wissenschaftlichen Assistenten von 92 auf 89 (Umwandlung von 2 C1-Stellen in 2 W1-Stellen und Einzug einer C1-Stelle) sowie die Reduzierung der Zahl der Akademischen Räte auf Lebenszeit von 42 auf 39 für kapazitätsrechtlich nicht gerechtfertigt hält, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Es handelt sich bei den genannten Veränderungen im Stellenplan um keinen ersatzlosen Einzug von ausbildungsrelevanten Stellen, an den erhöhte Abwägungsanforderungen gestellt werden müssten, sondern nur um eine Umwandlung bestimmter dienstrechtlicher Positionen, die entgegen der Annahme der Antragstellerin zu keinem effektiven Verlust von Ausbildungskapazität geführt hat. Der Wegfall von jeweils drei Stellen für Wissenschaftliche Assistenten und für Akademische Räte auf Zeit, auf die nach § 4 Abs. 1 Nrn. 5, 6 und 8 c LUFV insgesamt 45 Lehrveranstaltungsstunden (LVS) entfielen, wird kompensiert durch die im Gegenzug erfolgte Einrichtung von 2 Professorenstellen, 2,5 Stellen von wissenschaftlichen Angestellten und 2 Stellen von Juniorprofessoren, die insgesamt eine Deputatserhöhung von 48 LVS ergibt. Hielte man die Änderungen im Stellenplan gegenüber dem Vorjahr wegen unzureichender Einzelabwägung für unwirksam, so müssten auch die neu geschaffenen Stellen bei der Kapazitätsberechnung unberücksichtigt bleiben, so dass im Vergleich zum heutigen Stand insgesamt sogar von einer ungünstigeren Stellensituation auszugehen wäre.

3. Entgegen der Auffassung der Antragsteller sind auch weiterhin keine Gründe ersichtlich, die es gebieten könnten, bei der Schwundquotenberechnung die durch gerichtlichen Beschluss später zugelassenen Studienbewerber im Nachhinein ihrem Bewerbungssemester hinzuzurechnen. Mit der strikten Anknüpfung an den Status der Immatrikulation wird sichergestellt, dass das Studierverhalten der gerichtlich zugelassenen Bewerber im Rahmen der Schwundberechnung erst berücksichtigt wird, wenn das Studienangebot für die Betreffenden tatsächlich verfügbar ist; erst ab diesem Zeitpunkt ist eine schwundrelevante "Aufgabe" des Studiums möglich. Wollte man zunächst abgewiesene Studienbewerber wegen ihrer – erst in einem späteren Semester erlangten – gerichtlichen Zulassung noch nachträglich in die Zahl der Erstsemester einrechnen und damit einen teilweise fiktiven Ausgangswert zugrundelegen, so könnte dies zu unrealistisch hohen Schwundquoten führen. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn eine größere Anzahl vorläufig zugewiesener Studienplätze im Rechtsmittelverfahren wieder entzogen würde und damit ein beträchtlicher Schwundanteil in die Berechnung einginge, dem keine autonome Entscheidung der Studierenden zugrundeläge. Da auch Praktikabilitätsgründe für das formelle Immatrikulations- und Stichtagsprinzip sprechen, bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die bisher geübte Praxis bei der Ermittlung der Semesterzahlen im Rahmen der Schwundberechnung (vgl. BayVGH vom 19.10.2006 Az. 7 CE 06.10410).

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.