OLG Hamm, Beschluss vom 07.07.2011 - III-1 Ws 247/11
Fundstelle
openJur 2012, 81190
  • Rkr:
Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an die 92. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund beim Amtsgericht D2 zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der Verurteilte ist durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Dortmund vom 22.02.2008 wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 6 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und 6 Monaten verurteilt worden (35 KLs 51/07). Die Strafe wird seit dem 24.07.2009 vollstreckt. Unter Anrechnung von 22 Tagen Untersuchungshaft waren 2/3 der Strafe am 01.05.2011 vollstreckt. Das Strafende ist auf den 01.04.2012 notiert.

Seit dem 08.12.2010 befand sich der Verurteilte in der Justizvollzugsanstalt D2, von wo aus er seit dem 14.02.2011 einem freien Beschäftigungsverhältnis bei einer Leiharbeitsfirma (D GmbH& Co KG) beschäftigt war. Aufgrund von Diebstahlsvorwürfen bei seinem letzten Einsatzort, der Fa. S, und einem hierauf eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurde der Verurteilte am 23.03.2011 in die JVA C verlegt.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund beim Amtsgericht D2 hat nach Einholung von befürwortenden Stellungnahmen der JVA D2 und der Staatsanwaltschaft Dortmund ohne Anhörung des Verurteilten mit Beschluss vom 23.03.2011 auf die Aussetzung des Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichts Dortmund vom 22.08.2008 zur Bewährung erkannt und die Entlassung des Verurteilten am 01.05.2011 angeordnet.

Gegen diesen, der Staatsanwaltschaft Dortmund am 28.03.2011 zugegangenen, Beschluss richtet sich deren sofortige Beschwerde vom 31.03.2011, eingegangen beim Landgericht Dortmund am 02.04.2011.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm vertritt die Beschwerde mit dem Antrag,

den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund am Amtsgericht D2 vom 23.03.2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Dortmund zurückzuverweisen.

Auf seinen Antrag hin ist dem Verteidiger des Verurteilten Akteneinsicht durch Übersendung der Akten und der Doppelakten des Ermittlungsverfahrens 203 Js 789/11 gewährt und Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche ab Zugang der Sendung eingeräumt worden.

Die Akten sind am 16.05.2011 bei dem Verteidiger eingegangen, jedoch erst -nach Anmahnung- am 21.06.2011 von diesem an die Staatsanwaltschaft Dortmund zurückgesandt worden, von wo sie am 04.07.2011 hier wieder vorgelegt wurden.

Eine Stellungnahme des Verteidigers ist nicht eingegangen.

II.

Die gem. §§ 454 Abs. 3, 306, 311 StPO, 57 StGB zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache zumindest -vorläufig- Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund beim Amtsgericht D2.

Die Aussetzung des Strafrestes setzt gem. § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB neben der Verbüßung der Mindestdauer und der Einwilligung des Verurteilten grundsätzlich eine günstige Legalprognose voraus. Zwar bedarf es hierfür keiner Gewissheit künftiger Straffreiheit (Fischer, StGB, 58. Aufl., § 57 Rdnr. 14). Zweifel an der günstigen Legalprognose gehen jedoch zu Lasten des Verurteilten (OLG Hamm NStZ 2004, 685; Fischer § 57 Rdnr 17a m.w.N.). Bei der demnach gem. § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB anstehenden Prüfung, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, sind namentlich seine Persönlichkeit, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sein Verhalten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Damit ist den Strafvollstreckungsrichtern eine prognostische Gesamtwürdigung abverlangt, welche es gebietet, sich selbst ein umfassendes Bild über die zu beurteilende Person zu verschaffen (vgl. BVerfG NJW 2000, 501, JURIS Rdnrn 16, 18). In die Betrachtung einzubeziehen sind aufgrund der anzustellenden Legalprognose auch anhängige weitere Straf- oder Ermittlungsverfahren gegen den Verurteilten, ohne dass hierdurch gegen die Unschuldsvermutung gem. Art. 6 Abs. 2 MRK verstoßen würde (OLG Hamm NStZ 2004, 685; Fischer § 57 Rdnr 17a).

Diesen Anforderungen genügt der vorliegende Beschluss der Strafvollstreckungskammer nicht, da er den Diebstahlsvorwurf gegen den Verurteilten gänzlich unberücksichtigt lässt. Zwar war der Strafvollstreckungskammer der Diebstahlsvorwurf bei der Beschlussfassung noch nicht bekannt. Auch führt der Vorwurf mit Blick darauf, dass der Diebstahl und die abgeurteilten Straftaten nach dem BtMG auf unterschiedlichen Gebieten liegen und der Verurteilte Erstverbüßer ist, nicht zwangsläufig dazu, dass eine Strafaussetzung allein wegen des erneuten Vorwurfs ausgeschlossen ist. Der Senat vermag jedoch nicht auszuschließen, dass die Strafvollstreckungskammer bei Berücksichtigung des neuen Vorwurfs zu einer abweichenden Entscheidung gelangen würde, zumal sie aufgrund ihrer Verpflichtung zur Gewinnung eines umfassenden Bildes über den Verurteilten ergänzende Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt einholen, die Ermittlungsakte des anhängigen Strafverfahrens beiziehen und den -nach Aktenlage die Tat bestreitenden- Verurteilten (nunmehr) gem. § 454 Abs. 1 S. 3 StPO zu dem Diebstahlsvorwurf anhören muss.

III.

Der angefochtene Beschluss entspricht daher nicht den gesetzlichen Anforderungen. Er war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund beim Amtsgericht D2 zurückzuverweisen.

Der Senat verkennt hierbei nicht, dass nach der gesetzlichen Regelung des § 309 Abs. 2 StPO das Beschwerdegericht die in der Sache erforderliche Entscheidung im Regelfall selbst zu treffen hat. Demzufolge besteht eine Möglichkeit der Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht in der Regel nicht (vgl. BGH NJW 1964, 2119). Hiervon kann jedoch in Ausnahmefällen abgewichen werden (vgl. BGH NJW 1964, 2119; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 309 Rdnr. 7).

Eine Zurückverweisung soll nach allgemeiner Auffassung dann möglich sein, wenn das Erstgericht seine Entscheidung lediglich mit einer floskelhaften Wendung oder der bloßen Wiederholung des Gesetzestextes begründet hat (vgl. OLG Düsseldorf, StV 1986, 376; StV 1995, 138, 139). Auch soll eine Zurückverweisung dann zulässig sein, wenn ein durch das Beschwerdegericht nicht heilbarer Verfahrensfehler vorliegt (vgl. BGH NStZ 1992, 508). Weiterhin wird eine Zurückverweisung auch dann für zulässig gehalten, wenn eine den Sachverhalt ausschöpfende erstinstanzliche Entscheidung zur Sache selbst fehlt, wenn also nur formal entschieden worden ist (vgl. OLG Frankfurt, NStZ 1983, 426, 427). Auch wenn das Beschwerdegericht aus Rechtsgründen nicht in der Lage ist, den Fehler, an dem die angefochtene Entscheidung leidet, auszubessern, führt dies regelmäßig zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache (OLG Celle B. v. 06.01.2009, 1 Ws 629/08, JURIS Rdnr 11).

Vorliegend ist der Senat aus Rechtsgründen gehindert, eine eigene Sachentscheidung zu treffen. Denn die zwingend gebotene Anhörung des Verurteilten zu dem Diebstahlsvorwurf ist gem. § 454 Abs. 1 S. 3 StPO von der Strafvollstreckungskammer durchzuführen. Dies gilt auch dann, wenn, wie hier, sich das Erfordernis der mündlichen Anhörung erst im Beschwerdeverfahren ergibt (Vgl. Meyer-Goßner § 454 Rdnr 47 m.w.N. für den vergleichbaren Fall, dass der Verurteilte erst im Beschwerdeverfahren seine Zustimmung zur Aussetzung erteilt). Eine mündliche Anhörung gem. § 454 Abs. 1 S. 3 StPO findet im Beschwerdeverfahren nicht statt (Meyer-Goßner § 454 Rdnr 46).