Bayerischer VGH, Beschluss vom 17.03.2008 - 10 CS 08.397
Fundstelle
openJur 2012, 90682
  • Rkr:
Tenor

I. Die Verfahren 10 CS 08.397, 10 C 08.399, 10 C 08.429 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

IV. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

V. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CS 08.397 wird auf 1.250 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um den Fortbestand einer Niederlassungserlaubnis.

1. Die Antragstellerin ist türkische Staatsangehörige, lebte seit 1974 in Deutschland und besaß eine Aufenthaltsberechtigung. Sie kehrte im Juli 2006 in die Türkei zurück, wurde dort eigenen Angaben zu Folge in einer psychiatrischen Klinik behandelt und reiste im Oktober 2007 ohne Visum wieder ins Bundesgebiet ein. Dort verbüßte sie zunächst eine kurzzeitige Ersatzfreiheitsstrafe und lebt nunmehr bei ihrem früheren Ehemann. Die Antragsgegnerin ging davon aus, dass das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin erloschen ist, und verpflichtete sie mit Bescheid vom 10. Dezember 2007, die Bundesrepublik Deutschland bis zum 22. Dezember 2007 zu verlassen. Für den Fall der Nichtbefolgung wurde die Abschiebung in die Türkei angedroht.

2. Das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren blieb ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht Augsburg führte im Beschluss vom 22. Januar 2008 aus, dass die im Jahre 1994 erteilte Aufenthaltsberechtigung zwar zunächst als Niederlassungserlaubnis fortgegolten habe, aber nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen sei. Die Klägerin sei für mehr als sechs Monate ausgereist, was zum Verlust des Aufenthaltstitels geführt habe. Ein Fall des § 51 Abs. 2 AufenthG liege bei der Klägerin nicht vor, da sie nicht in der Lage sei, ihren Unterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Sie habe von Januar bis September 2005 Sozialleistungen (ALG II) bezogen. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe der Klägerin wurde mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgewiesen. Der Beschluss ging der Klägerin am 30. Januar 2008 zu. Des Weiteren wurde der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren mit Beschluss vom 29. Januar 2008 abgelehnt.

3. Mit der am 7. Februar 2008 eingegangenen Beschwerde (10 CS 08.397) beantragt die Antragstellerin die Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage, hilfsweise den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Gleichzeitig wurde Beschwerde gegen die Prozesskostenhilfeentscheidung im Eilverfahren eingelegt. Ferner wurde für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe beantragt (10 C 08.399). Für diese Rechtsbehelfe ging keine gesonderte Begründung ein.

Des Weiteren wurde Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. Januar 2008 erhoben, in dem die Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren abgelehnt worden war (10 C 08.429). Zur Begründung dieser Beschwerde wurde ausgeführt: Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass kein Fall des § 51 Abs. 2 AufenthG vorliege. Die Antragstellerin könne ihren Aufenthalt mit Hilfe ihres geschiedenen Ehemanns und ihrer Verwandten bestreiten. Zum Nachweis wurden eine AOK-Versichertenkarte der Antragstellerin und eine Verpflichtungserklärung ihres Ehemanns (Bl. 17 der Akte 10 C 08.429) sowie zwei Verpflichtungserklärungen ihrer Brüder (Bl. 17, 18 der Akte 10 C 08.429) vorgelegt.

Die Antragsgegnerin hat zu den Beschwerden und Anträgen mit drei Schreiben vom 10.03.2008 Stellung genommen und deren Zurückweisung aus formellen wie materiellen Gründen beantragt. Für die weiteren Einzelheiten des wechselseitigen Vorbringens und des gesamten Falles wird auf den Inhalt der Prozessakten und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die von der Antragstellerin eingelegten Rechtsmittel haben keinen Erfolg, auch wenn man zu ihren Gunsten davon ausgeht, dass die im Verfahren 10 C 08.429 gegebene Beschwerdebegründung auch für die übrigen Verfahren gelten soll.

1. Die Beschwerde gegen die Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 22. Januar 2008 ist jedenfalls unbegründet. Die vorgetragenen Beschwerdegründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Prüfungsumfang bestimmen, rechtfertigen keine anderweitige Entscheidung.

a) Die Antragstellerin stellt selbst nicht mehr in Abrede, dass ihre Niederlassungserlaubnis gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG grundsätzlich erloschen ist. Nach dieser Vorschrift erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. Da die Antragstellerin sich von Mitte Juli 2006 bis Mitte Oktober 2007 in der Türkei aufgehalten hat, ist ihre Niederlassungserlaubnis nach dieser Vorschrift grundsätzlich erloschen. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin ihr Aufenthaltsrecht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) ableiten konnte. Denn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erlöschen auch die Rechte aus diesem Assoziationsratsbeschluss, wenn der Berechtigte das Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlässt (EuGH vom 16.3.2000 InfAuslR 2000, 217/220 „Ergat“ RdNr. 48/49; EuGH vom 11.11.2004 InfAuslR 2005, 13/16 „Cetinkaya“ RdNr. 37; EuGH vom 7.7.2005 InfAuslR 2005, 352/354 „Aydlini“ RdNr. 27). Daher geht auch der ARB-Status regelmäßig nach Ablauf der 6-Monats-Frist verloren. Selbst wenn man die Regelung von Art. 11 Abs. 2 und Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG entsprechend heranziehen würde, würde das Aufenthaltsrecht des ARB-Berechtigten auch im Falle einer schweren Krankheit nach zwölf Monaten erlöschen. (vgl. OVG NRW vom 14.8.2006, 18 B 1392/06, juris RdNr. 14)

b) Zwar sieht § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG eine Ausnahme von dieser Erlöschensregelung vor. In der für den fraglichen Zeitraum geltenden Fassung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vom 30. Juli 2004 (BGBl 2004 I S. 1950) ging die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte, nicht verloren, wenn der Lebensunterhalt gesichert war. Auf das Fehlen von Ausweisungsgründen kam es seinerzeit nicht an. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin genügt es aber für den ausnahmsweisen Fortbestand einer vom Erlöschen bedrohten Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht, wenn irgendwann während des Rechtsstreits um die Aufenthaltsbeendung der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob nach Erlöschen der Niederlassungserlaubnis (vgl. OVG NRW vom 16.11.2002, 18 B 732/01 juris RdNr. 13) oder jedenfalls bei Wiedereinreise (vgl. OVG NRW vom 14.8.2006, 18 B 1392/06 juris RdNrn. 6 bis 8; VG München vom 27.11.2007, M 4 K 07.3681, juris RdNrn. 42 bis 47) der Lebensunterhalt gesichert ist.

Im vorliegenden Fall war eine solche positive Prognose hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts weder bei Erlöschen des Aufenthaltstitels (Mitte Januar 2007) noch bei Wiedereinreise (Mitte Oktober 2007) möglich. Die Klägerin bezog vor ihrer Ausreise und anscheinend auch noch während ihres Aufenthalts in der Türkei Sozialleistungen nach dem SGB XII, der Leistungsbezug dauerte von Januar 2005 bis September 2006. Es stand zu erwarten, dass sie bei ihrer Rückkehr erneut Leistungen der öffentlichen Hand in Anspruch nehmen würde. Zum Zeitpunkt des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis und zum Zeitpunkt der Wiedereinreise gab es keinerlei Verpflichtungserklärungen Dritter, die den Lebensunterhalt der Klägerin gesichert hätten. Ihr fehlte der erforderliche Krankenversicherungsschutz. Insofern hätte der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt keine Bescheinigung nach § 52 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ausgestellt werden können. Vielmehr hätte hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts eine negative Prognose abgegeben werden müssen. Der Aufenthaltstitel der Klägerin bestand deshalb nicht ausnahmsweise fort, sondern kam zum Erlöschen. Auch wenn die Klägerin tatsächlich nach ihrer Einreise jedenfalls keine klassischen Sozialleistungen bezogen haben sollte, ändert dies an der fehlenden rechtlichen Sicherung des Unterhalts einschließlich des Krankenversicherungsschutzes bei Einreise nichts. Soweit die Klägerin erstmals im Beschwerdeverfahren „Verpflichtungserklärungen“ und einen Versicherungsnachweis vorgelegt hat, können diese (von der Ausländerbehörde nicht im Rahmen des § 68 AufenthG geprüften) Belege den bereits eingetretenen Verlust des Aufenthaltsrechts nicht mehr rückgängig machen.

c) Die Beschwerde gegen die Prozesskostenhilfeentscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg war gleichfalls abzulehnen. Das Verwaltungsgericht Augsburg hat zutreffend ausgeführt, dass die Rechtsverfolgung der Klägerin keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot.

2. Aus diesen Gründen war auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren (10 C 08.399) gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO zurückzuweisen. Auch bei Berücksichtigung des Vorbringens im Rahmen der Beschwerde ist festzustellen, dass die Rechtsverfolgung nur entfernte Erfolgschancen hatte.

3. Schließlich ist auch die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgericht Augsburg vom 29. Januar 2008 (10 C 08.429) zurückzuweisen. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe im Hauptsacheverfahren kann keinen Erfolg haben. Es sind auch unabhängig vom bisherigen Vorbringen der Klägerin keine Gesichtspunkte erkennbar, die der Klage zum Erfolg verhelfen könnten.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).