OLG Hamm, Urteil vom 28.11.1991 - 21 U 33/91
Fundstelle
openJur 2012, 73267
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung des Beklagten zu 1) gegen das Teilurteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 26.10.1990 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte zu 1 ) darf die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung, auch durch Bürgschaft eines deutschen Bankinstituts, in Höhe von 21.000,-- DM abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor entsprechend Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin errichtete als Generalübernehmerin ein mehrstöckiges Gebäude. Nachträglich wurde eine Wohnung zur Arztpraxis umgeplant. Im Auftrage der Klägerin fertigte der Beklagte die infolge neuer Wanddurchbrüche erforderliche Nachtragsstatik. Im August 1989 reichte die Klägerin die Nachtragsunterlagen beim Bauamt zur Prüfung und Genehmigung ein. Dort wurden sie jedoch verlegt und blieben unbearbeitet. Anfang Oktober ließ die Klägerin gemäß der Nachtragsstatik trotz ausstehender Genehmigung die Wand mit Durchbrüchen erstellen. Später stellte der Prüfstatiker fest, daß die Statik fehlerhaft war. Es mußten Kosten von 31.686,-- DM zur Behebung des Mangels aufgewendet werden.

Das Landgericht hat den Beklagten aus § 635 BGB zum Schadensersatz nebst 10,5 % Zinsen verurteilt. Wegen aller Einzelheiten wird auf das Urteil verwiesen (Bl. 92 ff).

Der Beklagte macht mit der Berufung im wesentlichen geltend: Die Klägerin treffe ein Mitverschulden von 50%. Hätte sie pflichtgemäß die Statikprüfung abgewartet, wäre der Fehler rechtzeitig entdeckt und der Schaden vermieden worden.

Er beantragt,

abändernd die Klage abzuweisen, soweit mehr als 15.843,-- DM nebst gesetzlichen Zinsen zugesprochen worden sind.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht im wesentlichen geltend: Sie habe auf die Richtigkeit der Statik vertraut; der Weiterbau sei erforderlich gewesen, um Verzögerungsschäden zu vermeiden.

Wegen aller Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Die Bauakten xxx Stadt xxx waren mit ihrem unstreitigen Inhalt Gegenstand der Verhandlung.

Gründe

Das zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Allerdings war das Verhalten der Klägerin, nicht die Statikprüfung abzuwarten, (äquivalent) kausal für den eingetretenen Schaden. Um sich selbst vor vermeidbaren Schadensrisiken zu bewahren, mag es auch Bauherren bzw. Generalübernehmern obliegen, die Prüfung und Genehmigung der Bauunterlagen abzuwarten. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, der Weiterbau ohne Genehmigung sei zur Vermeidung von Verzögerungsschäden erforderlich gewesen; sie hätte durch Mahnungen beim Bauamt für eine rechtzeitige Genehmigung sorgen können und müssen.

Gleichwohl ist bei wertender Betrachtung das Verhalten der Klägerin nach Auffassung des Senats von vornherein nicht geeignet, gegenüber dem vom Beklagten zu vertretenden Statikfehler eine Mitverschuldensquote zu begründen.

Zum einen bezwecken die öffentlichrechtlichen Normen über das Erfordernis einer einzuholenden Prüfstatik nur den Schutz der Allgemeinheit, nicht auch des Bauherrn, vor Schäden (vgl. BGH, Urt. vom 08.05.1980 NJW 80, 2578).

Zum anderen hat der Beklagte durch den Abschluß des Vertrages im Verhältnis zur Klägerin in vollem Umfange das Risiko einer fehlerhaften Statik übernommen. Es erscheint nicht adäquat, aus dem öffentlichrechtlichen Prüferfordernis eine auch nur teilweise Risikoverlagerung auf die Bauherrenseite herzuleiten. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß der Statiker im Vertrauen auf ja noch erfolgende Kontrolle seine Sorgfaltsanforderungen herabsetzt. Die Problematik liegt ähnlich wie im Fall eines Ausführungsfehlers des Bauunternehmers, den der Architekt durch sorgfältige und rechtzeitige Überwachung hätte verhindern oder verringern können; auch dort kann sich der Unternehmer nicht darauf berufen, nicht gehörig bzw. rechtzeitig überwacht worden zu sein (vgl. BGH BauR 73, 191, m. w. N.).

Hinsichtlich des Zinsausspruchs fehlt es an Anfechtungsgründen i.S. von § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO.

Da der Senat keine einschlägige Vorentscheidung über die vorliegende Rechtsfrage gefunden hat, sie für grundsätzlich bedeutend und eine abweichende Rechtsauffassung für vertretbar erachtet, hat er die Revision zugelassen (§ 546 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Streitwert des Berufungsverfahrens und Beschwer (§ 546 Abs. 2 ZPO) betragen 17.800,-- DM.