OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.05.2012 - 13 C 11/12
Fundstelle
openJur 2012, 86474
  • Rkr:
Tenor

Die Rubrum aufgeführten Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die Beschwerden der Antragsteller gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Köln vom 23. Februar 2012 werden auf Kosten der jeweiligen Antragsteller zurückgewiesen.

Der Streitwert wird auch für die Beschwerdeverfahren auf jeweils 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässigen Beschwerden, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur im Rahmen der fristgerechten Darlegungen der Antragsteller befindet, sind unbegründet. Die angefochtenen Beschlüsse sind in diesem Prüfungsrahmen nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat die Anträge auf vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin im ersten Fachsemester zu Recht abgelehnt.

Mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass die Kapazität für das erste Fachsemester in Höhe von 188 Studienplätzen (vgl. Anlage 1 der Verordnung über die Festsetzung von Zulassungszahlen und die Vergabe von Studienplätzen im ersten Fachsemester für das Wintersemester 2011/2012, GV. NRW. 2011 S. 312, in der Fassung vom 17. November 2011, GV. NRW. S. 566) voll ausgelastet ist.

Soweit die Antragsteller die kapazitätsrechtliche Behandlung der gemäß der Sondervereinbarung des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung und der Antragsgegnerin zum Hochschulpakt II geschaffenen zusätzlichen Studienplatzkapazität monieren, führen die Beschwerden nicht zum Erfolg.

Ein Anspruch auf eine weitergehende kapazitätsrechtliche Erhöhung der Zulassungszahlen kann aus dem Hochschulpakt II solange nicht hergeleitet werden, wie Studienplätze aufgrund dieses Abkommens noch nicht geschaffen worden sind. Die Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Ländern beinhalten ebenso wie die zum Hochschulpakt 2020 im Kern die Verabredung, der Hochschule zusätzliche finanzielle Mittel zukommen zu lassen, damit diese zusätzliche Studienanfänger aufnehmen kann. Die jeweilige Vereinbarung begründet aber keine Verpflichtung zur Verwendung der bereitgestellten Mittel zur Schaffung zusätzlicher Studienplätze in den Studiengängen. Ein solcher Hochschulpakt ist als hochschulpolitische Vereinbarung oder als Programm ohne subjektiv-öffentliche Rechte zu Gunsten von Studienbewerbern anzusehen, der erst der Umsetzung durch die Wissenschaftsverwaltung bedarf.

Etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Januar 2008 - 13 C 1/08 -, vom 16. März 2009 - 13 C 1/09 -, vom 8. Juli 2009 - 13 C 93/09 -, vom 25. Februar 2010 - 13 C 1/10 u. a. -, vom 2. März 2010 - 13 C 11/10 u. a. -, vom 17. März 2011 - 13 C 26/11 -, vom 17. Oktober 2011 - 13 C 66/11 -, und vom 31. Januar 2012 13 B 1537/11 -, jeweils juris; vgl. auch OVG Bremen, Beschluss vom 17. März 2010 - 2 B 409/09 , juris, Rn. 29 ff.; a. A. VG Göttingen, Beschluss vom 4. November 2011 - 8 C 708/11 -, juris, Rn. 98, 104.

In dem von der Antragsgegnerin angebotenen Studiengang Humanmedizin existieren allerdings für das Wintersemester 2011/2012 und für das Sommersemester 2012 insgesamt 57 zusätzliche mit Mitteln des Hochschulpakts II geschaffene und damit bei der Kapazitätsberechnung zu berücksichtigende Studienplätze für Erstsemester. Die aus der Sondervereinbarung folgenden Einzelheiten hat die Antragsgegnerin näher dargelegt. Für das in Rede stehende Wintersemester 2011/2012 erhöhte sich die Zahl der zur Verfügung stehenden Studienplätze für Erstsemester von 161 auf 188. Dementsprechend weisen der Kapazitätsbericht der Antragsgegnerin und die ergangene Verordnung über die Festsetzung von Zulassungszahlen für das Wintersemester 2011/2012 die Erhöhung der Kapazität aus. Es handelt sich somit um nach der Sondervereinbarung zweckgebundene zusätzliche, mit öffentlichen Mitteln geschaffene Ausbildungskapazität im Studiengang Humanmedizin, deren erschöpfende Nutzung geboten ist, da aus Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgrundsatz für jeden Bürger, der die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllt, ein Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium seiner Wahl folgt.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 1972 1 BvL 32/70 u. a. -, BVerfGE 33, 303, 331 f.

Der Staat hat dann den freien und gleichen Zugang zum Hochschulstudium zu gewährleisten. Die Hochschule hat also die zusätzlich geschaffene Kapazität unter Anwendung von sachgerechten und willkürfreien Kriterien zu verteilen. Ob die Hochschule diesen Anforderungen gerecht geworden ist, unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung.

Vgl. auch VG Göttingen, Beschluss vom 4. November 2011 - 8 C 708/11 -, a. a. O., Rn. 105.

Der Senat hat indes keinen Anhaltspunkt, dass die Antragsgegnerin dies nicht beachtet hat.

Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist die (übrige) Berechnung des Lehrangebots nicht zu beanstanden. Den von den Antragstellern angesprochenen Befristungen von Arbeitsverhältnissen promovierter wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Antragsgegnerin kommt keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Die Kapazitätsverordnung ist auf der Lehrangebotsseite geprägt vom sog. Stellenprinzip (§ 8 Abs. 1 KapVO). Dieses beruht auf der Vorstellung des Normgebers, dass die personelle Aufnahmekapazität einer Lehreinheit weniger durch die tatsächlich erbrachten oder zu erbringenden Lehrleistungen der Lehrpersonen als durch die Zahl der ihr zugewiesenen Stellen bestimmt wird.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. April 1990 - 7 C 74.87 -, juris, und vom 23. Juli 1987 - 7 C 10.86 -, NVwZ 1989, 360.

Danach ist in die Kapazitätsberechnung die der Stelle der jeweiligen Stellengruppe aus ihrem Amtsinhalt abgeleitete Regellehrverpflichtung unabhängig von ihrer Besetzung oder der Qualifikation ihres Stelleninhabers und seinem tatsächlichen Lehraufwand einzubringen. Auf eine arbeitsrechtliche Betrachtung kommt es insoweit primär nicht an. Nur dann kann nach der Rechtsprechung des Senats von dem Regellehrdeputat abgewichen werden, wenn die Hochschule die Stelle bewusst dauerhaft mit einer Lehrperson besetzt, die individuell eine höhere Lehrverpflichtung als die der Stelle hat, und dadurch der Stelle faktisch einen anderen, dauerhaften, deputatmäßig höherwertigen Amtsinhalt vermittelt.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Februar 1999 - 13 C 3/99 -, vom 3. März 2009 - 13 C 264/08 u. a., - 13 C 273/08 u. a.-, juris, vom 8. Juli 2009 - 13 C 93/09 u. a.-, a. a. O, juris, und vom 22. September 2009 - 13 C 398/09 u. a.-, a. a. O.

Eine solche Konstellation ist hier nicht gegeben. Nach der geltenden Lehrverpflichtungsverordnung - LVV -, die auf einer Empfehlung der Kultusministerkonferenz beruht und der daher ein bedeutender Orientierungswert zukommt, ist für wissenschaftliche Mitarbeiter eine Lehrverpflichtung von 4 Lehrveranstaltungsstunden vorgesehen. Dem entsprechen die Arbeits- Vereinbarungen mit den genannten wissenschaftlichen Mitarbeitern. Für die kapazitätsrechtliche Bewertung des hier anstehenden Wintersemesters 2011/2012 kann zudem in Bezug auf die angeführten wissenschaftlichen Mitarbeiter nicht von einer bewussten dauerhaft höheren Stellenbesetzung durch die Universität ausgegangen werden oder davon, dass über die ermittelte Studienplatzzahl hinaus weitere Studienplätze zur Verfügung stehen, die von den Antragstellern belegt werden könnten. Der aus den Vorgängen der Antragsgegnerin ersichtliche jeweilige Abschluss der Promotionen, der mit der Übergabe der Promotionsurkunde angenommen werden kann,

vgl. LAG S.-A., Urteil vom 8. Juli 2008 - 2 Sa 2/08 -, juris,

und die Zeitpunkte der Vertragsabschlüsse nach den Promotionsabschlüssen oder des vereinbarten oder faktischen Beginns des Arbeitsverhältnisses lassen bei der in diesem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes möglichen summarischen Prüfung nicht erkennen, dass die zeitlichen Verlängerungen, die unter Berücksichtigung des vom Verwaltungsgericht herangezogenen § 2 Wissenschaftszeitvertragsgesetz - WissZeitVG - möglich sind, die nach dieser Bestimmung zulässigen Höchstbefristungsdauern überschreiten. Angesichts des anzunehmenden Interesses der Universität als Arbeitgeber, befristete Stellen nicht zu Dauerarbeitsverhältnissen werden zu lassen, und wegen der mit befristeten Stellen verbundenen Vorstellung, möglichst vielen (Nachwuchs-)Wissenschaftlern eine Chance zur weiteren Qualifizierung zu bieten, kann davon ausgegangen werden, dass der Einhaltung der möglichen Befristungen besonderes Augenmerk gewidmet wird, so dass im Rahmen dieses Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes kein Anlass zu durchgreifenden Zweifeln an der Wahrung der Befristungsdauern besteht. Soweit sich die Antragsteller in Zusammenhang mit den Befristungen von Arbeitsverträgen auf das vom Verwaltungsgericht genannte Wissenschaftszeitvertragsgesetz beziehen wollen, kommt diesem Gesetz im Übrigen allein arbeitsrechtliche Bedeutung zu, es begründet aber keine Lehrverpflichtung für einzelne Personalgruppen und hat keine kapazitätsrechtliche Bedeutung.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. März 2010 - 13 C 11/10 u. a. -, a. a. O., vom 15. April 2010 - 13 C 128/10 u. a. -, und vom 31. Januar 2012 13 B 1537/11 -, jeweils juris; Hess. VGH, Beschluss vom 12. Mai 2009 - 10 B 1911/08.GM.S8 -, juris.

Im Übrigen stünden in dem Fall, dass die von den Antragstellern genannten Mitarbeiter (Dr. N. , Dr. L. und andere namentlich nicht genannte wissenschaftliche Mitarbeiter) als unbefristet beschäftigte Mitarbeiter zu gelten hätten und sich zusätzliches individuelles Lehrdeputat ergäbe, nach den plausiblen Angaben des Antragsgegners Stellenvakanzen gegenüber. Etwaiges zusätzliches Lehrdeputat dürfte jedoch mit in der Lehreinheit nicht besetzten Stellen verrechnet werden, so dass sich ein zusätzliches Lehrdeputat gleichwohl nicht ergäbe. Verfügt nämlich eine Lehreinheit über eine vakante Lehrpersonalstelle mit einem Stellendeputat, das der - latenten - individuellen Lehrverpflichtung der nicht stellenkonform verwendeten Lehrperson entspricht, und könnte auf dieser vakanten Stelle die betreffende Lehrperson geführt werden, kann die individuelle Lehrverpflichtung dieser Person auf jene Stelle angerechnet werden. Ebenso kann die "überschießende" individuelle Lehrverpflichtung der nicht stellenkonform verwendeten Lehrperson zur Abdeckung von unterbesetzten anderen Stellen verwendet werden.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Februar 1999 - 13 C 3/99 -. vom 27. April 2009 - 13 C 10/09 -, juris, und vom 7. Mai 2000 13 C 11/09 -, juris.

Soweit die Beschwerde den Nichtansatz eines Schwundausgleichsfaktors rügt, greift dieses Vorbringen nicht durch.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, an der er festhält, ist ein Schwundausgleich, der allein der Ausschöpfung der Jahresausbildungskapazität dient, dann nicht nach § 16 KapVO vorzunehmen, wenn mit der notwendigen Sicherheit vorauszusehen ist, dass eine Lehraufwandsersparnis in höheren Semestern durch Zugänge wie Quereinsteiger, Ortswechsler, Höhergestufte etc. nicht eintreten wird.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. April 1999 - 13 C 3/99 -, vom 22. August 2001 - 13 C 24/01 -, vom 3. September 2002 - 13 C 13/02 -, juris, vom 23. März 2004 - 13 C 449/04 -, juris, und vom 15. September 2009 13 C 232/08 u. a. -.

So lag es bei der Antragsgegnerin im streitbefangenen Studiengang, wie die in der Beschwerdeerwiderung glaubhaft angegebenen Zahlen von 245, 143 und 92 Bewerbern für das zweite bis vierte vorklinische Fachsemester verdeutlichen. Die Kapazitätsverordnung gibt weder ein bestimmtes Verfahren der Schwundberechnung und damit ein allein den Anfängerzahlen günstiges Verfahren vor noch sieht sie einen Zulassungsvorrang der Studienbewerber für das erste Fachsemester gegenüber Studienbewerbern für ein höheres Fachsemester vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertentscheidung aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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