ArbG Cottbus, Urteil vom 21.02.2012 - 6 Ca 1376/11
Fundstelle
openJur 2012, 68257
  • Rkr:

1. Bei einem Lohnrückstand von zwei Bruttomonatseinkommen ist der Arbeitnehmer berechtigt, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten bis der Arbeitgeber die Lohnforderung zahlt.

2. Zur rechtmäßigen Ausübung des Zurückbehaltungsrechts muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gegenüber deutlich machen, aufgrund welcher Gegenforderung die Arbeitsleistung nicht erbracht wird.

3. Übt der Arbeitnehmer rechtmäßig sein Zurückbehaltungsrecht aus, schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Vergütung trotz Nichtleistung der Arbeit aus Annahmeverzug.

4. Diesem Vergütungsanspruch steht in einem geförderten Arbeitsverhältnis nicht entgegen, dass der Arbeitgeber für den Zeitraum der Arbeitsniederlegung keine Förderung erhält.

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 420,19 € netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.10.2011 zu zahlen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

4. Der Streitwert wird auf 420,19 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltansprüche für Zeiten, in denen der Kläger seine Arbeitsleistung aufgrund von Entgeltrückständen zurückbehalten hat.

Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein, der im Bereich der Erwachsenenbildung tätig ist. Er beschäftigte den Kläger seit dem 01.01.2011 als Ausbilder mit einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von 1.833,40 € auf Grundlage eines bis zum 29.02.2012 befristeten Arbeitsvertrages vom 20.12.2010. Der Beklagte finanzierte die Personalkosten des Klägers über eine Projektförderung.

Auf Grund von Fehlverhalten der ehemaligen Geschäftsführung des Beklagten kam es in der Zeit von Mai bis Oktober 2011 zu einem Auszahlungsstopp von Fördermitteln. Dies führte zu Liquiditätsengpässen beim Beklagten. Der Beklagte zahlte daraufhin unter anderem dem Kläger das vereinbarte Entgelt für die Monate Juli und August 2011 nicht aus. Mit Schreiben vom 09.09.2011 forderte der Kläger den Beklagten auf, die Arbeitsentgelte für Juli und August bis spätestens zum 16.09.2011 auszuzahlen, da er ansonsten von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machen werde. In der Zeit vom 19.09. bis zum 24.10.2011 legte der Kläger in Ausübung des angekündigten Zurückbehaltungsrechts seine Arbeit nieder. Der Beklagte zahlte am 29.09.2011 400,00 € netto für Juli 2011 und am 14.10.2011 bzw. 18.10.2011 die Restbeträge für Juli und August 2011. Für September 2011 wurden dem Beklagten für die Zeit der Arbeitsniederlegung des Klägers keine Fördergelder bewilligt. Der Fördergeber vertrat insoweit die Auffassung, dass zuwendungsfähig nur Personalkosten bei tatsächlicher Arbeit im Projekt seien. Der Beklagte zahlte daraufhin dem Kläger für die Zeit vom 19.09. bis zum 30.09.2011 kein Arbeitsentgelt aus. Dies machte einen Nettobetrag in Höhe von 420,19 € aus.

Mit dem vorliegenden Verfahren begehrte der Kläger zunächst rückständige Arbeitsentgelte für Juli, August und September 2011 sowie Abrechnung für August und September 2011. Bis auf einen Teilbetrag für September 2011 haben die Parteien den Rechtsstreit nach Erfüllung durch den Beklagten für erledigt erklärt. Der Kläger vertritt die Auffassung, er könne aufgrund der wirksamen Ausübung des Zurückbehaltungsrechts auch für die Zeit vom 19.09. bis zum 30.09.2011 Arbeitsentgelt beanspruchen.

Der Kläger beantragt zuletzt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 420,19 € netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.10.2011 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte vertritt die Auffassung, der Kläger sei nicht aufgrund eines ihm zustehenden Zurückbehaltungsrechts zur Arbeitsniederlegung berechtigt gewesen. Das Zurückbehaltungsrecht könne nicht geltend gemacht werden, wenn dem Arbeitgeber hierdurch ein Schaden entstehe. Im vorliegenden Fall sei das Zurückbehaltungsrecht ausgeschlossen, da ohne die tatsächliche Arbeit des Klägers im Projekt die Förderungsfähigkeit der Personalkosten für den Zeitraum der Arbeitsniederlegung entfallen sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat auch für den Zeitraum seiner Arbeitsniederlegung vom 19.09. bis zum 30.09.2011 einen Anspruch auf Arbeitsentgelt.

I.

Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 420,19 € netto Restlohn für September 2011 gemäß § 615, 298, 273 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

1. Nach § 273 BGB hat der Schuldner das Recht, seine Leistung zu verweigern, bis sein Gläubiger die ihm obliegende und fällige Leistung erbracht hat. Im Arbeitsverhältnis kann der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung zurückhalten, um rückständige und bereits fällig gewordene Entgeltansprüche zu realisieren. Das Zurückbehaltungsrecht ergibt sich hierbei aus § 273 BGB, weil der Arbeitnehmer nach § 614 BGB in der Regel vorleistungspflichtig ist (Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht - Preis, 12. Auflage 2012, § 611, Rn. 458). Das Zurückbehaltungsrecht muss, um Rechtswirkungen entfalten zu können, geltend gemacht werden. Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber deutlich machen, aufgrund welcher Gegenforderung die Arbeitsleistung nicht erbracht wird. Die Geltendmachung muss entweder ausdrücklich erklärt, oder durch schlüssiges Verhalten deutlich werden (Küttner Personalbuch 2011 - Griese, Ziffer 472 Zurückbehaltungsrecht, Rn. 4). Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts unterliegt allerdings dem Grundsatz von Treu und Glauben. Deshalb darf zwischen zurückgehaltener Leistung und Gegenanspruch kein grobes Missverhältnis bestehen. So ist die Weigerung, weiterzuarbeiten, weil ein geringfügiger Entgeltrückstand besteht, vom Zurückbehaltungsrecht nicht gedeckt (BAG vom 25.10.1984 – 2 AZR 417/83, Juris, Rn. 29). Ein Lohnrückstand von 1,5 Monatsverdiensten ist dabei nicht mehr geringfügig (Arbeitsgericht Hannover vom 11.12.1996 - 9 Ca 138/96, Beck RS 1996, 30830846 – beck-online.de; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht – Preis, 12. Auflage 2012, § 611 BGB, Rn. 458). Übte der Arbeitnehmer rechtmäßig ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung aus, schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gemäß § 615, 298 BGB die Vergütung trotzt Nichtleistung der Arbeit aus Annahmeverzug (BAG vom 21.05.1981 – 2 AZR 95/79, Juris, Rn. 57; Küttner - Griese, Personalhandbuch 2011, Ziffer 472 Zurückbehaltungsrecht, Rn. 9).

2. Bei Anwendung dieser Maßstäbe kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass der Kläger rechtmäßig sein Zurückbehaltungsrecht in der Zeit vom 19.09. bis zum 30.09.2011 ausgeübt hat und in Konsequenz hieraus der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auch für diese Zeit Vergütung trotzt Nichtleistung der Arbeit aus Annahmeverzug zu zahlen.

a) Der Kläger hat nämlich mit Schreiben vom 09.09.2011 ab dem 19.09.2011 wirksam von seinem Zurückbehaltungsrecht aufgrund der bestehenden Lohnrückstände Gebrauch gemacht. In diesem Schreiben hat der Kläger unter Fristsetzung bis zum 16.09.2011 die Zahlung der offenen Arbeitsentgelte für Juli und August 2011 geltend gemacht und die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts für den Fall der Nichtleistung angekündigt. Erst Ende September 2011 hat der Beklagte die ersten Zahlungen für Juli 2011 geleistet und selbst zu diesem Zeitpunkt Ende September waren noch Gehaltsrückstände von mehr als 1½ Monatsgehältern offen.

b) Die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts war auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unzulässig. Alleine die Tatsache, dass der Arbeitgeber in der Zeit der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts dem Arbeitnehmer Entgeltansprüche ohne Gegenleistung zahlen muss, stellt kein unverhältnismäßig großen Schaden im Sinne der Rechtsprechung dar, sondern ist lediglich die vom Gesetzgeber gewollte Rechtsfolge aus § 615, 298 BGB. Auch war der im September 2011 bestehende Lohnrückstand so erheblich (bis Ende September 2 Bruttomonatseinkommen), dass trotzt der Gefährdung der Förderung für diesen Zeitraum das Zurückbehaltungsrecht ausgeübt werden durfte.

c) Für die Zeit vom 19.09.2011 bis 30.09.2011 war ein Betrag in Höhe von 420,19 € netto auszuurteilen. Zwischen den Parteien war unstreitig, dass das dem Kläger für diese Zeit zustehende Arbeitsentgelt 420,19 € netto betrug.

II.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Verzinsung der ausgeurteilten Zahlungsansprüche seit Rechtshängigkeit gemäß § 288 Abs. 1, 291 BGB. Eine Geldschuld ist vom Schuldner mit Eintritt der Rechtshängigkeit mit dem gesetzlichen Zinssatz in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für das Jahr zu verzinsen. Die Klageforderung wurde rechtshängig mit Zustellung der Klageerweiterung für September 2011 am 26.10.2011.

III.

Die Kosten des Rechtsstreits hat als unterlegene Partei der Beklagte gemäß § 46 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), 91 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) zu tragen.

IV.

Die Berufung war nicht gesondert zuzulassen. Es lagen keine Gründe für eine gesonderte Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG vor.

V.

Die Entscheidung über die Höhe des Streitwertes folgt aus § 61 Abs. 1 ArbGG. Für den Urteilsstreitwert war die Klageforderung in der zuletzt begehrten Höhe anzusetzen.

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