LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 23.05.2008 - 14 T 2925/08
Fundstelle
openJur 2012, 92210
  • Rkr:
Tenor

I. Der Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 14.03.2008, 11 C 308/08 wird abgeändert:

Der Streitwert wird auf 7.403,67 € festgesetzt.

II. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Mit Schreiben vom 26.01.2008, bei dem Amtsgericht Regensburg eingegangen am selben Tag (einem Samstag) stellten die Kläger persönlich „Antrag zur Ungültigkeitserklärung“ und erhoben „Beschlussanfechtung“ gegen die übrigen Miteigentümer der Wohnungseigentümergemeinschaft „…“ sowie gegen den Verwalter. Dabei stellten sie den „Antrag auf Ungültigkeitserklärung der am 27.12.2008 gefassten Beschlüsse, soweit diese nicht einstimmig gefasst wurden.“ Mit anwaltlicher Klageschrift vom 28.01.2008 (Montag) erhoben die Kläger Klage gegen die Beklagten und beantragten:

Die Beschlüsse der Wohnungseigentümerversammlung vom 27.12.2007 zum Tagesordnungspunkt

-  TOP 4(Beschluss über die geänderte Hausgeldabrechnung 2004/2005)-TOP 5(Beschluss über die Hausgeldabrechnung 2006)-TOP 6(Beschluss über den Wirtschaftsplan 2008)-TOP 7(Beschluss über die Beseitigung der Laaberbrücke gem. Beseitigungsaufforderung des Wasserwirtschaftamtes)-TOP 8(Beschluss über die Nutzungsordnung der Steinterrasse)-TOP 9(Beschluss über den Einbau eines Dachfensters auf der westlichen Dachfläche der Einheit 6 bzw. 3)-TOP 10(Beschluss über die Instandsetzung bzw. den Austausch der im gemeinschaftlichen Eigentum befindlichen Satellitenempfangsantenne am mittleren Kamin)-TOP 11  (Beschluss über die Untersuchung der Gebäudeabsenkung im westlichen Bereich evtl. mit Beschluss einer Sonderumlage in Höhe von 2.000,00 €)werden für ungültig erklärt.

Zugleich gaben sie an, dass das Protokoll der Versammlung vom 27.12.2007 noch nicht vorliege und beantragten zugleich die Frist zur Klagebegründung bis 14.03.2008 zu verlängern. In dieser Klageschrift wurde der „vorläufige Streitwert“ mit 5.000,00 € angegeben; am 6.2.2008 zahlten die Kläger dementsprechenden Kostenvorschuss bei der Landesjustizkasse ein. Mit Verfügung vom 30.01.2008 wies das Amtsgerichts Regensburg die Klägervertreter darauf hin, dass eine Streitwertfestsetzung derzeit nicht möglich sei, da hierzu Angaben fehlten, insbesondere zum Volumen der Jahresabschlüsse und des Wirtschaftsplans. Mit Schriftsatz vom 27.02.2008 begründeten die Kläger ihre Beschlussanfechtungsklage und beschränkten zugleich unter Klagerücknahme im Übrigen die Beschlussanfechtung auf die Beschlüsse zu den TOP 4, 5, 8, 9 und 10. Das Amtsgericht Regensburg verfügte daraufhin unter dem 04.03.2008 einen weiteren Hinweis an die Klägervertreter, wonach eine Streitwertfestsetzung nicht möglich sei. Weiter führte das Amtsgericht aus: „Solange dem Gericht die erforderlichen Unterlagen, nämlich die, zu denen die Beschlussfassungen erfolgten, nicht vorgelegt werden, kann eine solche nicht erfolgen. Bis zu diesem Zeitpunkt wird auch eine Klagezustellung nicht vorgenommen.“

Nachdem die Kläger am 11.03.2008 einige Unterlagen beigebracht hatten, erließ das Amtsgericht Regensburg folgenden, hier angefochtenen Beschluss:

Der grundsätzliche Streitwert setzt sich zusammen aus 4 mal 12.673,00 € jeweils für die Jahresabrechnungen und den Wirtschaftsplan, jeweils 5.000,00 € für die TOPs 7-10 und 2.000,00 € für TOP 11. Er beläuft sich damit auf 72.692,00 €.

Die Begrenzung auf das fünffache Eigeninteresse der Kläger gemäß § 49a GKG korrigiert den Streitwert auf 55.811,00 € (2.599,00 € mal 5 mal 3 plus 217,00 € mal 12 mal 5 plus 4 mal 865,00 € plus 346,00 €).

Zugleich forderte es die Kläger auf, die Differenz zwischen den daraus errech-neten Gerichtskosten und den bereits am 06.02.2008 eingezahlten 363,- € als Vorschuss an die Gerichtskasse einzuzahlen. Eine entsprechende Aufforderung zur Bezahlung des Restbetrages von 1.305,00 € erging unter dem 17.03.2008.

Gegen den Beschluss errichtet sich die Streitwertbeschwerde vom 26.03.2008, bei Gericht eingegangen am Folgetag. Das Amtsgericht half der Streitwert-beschwerde nicht ab. Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 68 I, 63 III 2 GKG). Sie ist auch begründet. Der Streitwert ist auf 7.403,67 € festzusetzen. Für die Streitwertberechnung gilt dabei Folgendes:

TOP 4

13Der Streitwert für die Anfechtung des Beschlusses zu TOP 4 ist bei 903,67 € festzusetzen. Aus den vorgelegten Anlagen ergibt sich, dass die Jahresabrechnung 2004 (Anlage K 9) ein Gesamtvolumen hinsichtlich angefallener und abzurechnender Kosten von 4.693,53 € aufweist; die Jahresabrechnung 2005 (Anlage K 8) weist ein Gesamtkostenvolumen von 4.343,25 € auf, insgesamt also 9.036,78 €. Gemäß § 49a I 1 GKG ist der Streitwert – jedenfalls zunächst einmal – auf 50% des Interesses der Parteien und aller Beigeladener an der Entscheidung festzusetzen. Dieser Ausgangspunkt entspricht der früheren Regelung in § 48 III 1 WEG a.F. Die hierzu ergangene Rechtsprechung kann daher nach Auffassung der Kammer weiterhin herangezogen werden. Danach wurde das Interesse mit einem Bruchteil des Volumens des Wirtschaftplans oder der Abrechnung bewertet, regelmäßig mit einem Wert von 20-25% (vgl. etwa KG NJW-RR 2004, 878; BayObLG WuM 1995, 451; weitere Nachweise bei Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9.A, § 48 Rn 22 Fn 9). In den Gesetzgebungsmaterialien zu § 49a GKG wird diese Rechtsprechung, die dem Gesetzgeber bekannt gewesen sein wird, an keiner Stelle problematisiert (BT-Dr 16/887 = NZM 2006, 401, vgl. insbesondere S. 425, 432 und 446). Auch daher ergeben sich also keine Einwände, auf die frühere Rechtsprechung zurückzugreifen (im Ergebnis ebenso Suilmann, in: Jennißen, WEG, § 49a GKG Rn 16). Nachdem § 49a I 1 GKG dieses Gesamtinteresse aller Parteien auf 50% begrenzt, wird man bei Anfechtungen von Jahresabschlüssen auf die Hälfte der bisher angenommenen Werte – sinnvollerweise 10% – des Nennbetrages der in der Jahresabrechnung ausgewiesenen Kosten abzustellen haben (so auch Suilmann a.a.O.). Dies führt vorliegend dazu, dass von 10% des streitigen Abrechnungsvolumens, mithin von 903,67 € auszugehen ist. Dieser Betrag ist gemäß § 49a I 2 GKG auf das Fünffache des Eigeninteresses des Klägers nach oben hin begrenzt und durch das einfache Eigeninteresse des Klägers nach unten hin. Das Eigeninteresse der Kläger ergibt sich vorliegend aus den in der Klageschrift mitgeteilten Berechnungen bzw. Nachteilen, die sich aus der Anwendung von – nach Auffassung der Kläger – falschen Abrechnungsmaßstäben ergeben. Hiernach beläuft sich das (einfache) Eigeninteresse des Klägers auf 564,86 €. Dies ergibt sich daraus, dass für das Abrechnungsjahr 2004 243,27 € als den Klägern zu Unrecht berechnet angegriffen werden (14,56% der Gesamtheizkosten von 1.478,36 € und 4,49% der flächenbezogenen Kosten von 624,04 €). Für das Jahr 2005 ergibt sich ein Eigeninteresse von 321,59 € (14,98% der Heizkosten von 1.561,80 €; 4,49% der flächenbezogenen Kosten von 838,15 € sowie geschätzte 50,00 € hinsichtlich der Kaltwasserabrechnung). Nachdem hier das fünffache Eigeninteresse mit einem Gesamtbetrag von 2.824,30 € anzusetzen ist, verbleibt es bei dem eingangs zitierten Streitwert.

TOP 5

Angefochten ist hier ein „Nichtbeschluss“. Der Beschlusswortlaut lautet: „Die vorgelegte Hausgeldabrechnung 2006 wird nicht beschlossen.“ Insoweit erscheint der Ansatz von 1.000,00 € angemessen. Dabei handelt es sich um ein rein geschätzten Wert (§ 3 HS 1 ZPO), da weder aus der Klagebegründung noch aus den Anlagen ein Ansatz dafür zu entnehmen ist, wie hier ein Eigeninteresse der Kläger beschaffen sein könnte.

TOP 8

Der Beschluss über eine Nutzungsordnung der Steinterrasse ist bei 1.500,00 € anzusetzen.

TOP 9

Die Genehmigung des Fenstereinbaus durch den weiteren Miteigentümer B. ist bei 2.000,00 € anzusetzen.

TOP 10

Für die Genehmigung der Satellitenanlage ist der Ansatz von 2.000,00 € im Ergebnis ausreichend.

Das vorliegende Verfahren gibt zu folgenden Bemerkungen Anlass:

Gemäß § 46 I 2 WEG ist die Beschlussanfechtungsklage innerhalb eines Monats zu erheben und innerhalb zweier Monate nach der Beschlussfassung zu begründen. Klageerhebung bedeutet dabei die Einreichung einer Klageschrift bei Gericht und deren Zustellung an den Gegner (§ 253 I ZPO). Sofern die Zustellung der Klage noch „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO erfolgt, ist die Klage bereits mit Eingang der Klageschrift bei dem Gericht erhoben. Daraus ergibt sich sowohl für die Klägerseite als auch für das Gericht die Verpflichtung zur beschleunigten und zügigen Verfahrensabwicklung; dem korrespondiert auch ein dringendes Interesse der Gemeinschaft, rasch zu erfahren, ob sie mit den getroffenen Beschlüssen arbeiten kann oder nicht, ob sie also bestandskräftig wurden oder angefochten werden. Die Zustellung der Klage ist gemäß § 12 I 1 GKG durch die Einzahlung des Gerichtskosten-vorschusses bedingt. In § 63 I 1 GKG erlegt das Gesetz dem Richter in solchen Fällen die Verpflichtung auf „sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest(zusetzen)“.

Diese Wertfestsetzung ist naturgemäß dann schwierig oder jedenfalls nur bedingt in nachvollziehbarer Weise darstellbar, wenn sich aus der Klageschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Wertfestsetzung ergeben. Hier enthält die Klageschrift lediglich eine Aufzählung der Tagesordnungspunkte, die in der Eigentümerversammlung vom 27.12.2007 abgehandelt wurden mit stichwortartigem Vermerk zum jeweiligen Beschlussgegenstand. Konkrete Anhaltspunkte für eine Berechnung des Streitgegenstandes enthält die Klageschrift vom 28.01.2008 damit nicht.

Dies kann indessen vor dem Hintergrund der skizzierten Gesetzes- und Interessenlage nicht dazu führen, dass das Gericht die Zustellung der Klage hintanstellt und die Anforderungen an die Darlegung von Tatsachen zum Streitwert zum Nachteil des Rechtssuchenden überspannt.

Bereits das Gesetz geht in § 46 I 2 WEG ersichtlich davon aus, dass sich aus der Klageschrift selbst keine oder allenfalls beschränkte Hinweise tatsächlicher Art auf den Streitwert ergeben könnten. Denn das Gesetz unterscheidet zwischen der Klageerhebung als solcher und der späteren Begründung der erhobenen Klage. Die Angaben zum Wert des Streitgegenstandes sind schon danach und auch gem. § 253 III ZPO nicht zwingend in der Klageschrift vorzutragen. Aus der Unterscheidung des § 46 I 2 WEG hinsichtlich der Klage-erhebung und der Klagebegründung kann gefolgert werden, dass mit der Zustellung der Klage nach gesetzgeberischer Wertung jedenfalls nicht solang zugewartet werden kann und darf, bis auch deren Begründung erfolgt ist. Verlangt aber das Gericht so detaillierte Angaben zur Streitwertfestsetzung, dass diese bei vernünftiger Betrachtung erst mit der Klagebegründung selbst vorgelegt werden können, so wird diese Systematik des Gesetzes verkannt und die Anforderungen an die Darlegungsmöglichkeiten der Kläger – die hier zum Zeitpunkt der Klageerhebung das Protokoll der Versammlung eben noch nicht in Händen hielten – werden überzogen.

Angesichts der Verpflichtung aus § 63 I 1 GKG und der Bedeutsamkeit rechtzeitige Klagezustellung für die Rechtsdurchsetzung der Kläger, muss sich der erkennende Richter daher mit dem Wenigen begnügen, was er zu dem maßgeblichen Zeitpunkt der Klageeinreichung (§ 40 GKG) in den Händen hält und hat danach umgehend den Streitwert festsetzen. Insoweit ist daran zu erinnern, dass § 3 HS 1 ZPO die Streitwertfestsetzung in das freie Ermessen des Richters stellt, wodurch der Richter unabhängiger gestellt wird, als dies bei der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO oder der Schätzung im Rahmen des § 287 ZPO der Fall ist (vgl. Musielak/Heinrich, ZPO, 5.A., § 3 Rn 10).

Vorliegend hatten die Kläger in der Klageschrift einen „ vorläufigen Streitwert: 5.000,00 € “ angegeben. Dies kann das Gericht zur Schätzgrundlage für seine eigene vorläufige Streitwertfestsetzung heranziehen. Es trifft zwar zu, dass Parteiangaben hinsichtlich des Wertes das Gericht nicht binden (vgl. Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22.A., 2003, § 2 Rn 95); umgekehrt sind Parteiangaben allerdings nicht völlig unbeachtlich. Sie bilden vielmehr stets einen wichtigen Hinweis und geben ein starkes Indiz für den richtigen Wert an (BGH FamRZ 1991, 547; Stein/Jonas/Roth § 2 Rn 96 m.w.N. in Fn 256). Eine solche, hier durch den Rechtsanwalt der Kläger vorgenommene Einschätzung des vorläufigen Streitwertes kann daher durchaus einen geeigneten Anknüpfungs-punkt für eine vorläufige gerichtliche Schätzung gemäß § 3 HS 1 ZPO bilden. Denn auch wenn den Klägern das Beschlussprotokoll der Sitzung noch nicht vorlag, so waren sie immerhin bei der Versammlung dabei und haben demgemäß gegenüber dem Gericht einen Informationsvorsprung. Wenn nun der Anwalt aufgrund eines Mandantengespräches die ihm – wenn auch mangels Protokolls nur rudimentär – vorliegenden Informationen sammelt und bewertet und dann zu der fachkundigen Einschätzung kommt, dass dies streitwerttechnisch mit etwa 5.000,00 € zu bewerten sei, so ist die indizielle Bedeutung dieser Wertangabe nicht von der Hand zu weisen (vgl. BGH FamRZ 1991, 547).

29In einem Fall, wie dem hiesigen, an dem das Protokoll der Versammlung nicht vorliegt und der Klägervertreter nach Besprechung der Sach- und Rechtslage mit seiner Mandantschaft eine vorläufige Streitwerteinschätzung vornimmt und auch den dementsprechenden Gerichtskostenvorschuss sogleich einzahlt, wird das Gericht daher regelmäßig die Klage auf dieser Grundlage zuzustellen haben. Sollten sich nach Begründung der Klage in der Zweimonatsfrist des § 46 I 2 WEG Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die in der vorläufigen Streitwertfestsetzung angenommene Bewertung des Rechtsstreits unzureichend ist, so können die Differenzkosten ohne weiteres nachgefordert werden. Es handelt sich dabei aber um ein Problem des § 12 I 2 GKG, nicht jedoch um ein solches des § 12 I 1 GKG. Die Klagezustellung wird von diesen nach Klageerhebung eintretenden Eventualitäten nicht tangiert.

Die hier vorgenommene Streitwertfestsetzung spiegelt den derzeitigen Verfahrensstand wieder. In der die erste Instanz abschließenden Streitwertfestsetzung wird das Amtsgericht unter Bildung von Stufenstreitwerten auch darüber zu entscheiden haben, wie die ursprünglich angefochtenen Beschlüsse, hinsichtlich derer mit der Klagebegründung Klagerücknahme erklärt wurde, zu bewerten sein werden. Wäre – dies nur klarstellungshalber – die Streitwertfestsetzung für die Klage gleich bei Klageerhebung getroffen worden (§§ 40, 63 I GKG), so wären sämtliche angefochtenen Beschlüsse der vorläufigen Schätzung zu Grunde zu legen gewesen.

31Im Übrigen wird für das weitere Verfahren darauf hingewiesen, dass die nunmehr durchführende Klagezustellung nach wie vor „demnächst“ im Sinne des § 167 ZPO erfolgen würde. Denn Verzögerungen der Zustellung durch unnötige Rückfragen bzw. durch die Statuierung überobligatorischer Mitwirkungspflichten seitens des Gerichts sind dem Kläger nicht anzulasten (Zöller/Greger, ZPO, 26.A., § 167 Rn 15; BGH NJW-RR 1992, 470; BGH NJW 1984, 242).

Zu Ziffer II. des Beschlusstenors vgl. § 68 III GKG.