VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 05.04.2011 - 6z L 193/11
Fundstelle
openJur 2012, 79465
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag hat sowohl mit dem Haupt- wie auch den Hilfsanträgen keinen Erfolg.

Dabei kann offen bleiben, ob der Antrag schon mangels Passivlegitimation der Antragsgegnerin analog § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO unzulässig ist, weil die Antragsgegnerin im allein verfahrensgegenständlichen Auswahlverfahren der Hochschulen gemäß Art. 2 Nr. 2 und Art. 5 Abs. 1 Nr. 2 des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung in der Fassung vom 5. Juni 2008 (StV) und § 10 Abs. 1 der Verordnung über die Vergabe von Studienplätzen durch die Stiftung für Hochschulzulassung (VergabeVO) ausschließlich als "Service-Einrichtung" für die jeweiligen Hochschulen und nicht selbst gegenüber der Antragstellerin tätig wird.

Denn der Antrag ist sowohl hinsichtlich des Haupt- wie auch der Hilfsanträge jedenfalls unbegründet. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund im Sinne von § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht worden sind. Dies ist hier nicht geschehen. Jedenfalls ist ein Anordnungsanspruch hinsichtlich der beantragten bzw. hilfsweise beantragten Beteiligung am Auswahlverfahren der Hochschulen und der hilfsweise begehrten Feststellung, dass die Antragstellerin in diesem Verfahren zu beteiligen ist, nicht glaubhaft gemacht worden.

Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Teilnahme an dem Vergabeverfahren für Studienplätze der Humanmedizin zum Sommersemester 2011, da sie zu dem gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 VergabeVO maßgeblichen Zeitpunkt (15. Januar 2011) noch keine gültige Hochschulzugangsberechtigung erworben hatte. Die der Antragsgegnerin von der Antragstellerin in beglaubigter Abschrift vorgelegte "Zwischenbilanz nach dem Ausbildungsabschnitt 13/1" des B. -F. -Gymnasiums N. vom 23. Dezember 2010 ist keine Hochschulzugangsberechtigung in diesem Sinne.

Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass diese Vorschrift gegen höherrangiges Recht verstoße und deswegen rechtswidrig - gemeint ist insoweit wohl nichtig - sei, folgt die Kammer ihr nicht. Die VergabeVO steht zunächst im Einklang mit dem Staatsvertrag, denn der Begriff der "Qualifikation" in Art. 10 StV meint die erforderliche Hochschulzugangsberechtigung.

Vgl. Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage 2003, Art. 13 Staatsvertrag Rn 4.

Der von der Antragstellerin angeführte Art. 44 Abs. 6 des Bayerischen Hochschulgesetzes (BayHSchG), der eine Teilnahme an "Eignungsprüfungen und Eignungsfeststellungsverfahren" für die Zulassung zum Sommersemester 2011 schon auf der Grundlage der Zeugnisse der Ausbildungsabschnitte 12/1 bis 13/1 ,Dabei kann offen bleiben, ob die VergabeVO nicht schon aufgrund der mit Gesetzeskraft versehenen Bestimmung des Art. 12 Abs. 2 StV, die bestimmt, dass alle diesbezüglichen Rechtsverordnungen der Länder insoweit übereinzustimmen haben, gegenüber Art. 44 Abs. 6 BayHSchG die speziellere Rechtsnorm ist.

Jedenfalls ergibt eine systematische Auslegung des Art. 44 Abs. 6 BayHSchG, dass "Eignungsprüfungen und Eignungsfeststellungsverfahren" in diesem Sinne das Vergabeverfahren nach der VergabeVO nicht einschließen. Der Begriff der Eignungsprüfung erfährt in Art. 44 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz eine Legaldefinition. So ist hiervon die Prüfung der Begabung und Eignung für das Studium an den Kunsthochschulen und entsprechende Studiengänge an anderen Hochschulen umfasst. Abs. 3 der Vorschrift sieht auch für das Studium eines Sportstudienganges neben den allgemeinen Qualifikationsvoraussetzungen den Nachweis der Eignung in einer Eignungsprüfung vor. Die "Eignungsprüfungen" können somit nur in den künstlerischen und den Sportstudiengängen verlangt werden, die hier nicht verfahrensgegenständlich sind.

Der Inhalt des Begriffs des "Eignungsfeststellungsverfahrens" ist ebenfalls aus Art. 44 BayHSchG selbst zu entnehmen, denn der Begriff bezieht sich zusammen mit dem der "Eignungsprüfungen" ausschließlich auf Art. 44 Abs. 1 bis 5 BayHSchG. Dies folgt aus der im Verhältnis zu den Abs. 1 bis 5 ergänzenden Funktion des Abs. 6. Das "Eignungsfeststellungsverfahren" kann durch die Hochschulen zum Nachweis einer - neben der allgemeinen Qualifikation - vorhandenen Eignung gemäß Art. 44 Abs. 4 Satz 1 BayHSchG durchgeführt werden. Bei dem zentralen Vergabeverfahren der Antragsgegnerin und dem Auswahlverfahren der Hochschulen nach der VergabeVO handelt es sich nicht um ein solches Eignungsfeststellungsverfahren, sondern um ein Auswahlverfahren. In der Folge kann Art. 44 Abs. 6 BayHSchG gerade nicht dahingehend verstanden werden, dass eine Teilnahme am Vergabeverfahren für den Studiengang Humanmedizin schon mit der vorgelegten "Zwischenbilanz" ermöglicht werden sollte.

Der Ausschluss der Antragstellerin von dem Vergabeverfahren für Medizinstudienplätze zum Sommersemester 2011 verletzt diese auch nicht in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsgebot.

Eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG kommt in Hinblick auf den Zugang zum Hochschulstudium schon deshalb nicht in Betracht, da ein solches Recht nur solche Personen geltend machen können, die "hochschulreif" sind, also die subjektiven Zulassungsschranken erfüllen.

Hinsichtlich dieses Erfordernisses grundlegend: BVerfG, Urteil vom 18. Juli 1972 - 1 BvL 32/70, 1 BvL 25/71 -, BVerfGE 33, 303 (332).

Dies ist hier aber- wie vorstehend ausgeführt - gerade nicht der Fall. Die Antragstellerin hat mit der "Zwischenbilanz" kein Hochschulreifezeugnis vorgelegt und ist durch den bayerischen Gesetzgeber auf der Stufe des einfachen Rechts jedenfalls im Hinblick auf die Zulassung zum Studium der Humanmedizin auch nicht mit hochschulreifen Bewerbern gleichgestellt worden.

§ 4 Abs. 1 Satz 1 VergabeVO und Art. 44 Abs. 6 BayHSchG in der vorstehenden Auslegung sind auch mit Art. 3 GG vereinbar. Da keines der speziellen Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG betroffen ist, bleibt als Prüfungsmaßstab für die von der Antragstellerin angesprochene Ungleichbehandlung nur der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Bei der Óberprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist allerdings nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste und gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat. Aus Art. 3 Abs. 1 GG ergeben sich dabei je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen.

Vgl. nur BVerfG, Beschlüsse vom 12. Oktober 2010 - 1 BvL 12/07 -, juris, vom 16. September 2009 - 1 BvR 2275/07 -, NVwZ-RR 2009, 985, und vom 7. November 2006 - 1 BvL 10/02 -, BVerfGE 117, 1 (30) mit weiteren Nachweisen; näher zu den verschiedenen Maßstäben das Urteil der Kammer vom 1. Februar 2011 - 6 K 111/10 -, abrufbar unter www.nrwe.de, mit weiteren Nachweisen.

Gemessen an diesen Maßstäben liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht vor. Dabei kann offen bleiben, ob es sich bei Studienbewerbern für im zentralen Vergabeverfahren und dem Auswahlverfahren der Hochschulen nach der VergabeVO zu vergebende Studienplätze und Studienbewerbern, die sich unmittelbar bei einer Hochschule für einen Studiengang bewerben müssen, überhaupt um zwei Gruppen handelt, die einer relevanten gemeinsamen Obergruppe unterfallen und deshalb ungleich im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG behandelt werden können. Denn eine Ungleichbehandlung dieser Studienbewerbergruppen ist jedenfalls gerechtfertigt.

Anders als bei gar nicht oder nur örtlich zulassungsbeschränkten Studiengängen werden die Studienplätze im zentralen Vergabeverfahren bzw. im Auswahlverfahren der Hochschulen nach der VergabeVO in einem komplexen, von einer inneren Abhängigkeit bestimmten und teilweise mehrstufigen Vergabeverfahren vergeben.

Das Erfordernis der Vorlage einer endgültigen Hochschulzugangsberechtigung bei der Antragsgegnerin vor Beginn des eigentlichen Vergabeverfahrens findet seine sachliche Rechtfertigung darin, dass das von der Antragsgegnerin durchzuführende Auswahl- und Verteilungsverfahren erst dann in Gang gesetzt werden kann, wenn sämtliche für die Auswahl und die Verteilung erheblichen Daten aller Bewerber endgültig feststehen. Eine Auswahl und - daran anschließend - die Verteilung auf die Studienorte ist nur möglich, wenn für jeden Bewerber die maßgeblichen Kriterien vorliegen, da sich bei dem einheitlichen Vergabeverfahren jede Entscheidung zugunsten eines Studienbewerbers zwingend zum Nachteil eines anderen Studienbewerbers - sei es hinsichtlich der Zulassung zum Studiengang, sei es hinsichtlich der Ortswahl - auswirkt. Zwischen den Bewerbern muss daher eine genaue Rangfolge hergestellt werden. Würde die Antragstellerin vor Erteilung des Abitur-Zeugnisses aufgrund der von der Schule ausgestellten, ungewichteten "Zwischenbilanz" an dem zentralen Vergabeverfahren der Antragsgegnerin und dem Auswahlverfahren der Hochschule nach der VergabeVO teilnehmen können, würde dies wegen der nachträglich vorzunehmenden Änderungen betreffend die Note der Hochschulzugangsberechtigung zwangsläufig zu ständigen Verschiebungen in der Rangfolge der Bewerber führen, was der Antragsgegnerin wie auch den Hochschulen die - rechtzeitige - Zuteilung der Studienplätze unmöglich machen würde. Denn entgegen den Ausführungen der Antragstellerin weist das Zwischenbilanzzeugnis keine zu erwartende Abitur-Durchschnittsnote aus und kann dies auch nicht. Gerade eine solche Folge wäre aber im Hinblick auf die zuzulassenen Bewerber und die Ermöglichung eines geordneten Studienbeginns im Sommersemester 2011 mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar, zumal die Zeugnisse nach dem Vortrag der Antragstellerin im Freistaat Bayern erst am 2. Mai 2011 und damit nach Beginn des Semesters ausgegeben werden.

Würde man einer solchen nachträglichen Veränderung der Rangfolge dadurch begegnen wollen, dass Studienplätze, die aufgrund einer negativ von der Zwischenbilanz abweichenden Abiturnote der Studienbewerber unbesetzt bleiben müssten, in einem Nachrückverfahren vergeben werden - so der Vorschlag der Antragstellerin -, würden diese frühestens nach der Ausgabe der Abiturzeugnisse Anfang Mai erneut vergeben werden können. Dies hätte aufgrund des zu diesem Zeitpunkt schon begonnenen Semesters zur Folge, dass jedenfalls die überwiegende Zahl der so vakant gebliebenen Studienplätze nicht mehr besetzt werden könnte. Dies wäre aber angesichts der geringen vorhandenen Ausbildungskapazitäten und des erheblichen Bewerberüberhangs ein im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG nicht grundgesetzkonformes Ergebnis.

Schließlich kann sich die Antragstellerin auch nicht erfolgreich darauf berufen, dass sie aufgrund der Aussetzung der Wehrpflicht und des doppelten Abitur-Jahrganges bei der Zulassung zum Wintersemester 2011/2012 stärkerer Konkurrenz ausgesetzt sei. Denn insoweit liegt schon keine Ungleichbehandlung vor. Vielmehr muss sich die Antragstellerin lediglich den gleichen Auswahlgrenzen unterwerfen, die für alle Studienbewerber gelten.

Auch ein Verstoß gegen die Verfassung des Freistaats Bayern (BayVerf) liegt nicht vor. Dabei kann offen bleiben, ob sich die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin überhaupt auf Bestimmungen der bayerischen Verfassung berufen kann. Denn jedenfalls geht die Gewährleistung der Art. 118 Abs. 1 und 128 Abs. 1 BayVerf nicht über den der Art. 3 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG hinaus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und entspricht der ständigen Rechtsprechung der beschließenden Kammer in vergleichbaren Fällen.

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