OLG München, Beschluss vom 06.09.2010 - 5 W 1997/10
Fundstelle
openJur 2012, 110811
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 12.07.2010 aufgehoben.

2. Dem Antragsteller wird mit Wirkung ab Antragstellung für die erste Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und die Rechtsanwaltskanzlei S. als Prozessbevollmächtigte beigeordnet.

Gründe

I.

Ausweislich seines Antrags vom 03.05.2010 begehrt der Antragsteller Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der ausweislich des Klageentwurfs gleichen Datums im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung eines Immobilienerwerbs herbeigeführt werden soll. Hierzu trägt der Antragsteller u.a. vor, er habe 1997 aufgrund einer Empfehlung der Firma S. und aufgrund eines überreichten Prospektes der Firma a. GmbH eine Eigentumswohnung zum Preis von 161.905,00 DM in Gera erworben. Dieser Erwerb sei durch die Rechtsvorgängerin der künftigen Beklagten (fortan: Beklagte) mit dem Darlehensvertrag gemäß Anlage K 2, womit dem Antragsteller durch die Beklagte ein Darlehen über 163.500,00 DM gewährt worden sei, finanziert worden. Die Beklagte sei systematisch in den Vertrieb der 12 in dem Objekt belegenen Eigentumswohnungen (darunter diejenige des Antragstellers) involviert gewesen. Die Beklagte habe mit der Vermittlerfirma institutionalisiert zusammengearbeitet. Der Kaufpreis der Wohnung sei „weit überteuert“ gewesen. Unter Zugrundelegung der tatsächlichen Mieterträge errechne sich ein Verkehrswert für die Wohnung von 26.000,00 €. Das krasse Missverhältnis zwischen diesem Wert und dem Kaufpreis (82.300,00 €) sei der Beklagten bekannt gewesen. Sie habe den Antragsteller aber pflichtwidrig nicht auf das Missverhältnis hingewiesen. Im Rahmen der Beschwerdebegründung hat der Antragsteller außerdem vorgetragen, er sei von dem Vertriebsmitarbeiter hinsichtlich der erzielbaren Miete arglistig getäuscht worden. In den Berechnungen der Vertriebsfirma sei mit einem Anfangsmietwert von 532,00 DM gerechnet worden, was einem Mietpreis von 11,00 DM pro Quadratmeter entspreche. Tatsächlich sei der Wohnraum im Jahr 1997 für höchstens 7,00 bis 8,00 DM pro Quadratmeter zu vermieten gewesen.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 12.07.2010, zugestellt am 29.07.2010, hat das Landgericht die begehrte Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht verweigert. Der hiergegen gerichteten, am 16. August 2010 eingegangenen sofortigen Beschwerde des Antragstellers hat das Landgericht mit Beschluss vom 23.08.2010 nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 127 Abs. 2 Satz 3, 569 Abs. 1 ZPO); sie ist auch begründet. Nach dem derzeitigen beiderseitigen Vorbringen kann die Erfolgsaussicht der Klage nicht mit der für die Verweigerung der Prozesskostenhilfe erforderlichen Sicherheit verneint werden.

1.

Nach dem unbestritten gebliebenen Vorbringen des Antragstellers hat dieser die streitgegenständliche Eigentumswohnung in Gera „zum Zwecke der Steuerersparnis“ erworben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine kreditgebende Bank (hier unstreitig: die Beklagte) bei steuersparenden Modellen zur Risikoaufklärung über das finanzierte Geschäft nur unter ganz besonderen Voraussetzungen verpflichtet. Sie darf regelmäßig davon ausgehen, dass die Kunden entweder über die notwendigen Kenntnisse oder Erfahrungen verfügen oder sich jedenfalls der Hilfe von Fachleuten bedient haben. Aufklärungs- und Hinweispflichten, wie sie hier der Antragsteller geltend macht, können sich daher nur aus den besonderen Umständen des konkreten Einzelfalls hinsichtlich des finanzierten Geschäfts ergeben. Dies kann u.a. der Fall sein, wenn die Bank in Bezug auf spezielle Risiken des Vorhabens einen konkreten Wissensvorsprung vor dem Darlehensnehmer hat und dies auch erkennen kann (BGH, Urteil vom 23.10.2007 - XI ZR 167/05, WM 2008, 154 Rdnr. 21). Dies gilt insbesondere auch für den Fall, dass der Anleger durch unrichtige Angaben der Vermittler oder Verkäufer über das Anlageobjekt arglistig getäuscht wurde. Die Kenntnis der Bank von einer solchen arglistigen Täuschung wird widerleglich vermutet, wenn Verkäufer oder Vermittler und die finanzierende Bank in institutionalisierter Art und Weise zusammenwirken und wenn die Unrichtigkeit der erfolgten Angaben nach den Umständen des Falles objektiv evident ist, so dass sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufdrängt, die Bank habe sich der Kenntnis der arglistigen Täuschung geradezu verschlossen (BGH a.a.O., Rdnr. 21; siehe hierzu auch grundlegend BGHZ 168, 1 ff.).

a) Ein institutionalisiertes Zusammenwirken der Beklagten mit dem Vertrieb hat der Antragsteller in seinem Klageentwurf hinreichend dargestellt, indem er ausgeführt hat, dass die Firma S. sowohl den Erwerb der Eigentumswohnung durch den Antragsteller als auch die Finanzierung durch die Beklagte vermittelt habe. Insbesondere habe die Beklagte der S. die entsprechenden Formulare zur Verfügung gestellt, der Darlehensantrag sei in den Geschäftsräumen der Vermittler unterzeichnet worden, und die Beklagte habe den Erwerb von mindestens drei von zwölf Eigentumswohnungen, womöglich sogar aller 12 Wohnungen, in dem streitgegenständlichen Objekt finanziert. In ihrer Stellungnahme zum Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers hat die künftige Beklagte die tatbestandlichen Voraussetzungen eines institutionalisierten Zusammenwirkens nicht bestritten, sondern im Gegenteil deren Vorliegen für die weiteren Ausführungen zur Begründetheit der Klage sogar unterstellt.

6b) Zu Recht hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung darauf abgestellt, dass trotz der verfahrensmäßigen Erleichterungen beim Nachweis des Wissensvorsprungs der Bank zu Gunsten des Anlegers, die seit BGHZ 168, 1 ff., Bestandteil der ständigen Rechtsprechung sind, der Anleger gleichwohl eine arglistige Täuschung des Vertriebs vorzutragen hat. Weder Evidenz noch institutionalisiertes Zusammenwirken ersetzen das Tatbestandserfordernis der arglistigen Täuschung durch den Vertrieb (BGH, Urteil vom 23.10.2007, a.a.O., Rn. 16 aE; Beschluss vom 23.09.2008 - XI ZR 301/07).

c) Diese Vortrag ist aber jedenfalls mit der Beschwerdebegründung in noch hinreichender Art und Weise gehalten worden. Diesbezüglich hat der Antragsteller nämlich vorgebracht, in den Berechnungen der Vertriebsfirma, die zum Gegenstand der Verkaufsgespräche gemacht wurden, sei eine anfängliche Kaltmiete von 532,00 DM zugrunde gelegt worden (s. hierzu Anlage K 6, Bl. 1, Ziffer 1). Dies entspricht umgerechnet auf die unstreitige Fläche der Eigentumswohnung von 48,33 m² (s. Anlage K 1 S. 5) einer Quadratmetermiete von 11,00 DM/Monat. Unter - prozessual ausreichendem - Beweisantritt durch Angebot eines Sachverständigengutachtens hat der Antragsteller des Weiteren vorgetragen, dass der Wohnraum tatsächlich in Gera im Jahr 1997 „für höchstens 7,00 DM bis 8,00 DM pro Quadratmeter zu vermieten“ gewesen sei (Bl. 16 d.A.). Ausgehend von einem Mittelwert von 7,50 DM hätte somit der Vertrieb eine gegenüber dem tatsächlich erzielbaren Mieterlös um 46,66 % überhöhte Kalkulation zugrunde gelegt. Hiernach wäre die Unrichtigkeit der Angabe des Vermittlers evident (vgl. BGHZ 168, 1 ff., Rdnr. 57: Evidenz bejaht bei 46 %).

8d) Gleichzeitig ist - für das PKH-Verfahren - diesbezüglich von arglistigem Handeln des Vertriebs auszugehen. Hierfür ist nämlich nicht eine Täuschungsabsicht erforderlich; vielmehr genügt es, wenn der Vermittler unrichtige Behauptungen ins Blaue hinein aufstellt (BGH, Urteil vom 01.07.2008 - XI ZR 411/06, WM 2008, 1596, Rn. 24). Hinsichtlich der prospektierten Miete handelt es sich auch nicht lediglich um eine unverbindliche optimistische Prognose für die Zukunft, auf deren Unrichtigkeit ein Schadensersatzanspruch deshalb nicht gestützt werden könnte (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.05.2010 - 17 U 60/09, WM 2010, 1408, juris Rn. 22). Vielmehr war ausweislich der Anlage K 6 die prospektierte Miete von mindestens 532,- DM/Monat Bestandteil einer detaillierten, insbesondere die Auswirkungen der Investition auf die steuerliche Situation des Antragstellers darstellenden mehrseitigen "Berechnung einer Immobilieninvestition". Anhaltspunkte dafür, dass die - für das PKH-Verfahren zu unterstellende - objektive Fehlinformation des Antragsstellers durch den Vertrieb zumindest vertretbar gewesen wäre (OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 42), hat die Beklagte nicht aufgezeigt und ist auch sonst nicht zutage getreten.

e) Im Ergebnis ist daher aufgrund der groben Unrichtigkeit der kalkulierten Miete von einer arglistigen Täuschung seitens des Vertriebs und aufgrund des institutionalisierten Zusammenwirkens des Vertriebs mit der Beklagten von deren - widerlegbar vermuteter - Kenntnis auszugehen. Auf die Frage der Sittenwidrigkeit des Kaufpreises im Hinblick auf dessen Verhältnis zu dem Ertragswert oder Vergleichswert der Wohnung kommt es demgegenüber jedenfalls im derzeitigen Verfahrensstadium nicht an.

f) Es ist somit - nach dem Vortrag des Antragstellers - von einem aufklärungspflichtigen Wissensvorsprung der Beklagten über eine vom Vertrieb begangene arglistige Täuschung auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom 03.06.2008 - XI ZR 319/06, WM 2008, 1346, Rdnr. 12), so dass eine Schadensersatzpflicht der Beklagten nach der im Prozesskostenhilfeverfahren vorzunehmenden lediglich summarischen Prüfung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit in Betracht kommt. Antragsgemäß war daher dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für die erste Instanz mit Wirkung ab Antragstellung zu bewilligen.

2.

Die Anordnung von Ratenzahlungen kommt nicht in Betracht (...).