OLG Köln, Beschluss vom 06.10.1992 - 22 W 25/92
Fundstelle
openJur 2012, 73577
  • Rkr:

Wendet sich der Kläger gegen einen durch notarielle Urkunde geschaffenen Zahlungstitel, dem ein öffentlichrechtliches Rechtsverhältnis zugrunde liegt, aus dem der Kläger die Unwirksamkeit des Titels herleitet, so ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluß des Landgerichts Köln vom 14. Juli 1992 (5 O 101/91), mit dem der Rechtsstreit an das Verwaltungsge-richt verwiesen worden ist, wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger. Die weitere Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Mit notariellem Schuldanerkenntnis vom

29.02.1984 unterwarf sich der aus U. stammende Kläger der

sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen wegen

eines Betrages von 16.750,00 DM zuzüglich Zinsen, den er am Tage

seiner erwarteten Einbürgerung an die Beklagte zahlen sollte. Die

Erklärung diente aus Sicht der Beklagten der Rückführung der

Ausbildungsbeihilfen, die der Kläger Mitte der 70er Jahre von der

Beklagten erhalten hatte, und war von ihr zur Voraussetzung für die

im Jahre 1987 erfolgte Einbürgerung des Klägers gemacht worden. Mit

Schreiben vom 13.03.1992 forderte die Beklagte den Kläger zur

Zahlung des o. g. Betrages bis zum 31.03.1992 auf und drohte die

zwangsweise Einziehung an.

Der Kläger hat darauf hin am 30.03.1992

beim Landgericht Vollstreckungsgegenklage erhoben und desweiteren

beantragt, die Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung

vorläufig einzustellen. Er macht geltend, das von der Beklagten zur

Vorbedingung für seine Einbürgerung gemachte Schuldanerkenntnis

verstoße gegen das im öffentlichen Recht geltende Koppelungsverbot,

denn er habe einen unbedingten Anspruch auf Einbürgerung gehabt.

Das Schuldanerkenntnis sei deshalb nichtig.

Das Landgericht hat den ordentlichen

Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das

Verwaltungsgericht verwiesen. Es hat die Auffassung vertreten,

jedenfalls bei einem Titel der vorliegenden Art sei es nicht

gerechtfertigt, allein auf dessen Rechtsnatur ohne Rücksicht auf

seinen sachlichen Regelungsgehalt abzustellen. Die

Rückzahlungsverpflichtung des Klägers stehe im untrennbaren

Zusammenhang mit seiner Einbürgerung und sei deshalb nach

öffentlichem Recht zu beurteilen.

Gegen diesen ihm am 29.07.1992

zugestellten Beschluß richtet sich die sofortige Beschwerde des

Klägers, die am 12.08.1992 bei Gericht eingegangen ist. Er ist der

Auffassung, bei der Entscheidung über den Rechtsweg sei zum einen

auf die zivilrechtliche Natur des Vollstreckungstitels und zum

anderen auch darauf abzustellen, daß der mit dem Titel geregelte

Anspruch, nämlich die Rückzahlungsverpflichtung, ebenfalls

Zivilrechtlicher Natur sei. Maßgeblich sei auch, daß sich die

Beklagte durch ihr Bestehen auf einem notariellen

Schuldanerkenntnis von den öffentlich- rechtlichen Beziehungen

losgelöst habe und einen neuen, privatrechtlichen Haftungsgrund

habe schaffen wollen.

II.

Die nach § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG in

Verbindung mit § 577 ZPO statthafte und fristgerecht eingelegte

sofortige Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Der Senat

teilt die Auffassung des Landgerichts, daß der vorliegende

Rechtsstreit nach § 40 VWGO den Verwaltungsrechtsweg zuzuweisen

ist.

Nach der herrschenden, sogenannten

modifizierten Sonderrechtstheorie (vgl. Kopp, VWGEO, 9. Aufl. 1992,

Rn 11 zu § 40) liegt eine öffentlich- rechtliche Streitigkeit vor,

wenn aus der streitentscheidenden Norm allein ein Rechtsträger

öffentlicher Gewalt berechtigt oder verpflichtet wird. Bei Klagen

auf der Grundlage schuldrechtlicher Verträge erfolgt die Abgrenzung

nach dem Gegenstand und Zweck des Rechtsgeschäfts, d. h. danach, ob

die von den Beteiligten getroffene Regelung einen vom bürgerlichen

Recht oder vom öffentlichen Recht geordneten Sachbereich

betrifft.

Liegt dagegen ein Titel vor, wird

vertreten, daß sich der Rechtsweg für das Vollstreckungsverfahren

grundsätzlich nach der Rechtsnatur des Titels richtet, aus dem die

Zwangsvollstreckung betrieben wird, gleichgültig, ob der zu

vollstreckende Anspruch dem öffentlichen oder dem bürgerlichen

Recht zuzuordnen ist (so OVG Münster, NJW 84, 2484; VGH München,

NJW 83, 1992). Danach wäre gegen das vorliegende notarielle

Schuldanerkenntnis die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO i.

V. m. §§ 795, 794 Nr. 5 ZPO gegeben. Der Senat ist jedoch der

Auffassung, daß im vorliegenden Fall die rein formale Anknüpfung an

die Rechtsnatur des Titels nicht ausschlaggebend sein kann.

Bei dem vorliegenden Rechtsstreit geht

es im Kern um die materiell- rechtliche Frage, ob die Beklagte die

Einbürgerung des Klägers von der Abgabe eines auf Rückzahlung von

Ausbildungsbeihilfe gerichteten Schuldanerkenntnisses abhängig

machen durfte. Streitentscheidend ist dabei, ob das

Schuldanerkenntnis deshalb nichtig ist, weil der Kläger einen

Anspruch auf Einbürgerung nach den Vorschriften des Rechs- und

Staatsangehörigkeitsgesetzes gehabt haben könnte und die Beklagte

deswegen gegen das im § 56 VerwVG enthaltene Koppellungsverbot

verstoßen habe. Das notarielle Schuldanerkenntnis diente aus Sicht

der Parteien der Regelung der Einbürgerung des Klägers. Der BGH hat

im Urteil vom 10.12.1987 ausgesprochen, daß Ansprüche aus einem

Schuldanerkenntnis dem Verwaltungsrechtsweg zugewiesen sind, soweit

das Schuldanerkenntnis an die Stelle einer sonst möglichen Regelung

druch Verwaltungsakt getreten ist (BGHZ 102, 343). Diese

Entscheidung betraf indes eine unmittelbar auf dem (nicht notariell

beurkundeten) Schuldanerkenntnis beruhende Zahlungsklage, während

es vorliegend um die Abwehr der Zwangsvollstreckung aus einem

zivilrechtlichen Titel in Form einer notariellen Urkunde geht. In

dieser Konstellation hat der BGH - soweit ersichtlich - die

Rechtswegfrage bisher noch nicht entschieden. Das Kriterium der

Sachnähe, auf das der GBH (a.a.O.) abgestellt hat, greife jedoch

auch im vorliegenden Fall durch. Dabei wird nicht verkannt, daß in

den Fällen der Vollstreckungsabwehrklage gegen die

Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde die rein formale

Anknüpfung an den Titel eine einfache Lösung der Rechtswegfrage

wäre. Gleichwohl vermag der Senat dieser Auffassung für den

vorliegenden Fall nicht zu folgen. Denn die

Vollstreckungsabwehrklage unterscheidet sich von den übrigen

vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln

maßgeblich dadurch, daß materiell- rechtliche Einwendungen

ausdrücklich zugelassen werden. Diese Klageart steht damit dem

Erkenntnisverfahren sehr nahe, sie stellt praktisch die Fortsetzung

des Erkenntnisverfahrens dar. Dem trägt die Zivilprozeßordnung

Rechnung, in dem sie nicht das Vollstreckungsgericht, sondern das

Prozeßgericht für zuständig erklärt (§ 767 Abs. 1 ZPO). Das

Prozeßgericht gilt somit von Gesetzeswegen als dasjenige Gericht,

das die größere Sachnähe besitzt und deshalb zur Entscheidung über

die materiellen Einwendungen gegenüber dem titulierten Anspruch

berufen ist. Der Sachnähe kommt bei der Abgrenzung der Rechtswege

besondere Bedeutung zu (BGH a. a. O., Seite 347). Die größere

Sachnähe und nicht die abstrakte Natur des Titels sollte nach

Auffassung des Senats auch für den Rechtsweg der

Vollstreckungsabwehrklage gegenüber der Zwangsvollstreckung aus

notariellen Urkunden maßgeblich sein. Da sich der vorliegende

Rechtsstreit - wie dargestellt - in seinem Kern an öffentlich-

rechtlichen Normen entscheiden wird, hält der Senat deshalb mit dem

Landgericht die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts für

gegeben.

Damit ist dem Beschwerdeführer entgegen

dessen Ansicht die Möglichkeit einer Abwehr der

Zwangsvollstreckung nicht genommen. Er kann sich mit der

Feststellungsklage auch im Verwaltungsrechtsweg gegen die

Zwangsvollstreckung wehren und ggfs. auch dort vorläufigen

Rechtsschutz bewirken.

Ob der Senat unabhängig von der Frage

des Rechtsweges in Anwendung von § 769 ZPO jetzt schon eine

Entscheidung über eine vorläufig Einstellung der

Zwangsvollstreckung treffen könnte, kann offenbleiben, weil

zumindest seit Erhebung der Vollstrekkungsgegenklage keine

Anhaltspunkte mehr dafür bestehen, daß dem Kläger konkrete

Vollstreckungsmaß-nahmen drohen.

Die sofortige Beschwerde war deshalb

mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

Der Senat hat die weitere Beschwerde

nach § 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG zugelassen, weil die hier zur

Entscheidung stehende Frage des Rechtsweges von grundsätzlicher

Bedeutung erscheint. Diese Zulassung der weiteren Beschwerde ist

nicht an eine neue Beschwer im Sinne von § 568 Abs. 2 Satz 2 ZPO

gebunden, denn § 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG stellt eine spezielle

Regelung für die Zulassung dar, (vgl. Zöller-Gummer, § 17 a GVG, Rn

16; Thomas/Putzo, § 17 a GVG Anm. 5 b). Der nicht näher begründeten

anderweitigen Auffassung (Baumbach/Lauterbach/Albert/Hartmann, §

17 a GVG, Anm. Cb) folgt der Senat nicht.

Beschwerdewert: 16.750,00 DM

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte