LG Köln, Urteil vom 19.10.2011 - 28 O 116/11
Fundstelle
openJur 2012, 82505
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 1) zu 1/3 und der Kläger zu 2) zu 2/3.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Kläger nehmen die Beklagte auf Unterlassung und Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch. Der Kläger begehrt daneben die Zahlung einer Geldentschädigung.

Der Kläger ist Vorstandsvorsitzender der Klägerin, die von ihm im Jahr 1993 gegründet wurde. Die Klägerin vertreibt im Direktvertrieb Nahrungsmittelergänzungs­produkte und hat 126 angestellte Mitarbeiter sowie deutschlandweit 15.000 aktive Geschäftspartner, die die Produkte der Klägerin vertreiben. Das Branchenmagzin „O“ zeichnete die Klägerin als „Company of the Year 2009/2010 aus“. Der Kläger wurde im Jahr 2009 in die Finalrunde des Wettbewerbs „Entrepreneur des Jahres“ aufgenommen.

Die Beklagte betreibt unter der Internetadresse “www.anonym.de” eine Volltext-Suchmaschine. Die Internetnutzer erhalten mit Hilfe der Suchmaschine kostenlos und ohne Zugangskennung die Möglichkeit, das Internet nach von ihnen eingegebenen Suchworten zu durchsuchen. Nach Eingabe eines bestimmten Suchbegriffs werden dem jeweiligen Nutzer die diesem Suchbegriff zugeordneten Internetseiten als Suchtreffer angezeigt. Das Verfahren der Ergebnisgewinnung basiert auf einem von der Beklagten entwickelten Suchalgorithmus.

Um den Internetnutzern die Suche zu erleichtern, bietet die Beklagte seit April 2009 eine so genannte Autocomplete-Funktion an, mit deren Hilfe dem Internetnutzer bei der Eingabe von Suchbegriffen bestimmte Wortkombinationen als Suchvorschläge (sog. Predictions) unterbreitet werden. Die Auswahl der Suchvorschläge durch die Beklagte basiert ebenfalls auf einem Algorithmus, der unter anderem die Anzahl der von anderen Nutzern eingegebenen Suchabfragen zugrunde legt.

Im Mai 2010 stellte der Kläger bei Eingabe seines Namens in die Suchmaschine der Beklagten fest, dass den Nutzern folgende Wortkombinationen als Suchvorschläge (sog. Predictions) unterbreitet wurden:

„Z scientology“

„Z betrug“

„Z pminternational“

„Z speyer“

Der Kläger sieht sich durch die Verbindung seines Namens mit den Begriffen „Scientology“ und „Betrug“ in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 04.05.2010 (Anlage K 23, Bl. 87) und E-Mail vom 05.05.2010 (Anlage B 7, Bl. 256) wies der Kläger die H GmbH auf die Wiedergabe der beanstandeten Wortkombinationen bei Eingabe seines Namens hin. Es handele sich um eine unzutreffende Anfeindung der Person des Klägers und der Klägerin, die auf eine gezielte Manipulation der Suchvorgaben zurückzuführen sei. Mit E-Mail vom 11.05.2010 (Anlage B 9, Bl. 258) teilte die H GmbH auf Bitte der Beklagten mit, dass ein Zugriff auf die Suchvorgaben weder technisch noch rechtlich möglich sei. Es sei auch kein Anspruch des Klägers auf Löschung der beanstandeten Suchauswahl zu erkennen.

Die Kläger erwirkten daraufhin vor dem Landgericht Köln mit Beschluss vom 12.05.2010 eine einstweilige Verfügung, Aktenzeichen 28 O 314/10, (Anlage K 26, Bl.105 d. A.) mit der der Beklagten verboten wurde, auf der Internetseite www.anonym.de nach Eingabe der Suchbegriffe „Z“ die Begriffe „Scientology“ und „Betrug“ vorzuschlagen. Der Beschluss wurde der dem Admin-C am 27.05.2010 und der Beklagten an ihrem Geschäftssitz am 13.09.2010 zugestellt. Der Aufforderung der Kläger vom 28.06.2010 auf Abgabe einer Abschlusserklärung (Anlage K 30/31) kam die Beklagte nicht nach.

Die Kläger behaupten, die Suchvorgaben der Suchmaschine seien von dritter Seite manipuliert worden, um das Ansehen der Kläger erheblich zu schädigen. Die Manipulation sei vermutlich von einem Wettbewerber der Kläger vorgenommen worden. Dies werde auch daran deutlich, dass bei Angabe anderer Unternehmen, die auf dem Markt für Nahrungsmittelergänzungsprodukte tätig seien, in den Predictions ebenfalls die Begriffe „Scientology“ und „Betrug“ auftauchten. Der Kläger stehe jedoch in keinerlei Zusammenhang mit Scientology. Auch ein Betrug sei ihm nicht vorzuwerfen. Es sei noch nicht einmal ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger eingeleitet worden.

Die Kläger meinen, die automatische Ergänzung des Namens des Klägers mit den Begriffen „Scientology“ oder „Betrug“ in der Suchmaske des Internetdienstes H beeinträchtige den Kläger in seinem Persönlichkeitsrecht und die Klägerin in ihrem Unternehmenspersönlichkeitsrecht. Die Kläger in die Nähe von „Scientology“ oder „Betrug“ zu rücken, habe bei der gewählten Vertriebsform und der engen Bindung der Mitarbeiter besondere Brisanz. H biete die Suchvorschläge zur sinnvollen Vervollständigung des Suchauftrags an. Dies begründe eine eigene intellektuelle Verantwortlichkeit der Beklagten.

Die Kläger beantragen,

1.     die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen auf der Internetseite „www.anonym.de“ nach Eingabe der Suchbegriffe „Z“ die Begriffe „Scientology“ und „Betrug“ vorzuschlagen, wenn dies wie folgt geschieht:

(Es folgt eine Darstellung)

2.     der Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung gemäß Ziffer 1 ein Ordnungsgeld bis zu EUR 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, eine an ihren Vorstandsmitgliedern zu vollziehende Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen;

3.     die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 25.000,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (24.05.2011) zu bezahlen;

4.     die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger EUR 1.673,60 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (24.05.2011) zu bezahlen;

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, der Klageantrag sei zu unbestimmt; die Klägerin sei durch die beanstandete Suchwortfolge außerdem nicht betroffen. Der Wiedergabe der Suchvorschläge in der Suchmaske der Internetsuchmaschine H sei nicht die Aussage zu entnehmen, der Kläger stehe in Verbindung zu „Scientology“ oder habe einen „Betrug“ begangen. Die Predictions enthielten allenfalls die Bedeutung, dass Internetnutzer nach dem Namen des Klägers und den weiteren Begriffen - Scientology, Betrug, PM International, Speyer - gesucht hätten. Selbst wenn der Suchwortfolge eine bestimmte Aussage beizumessen wäre, sei diese mehrdeutig. Die vom Kläger zugrunde gelegte Variante sei jedoch allein theoretisch denkbar und daher im Verhältnis zum Suchmaschinenbetreiber nicht zu berücksichtigen.

Des Weiteren sei die Beklagte nicht als Störer verantwortlich; sie habe auch rechtzeitig auf die E-Mails des Klägers reagiert. Bei Durchführung einer Internetsuche unter dem Namen der Kläger ergebe sich außerdem, dass sich der Kläger zu Scientology geäußert habe, so dass die Annahme einer Manipulation der Suchvorgaben nicht nachvollziehbar sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig.

Der Klageantrag zu 1) ist insbesondere hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der Klageantrag nimmt auf die beanstandeten Wortkombinationen bei Eingabe des Namens des Klägers in der Autocomplete-Funktion Bezug und orientiert sich damit an der konkreten Verletzungsform, die zudem durch die Wiedergabe des Äußerungskontextes hinreichend individualisiert wird.

Die Klage ist jedoch in der Sache ohne Aussicht auf Erfolg.

Die Kläger können von der Beklagten nicht gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 analog, 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG verlangen, es zu unterlassen, bei Eingabe der Suchbegriffe „Z“ in die Eingabemaske der Internetsuchmaschine „H“ im Wege einer automatischen Vervollständigung die Begriffe „Scientology“ und „Betrug“ wiederzugeben.

1.

Die Kläger sind aktiv legitimiert.

Der Kläger wird in der Suchergänzungsfunktion von H namentlich erwähnt und ist daher individuell betroffen. Gleiches gilt für die Klägerin. Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfasst auch Kapitalgesellschaften wie die Verfügungsklägerin, wenn sie in ihrem sozialen Geltungsanspruch als Arbeitgeber oder als Wirtschaftsunternehmen betroffen sind (BGH NJW 1986, 2951). Ehrenrührige Äußerungen über Betriebsangehörige können nicht nur die unmittelbar betroffene Person, sondern auch das Unternehmen negativ kennzeichnen. Dies gilt insbesondere, wenn die Behauptungen Führungskräfte betreffen, die die betrieblichen Verhältnisse maßgeblich mitgestalten (Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Kap 12 Rn. 43). Da der Kläger Vorstandsvorsitzender der Klägerin ist, ist diese durch eine negative Äußerung über den Kläger gleichfalls individuell in ihrem Unternehmenspersönlichkeitsrecht betroffen.

2.

Die mit Hilfe der Autocomplete-Funktion wiedergebenen Wortkombinationen verletzen die Kläger jedoch nicht in ihrem allgemeinen (Unternehmens-)Persön­lichkeitsrecht. Es fehlt bereits an einer relevanten Äußerung der Beklagten, die Grundlage einer Persönlichkeitsrechtsverletzung der Kläger sein könnte. Denn den Ergänzungsvorschlägen der Autocomplete-Funktion der Suchmaschine der Beklagten ist nicht die Aussage zu entnehmen, die in der Suchmaske wiedergegebenen Wortkombination träfe eine inhaltliche Aussage über die Kläger.

Gegenstand der rechtlichen Beurteilung im Zusammenhang mit Veröffentlichungen sind nicht einzelne Wörter, sondern Äußerungen (Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Kap. 4 Rn. 1). Unabdingbare Voraussetzung für eine zutreffende Einordnung einer Äußerung ist die Ermittlung des Aussagegehalts. Dabei darf nicht isoliert auf den durch den Antrag herausgehobenen Text abgestellt werden. Vielmehr ist dieser Zusammenhang mit dem gesamten Aussagetext zu deuten. Dabei ist auf den objektiven Sinn der Äußerung aus der Sicht eines unvoreingenommenen Durchschnittslesers abzustellen (vgl. BGH NJW 1998, 3047 - Stolpe).

Überträgt man diese von der Rechtsprechung für Printveröffentlichungen entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt, bleibt für den verständigen Internetnutzer vollkommen offen, welcher Aussagegehalt der Wortkombination „Z scientology“ oder „Z betrug“ beizumessen sein soll. Bei dem von der Beklagten angebotenen Dienst handelt es sich um eine Zusatzfunktion der Suchmaschine, die den Nutzern die Vervollständigung ihrer Suchanfrage erleichtert und die Suche schneller und für den Nutzer effektiver gestalten soll. Die Suchmaschine basiert auf einem Algorithmus, der das Verhalten anderer Nutzer im Internet auswertet und auf der Grundlage der vergangenen Suchanfragen mögliche Suchvariablen vorschlägt. Mit der automatisierten Ergänzungsfunktion werden weder eigene Aussagen der Beklagten wiedergegeben, die nach bestimmten sinnhaften Kriterien geordnet worden wären, noch Aussagen Dritter, die die Beklagte innerhalb der Suchergänzungsfunktion wiedergibt.

Unabhängig von der Frage, ob der verständige Internetnutzer mit den genauen technischen Hintergründen der Autocomplete-Funktion der Beklagten vertraut ist, ist ihm bei Inanspruchnahme einer solchen Hilfsfunktion zumindest bewusst, dass die Ergänzungsvorschläge das Ergebnis eines technischen Vorgangs und nicht das Ergebnis einer sinnhaften Qualitätsprüfung seiner Anfrage sind (vgl. LG Hamburg, Urt. v. 22.02.2011, 416 O 9/11). Ergänzungsfunktionen, wie sie die Beklagte verwendet, sind in vielfältiger Weise im Internet anzutreffen. So bedienen sich auch juristische Verlage, die ihren Nutzern eine Internetsuchmaschine für ihre juristische Recherche zur Verfügung stellen, solcher Funktionen, ohne dass die Ergänzungsvorschläge bereits das Ergebnis der Internetsuche in Form einer sinnhaften Aussage vorwegnehmen würden. Vielmehr ist festzustellen, dass die eingegebenen oder vorgeschlagenen Suchkriterien häufig in diversen Kontexten verwandt werden, so dass ohne Berücksichtigung der Ergebnisliste und der in ihr hinterlegten Treffer keine Aussage zu den Suchbegriffen getroffen werden kann. Die Angabe bestimmter Suchworte und Suchvorschläge stellt so auch aus der Sicht des Internetnutzers zunächst nichts anderes als eine Kombination von Suchvariablen dar, die zu den unterschiedlichsten Ergebnissen und Aussagen führen können.

Dementsprechend ist auch bei den von der Beklagten aufgrund eines Algorithmus vorgeschlagenen Suchergänzungsbegriffen eine Vielzahl von Aussagen denkbar, die nicht mit einer Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers verbunden sind. So kann die durch die Ergänzungsfunktion vervollständigte Wortkombination in einen zulässigen äußerungsrechtlichen Kontext stehen, wie der von den Klägern selbst initiierte Beitrag der Anlage B 5 verdeutlicht. Einen Anspruch, dass der Begriff „Scientology“ oder „Betrug“ in einem absoluten Sinne nicht in Beziehung zur Person des Klägers gesetzt werden dürfte, besteht ohne Berücksichtigung des jeweiligen Äußerungszusammenhangs nicht.

Zwar mag es auch aus der Sicht des durchschnittlichen Internetnutzers möglich erscheinen, dass bei Durchführung einer Suche Ergebnistreffer wiedergegebenen werden, die mit den von den Klägern angegriffenen inhaltlichen Aussagen übereinstimmen. Daraus folgt jedoch nicht, dass - wie aufgrund einer mehrdeutigen Aussage - eine Persönlichkeitsrechtsverletzung zu befürchten wäre (vgl. BGH NJW 2006, 207 - „IM Sekretär“ Stolpe). Denn aufgrund der dem Nutzer bekannten technischen Funktion des Hilfsprogramms verbietet es sich, die Suchergänzungsfunktion gedanklich unter Vorwegnahme der Ergebnisliste mit einem bestimmten Aussageinhalt zu verbinden (so auch LG Hamburg, Urt. v. 22.02.2011, 416 O 9/11). Selbst in dem Fall, in dem von einer mehrdeutigen Aussage auszugehen wäre, träte mit der Wiedergabe der Suchergebnisse auf der Trefferliste eine hinreichende Klarstellung des Äußerungskontextes ein, was wiederum verdeutlicht, dass die Begriffe der Suchergänzungsfunktion nicht ohne die wiedergegebenen Treffer äußerungsrechtlich bewertet werden können.

3.

Da mit der Wiedergabe der entsprechenden Such- und Ergänzungsbegriffe auch keine Aussage Dritter verbunden ist, kommt auch ein Unterlassungsanspruch nach den Grundsätzen der Verbreiterhaftung gegen die Beklagte im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Für eine bewusste Manipulation der Ergänzungsvorschläge wurden keine hinreichenden Tatsachen vorgetragen; im Übrigen würde eine solche Manipulation nichts am fehlenden Aussagegehalt der im Rahmen der Suchfunktion automatisch vervollständigten Wortkombinationen ändern.

4.

Mangels einer entsprechenden Rechtsverletzung stehen den Klägern auch die weiteren geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung einer Geldentschädigung und Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß der Klageanträge zu 2) und 3) nicht zu.

5.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.

Streitwert: EUR 75.000,00 (2 x EUR 25.000,00 + EUR 25.000,00).