OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.04.2012 - 6 B 273/12
Fundstelle
openJur 2012, 86208
  • Rkr:

Erfolgloser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung einer behördlichen Datenschutzbeauftragten, die sich gegen die beabsichtigte Bestellung eines weiteren Datenschutzbeauftragten richtet.

Die Feststellung des Bedarfs für die Bestellung eines weiteren Datenschutzbeauftragten gemäß § 32a Abs. 1 Satz 4 DSG NRW fällt in die Einschätzungsprärogative der Leitung der öffentlichen Stelle, nicht in diejenige des (schon vorhandenen) Datenschutzbeauftragten.

Ein Bedarf im Sinne von § 32a Abs. 1 Satz 4 DSG NRW kann sich nachträglich ergeben.

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird unter Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Instanzen auf jeweils 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Senat hat von Amts wegen das Passivrubrum berichtigt, weil richtige Antragsgegnerin die mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattete Fachhochschule O. ist (§§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 16, 2 Abs. 1 Satz 1 HG), in deren Dienst die Antragstellerin steht (§ 2 Abs. 3 Satz 1 HG).

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Es kann auf sich beruhen, inwieweit die Antragstellerin für den gestellten Antrag,

dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, Herrn Prof. Dr. N. F. als gleichrangigen Datenschutzbeauftragten bei der Hochschule O. zu bestellen,

antragsbefugt ist. Jedenfalls hat sie die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO).

Gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 DSG NRW haben öffentliche Stellen, die personenbezogene Daten verarbeiten, einen internen Beauftragten für den Datenschutz sowie einen Vertreter zu bestellen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass die Antragsgegnerin eine öffentliche Stelle im Sinne der Vorschrift ist. Gemäß § 32a Abs. 1 Satz 4 DSG NRW kann eine solche Stelle bei Bedarf auch mehrere Beauftragte sowie mehrere Vertreter bestellen, wie dies hier die Antragsgegnerin beabsichtigt. Nach § 32a Abs. 2 Satz 1 DSG NRW ist der Beauftragte in seiner Eigenschaft als behördlicher Datenschutzbeauftragter der Leitung der öffentlichen Stelle unmittelbar zu unterstellen und in dieser Funktion weisungsfrei. Er darf - Satz 2 - wegen der Erfüllung seiner Aufgaben nicht benachteiligt werden.

Eine Verletzung des Gebots der Weisungsfreiheit ist nicht dargetan. Dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin ihre Tätigkeit als Datenschutzbeauftragte betreffende Weisungen erteilt hätte oder dies im Zusammenhang mit der Bestellung des weiteren Datenschutzbeauftragten beabsichtigte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr will die Antragsgegnerin sogar davon absehen, die Zuständigkeit der beiden Datenschutzbeauftragten zu regeln, und diese Aufgabe diesen selbst überlassen.

Auch das in § 32a Abs. 2 Satz 2 DSG NRW normierte Benachteiligungsverbot steht der Bestellung des weiteren Datenschutzbeauftragten nicht entgegen. Aus dem Benachteiligungsverbot folgt ein Abwehrrecht gegenüber Maßnahmen, die sich als Benachteiligung des Datenschutzbeauftragten wegen der Erfüllung seiner Aufgaben darstellen. Gemessen an Wortlaut und Systematik geht es in der Vorschrift um Schlechterstellungen, die auf die persönlichen Belange des Datenschutzbeauftragten, etwa seinen Werdegang, zielen und sich auf die Unabhängigkeit in der Aufgabenausfüllung lediglich mittelbar auswirken können. Für dergleichen ist jedoch weder etwas vorgetragen noch sonst erkennbar. Selbst wenn man aber den Anwendungsbereich der Bestimmung nicht nur auf Benachteiligungen wegen, sondern auch auf Behinderungen in der Tätigkeit als Datenschutzbeauftragte bezieht, rechtfertigt das keine für die Antragstellerin günstige Entscheidung.

Die Annahme einer so verstandenen Schlechterstellung der Antragstellerin liegt vor allem deshalb fern, weil der Umfang ihrer Freistellung für die Tätigkeit als Datenschutzbeauftragte nicht verringert, sondern von 40 % auf 100 % heraufgesetzt werden soll. Der Umfang, in der sie als Datenschutzbeauftragte tätig werden kann, soll mithin nicht etwa beschnitten, sondern auf das maximal Mögliche erweitert werden. Eine darüber hinausgehende Freistellung ist nicht denkbar.

Die Beschwerde zieht das zwar - nunmehr - in Zweifel und behauptet, "dieser Vortrag" erfolge "nur zum Schein". Der Senat hält es allerdings für äußerst fernliegend, dass die Antragsgegnerin sowohl dem Landesdatenschutzbeauftragten als auch mehrfach dem Gericht gegenüber eine inhaltlich falsche Erklärung abgegeben hat. Die gegenteilige Behauptung der Antragstellerin ist deshalb nicht glaubhaft gemacht.

Die Antragstellerin sieht eine Benachteiligung im Übrigen schon darin, dass ihr überhaupt ein Datenschutzbeauftragter an die Seite gestellt wird. Diese Möglichkeit sieht § 32a Abs. 1 Satz 4 DSG NRW ausdrücklich vor. Einzige gesetzliche Voraussetzung hierfür ist das Bestehen eines entsprechenden Bedarfs.

Grundsätzlich obliegt die Entscheidung, ob ein solcher Bedarf gegeben ist, ebenso der Leitung der öffentlichen Stelle wie etwa diejenige, wer zum Datenschutzbeauftragten bestellt werden und mit welcher personellen und materiellen Ausstattung er versehen werden soll.

Vgl. Simitis, Bundesdatenschutzgesetz, 6. Auflage 2006, § 4f BDSG Rn. 143, 148 ff.

Für die Entscheidung wird es unter anderem darauf ankommen, in welchem Umfang datenschutzrelevante Vorgänge bei der betreffenden Stelle anfallen bzw. voraussichtlich anfallen werden, aber auch darauf, in welchem Umfang für die Bestellung in Betracht kommende Beschäftigte freigestellt werden können; eine Rolle mag auch spielen, ob es sich angesichts der Struktur der Aufgaben empfiehlt, die Sach- und Fachkunde unterschiedlicher Beschäftigter zu kombinieren. Die Frage des Bedarfs ist darüber hinaus wesentlich auf die Zukunft bezogen; der Entscheidung kommt mithin ein prognostischer Charakter zu. Nimmt man diese Aspekte zusammen und berücksichtigt ferner, dass die personelle und sonstige Organisation des Datenschutzes sich mittelbar auch auf die Bedingungen für die Wahrnehmung der sachlichen Dienstaufgaben der Behörde auswirkt, so muss der Leitung der öffentlichen Stelle insoweit ein weitgefasster organisatorischer Entscheidungsspielraum zugebilligt werden. Die Feststellung des "Bedarfs" für einen weiteren Beauftragten fällt demnach in ihre Einschätzungsprärogative, nicht in diejenige eines (schon vorhandenen) Datenschutzbeauftragten.

Die Auffassung der Antragstellerin, die auch aus ihrer Sicht erforderliche personelle Unterstützung sei in der Weise zu sicherzustellen, dass ihr ein Vertreter - dabei meint sie nicht einen Abwesenheitsvertreter, sondern einen ihr nachgeordneten, von ihr weisungsabhängigen Mitarbeiter - und mindestens eine Sekretariatskraft zugeordnet werden, ist deshalb unerheblich. Weder dem Gesetzeswortlaut noch den Gesetzesmaterialien

vgl. LT-Drs. 12/4476, insb. S. 74,

ist etwas für die Richtigkeit der von der Beschwerde auch nicht weiter begründeten Rechtsansichten zu entnehmen,

der Datenschutzbeauftragte sei für Feststellung des Bedarfs im Sinne von § 32a Abs. 1 Satz 4 DSG NRW und der Modalitäten seiner Deckung zuständig,

es seien "erhöhte Anforderungen" an das Vorliegen eines Bedarfs zu stellen,

bzw. es bestehe ein Stufenverhältnis zwischen der Bestellung eines Vertreters und der Aufstockung der Ausstattung des Datenschutzbeauftragten nach seiner Vorstellung einerseits sowie der Bestellung eines weiteren Datenschutzbeauftragten andererseits.

Die Einschätzung der Leitung der öffentlichen Stelle ist nach allem nur dann fehlerhaft, wenn ihr sachfremde, namentlich willkürliche Erwägungen wie die Absicht der "Kaltstellung" eines bereits berufenen Datenschutzbeauftragten zugrunde liegen. Dergleichen ist indessen nicht dargetan und erst recht nicht glaubhaft gemacht. Die früher vielleicht in Betracht gezogene Abberufung der Antragstellerin als Datenschutzbeauftragte allein reicht zur Begründung sachfremder Erwägungen nicht aus. Die Antragsgegnerin verfolgt jedenfalls inzwischen nicht mehr eine Beschneidung des Umfangs ihrer Tätigkeit als Datenschutzbeauftragte, sondern - im Gegenteil - deren Ausweitung im Wege der Erhöhung ihrer Freistellung auf 100 %. Abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin den Bedarf nachvollziehbar mit dem Hinweis auf steigende Studierendenzahlen, neue Lernformen und den Umstand, dass sie eine Hochschule mit zwei gleichberechtigten Hochschulteilen sei, begründet hat, ist zudem ausgehend vom Vorbringen der Antragstellerin selbst das Bestehen eines Bedarfs und die Richtigkeit der Einschätzung der Antragsgegnerin anzunehmen. Bereits das Verwaltungsgericht hat dazu auf die Ausführungen der Antragstellerin in ihrem Schreiben an den Personalrat für das nichtwissenschaftliche Personal der Antragsgegnerin vom 7. Dezember 2011 verwiesen. Auch im Schreiben an den Personalrat für das nichtwissenschaftliche Personal der Antragsgegnerin vom 30. August 2011 hat die Antragstellerin die aus ihrer Sicht unumgängliche personelle Unterstützung angesprochen. Im Schriftsatz vom 30. Januar 2012 hat sie ferner den Umfang der ihr als Datenschutzbeauftragten obliegenden Aufgaben im Einzelnen dargestellt. Auch im Beschwerdeverfahren weist sie selbst auf das Besprechungsprotokoll vom 4. Juni 2011 hin, wonach sie mitgeteilt hat, "angesichts des Umfangs der Tätigkeiten als Datenschutzbeauftragte" sei sie "für jede personelle Unterstützung dankbar", und führt ergänzend aus, sie habe "in einer Vielzahl von Gesprächen auf die Überlastung hingewiesen".

Das weitere Beschwerdevorbringen lässt ebenfalls keine abweichende Entscheidung zu: Dass "ein sich nachträglich ergebender Bedarf gar nicht vom Gesetzgeber vorgesehen bzw. gewollt ist", wird mit der Beschwerde nur behauptet. Ein Beleg für diese These lässt sich auch nicht finden. Ob sich nach Bestellung eines Datenschutzbeauftragten nachträglich ein Bedarf für weitere personelle Ausstattung ergibt, ist von den tatsächlichen Gegebenheiten der öffentlichen Stelle abhängig. Es besteht kein Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber diese auf der Hand liegende Erkenntnis außer Betracht gelassen haben sollte.

Gleichermaßen lässt es die Beschwerde an jeder rechtlichen Fundierung ihres Vorbringens fehlen, die Bestellung des Prof. Dr. F. widerspreche dem "Begriff der Gleichrangigkeit". Ihre dazu vertretene These, ein weiterer Datenschutzbeauftragter dürfe nur bestellt werden, "wenn der inhaltliche und zeitliche Rahmen der Aufgabenerfüllung annähernd gleich ist", bleibt wiederum ohne Begründung. Eine solche ist auch nicht ersichtlich.

Soweit die Beschwerde ausführt, subjektive Rechte der Datenschutzbeauftragten seien berührt, wenn ihr keine ausreichenden Ressourcen für die Aufgabenerfüllung zur Verfügung gestellt würden, ist das ohne Relevanz für den Streitfall. Der streitgegenständliche Antrag ist nicht darauf gerichtet, der Antragstellerin weitergehende personelle oder materielle Unterstützung für die Aufgabenerfüllung (s. dazu Runderlass des Innenministeriums vom 12. Dezember 2000 - IA 5 - 1.2.4, MBl. NRW 2001, S. 50) zur Verfügung zu stellen.

Ob die Antragstellerin die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Bestellung eines Vertreters - die allerdings gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 DSG NRW besteht - zulässigerweise zum Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens machen könnte, muss anlässlich des Streitfalls nicht entschieden werden; auch darauf richtet sich ihr Antrag nicht. Ebenso wenig ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens die Frage der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen zwei bestellten Datenschutzbeauftragten. Nur angemerkt sei daher, dass es im Ansatz bedenkenfrei erscheint und dem Gebot der Weisungsfreiheit entspricht, wenn die Leitung der öffentlichen Stelle die Geschäftsverteilung den bestellten Datenschutzbeauftragten überlässt. Sollten diese sich allerdings nicht einigen können, wird sie sich der Aufgabenzuweisung nicht entziehen können; wenn das Gesetz die Bestellung mehrerer gleichrangiger Datenschutzbeauftragte vorsieht, nimmt es derartige Zuständigkeitsabgrenzungen in Kauf. Dass und warum "wegen der Verpflichtung zur überschneidungsfreien Aufgabenaufteilung" eine gegenseitige Stellvertretung nicht möglich sein soll, wie die Beschwerde vorträgt, ist nicht ansatzweise nachvollziehbar.

An alldem führt schließlich nicht die Auffassung des Landesdatenschutzbeauftragten vorbei, eine teilweise Aufgabenverlagerung auf einen weiteren Datenschutzbeauftragten sei eine Teilabberufung der bereits bestellten Datenschutzbeauftragten, die nur mit Einverständnis letzterer und nur bei klar abgegrenzter Aufgabenverteilung zulässig sei; dies ergebe sich "aus den Grundgedanken der Unabhängigkeit, Weisungsfreiheit und Beratungsfunktion". Die rechtliche Fundierung dieser Ansicht ist unscharf; zudem lässt der Landesdatenschutzbeauftragte außer Betracht, dass im Streitfall gleichzeitig die Freistellung der bereits bestellten Datenschutzbeauftragten auf 100 % angehoben werden soll.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts bzw. die Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung beruhen auf §§ 47 Abs. 1, 63 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Der Antrag der Antragstellerin ist auf Untersagung der Bestellung des Prof. Dr. F. als gleichrangigen Datenschutzbeauftragten im der Wege der einstweiligen Anordnung und damit vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache gerichtet; (lediglich) insoweit stand eine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache in Rede.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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