OLG Hamm, Beschluss vom 16.12.2010 - 15 Wx 470/10
Fundstelle
openJur 2012, 88621
  • Rkr:
Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die erste Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 14.10.2009 wird zurückgewiesen.

Das Amtsgericht wird angewiesen, den am 05.08.2010 der Beteiligten zu 1) erteilten Erbschein einzuziehen.

Die Beteiligte zu 1) hat die der Beteiligten zu 3) im Verfahren der Erst-beschwerde entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten des Verfahrens dritter In-stanz findet nicht statt.

Der Geschäftswert wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Erblasserin war verheiratet mit G-X W, der am 21.06.1986 vorverstorben ist. Die Beteiligten zu 2) und 3) sind die aus dieser Ehe hervorgegangen Töchter, die Beteiligten zu 1) ist eine Tochter der Beteiligten zu 3).

Die Erblasserin errichtete mit ihrem Ehemann zu notarieller Urkunde vom 24.05.1973 (UR-Nr. ...#/... K U in I am See) ein gemeinschaftliches Testament, das folgenden Wortlaut hat:

"Wir setzen uns gegenseitig zu Erben ein. Der Längstlebende von uns soll alleiniger Erbe des Zuerstversterbenden sein.

Der Überlebende soll aber verpflichtet sein, als Rechtsnachfolger in unser Vermögen nach seinem Tode nur eines oder beide Kinder aus unserer jetzigen Ehe zu bestimmen."

Nach dem Tod ihres Ehemannes errichtete die damals 81jährige Erblasserin ein weiteres notarielles Testament (UR-Nr. ...#/... des Notars Dr.I1 N in I am See), in dem es unter I heißt:

"Zu meiner alleinigen und ausschließlichen Erbin bestimme ich meine Enkeltochter T T1. Ersatzerbin ist ihre Tochter K1.

Meiner Tochter N1 vermache ich mein nach Abzug der Beerdigungskosten noch vorhandenes Geld- und Wertpapiervermögen."

Unter II des Testaments ist ausgeführt, dass die Tochter V bereits zu Lebzeiten erhebliche Zuwendungen und die Tochter N1 finanzielle Zuwendungen erhalten hätten.

Nach dem Tod der Erblasserin beantragte die Beteiligte zu 1) am 13.08.2009 beim Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin ihrer Großmutter ausweist.

Die Beteiligte zu 2) und 3) widersprachen dem Antrag und vertraten die Auffassung, die Erblasserin sei aufgrund des Ehegattentestaments vom 24.05.1973 gehindert gewesen, die Beteiligte zu 1) zu ihrer Erbin einzusetzen.

Mit Beschluss vom 14.10.2009 wies das Amtsgericht den Erbscheinsantrag zurück. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde der Beteiligten zu 1) hob das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 16.06.2010 die Entscheidung des Amtsgerichts auf und wies es an, den beantragten Erbschein zu erteilen, wenn nicht binnen vier Wochen nach Bekanntmachung seines Beschlusses weitere Beschwerde hiergegen eingelegt werde.

Am 05.08.2010 erteilte das Amtsgericht zugunsten der Beteiligten zu 1) den beantragten Erbschein.

Mit Schreiben vom 16.08.2010 legte die Beteiligte zu 2) weitere Beschwerde gegen den ihr am 23.07.2010 zugestellten Beschluss des Landgerichts ein und beantragte mit Schreiben vom gleichen Tage die Einziehung des bereits erteilten Erbscheins. Durch einstweilige Anordnung vom 05.08.2010 gab das Landgericht der Beteiligten zu 1) auf, die Ausfertigung des Erbscheins zurückzusenden, damit der Erbschein bis zum Abschluss des Verfahrens der weiteren Beschwerde in der Akte verwahrt werden könne. Dieser Aufforderung ist die Beteiligte zu 1) nachgekommen.

Auf einen entsprechenden Hinweis des Senats hat die Beteiligte zu 2) am 22.09.2010 zu Protokoll der Rechtspflegerin ihre weitere Beschwerde formgerecht eingelegt.

II.

Das Verfahren richtet sich nach dem bis zum 31.08.2009 geltenden Rechtszustand, weil es vor dem 01.09.2009 eingeleitet worden ist, Art. 111 Abs. 1 FGG-RG.

Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG statthaft und auch sonst zulässig. Da das Amtsgericht den Erbschein bereits erteilt hat, ist das Beschwerdebegehren dahin auszulegen, dass es auf die Einziehung des Erbscheins gerichtet ist. Denn durch die vorläufige Ablieferung der der Beteiligten zu 1) erteilten Ausfertigung des Erbscheins hat dieser seine Rechtswirkungen noch nicht verloren. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 2) folgt daraus, dass sie aufgrund des Ehegattentestaments ihrer Eltern eine Erbenstellung neben ihrer Schwester, der Beteiligten zu 3), beansprucht, die ihr das Landgericht abgesprochen hat.

Die weitere Beschwerde ist auch begründet und führt zur Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung vom 14.10.2009 und der Anweisung, den am 05.08.2010 erteilten Erbschein einzuziehen.

1. Das Landgericht hat das gemeinschaftliche Testament der Ehegatten (§ 2265 BGB) vom 24.05.1973 dahin ausgelegt (§ 133 BGB), die Eheleute hätten sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt, aber keine Regelung darüber getroffen, wer Erbe des Letztversterbenden sein solle. Die Klausel, dass der Überlebende verpflichtet sein solle, als Rechtsnachfolger in das Vermögen nach seinem Tod nur die Kinder aus der Ehe der Eheleute W zu bestimmen, sei nicht dahin auslegbar, dass es sich um eine Erbeinsetzung der Kinder handele. Insoweit fehle es schon an der Bestimmung eines Erben. Nach der Klausel sei der überlebende Ehegatte auch berechtigt, eines der beiden Kinder ganz zu enterben. Bei der Klausel handele es sich daher um eine Auflage im Sinne des § 1940 BGB, durch die der überlebende Ehegatte verpflichtet werde, zugunsten eines oder beider Kinder letztwillig zu verfügen. Eine derartige Klausel sei nach der Vorschrift des § 2302 BGB unwirksam, die auch auf einseitige Verpflichtungen anwendbar sei.

Die Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Dabei ist zwar vom Wortlaut auszugehen. Dieser ist jedoch nicht bindend. Vielmehr sind der Wortsinn und die vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten hat sagen wollen und ob er mit ihnen genau das wiedergegeben hat, was er zum Ausdruck bringen wollte (BGH NJW 1993, 256 m.w.N.). Maßgeblich ist insoweit allein sein subjektives Verständnis der von ihm verwendeten Begriffe (BGH FamRZ 1987, 475, 476; Palandt/Edenhofer, BGB, 69. Aufl., § 2084 Rn. 1). Zur Ermittlung des Inhalts der testamentarischen Verfügungen ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen (BGH NJW 1993, 256 m.w.N.). Solche Umstände können vor oder auch nach der Errichtung des Testamentes liegen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des Erblassers, seine Äußerungen und Handlungen (Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 2084 BGB Rdnr. 2 m.w.N.). Kann sich der Richter auch unter Auswertung aller Umstände von dem tatsächlich vorhandenen wirklichen Willen des Erblassers nicht überzeugen, muss er sich mit dem Sinn begnügen, der dem Erblasserwillen mutmaßlich am ehesten entspricht (BGH NJW 1993, 256).

Bei der Auslegung von Testamenten ist die Feststellung dessen, was nach dem Willen des Erblassers erklärt ist, im Wesentlichen tatsächlicher Natur. Die tatsächliche Würdigung des Landgerichts kann im Verfahren der weiteren Beschwerde nur dahin überprüft werden, ob die Kammer den maßgebenden Sachverhalt ausreichend erforscht, bei der Würdigung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und hierbei nicht gegen die Denkgesetze sowie feststehende Erfahrungssätze verstoßen hat, ferner ob es die Beweisanforderung zu hoch oder zu niedrig angesetzt hat (vgl. etwa BayObLGZ 1995, 383, 388 = FamRZ 1996, 566; FamRZ 1999, 819; Keidel/Meyer-Holz, FG, 15. Aufl., § 27, Rn. 42, 49).

Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht.

Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass die Eheleute W in dem gemeinschaftlichen Testament sich gegenseitig zu Erben eingesetzt haben. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind die Eheleute aber auch eine Bindung eingegangen hinsichtlich der Frage, wer Schlusserbe des letztversterbenden Ehegatten werden soll. Letzteres ergibt sich zwanglos aus der Formulierung, dass der Überlebende v e r p f l i c h t e t sei, "nur eines oder beide Kinder aus unserer jetzigen Ehe zu bestimmen." Haben aber die Ehegatten diesen Willen unzweifelhaft gehabt, dann ist entgegen der Auffassung des Landgerichts die von den Ehegatten verwandte Formulierung gemäß § 2084 BGB dahin zu verstehen bzw. auszulegen, dass sie die beiden Kinder als Schlusserben eingesetzt haben. Denn das von ihnen erstrebte Ergebnis einer Bindungswirkung konnte nur durch eine Schlusserbeneinsetzung herbeigeführt werden, weil der Erblasser die Person des Erben selbst bestimmen muss und er nicht einem anderen eine eigene Entscheidungsbefugnis hierüber einräumen darf (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB, 69. Aufl., § 2065 Rn 7), wovon auch das Landgericht ausgeht, das aber die Vorschrift des § 2084 BGB übersehen hat, wonach im Zweifel die Auslegung vorzuziehen ist, bei der die letztwillige Verfügung wirksam ist. Die von den Ehegatten gewollte Bindungswirkung konnten sie nach den §§ 2270 Abs. 1 und 2, 2271 Abs. 2 S. 1 BGB nur begründen aufgrund einer von dem überlebenden Ehegatten selbst bereits in dem gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügung für den Schlusserben, wobei es den Ehegatten freisteht, den Umfang der Wechselbezüglichkeit ihrer Verfügungen etwa durch einen Änderungsvorbehalt näher auszugestalten.

Für seine gegenteilige Auffassung konnte sich das Landgericht vorliegend nicht auf die Entscheidung des 10. Zivilsenats des OLG Hamm vom 12.03.1996 - 10 U 151/95 - (FamRZ 1997, 581) berufen. Denn dort ging es um die hier nicht anstehende Frage, ob bei einer in einem notariellen Ehevertrag enthaltenen nichtigen Verpflichtung eines Ehegatten, im Falle der Scheidung ein Testament zugunsten der gemeinsamen Kinder zu errichten, bei entsprechendem Parteiwillen zum Zeitpunkt des Ehevertragsschlusses eine Umdeutung dieser Verpflichtung in einen Erbvertrag zugunsten der Kinder in Betracht kommt.

2. Die Entscheidung des Landgerichts ist daher rechtsfehlerhaft (§ 27 FGG) und kann somit keinen Bestand haben. Sie ist, da sie sich auch nicht im Ergebnis als richtig erweist, aufzuheben. Einer Zurückverweisung der Sache bedarf es jedoch nicht, weil der Sachverhalt aufgeklärt ist, so dass der Senat als Rechtsbeschwerdegericht selbst in der Sache entscheiden kann.

Wie bereits ausgeführt, haben sich die Eheleute W in dem Testament gegenseitig zu Erben berufen und die beiden Kinder zu Schlusserben eingesetzt. Es ist daher zu prüfen, ob die Erblasserin als überlebende Ehegattin ihre in dem Ehegattentestament vom 24.05.1973 zu Gunsten der Beteiligten zu 2) und 3) getroffenen Verfügungen widerrufen und ihre Enkelin, die Beteiligte zu 1) durch das notarielle Testament vom 15.07.2004 wirksam als Alleinerbin einsetzen konnte, oder ob ihr Widerrufsrecht mit dem Tode ihres Ehemannes gemäß § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB erloschen war. Dieses hängt davon ab, ob die zu Gunsten der Beteiligten zu 2) und 3) getroffenen Verfügungen der Erblasserin wechselbezüglich mit der Einsetzung der Erblasserin durch ihren Ehemann und damit bindend waren und wenn ja, ob dem Überlebenden ein sog. Änderungsvorbehalt eingeräumt war.

Der Wortlaut des gemeinschaftlichen Testaments vom 24.05.1973 zur Erbeinsetzung lässt mangels ausdrücklicher Anordnung die Wechselbezüglichkeit offen. Nach der allgemeinen Auslegungsvorschrift des § 133 BGB ist hier daher zu prüfen, ob die Schlusserbeneinsetzung der Kinder nach dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen der Ehegatten wechselbezüglich sein sollte. Hierzu muss der gesamte Inhalt der Erklärungen gewürdigt werden, einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher, die außerhalb der Testamentsurkunde lagen. Auch die allgemeine Lebenserfahrung ist zu berücksichtigen (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB, 69. Aufl., § 2270 Rn 4 ff.). Vorliegend ist eine Wechselbezüglichkeit zu bejahen. Dabei ist zu sehen, dass die Ehegatten ihre beiden gemeinsamen Kinder enterbt und (nur) hinsichtlich des Nachlasses des Überlebenden zu Erben bestimmt haben. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist daher die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB anzuwenden, dass die Eheleute hinsichtlich der Einsetzung ihrer Kinder eine Wechselbezüglichkeit gewollt haben. Hierfür spricht auch die von den Eheleuten bei der Verfügung über die Schlusserbeneinsetzung gewählte Pluralform "wir" und "unser" (Senat FamRZ 1994, 1210).

Fraglich ist somit nur noch, ob der Erblasserin ein Änderungsvorbehalt eingeräumt worden ist, der es ihr ermöglicht, die Enkeltochter als Erbin einzusetzen. Indes gibt der Wortlaut des notariellen Testaments vom 24.05.1973, wonach der Überlebende verpflichtet sein soll, "als Rechtsnachfolger in unser Vermögen nach seinem Tode nur eines oder beide Kinder aus unserer jetzigen Ehe zu bestimmen", für eine Auslegung des Testaments in diese Richtung nichts her. Denn der Begriff der "beiden Kinder aus unserer jetzigen Ehe" deutet unzweideutig darauf hin, dass Begünstigte einer vorbehaltenen Änderung der Schlusserbeinsetzung des überlebenden Ehegatten nur die Beteiligten zu 2) und 3) sein konnten. Ein scheinbar eindeutiger Wortlaut eines Testaments schließt zwar die Berücksichtigung eines abweichenden subjektiven Erblasserwillens (hier beider Ehegatten) nicht aus. Dies gilt auch für notarielle Testamente (vgl. etwa BGH NJW 1981, 1736; Senat NJW-RR 1993, 1225). Solange indessen nicht konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die testierenden Ehegatten den gewählten Begriff in einem anderen Sinn verstanden haben, muss im Hinblick auf die notarielle Belehrung (§ 17 BeurkG) davon ausgegangen werden, dass die Ehegatten entsprechend der allgemeinen Bedeutung der gewählten Begriffe testieren wollten (vgl. Senat FamRZ 2002 = Rpfleger 2001, 595; FGPrax 2005, 265 = FamRZ 2005, 2023).

Sonstige Umstände, aus denen sich der Wille der Eheleute W ergeben könnte, dem Überlebenden von ihnen die Möglichkeit einzuräumen, anstelle ihrer beiden Kinder eine Enkeltochter einzusetzen, sind nicht zutage getreten. Damit war das Recht der Erblasserin zum Widerruf ihrer Verfügung in dem gemeinschaftlichen Testament vom vom 24.05.2010 mit dem Tod ihres Ehemannes gemäß § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB erloschen, so dass für die Erbfolge das gemeinschaftliche Testament entscheidend ist. Der bereits ausgestellte Erbschein ist daher unrichtig und einzuziehen, § 2361 Abs. 1 BGB.

Da die Erstbeschwerde unbegründet war, waren der Beteiligten zu 1) nach der zwingenden Vorschrift des § 13a Abs. 1 S. 2 FGG die der Beteiligten zu 3) im Verfahren der ersten Beschwerde entstandenen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen. Hingegen hat es für die außergerichtlichen Auslagen der dritten Instanz bei dem Grundsatz zu verbleiben, dass jeder Beteiligte seine eigenen Kosten selbst zu tragen hat, weil die weitere Beschwerde Erfolg hat, § 13a Abs. 1 FGG.

Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Verfahren der weiteren Beschwerde beruht auf den §§ 131 Abs. 4, 30 KostO. Dabei geht der Senat unter Zugrundelegung der Wertangabe der früheren Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 2) vom 14.12.2009 zu der Eigentumswohnung der Erblasserin von einem Nachlasswert von 100.000 € aus, von dem die Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung von Pflichtteilslasten wertmäßig die Hälfte beansprucht.