SG Münster, Urteil vom 24.06.2011 - S 6 P 14/11
Fundstelle
openJur 2012, 80658
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagten werden verurteilt, die Veröffentlichung eines Transparenzberichts über die Pflegeeinrichtung des Klägers aufgrund der MDK-Prüfung am 20. Dezember 2010 über die Internetportale der Beklagten - oder in sonstiger Weise - zu unterlassen. Die Beklagten tragen die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger die Unterlassung der Veröffentlichung eines Transparenzberichts verlangen kann.

Der Kläger ist Träger der durch Versorgungsvertrag zugelassenen Kurzzeitpflegeeinrichtung "N.-U.-I." in T ... Diese Einrichtung wurde am 20. Dezember 2010 gemäß §§ 114 ff des Sozialgesetzbuches - Elftes Buch - (SGB XI) im Auftrag der beklagten Landesverbände der Pflegekassen vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) geprüft. Zu diesem Zeitpunkt versorgte die Einrichtung, in der zehn Plätze vorgehalten werden, neun Kurzzeitbewohner. Fünf Pflegebedürftige wurden in die Prüfung einbezogen.

Auf der Grundlage des Prüfberichts der MDK-Prüferinnen N.-U. C. und Dr. B.Q. vom 20. Dezember 2010 wurde ein vorläufiger, noch nicht veröffentlichter Transparenzbericht erstellt. Darin wird als Gesamtergebnis die Note "befriedigend" (2,6) ausgewiesen. Der Qualitätsbereich "Pflege und Medizinische Versorgung" erhielt die Gesamtnote "befriedigend" (2,6). Der Bereich "Umgang mit demenzkranken Bewohnern" wurde ebenfalls mit "befriedigend" (2,8) bewertet. Auch der Bereich "Soziale Betreuung und Alltagsgestaltung" wurde mit "befriedigend" (3,4) beurteilt. Ein "sehr gut" (1,4) gab es für den Qualitätsbereich "Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene". Bei 16 der insgesamt 64 Einzelkriterien wurde die Note "5,0" vergeben. Als Landesdurchschnitt wurde 1,8 ("gut") angegeben. Als Ergebnis der Befragung der Bewohner, das nicht in das Gesamtergebnis mit einfließt, wurde die Note "sehr gut" (1,0) mitgeteilt.

Mit Schreiben vom 14. Januar 2011 forderte der Kläger die Beklagten zur Abgabe einer Unterlassungserklärung hinsichtlich der - nach Ablauf der 28-Tage-Frist - für den 04. Februar 2011 vorgesehenen Veröffentlichung des Transparenzberichts auf. Die Veröffentlichung eines Transparenzberichts wäre rechtswidrig. Die Anwendung der Pflege-Transparenzvereinbarung stationär (PTVS) auf eine Einrichtung der Kurzzeitpflege sei nicht zulässig, weil der Fragenkatalog der PTVS nicht die Besonderheiten einer Kurzzeitpflege berücksichtige. Im Übrigen sei schon die PTVS nach der Rechtsprechung des Sozialgerichts Münster rechtswidrig. Daneben leide die durchgeführte Qualitätsprüfung an formellen Mängeln. Die Prüferinnen seien nicht hinreichend geeignet gewesen, weil keine von ihnen die nach den Qualitätsprüfungs-Richtlinien notwendige Auditorenausbildung absolviert habe. Auch sei die Prüfung nicht - wie zwingend erforderlich - umfassend im Team erfolgt. Vielmehr hätten die Prüferinnen die Begutachtungen der Dokumentationen und der Kunden jeweils allein vorgenommen. Ferner werde bestritten, dass vor der Prüfung wirksame Einverständniserklärungen von den Pflegebedürftigen oder ihren Betreuern eingeholt worden seien. Schließlich leide die Qualitätsprüfung auch an vielen inhaltlichen Fehlern.

Mit Schreiben vom 20. Januar 2011 lehnten die Beklagten die Abgabe einer Unterlassungserklärung ab. Die Veröffentlichung des Transparenzberichts über die Kurzzeitpflegeeinrichtung sei nicht rechtswidrig.

Daraufhin stellte der Kläger am 21. Januar 2011 beim Sozialgericht einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (Az.: S 6 P 11/11 ER). In seiner ausführlich begründeten Antragsschrift wies der Kläger u. a. darauf hin, dass insbesondere die 16 Mal vergebene Note "mangelhaft" bei den Einzelkriterien den Ruf der Einrichtung unwiderbringlich beschädigen würde.

Durch ihre Zwischenentscheidung vom 24. Januar 2011 hat die Kammer die Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, bis zu einer Eilentscheidung des Gerichts die Veröffentlichung eines Transparenzberichts über die Pflegeeinrichtung des Klägers im Internet oder auf anderem Wege zu unterlassen.

Am 28. Januar 2011 hat der Kläger die hier streitige Unterlassungsklage erhoben. Er hat die Darlegung seiner Rechtsauffassung vertieft und unter Beifügung von Unterlagen einzelne inhaltliche Mängel der Qualitätsprüfung geltend gemacht.

Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hat das Gericht zunächst zur Frage der Wirksamkeit der Einverständniserklärungen der Pflegebedürftigen bzw. ihrer Betreuer vom MDK eine Stellungnahme eingeholt. Unter dem 08. Februar 2011 hat die Leiterin des Fachreferates Pflege Frau Dr. H. mitgeteilt, dass die Pflegebedürftigen bzw. ihre Betreuer vor der Prüfung darüber informiert würden, dass die Teilnahme an Inaugenscheinnahmen und Befragungen freiwillig sei, dass durch eine Ablehnung keine Nachteile entstünden, dass die Verarbeitung der erhobenen Daten und der Informationen unter Berücksichtigung der Vorschriften des Datenschutzes erfolgte und dass der Schutz der Intimsphäre beachtet werde. Insbesondere werde darüber aufgeklärt, dass es allein um die Prüfung der Qualität der Einrichtung gehe und nicht um die Überprüfung einer Pflegestufe. Im Prüfbericht werde auch festgehalten, wer (z.B. Schwiegertochter, Sohn oder Versicherter selbst) das Einverständnis gegeben habe. Dass eine schriftliche Einverständniserklärung eingeholt werden müsse, sähen die Richtlinien nicht vor.

Sodann hat das Gericht zu der vom MDK geübten Praxis von dem Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf eine Stellungnahme eingeholt. Unter dem 22. Februar 2011 hat der Landesbeauftragte für Datenschutz ausgeführt:

"Die Form der Einwilligung ist in den spezialgesetzlichen Bestimmungen des SGB XI zum Datenschutz (§§ 93 ff. SGB XI) nicht geregelt. Deshalb gelten gemäß § 93 SGB XI die allgemeinen Vorschriften der §§ 67 ff. SGB X. § 67 b Abs. 2 SGB X bestimmt, dass eine Einwilligung, die bei dem Betroffenen eingeholt wird, der Schriftform bedarf. Eine Ausnahme von diesem Formerfordernis kommt nur in Betracht, wenn wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist. Dieser Ausnahmetatbestand ist restriktiv zu handhaben (vgl. etwa Hauck/Noftz, SGB X, Kommentar, Rz. 72 zu § 67 b). Dass der dem Rechtstreit zugrunde liegende Sachverhalt eine derartige Ausnahme rechtfertigt, ist nicht ersichtlich. Eine Ausnahme von der Schriftform käme nach der Konzeption des § 67 b Abs. 2 SGB X, die ein Abweichen vom Regelfall nur unter besonderen Umständen zulässt, auch nur in Einzelfällen in Betracht und könnte nicht per se das gesamte Verfahren nach § 114 a SGB XI umfassen. Zwar ist zu begrüßen, dass die Betroffenen oder deren Betreuer oder Bevollmächtigte vor der Entscheidung über die Erteilung einer Einwilligung umfassend informiert werden. Doch rechtfertigt dies allein kein Absehen von der Schriftlichkeit einer Einwilligung, denn § 67 b Abs. 2 Satz 1 SGB X fordert vor jeder Einwilligung eine derartige Aufklärung. Ferner ist nach § 67 b Abs. 2 Satz 2 SGB X eine Einwilligung nur wirksam, wenn sie (in Kenntnis aller Umstände) freiwillig erteilt wurde. Es sind hier keine Anhaltspunkte erkennbar, weshalb ein Betroffener oder sein Vertreter nach der Belehrung seine Einwilligung nicht schriftlich sollte erteilen können."

Die Beklagten haben sodann eine Stellungnahme des MDK vom 07. März 2011 zu den inhaltlichen Einwendungen des Klägers vorgelegt. Darin heißt es, dass das Vorbringen des Klägers und die vorgelegten Unterlagen nur in einem Einzelpunkt - nämlich bei der Frage, ob die Portionsgrößen sich an den individuellen Wünschen der Bewohner orientieren - zu einer Änderung der Bewertung zugunsten des Klägers führe.

Mit Schriftsatz vom 26. April 2011 haben die Beklagten einen zur Veröffentlichung vorgesehenen geänderten Transparenzbericht vorgelegt. Darin hat das Kriterium Nr. 63 statt der Note 5,0 nunmehr die Note 1,0 erhalten. Für den Qualitätsbereich 4 errechnete sich dadurch die Note 1,0. Das Gesamtergebnis verbesserte sich von 2,6 auf 2,5.

Der Kläger beantragt, die Beklagten zu verurteilen, die Veröffentlichung eines Transparenzberichts über die Kurzzeitpflegeeinrichtung "N.-U.-I." aufgrund der MDK-Prüfung am 20. Dezember 2010 über die Internetportale der Beklagten - oder in sonstiger Weise - zu unterlassen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie vertreten die Auffassung, dass es sich bei einer Einrichtung der solitären Kurzzeitpflege um eine stationäre Pflegeeinrichtung handele, auf die - entgegen der Ansicht des Klägers - die PTVS anwendbar sei. Einer gesonderten Pflegetransparenzvereinbarung Kurzzeitpflege, wie sie der Kläger fordere, bedürfe es nicht. Der MDK habe bei seiner Beurteilung die besondere Situation der auf kurze Verweilzeiten angelegten Kurzzeitpflege, die nicht mit der Pflege und Betreuung vollstationärer Einrichtungen vergleichbar sei, berücksichtigt. Insbesondere würden einige Fragen, die nicht auf Kurzzeitpflegeeinrichtungen zuträfen, generell mit "ja" belegt. Im Übrigen sei es nicht erforderlich, dass die Bewohner bzw. ihre Betreuer schriftliche Einverständniserklärungen abgeben müssten. Dies würde von den Qualitätsprüfungs-Richtlinien nicht verlangt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten und die Streitakten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens S 6 P 11/11 ER verwiesen. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig.

Zweifel am Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen bestehen nicht.

Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für Angelegenheiten der Pflegeversicherung gegeben.

Die Klage ist als vorbeugende Unterlassungsklage in Form der Leistungsklage ohne Durchführung eines Vorverfahrens und Einhaltung einer Klagefrist gemäß § 54 Abs. 5 SGG statthaft. Die Veröffentlichung eines Transparenzberichts stellt nämlich keinen Verwaltungsakt dar, sondern erfolgt ohne Setzung eines eigenen Rechtsaktes unmittelbar auf der Grundlage des Gesetzes als sogenannter Realakt.

Die entsprechend § 54 Abs. 1 Nr. 2 SGG erforderliche Klagebefugnis ist gegeben. Der Kläger kann aufgrund der Veröffentlichung des Transparenzberichts über seine Einrichtung einen Eingriff in sein Grundrecht der Berufsfreiheit rügen.

Die Klage ist auch begründet.

Dem Kläger steht ein aus der Abwehrfunktion der Grundrechte abzuleitender öffentlichrechtlicher Unterlassungsanspruch zu. Eine Veröffentlichung des Transparenzberichts würde das Grundrecht des Klägers auf Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 des Grundgesetzes - GG - ) verletzen.

Nach der gesetzlichen Regelung (§ 115 Abs. 1 a Satz 1 SGB XI) stellen die Landesverbände der Pflegekassen sicher, dass die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualtität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen verständlich, übersichtlich und vergleichbar sowohl im Internet als auch in anderer geeigneter Form kostenfrei veröffentlicht werden. Hierbei sind die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen des MDK zugrunde zu legen (§ 115 Abs. 1 a Satz 2 erster Halbsatz SGB XI). Sie können durch in anderen Prüfverfahren gewonnene Informationen, die die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität, darstellen, ergänzt werden (§ 115 Abs. 1 a Satz 2 zweiter Halbsatz SGB XI). Die Kriterien der Veröffentlichung einschließlich der Bewertungssystematik sind - so § 115 Abs. 1 a Satz 6 SGB XI - durch den Spitzenverband Bund der Pflegekassen, die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene, die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbänden unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zu vereinbaren. Auf dieser Grundlage haben die Vertragsparteien am 17. Dezember 2008 die Pflege-Transparenzvereinbarung stationär (PTVS) geschlossen. Sie beinhaltet die Kriterien der Veröffentlichung, die Bewertungssystematik und die Ausfüllanleitungen für die Prüfer.

Die Kammer neigt weiterhin - wie schon in ihrem Urteil vom 20. August 2010 (Az.: S 6 P 111/10) mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur dargelegt - zu der Auffassung, dass die Veröffentlichung von Transparenzberichten gegenwärtig bereits deshalb rechtswidrig ist, weil die in § 115 Abs. 1 a Satz 6 SGB XI vorgesehene Übertragung von Rechtssetzungsbefugnissen auf die demokratisch nicht legitimierten Vertragsparteien angesichts des Parlamentsvorbehalts und der Schranken des Art. 80 GG verfassungswidrig ist. In dieser Rechtsauffassung sieht sich die Kammer durch die Aufsätze von Brochnow ("Obskure Transparenz - Pflegetransparenzberichte gemäß § 115 Abs. 1 a SGB XI versus Rechtsstaatlichkeit", NJOZ 2011, 385 ff) und Addicks ("Verfassungsrechtliche Aspekte in der Rechtsprechung und Veröffentlichung von Qualitätsprüfungsergebnissen in der ambulanten und stationären Pflege", PflR 2011, 58 ff) gestärkt. Gleichwohl lässt das erkennende Gericht die verfassungsrechtlichen Fragen hier dahinstehen, weil die Entscheidung der Kammer nicht von der Verfasungsmäßigkeit des § 115 Abs. 1 a SGB XI abhängt. Der Unterlassungsanspruch des Klägers folgt nämlich auch aus anderen Gründen. Eine Vorlage gemäß Art. 100 GG an das Bundesverfassungsgericht ist deshalb nicht möglich.

Die auf der Grundlage der aktuell geltenden PTVS erstellten Transparenzberichte entsprechen nämlich nicht den gesetzlichen Anforderungen. Bei dieser Feststellung stützt sich die Kammer - wie bereits in ihrem Beschluss vom 18. Januar 2010, Az.: S 6 P 202/09 ER - auch auf das im Vorwort der Transparenzvereinbarung vom 17. Dezember 2008 niedergelegte Eingeständnis, dass es "derzeit keine pflegewissenschaftlich gesicherten Erkenntnissse über valide Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualtität der pflegerischen Versorgung in Deutschland gibt".

In der im Auftrag der Vereinbarungspartner erstellten Wissenschaftlichen Evaluation vom 21. Juli 2010 haben Hasseler und Wolf-Ostermann zudem eingehend dargelegt, dass die Transparenzberichte der PTVS (bzw. PTVA) nicht geeignet seien, die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität zu messen. Die Kammer bleibt deshalb bei ihrer im Urteil vom 20. August 2010 (Az.: S 6 P 111/10) vertretenen Auffassung, dass solange Kriterien noch nicht entwickelt worden sind, die das Potential haben, zuverlässig Aussagen über die Qualität von Pflege machen zu können, die Veröffentlichung von Pflegenoten nicht rechtmäßig sein kann.

In ihrer Auffassung bestätigt sieht sich die Kammer auch durch den im Internet veröffentlichten Aufruf für ein "Moratorium-Pflegenoten" vom 31. März 2011, der von zahlreichen namhaften Pflegewissenschaftlern unterstützt wird. Zu ihnen zählt z. B. Prof. Dr. Isfort, der dieser Initiative mit folgender Begründung beigetreten ist:

"Die Pflegenoten sind in mehrfacher Hinsicht gescheitert. Zum Einen zeigen sie auf, was passiert, wenn Bewertungs- und Klassifikationssysteme "mit Heimwerkermethoden" entwickelt werden und methodisches Wissen der Pflegewissenschaft konsequent keine Beachtung findet. Gravierender ist jedoch, dass sie ganz offensichtlich gleichermaßen an als auch in der Praxis scheitern. An der Praxis scheitern sie dadurch, dass Einrichtungen in teuren Seminaren lernen können, sich richtig auf die Prüfungen vorzubereiten, um dokumentierte Wirklichkeiten in gute Noten zu überführen. In der Praxis scheitern sie, weil sie weder für Angehörige, noch für Pflegende eine Orientierung darstellen und nur geringfügige Unterscheidungen aufzeigen ..."

Im Falle des Klägers ist der umstrittene Transparenzbericht von der grundsätzlich gegebenen Ungeeignetheit der Kriterien abgesehen auch deshalb - recht offenkundig - rechtswidrig, weil es sich bei der Pflegeeinrichtung des Klägers um eine Einrichtung der Kurzzeitpflege handelt, auf die die Pflege-Transparenzvereinbarung stationär entgegen der Ansicht der Beklagten nicht anwendbar ist.

Anders als vollstationäre Einrichtungen (§ 43 SGB XI) sind Einrichtungen der Kurzzeitpflege nämlich nur auf kurze Verweilzeiten ausgerichtet. Kann etwa die häusliche Pflege zeitweise nicht oder noch nicht erbracht werden, etwa bei einer erforderlichen Nachsorge nach einem Krankenhausaufenthalt - besteht für eine Übergangszeit ein Anspruch auf Kurzzeitpflege, der gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 SGB XI auf vier Wochen pro Kalenderjahr beschränkt ist. Zwar ist der Pflegebedürftige auch im Rahmen der Kurzzeitpflege - für eine kurze Dauer - stationär untergebracht. Gleichwohl ist diese Einrichtungsform, für die Leistungen - anders als bei der vollstationären Pflege - unabhängig von der Zuordnung zu einer bestimmten Pflegestufe gewährt werden, mit vollstationären Pflegeeinrichtungen nicht vergleichbar. Auch die Systematik des Gesetzes macht den qualitativen Unterschied deutlich. Denn die " Teilstationäre Pflege und Kurzzeitpflege" wird im Vierten Kapitel, Dritter Absatz, Zweiten Titel des Gesetzes geregelt. Demgegenüber findet sich die Regelung der "Vollstationären Pflege" im Dritten Titel dieses Abschnitts.

In ihrer Zusammenfassenden Beurteilung haben die Prüferinnen des MDK in ihrem Prüfbericht vom 20. Dezember 2010 einleitend eingeräumt, dass die "Kurzzeitpflege nicht mit der Pflege und Betreuung vollstationärer Einrichtungen vergleichbar" sei. Ihre Erklärung, die folgende Beurteilung berücksichtige aber die "besondere Situation der auf kurze Verweilzeiten ausgelegten Kurzzeitpflege", trifft indes nicht zu. So hat z. B. die Einrichtung des Klägers bei dem Kriterium Nr. 52 ("Gibt es Hilfestellungen zur Eingewöhnung in die Pflegeeinrichtung (z.B. Bezugspersonen, Unterstützung bei der Orientierung, Intergrationsgespräche nach 6 Wochen ?") ein "mangelhaft" erhalten, obwohl recht offensichtlich bei kurzen Verweilzeiten von längstens 4 Wochen Fragen nach Integrationsgesprächen nach 6 Wochen keinen Sinn machen können.

Bei fünf Kriterien (Nrn. 49, 50, 53, 56 und 57), die selbst nach Auffassung des MDK auf Kurzzeitpflegeeinrichtungen nicht zurtreffen, ist im Transparenzbericht die Note "1,0" vergeben worden. Damit werde - so die Beklagten - den Besonderheiten der Kurzzeitpflege Rechnung getragen. Dem kann die Kammer nicht zustimmen. Nach ihrer Auffassung wird hier vielmehr die an Absurdität grenzende Unzulänglichkeit der Bewertungssystematik der PTVS evident. Anstatt ein nicht zutreffendes Kriterium - wie dies etwa im Qualitätsbereich 5 ("Befragung der Bewohner") auch geschieht - nicht zu bewerten, erhält die Einrichtung bei den genannten Fragen unsinnigerweise ein "sehr gut". Bei einer Kurzzeitpflege kommt die "Gestaltung der Bewohnerzimmer mit eigenen Möbeln" genauso wenig in Betracht wie eine "systematische Auswertung" der "Eingewöhnungsphase". Der Transparenzbericht über die Einrichtung des Klägers vergibt gleichwohl für diese Kriterien die Note "1,0". Diese irreführende Bewertung ist - worauf Hopfenzitz zutreffend hinweist, Sozialrecht aktuell, 2011, 50/51 - nicht etwa auf die Gutmütigkeit und Großzügigkeit der Pflegekassen und des MDK zurückzuführen, sondern beruht allein darauf, dass es anders als bei bewohnerbezogenen Kriterien bei einrichtungsbezogenen Kriterien nach der Anlage 2 der PTVS (Bewertungssystematik, 2.1) nur die dichotome Bewertungsmöglichkeit "erfüllt oder nicht erfüllt" gibt. Kaum zu glauben: Ein - einrichtungsbezogenes - Kriterium nicht zu benoten, weil es nicht zutrifft, ist nach der starren Bewertungssystematik der PTVS gar nicht möglich !

Die Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung eines Transparenzberichts folgt des weiteren auch daraus, dass die Prüfer des MDK - entsprechend ihrer üblichen Praxis - unter Verletzung des Grundrechts der Pflegebedürftigen auf informationelle Selbstbestimmung die Qualitätsprüfungen ohne wirksame Einverständniserklärungen der Betroffenen durchgeführt haben.

Nach § 114 a Abs. 3 Satz 3 SGB XI ist die Teilnahme an Inaugenscheinnahmen und Befragungen freiwillig. Durch die Ablehnung dürfen keine Nachteile entstehen. Satz 4 dieser Bestimmung lautet: Inaugenscheinnahmen von Pflegebedürftigen, Befragungen von Personen ( ...) sowie die damit jeweils zusammenhängende Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten von Pflegebedürftigen zum Zwecke der Erstellung eines Prüfberichts bedürfen der Einwilligung der betroffenen Pflegebedürftigen.

Die Wirksamkeit der Einwilligung hängt nach der Gesetzesbegründung zu § 114 a Abs. 3 SGB XI (vgl. BT-Drucks. 16/7439, S. 87 f) davon ab, dass die Pflegebedürftigen über Anlass und Zweck sowie Inhalt, Umfang, Durchführung und Dauer der Maßnahme, den vorgesehenen Zweck der Verarbeitung und Nutzung der dabei erhobenen personenbezogenen Daten, die Freiwiligkeit der Teilnahme und die jederzeitige Widerrufbarkeit der Einwilligung ausreichend aufgeklärt und darauf hingewiesen worden sind, dass sich die Verweigerung der Einwilligung nicht nachteilig auswirkt. Ferner heißt es in der Gesetzesbegründung: Die Einwilligung bedarf der Schriftform, soweit nicht wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist.

Ob im Falle der hier streitigen Qualitätsprüfung die betroffenen Pflegebedürftigen (bzw. ihre Vertreter) von den Gutachtern des MDK zuvor ausreichend aufgeklärt worden sind, lässt sich nicht feststellen. Eine hinreichende Aufklärung ist vom MDK nicht dokumentiert worden.

Darüber hinaus steht fest, dass von den Prüfern schriftliche Einverständniserklärungen nicht eingeholt worden sind. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann das Schriftformerfordernis nicht mit dem Hinweis bestritten werden, dass § 114 a Abs. 3 SGB XI und die Qualitätsprüfungs-Richtlinien dieses Formerfordernis nicht noch einmal ausdrücklich festgelegt haben. Denn über die Vorschrift des § 93 SGB XI sind die allgemeinen datenschutzrechtlichen Bestimmungen des SGB I und insbesondere des SGB X selbstverständlich auch für die Pflegeversicherung und die Pflegekassen maßgebend. In § 67 b Abs. 2 SGB X ist aber ausdrücklich bestimmt, dass eine Einwilligung, die bei dem Betroffenen eingeholt wird, der Schriftform bedarf. Eine Ausnahme kommt nach dieser Vorschrift nur in Betracht, wenn wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist. Der Ausnahmetatbestand ist dabei restriktiv auszulegen. Nach der Literatur kann eine Ausnahme etwa unter Umständen bei einer mutmaßlichen Einwilligung (vgl. Rombach, in Hauck/Noftz, SGB X, Rdnr. 72 zu § 67 b) oder bei blinden Personen, die zu einer Unterschrift nicht in der Lage sind (vgl. Klie, SGB XI, Lehr- und Praxiskommentar, 3. Auflage, Rdnr. 7 zu § 114 a), in Betracht kommen. Wie auch der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen in seiner vom Gericht eingeholten Stellungnahme vom 22. Februar 2011 dargelegt hat, sind bei den hier zu beurteilenden Qualitätsprüfungen des MDK keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, weshalb ein betroffener Pflegebedürftiger oder sein Vertreter seine Einwilligung nicht schriftlich erteilen können soll. Die Kammer verkennt nicht, dass die Wahrung des Datenschutzrechts bei den Qualitätsprüfungen zu einem Mehraufwand führt und die Notwendigkeit, auch von Vertretern oder Betreuern der Pflegebedürftigen schriftliche statt telefonische Einverständniserklärungen einzuholen, unangemeldete Prüfungen nahezu unmöglich machen kann. Dieser Umstand kann jedoch eine Verletzung des grundrechtlich geschützten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Heimbewohner nicht rechtfertigen. Dies sieht auch der Gesetzgeber nicht anders. Denn in der Gesetzesbegründung zu § 114 a SGB XI (vgl. BT-Drucks. 16/8525, S 103) ist ausdrücklich hervorgehoben worden, dass insbesondere dann, wenn die Einwilligung von rechtlichen Betreuern einzuholen ist, eine "angemeldete Prüfung angezeigt" ist.

Mit ihrer Rechtsprechung (vgl. etwa Beschluss vom 18. Januar 2010, Az.: S 6 P 201/09 ER; Beschluss vom 26. Mai 2010, Az.: S 6 P 35/10 ER; Urteil vom 20. August 2010, Az.: S 6 P 111/10; Beschluss vom 10. Dezember 2010, Az.: S 6 P 138/10 ER) weicht die Kammer von der Rechtsprechung des Landessozialgerichts NRW ab. Das LSG ist in seinen Beschlüssen vom 10. Mai 2010 (Az.: L 10 P 10/10 B ER) und 15. November 2010 (Az.: L 10 P 76/10 B ER) davon ausgegangen, dass eine gerichtliche Überprüfung der Transparenzberichte sich darauf zu beschränken habe, ob ein faires, neutrales, objektives und sachkundiges Prüfverfahren angewandt werde. Nur offensichtliche und besonders schwerwiegende formelle oder inhaltliche Mängel - wie etwa bewusste Verzerrungen oder eine Schmähkritik - könnten beanstandet werden.

Diesen rechtlichen Ansatz hält die Kammer weiterhin für verfehlt, weil der weite Prüfungsmaßstab wegen des Grundrechts der Meinungsfreiheit lediglich für vergleichende Warentests privater Prüfeinrichtungen gilt, nicht aber auf hoheitliche, quasi staatliche Bewertungen angewandt werden kann (vgl. hierzu Näheres im Beschluss der Kammer vom 10. Dezember 2010, Az.: S 6 P 138/10 ER).

Die Rechtsprechung des LSG ist in ihrer Praxis auch inkonsequent. Denn in allen der inzwischen zahlreichen Beschwerdeverfahren, die von Entscheidungen der Kammer ausgegangen sind, hat das LSG wegen einzelner Bewertungen, die der Senat für falsch hielt, auf die Nicht-Veröffentlichung des jeweils umstrittenen Transparenzberichts hingewirkt. Nach dem rechtlichen Ausgangspunkt des LSG hätte eigentlich der Veröffentlichung der Transparenzberichte nichts im Wege stehen dürfen.

Dennoch hat das LSG etwa in dem sich an das Urteil der Kammer von 20. August 2010 (Az.: S 6 P 111/10) anschließenden Berufungsverfahren (vgl. die Niederschrift vom 15. Dezember 2010, Az.: L 10 P 118/10) moniert, dass die Bewertung bei dem Kriterium der Sauberkeit der Einrichtung mit "mangelhaft" falsch sei. Diese Bewertung könne nicht allein darauf gestützt werden, dass ein Rollstuhl beschmutzt gewesen sei und dass im Prüfbericht festgehalten worden sei, der Gesamteindruck bei Sauberkeit und Hygiene sei "nicht durchgehend gut". "Gerade im Hinblick auf die Skalenwerte entweder 10 oder 0" sei - so das LSG - "ein gewisses Augenmaß bei den Prüfern Voraussetzung".

Nach Auffassung der Kammer liegt aber das Problem der Bewertung nicht in erster Linie bei dem im Einzelfall möglicherweise fehlenden "Augenmaß" der Prüfer, sondern bei der grundsätzlich verfehlten Bewertungssystematik der PTVS, die bei den verrichtungsbezogenen Kriterien nur die Noten "sehr gut" oder "mangelhaft" vorsieht. Wenn man sich für eine Bewertungssystematik nach Schulnoten entscheidet, die - wie es in der dem Transparenzbericht beigefügten "Erläuterung zum Bewertungssystem" heißt - "jeder aus seiner eigenen Erfahrung" kennt, kann eine undifferenzierte Wertung nur mit der besten Note " sehr gut" oder der schlechtesten Note "mangelhaft" schlechterdings nicht mehr zulässig sein. Was nützt das feinste Augenmaß, wenn ein "ausreichend", "befriedigend" oder "gut" gar nicht vergeben werden kann ?

Nach alledem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Da der Sach- und Streitstand für eine anderweitige Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, war der Auffangwert festzusetzen.