SG Aachen, Urteil vom 16.08.2011 - S 13 KR 137/11
Fundstelle
openJur 2012, 81742
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Beiträge zur Krankenversicherung (KV) und Pflegeversicherung (PV) ab 01.04.2010.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist ledig und hat ein Kind. Er war bis 31.03.2010 aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Beklagten versichert. Seit 01.04.2010 ist er bei der Universität eingeschrieben. Er absolviert dort ein Promotionsstudium. Dafür erhält er ab 01.04.2010 von der Hans-Böckler-Stiftung ein Stipendium in Höhe von monatlich 1.460,00 EUR; dieser Betrag setzt sich zusammen aus - Stipendiumsgrundbetrag 1.050,00 EUR - Forschungskostenpauschale 100,00 EUR - Familienzuschlag 155,00 EUR - Kinderbetreuungspauschale 155,00 EUR insgesamt 1.460,00 EUR

Auf mehrfache Hinweise der Beklagten seit März 2010 auf die Möglichkeit freiwilliger Weiterversicherung erhielt die Beklagte erst am 05.07.2010 einen entsprechenden Antrag des Klägers. Diesem war der Stipendiumsbescheid, der letzte Einkommenssteuerbescheid aus dem Jahre 2008, der Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 6.179,00 EUR auswies, und die Angabe des Klägers, als Betreuer wöchentlich fünf Stunden zu arbeiten und daraus monatlich ca. 300,00 EUR zu beziehen, beigefügt.

Durch bestandskräftigen Bescheid vom 08.07.2010 lehnte die Beklagte den Antrag auf freiwillige Weiterversicherung ab 01.04.2010 wegen Versäumung der 3-Monate-Frist ab.

Durch Bescheid vom 14.07.2010 stellte die Beklagte – zugleich im Namen der Pflegekasse - eine Pflichtversicherung des Klägers nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V; sog. "Bürgerversicherung") ab 01.04.2010 fest. Sie erhob einen KV-Beitrag von 282,41 EUR und einen PV-Beitrag von 38,51 EUR, insgesamt monatlich 320,92 EUR. Grundlage dieser Beitragsbemessung waren - das Einkommen l. t. ESt-Bescheid 2008 (6.179,00 EUR: 12) 514,92 EUR - Promotionsstipendium 1.460,00 EUR 1.974,92 EUR. Dagegen erhob der Kläger am 20.07.2010 Widerspruch. Er trug vor, neben seinem geringen Einkommen von 300,00 EUR kein beitragspflichtiges Einkommen zu haben. Abgesehen davon, dass von dem Promotionsstipendiumsbetrag 410,00 EUR zweckgebunden für Forschung, Familienzuschlag bzw. Kinderbetreuung seien, habe das Sozialgericht (SG) Hannover entschieden, dass ein Promotionsstipendium kein beitragspflichtiges Einkommen sei. Das SG habe unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dargelegt, dass die beitragspflichtigen Einnahmen durch Satzungsregelung ausreichend bestimmt sein müssten. Eine solche Satzungsregelung der Beklagten fehle. Soweit die Satzung auf die "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" des GKV-Spitzenverbandes Bezug nehme, enthielten auch diese keine ausdrücklichen Regelungen. Beim Promotionsstipendium handele es sich um eine Einnahme, die von der Rechtsprechung noch nicht als beitragspflichtig anerkannt sei, sodass eine konkretisierende Regelung erforderlich sei, damit die Mitglieder erkennen könnten, mit welchen Beiträgen sie zu rechnen hätten.

Der Widerspruchsausschuss der Kranken- und Pflegekasse der Beklagten wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 12.04.2011 zurück. Er nahm Bezug auf ein Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes vom 07.10.2010 zu den "Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler"; danach seien Stipendien unabhängig von eventuellen Zwecksetzungen und gesondert ausgewiesenen Bestandteilen bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen.

Dagegen hat der Kläger am 12.05.2011 Klage erhoben. Er wiederholt und vertieft seine im Widerspruchsverfahren vertretene Rechtsauffassung und meint, weder den "Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler" noch dem Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes vom 07.10.2010 sei eine ausreichende Regelung zur Bestimmung von Promotionsstipendien als beitragspflichtige Einnahmen zu entnehmen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 14.07.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2011 zu verurteilen, seine Beiträge zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung ab 01.04.2010 nach der Mindestbe- messungsgrundlage (kalendertäglich 1/90 der monatlichen Bezugsgröße), hilfsweise nach monatlichen Einnahmen von 1.719,92 EUR festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie räumt ein, dass im Widerspruchsbescheid fehlerhaft auf die Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder eingegangen sei; dies habe aber für die Beitragsbemessung des Klägers als Versicherter nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V keine Auswirkungen, da gem. § 227 SGB V auch für diesen Personenkreis die "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" des GKV-Spitzenverbandes analog der Regelung für freiwillig Versicherte Anwendung fänden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Zu Recht hat die Beklagte nicht nur das Einkommen des Klägers, wie es sich aus dem Einkommenssteuerbescheid 2008 ergibt, das sind auf den Monat umgerechnet 514,92 EUR, sondern auch den vollen Promotionsstipendiumsbetrag in Höhe von 1.460,00 EUR, also insgesamt 1.974,92 EUR der Bemessung der KV- und PV-Beiträge ab 01.04.2010 zugrundegelegt.

Der Kläger ist pflichtversichertes Mitglied der Beklagten gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Für den nach dieser Vorschrift pflichtversicherten Personenkreis bestimmt § 227 SGB V, das § 240 SGB V entsprechend gilt. Gem. § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der hier anzuwendenden ab 01.01.2009 geltenden Fassung wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkasse (GKV-Spitzenverband) geregelt. Von dieser gesetzlichen Ermächtigung hat der GKV-Spitzenverband durch die "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" vom 27.10.2008, zuletzt geändert am 06.05.2010, Gebrauch gemacht. Nach § 2 Abs. 1 dieser Grundsätze werden die Beiträge nach den beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds bemessen (Satz 1). Die Beitragsbemessung hat die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds zu berücksichtigen (Satz 2). § 3 Abs. 1 der "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" beschreibt, was beitragspflichtige Einnahmen sind. Als beitragspflichtige Einnahmen sind das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung zugrunde zu legen (Satz 1). Einnahmen, die nicht in Geld bestehen, sind entsprechend den für die Sachbezüge geltenden Regelungen der Sozialversicherungsentgeltverordnung zu bewerten (Satz 2). Die Einnahmen sind nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten abzugrenzen; eine die beitragspflichtigen Einnahmen mindernde Berücksichtigung von Zwecksetzungen einzelner Einnahmen findet nicht statt (Satz 3).

Aus dieser nach Auffassung der Kammer hinreichend bestimmten Definition der beitragspflichtigen Einnahmen ergibt sich, dass auch Promotionsstipendien zu den beitragspflichtigen Einnahmen zählen. Dies gilt nicht nur für den Stipendiumsgrundbetrag, sondern auch für die Forschungskostenpauschale, den Familienzuschlag und die Kinderbetreuungspauschale. Denn § 3 Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz der "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" bestimmt klar und eindeutig, dass eine die beitragspflichtigen Einnahmen mindernde Berücksichtigung von Zwecksetzungen einzelner Einnahmen nicht stattfindet. Insofern beinhaltet das Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes vom 07.10.2010 keine Neuregelung zur Bestimmung von Promotionsstipendien als beitragspflichtige Einnahmen, sondern lediglich eine Klarstellung des § 3 Abs. 1 "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler". Aus dem einleitenden Absatz unter Ziffer 6. dieses Rundschreibens ergibt sich, dass Anlass für die Klarstellung das Urteil des SG Hannover vom 26.10.2009 (S 44 KR 164/09) war, auf das auch der Kläger sich bezieht. Zutreffend weist der GKV-Spitzenverband daraufhin, dass das Urteil des SG Hannover sich auf die bis 31.12.2008 geltende Rechtslage bezog, wonach die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder noch durch die Satzungen der Krankenkassen geregelt wurde. Das SG Hannover hatte, wie sich aus dem Tatbestand seiner Entscheidung ergibt, über eine Satzungsregelung zu befinden, die zwar ähnlich wie § 3 Abs. 1 Satz 1 der "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" formuliert war, nicht aber eine Bestimmung wie die des § 3 Abs. 1 Satz 3 der Grundsätze enthielt. In der Satzung, über die das SG Hannover – und ähnlich zuvor schon in einem früheren Fall das BSG durch Urteil vom 22.05.2003 (B 12 KR 12/02 R) entschieden hat – gab es also keine Bestimmung, dass eine die beitragspflichtigen Einnahmen mindernde Berücksichtigung von Zwecksetzungen einzelner Einnahmen nicht stattfindet. Dies ist nunmehr in § 3 Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz der "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" so geregelt. Deshalb ist nach Auffassung der Kammer weder die frühere zitierte Rechtsprechung des BSG, noch die des SG Hannover auf den vorliegenden Fall übertragbar. Der GKV-Spitzenverband hat deshalb im Rundschreiben vom 07.10.2010 zu Recht klargestellt, dass Eigenschaften von Promotionsstipendien wie die Zwecksetzung und die Steuerfreiheit für die Zuordnung zu den beitragspflichtigen Einnahmen belanglos ist. Unter den rechtlichen Rahmenbedingungen, die § 3 Abs. 1 der "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" setzt, sind Stipendien unabhängig von eventuellen Zwecksetzungen im Zusammenhang mit ihrer Gewährung und unabhängig von eventuell gesondert ausgewiesenen Bestandteilen (z.B. Forschungskosten, Familienzuschlag, Kinderbetreuung) bei der Beitragsbemessung in voller Höhe zu berücksichtigen. Aus diesem Grund sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtmäßig und nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte