LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24.01.2012 - 5 Sa 153/11
Fundstelle
openJur 2012, 69786
  • Rkr:

1. Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Die Vorschrift des § 242 BGB ist auf Kündigungen neben § 1 KSchG allerdings nur in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht, abschließend geregelt. Umstände, die im Rahmen des § 1 KSchG zu würdigen sind und die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt erscheinen lassen, kommen als Verstöße gegen Treu und Glauben grundsätzlich nicht in Betracht. Eine Kündigung verstößt vielmehr nur dann gegen § 242 BGB und ist nichtig, wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt. Typische Tatbestände der treuwidrigen Kündigung sind insbesondere ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers, der Ausspruch einer Kündigung zur Unzeit oder in ehrverletzender Form und eine Kündigung, die den Arbeitnehmer dis-kriminiert. (BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 15/00 - BAGE 97, 92 = AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung = DB 2001, 1677).2. Ist das Arbeitsverhältnis durch eine lang anhaltende Krankheit des Arbeitnehmers mit ungewissem Zeitpunkt der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit belastet, stößt eine deshalb ausgesprochene Kündigung nicht gegen § 242 BGB. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber gleichzeitig für die Arbeitsaufgabe des gekündigten Arbeitnehmers eine Ersatzkraft unbefristet einstellt.

Tenor

1. Die Berufung wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wehrt sich gegen eine Kündigung und begehrt Beschäftigung.

Der zum Zeitpunkt der Kündigung 56 Jahre alte Kläger arbeitete seit Juni 1989 als Maurer und Fliesenleger bei Unternehmen, die ihren Sitz dort haben, wo die Beklagte ihren Sitz hat, und zwar zunächst beim Maurermeister K.. Danach arbeitete der Kläger bei der Baugeschäft GmbH K. und sodann beim Ehemann der Beklagten, der im Oktober 2006 Insolvenz anmelden musste. Seit November 2006 hat der Kläger einen Arbeitsvertrag mit der Beklagten. In den letzten Jahren war der Kläger ausschließlich als Fliesenleger beschäftigt worden. Er ist der einzige Fliesenleger im Betrieb der Beklagten. Der Kläger hat zuletzt rund 2.300,00 Euro brutto monatlich verdient. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig – einschließlich des Klägers – nur vier Arbeitnehmer.

Der Kläger erlitt am 19. Mai 2010 einen schweren Bandscheibenvorfall und war danach arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Arbeitsunfähigkeit hat bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht angehalten. Allerdings hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung geschildert, dass ihm ärztlicherseits Hoffnung gemacht wurde, dass die Arbeitsunfähigkeit alsbald überwunden werden könne.

Die Beklagte hat wegen des krankheitsbedingten Ausfalls des Klägers eine neue wesentlich jüngere Hilfskraft eingestellt, die wie der Kläger in der Lage ist, die Fliesenlegerarbeiten zu übernehmen. Weil die Beklagte mit der Arbeitsleistung dieser Hilfskraft sehr zufrieden ist, gehört sie inzwischen zum Stammpersonal.

Die Beklagte trägt vor, sie müsse sich vom Kläger trennen, da der kleine Betrieb es nicht ermögliche, zwei Fliesenleger zu beschäftigen. Die Trennung müsse auch jetzt während der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit erfolgen, um unproduktive Doppelzahlungen an zwei Fliesenleger nach Wiedergenesung des Klägers zu vermeiden.

Mit Schreiben vom 13. November 2010, dem Kläger zugegangen am 18. November 2010, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis zum 19. November 2010. Diese Kündigung greift der Kläger mit am 23. November 2010 beim Arbeitsgericht eingegangener Klage an.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Schlussurteil vom 12. Mai 2011 teilweise stattgegeben. Auf den Kündigungsschutzantrag hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis jedenfalls bis zum 30. Juni 2011 fortbestehen wird. Im Übrigen hat es die Klage als unbegründet abgewiesen. Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

Mit der rechtzeitig eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren unverändert weiter. Soweit die Beklagte durch das Urteil beschwert ist, ist es in Rechtskraft erwachsen.

Der Kläger behauptet, er könne nach Genesung wieder arbeiten. Er ist der Ansicht, die Kündigung wahre nicht das Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme, das bei Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes erforderlich sei, weshalb die Kündigung unwirksam sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß und unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils soweit er dadurch beschwert ist

1.

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auf Grund ordentlicher Kündigung der Beklagten vom 13.11.2010 weder am 29.11.2010 noch am 30.06.2011 geendet hat.

2.

Die Beklagte zu verurteilen, den Kläger sowohl über den 29.11.2010 als auch über den 30.06.2011 hinaus zu unveränderten Bedingungen als Maurer und Fliesenleger weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil mit Rechtsargumenten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Gründe

Die klägerische Berufung gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 12. Mai 2011 (3 Ca 2259/10) ist nicht begründet. Zutreffend hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der maßgeblichen Kündigungsfrist geendet hat, da auf das Arbeitsverhältnis der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) keine Anwendung findet und die Kündigung auch im Übrigen keinen Bedenken begegnet. Das Berufungsgericht macht sich die Begründung des Arbeitsgerichts zu Eigen. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.

1.

Es muss offen bleiben, ob die streitgegenständliche Kündigung nach dem Maßstab von § 1 KSchG sozial gerechtfertigt wäre, denn diese Vorschrift findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen der Anzahl der bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer keine Anwendung.

§ 1 KSchG gehört zum Ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes. Nach § 23 Absatz 1 KSchG findet der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes keine Anwendung auf Arbeitsverhältnisse in Betrieben, in denen nicht mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Das trifft auf die Beklagte zu. Nach einer Übergangsregelung in § 23 Absatz 1 KSchG kann es für die Anwendung des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes ausreichen, wenn mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt sind und diese Arbeitnehmer zum Stichtag am 31. Dezember 2003 bereits zusammen gearbeitet haben. Da die Beklagte regelmäßig nur vier Arbeitnehmer beschäftigt, kann auch diese Übergangsregelung hier keine Anwendung finden.

2.

Die Kündigung ist auch nicht aus anderen Gründen unwirksam.

a)

Auch bei Arbeitsverhältnissen, die nicht dem Schutz von § 1 KSchG unterliegen, muss der Arbeitgeber bei seiner Kündigung die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) beachten.

Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Die Vorschrift des § 242 BGB ist auf Kündigungen neben § 1 KSchG allerdings nur in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht, abschließend geregelt. Umstände, die im Rahmen des § 1 KSchG zu würdigen sind und die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt erscheinen lassen, kommen als Verstöße gegen Treu und Glauben grundsätzlich nicht in Betracht. Eine Kündigung verstößt vielmehr nur dann gegen § 242 BGB und ist nichtig, wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt. Typische Tatbestände der treuwidrigen Kündigung sind insbesondere ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers, der Ausspruch einer Kündigung zur Unzeit oder in ehrverletzender Form und eine Kündigung, die den Arbeitnehmer diskriminiert. (BAG 21. Februar 2001 – 2 AZR 15/00BAGE 97, 92 = AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung = DB 2001, 1677).

Nach diesem Maßstab verstößt die streitgegenständliche Kündigung nicht gegen von Treu und Glauben.

Es ist im Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu einer Funktionsstörung gekommen, deren Ende zum Zeitpunkt der Kündigung nicht absehbar war. Es hat Gespräche zwischen den Parteien gegeben und der Kläger konnte keine Hinweise auf eine baldige Genesung geben. Da der Kläger der einzige Arbeitnehmer bei der Beklagten war, der Fliesenlegerarbeiten übernommen hat, bestand auf Seiten der Beklagten ein gewisser Handlungsdruck. Selbst nach dem Maßstab, der sich aus § 1 KSchG für krankheitsbedingte Kündigungen ergibt, liegt im Streitfall ein Sachverhalt vor, der grundsätzlich geeignet ist, auch eine krankheitsbedingte Kündigung im Sinne von § 1 KSchG zu rechtfertigen. Daher kann die Kündigung nicht treuwidrig sein.

Auch wenn man darauf abstellt, dass die Kündigung nicht allein wegen des Ausfalls des Klägers ausgesprochen wurde, sondern auch wegen der erfolgreichen Wiederbesetzung der Stelle des Klägers durch einen jüngeren Arbeitnehmer, kann ein Verstoß gegen § 242 BGB nicht festgestellt werden.

Wenn einer Kündigung außerhalb der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes eine Auswahlentscheidung des Arbeitgebers zwischen verschiedenen Arbeitnehmern zu Grunde liegt, gehen die Bindungen aus § 242 BGB ein Stück weiter. Denn so weit unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen ist, gebietet der verfassungsrechtliche Schutz des Arbeitsplatzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip stets auch ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme und es darf auch ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben Der Arbeitgeber muss seine einzelne Arbeitnehmer belastende Auswahlentscheidung nach vernünftigen, sachlichen, billiges Ermessen wahrenden Gesichtspunkten treffen (BAG 21. Februar 2001 aaO).

Legt man diesen Maßstab an, verstößt die Kündigung dennoch nicht gegen Treu und Glauben. Das Bundesarbeitsgericht hat keinen absoluten Schutz des sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmers vorgeschrieben, vielmehr verlangt es nur, dass die soziale Schutzbedürftigkeit mit dem ihr eigenen Gewicht in die notwendige Abwägung mit einfließt. Also müssen die beim Kläger zweifellos aufgrund der anrechenbaren Betriebszugehörigkeit seit 1989 gegebene soziale Schutzbedürftigkeit und die betrieblichen Interessen an der Fortbeschäftigung der neu eingestellten Hilfskraft gegeneinander abgewogen werden.

Nach Überzeugung des Berufungsgerichts kommt insoweit der fehlenden positiven Prognose hinsichtlich der Wiedergenesung des Klägers die fallentscheidende Bedeutung zu. Zum Zeitpunkt der Kündigung konnte und durfte die Beklagte aufgrund der 6monatigen Ausfallzeit und ihrer Kenntnisse von dem Leiden des Klägers davon ausgehen, dass mit einer alsbaldigen Wiedergenesung nicht zu rechnen ist. Möglicherweise musste sie sogar damit rechnen, dass das Arbeitsverhältnis nie wieder zum beiderseitigen Nutzen gewinnbringend durchgeführt werden kann. Die Kündigung beruht daher nicht allein auf der Auswahl zwischen zwei Arbeitnehmern, die beide in vergleichbarer Weise den betrieblichen Zwecken dienen könnten, sondern sie ist einem Mix aus einer Auswahlentscheidung und aus einem betrieblichen Handlungszwang geschuldet. In dieser Situation verstößt es nicht gegen Treu und Glauben, die Entscheidung zu Lasten des Klägers zu fällen.

b)

Die Kündigung verstößt auch nicht gegen die guten Sitten im Sinne von § 138 BGB.

Die Kündigung, die als eine auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtete Willenserklärung ihrem Inhalt nach wertfrei ist, kann mit Rücksicht auf ihr Motiv und ihren Zweck gleichwohl sittenwidrig sein. An die Sittenwidrigkeit einer Kündigung sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen. Nicht jede Kündigung, die im Falle der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes im Sinne des § 1 KSchG als nicht sozial gerechtfertigt beurteilt werden müsste, ist deshalb schon sittenwidrig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Kündigung vielmehr erst dann sittenwidrig, wenn sie auf einem verwerflichen Motiv des Kündigenden beruht, wie insbesondere Rachsucht oder Vergeltung, oder wenn sie aus anderen Gründen dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Darlegungs- und beweispflichtig für die tatsächlichen Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit der vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung ist der Arbeitnehmer (BAG 16. Februar 1989 – 2 AZR 347/88BAGE 61, 151 = AP Nr. 46 zu § 138 BGB = DB 1989, 2382).

Nach diesem Maßstab verstößt die streitgegenständliche Kündigung nicht gegen die guten Sitten.

Eine mehrere Monate währende auf Krankheit beruhende Arbeitsunfähigkeit von nicht absehbarer Dauer ist selbst im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes an sich geeignet, einen Kündigungsgrund abzugeben; ob sie die konkrete Kündigung sozial rechtfertigt, hängt dann allerdings von den weiteren Voraussetzungen für eine Kündigung wegen langanhaltender Krankheit gemäß § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG ab. Geht der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung von einem solchen Grundtatbestand aus, dessen Ende noch nicht absehbar war, so verstößt die Kündigung auch bei Anlegung eines objektiven Wertmaßstabes nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Der Arbeitgeber macht hier von einem Recht Gebrauch, das ihm dem Grunde nach selbst bei Geltung des Kündigungsschutzgesetzes zustehen würde.

3.

Auch der Klageantrag zu 2. ist nicht begründet. Da das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet ist, besteht kein Anspruch auf Weiterbeschäftigung.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen, da sein Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist (§ 97 ZPO).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG sind nicht gegeben.