VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.11.1996 - 6 S 1350/94
Fundstelle
openJur 2013, 10256
  • Rkr:

1. Dem Begriff der anderen Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG liegt das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal zugrunde, daß als Folge körperlicher Regelwidrigkeiten, der Schwäche geistiger Kräfte oder seelischer Störungen (§§ 1 bis 3 EinglH-VO (BSHG§47V)) die Fähigkeit der betreffenden Person zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt sein muß. Diese Beeinträchtigung braucht jedoch im Vergleich zu der bei wesentlichen Behinderungen im Sinne des § 39 Abs 1 S 1 BSHG iVm den §§ 1 bis 3 EinglH-VO (BSHG§47V) vorausgesetzten erheblichen Beeinträchtigungen nur in abgeschwächter Form vorzuliegen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Eingliederungshilfe nach § 39 BSHG.

Die am 26.2.1983 geborene Klägerin wurde im Jahr 1989 eingeschult. Aufgrund einer alsbald festgestellten Lese- und Rechtschreibschwäche (Legasthenie) entschlossen sich ihre Eltern im April 1991, der Klägerin privaten Zusatzunterricht am Legasthenie-Institut E geben zu lassen. Hierfür wandten sie für die Klägerin und ihren Bruder einen monatlichen Betrag von 440,-- DM auf. Mit Antrag vom 15.04.1991 begehrten die Eltern für die Klägerin von dem Beklagten die Übernahme der Kosten der Therapie im Wege einer Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz.

Der Beklagte erbat eine Stellungnahme durch das Staatliche Gesundheitsamt. Am 19.11.1991 stellte das Amt in einem Gutachten bei der Klägerin Teilleistungsstörungen mit Wahrnehmungsstörungen, nämlich eine Lese- Schreibschwäche (Legasthenie), fest. Zum Befund wurde angegeben: Die Klägerin sei ein achtjähriges Mädchen, das zu Hause zum Abreagieren Klarinette spiele, wenn sie eine schlechte Note im Diktat habe. Zu Hause bestünden aber keine Erziehungsschwierigkeiten. Die Klägerin treibe viel Sport und besuche einen Musikverein. Der Kinderarzt und die Eltern der Klägerin möchten, daß eine Legasthenieschulung im Legasthenie-Institut E für die Dauer von zwei Jahren durchgeführt werde. In ihrer Stellungnahme gab die Beratungsärztin des Gesundheitsamts an, daß bei der Klägerin eine seelische Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG vorliege. Die Definition dieser Behinderung ist in dem Gutachtenformular aufgeführt worden. In einer ergänzenden Stellungnahme gab die Ärztin an: Die Klägerin habe Schulschwierigkeiten aufgrund einer Teilleistungsstörung. Eine seelische Behinderung bestehe nach dem heutigen Befund und dem vorgelegten Gutachten nicht.

Mit Bescheid vom 18.12.1991 lehnte daraufhin der Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab: Nach dem Gutachten des Gesundheitsamts liege weder eine seelische Behinderung vor noch drohe eine solche. Die Legasthenie als solche stelle keine Behinderung im Sinne des § 39 BSHG dar. Eingliederungshilfe könne nur gewährt werden, wenn zusätzlich zur Legasthenie andere Beeinträchtigungen aufträten, die zu einer wesentlichen Behinderung führten. Dies sei aber bei der Klägerin nicht der Fall.

Am 15.01.1992 legte die Klägerin dagegen Widerspruch mit der Begründung ein: Die von ihr besuchte Grundschule in Kernen sei nicht in der Lage, den für Legasthenie-Schüler erforderlichen Unterricht zu erteilen. Es gebe hierfür zu wenig ausgebildete Lehrer. Zwar werde eine Stunde Unterricht pro Woche angeboten. Daran würden jedoch acht bis zehn Kinder teilnehmen. Auch könnte sie während dieser Stunde den normalen Unterricht nicht erhalten. Das Legasthenie-Institut E verursache einen monatlichen Aufwand von 440,-- DM, der nur durch Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit der Mutter der Klägerin zu bewältigen sei. Dies könne jedoch nicht im Sinne des Beklagten sein, da die Kinder dann nicht immer ausreichend beaufsichtigt werden könnten.

Mit Bescheid vom 07.05.1992 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet ab. Zur Begründung führte er aus: Bei der Klägerin liege weder eine Behinderung nach § 39 Abs 1 S 1 noch nach S 2 der Vorschrift vor. Dies gehe aus dem Gutachten des Gesundheitsamtes hervor. Eingliederungshilfe könne daher weder als Pflicht- noch als Ermessensleistung gewährt werden.

Am 10.06.1992 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und beantragt, die ergangenen Bescheide aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr vom 16.04.1991 bis zum 07.05.1992 Eingliederungshilfe im Wege der Übernahme der Kosten des Unterrichts am Legasthenie-Institut E und der Fahrtkosten zu gewähren. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Sie komme in der Schule, besonders im Rechtschreiben und Lesen, nicht wie andere Schüler mit und sei deshalb seelisch behindert. Am Sonderunterricht der Grundschule Kernen dürfe sie nicht mehr teilnehmen, weil sie das Legasthenie-Institut E besuche. Die Kosten des Zusatzunterrichts könnten nur durch die Berufstätigkeit der Mutter bewältigt werden. Ihre Mutter habe aber nicht mehr so viel Zeit, um mit ihren drei anderen Kindern zu lernen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und ergänzend ausgeführt, der Klägerin stehe auch deshalb keine Sozialhilfe zu, weil sie, selbst wenn sie behindert wäre, Kinder- und Jugendhilfe nach § 27 Abs 4 SGB VIII zu beanspruchen hätte.

Das Verwaltungsgericht hat eine telefonische Auskunft der Ärztin, die das Gutachten vom 19.11.1991 erstellt hatte, eingeholt. Die Ärztin hat erklärt, wenn sie in ihrer ergänzenden Stellungnahme im Gutachten ausgeführt habe, daß bei der Klägerin eine seelische Behinderung nicht vorliege, so habe sie damit gemeint, daß eine wesentlich seelische Behinderung nicht gegeben sei.

Die Schule, die die Klägerin damals besucht hat, hat in einem Schreiben bestätigt, daß die Klägerin eine massive Lese- und Schreibschwäche habe, die sich über Jahre ihrer Grundschulzeit hingezogen habe. Die Leistungen im Diktat hätten zwischen vier und fünf gelegen. Der Förderunterricht habe im dritten Schuljahr eingesetzt. Dabei seien Gruppen von acht bis zehn Kindern einmal wöchentlich zusätzlich zum normalen Unterricht gefördert worden. Die Lehrerin sei dafür ausgebildet gewesen. Die Klägerin habe einen solchen Kurs auch besucht. Im ersten Halbjahr der Klasse 4 sei ein solcher Kurs allerdings nicht durchgeführt worden. Im zweiten Halbjahr habe ein Kurs begonnen, an dem jedoch die Klägerin nicht teilgenommen habe, weil dies - nach Absprache mit den Eltern - eine zusätzliche Belastung für sie bedeutet hätte. Auch sei sie bereits seit Ende des zweiten Schuljahres in eine private Legasthenie-Schule gegangen. Diese Schule halte mit ihr weiter Kontakt und informiere telefonisch über den Fortschritt der Kinder. Es werde an der Schule den Eltern von Legasthenie-Kindern der Besuch des Legasthenie- Instituts in E empfohlen. Eine Förderung von einer Wochenstunde reiche nicht aus, um eine Legasthenie zu beheben. Die Klägerin legte ferner einen Bericht ihres Kinderarztes vom 22.09.1991 vor, wonach bei ihr ein Syndrom der Teilleistungsstörungen mit Wahrnehmungsstörung (Erfassen räumlicher Beziehungen) sowie eine Lese-Rechtschreib-Schwäche festgestellt worden waren. Zum Behandlungsplan wurde ausgeführt, daß die Lese-Rechtschreib- Schwäche fachgerecht und langdauernd behandelt werden müsse. Das Legasthenie-Institut in E sei als eine geeignete Einrichtung für diese Behandlung bekannt. Als Anlage zum ärztlichen Befund wurde das Untersuchungsergebnis beigefügt. Danach wurde bei der Klägerin beobachtet, daß sie ohne Begleitung an der Untersuchung teilnehme und die rechte Hand benutze. Sie zeige gutes Verständnis, schaue gelegentlich in das Heft des Nachbarn. Nach Auswertung wurde angegeben: Inhomogene Störung der visuellen Wahrnehmung mit nicht altersentsprechenden Leistungen beim Erfassen räumlicher Beziehungen (Prozentrang 4). Möglicherweise sei das schlechte Ergebnis bei dieser letzten Teiluntersuchung durch nachlassende Aufmerksamkeit bedingt. Schwächen bei der Erfassung räumlicher Beziehungen müssten zu Lernschwierigkeiten führen, weil die genaue Wahrnehmung der Abfolge von Buchstaben in einem Wort nicht gelinge. Ungenügende Orthographie oder Umstellen der Buchstaben beim Lesen seien die Folgen. Auch Rechenschwierigkeiten, soweit sie mit der Abfolge von Zahlen zusammenhingen, würden hieraus verständlich werden.

Das Legasthenie-Institut E erklärte in einem am 22.04.1991 erstellten Gutachten: Bei der Klägerin sei eine quantitative Fehleranalyse mit einem Prozentrang von 9 festgestellt worden, dh 91% der Normstichprobe der Schüler erzielten bessere Rechtschreibleistungen als die Klägerin. Ein Prozentrang 9 entspreche einer sehr schwachen Leistung. Die qualitative Fehleranalyse habe Fehlerschwerpunkte sowohl im Wahrnehmungs- als auch im Regelbereich der deutschen Rechtschreibung ergeben. Im Wahrnehmungsbereich seien Schwächen bei der Wahrnehmungstrennschärfe sowie der Wahrnehmungsdurchgliederung feststellbar gewesen. Die Schwäche der Klägerin in der Differenzierungsfähigkeit der Einzellaute betreffe vor allem die Diphthonge sowie die ähnlich klingenden Konsonanten g/k, b/p, d/t und m/n. Die Schwäche im Bereich der Wahrnehmungsdurchgliederung äußere sich im Auslassen und im Hinzufügen von Vokalen und insbesondere von Konsonanten und Konsonantenhäufungen. Die Regelfehler beträfen die Bereiche der Dopplung und Dehnung, der Ableitung, der Groß- und Kleinschreibung der "st-sp"- und "v- f"- Schreibweise. Aufgrund der auditiven Wahrnehmungsschwäche erscheine eine Therapie für Ns Rechtschreibschwäche dringend erforderlich. Zur Behebung der Defizite im Wahrnehmungsbereich müsse zunächst auf der lautgetreuen Sprachebene angesetzt werden, um die Klägerin in die Lage zu versetzen, eine gehörte lautgetreue Wortgestalt in ihre einzelnen Elemente aufzugliedern und diesen, der Lautfolge entsprechend, die adäquaten Zeichen zuzuordnen. Dabei sei es erforderlich, anhand von lautgetreuem Wortmaterial in Hör-, Sprech-, Schreib- und Leseübungen sowohl die Differenzierungsfähigkeit der Einzellaute als auch die Durchgliederungsfähigkeit von Wortgestalten schrittweise zu trainieren und zu verbessern. Die Vielfalt der Rechtschreibschwierigkeiten im Regelbereich lasse sich auf dieser Grundlage anschließend als spezifische Abweichung vom Prinzip der lautgetreuen Schreibweise systematisch erarbeiten. Zur Behebung der Rechtschreibprobleme in den zentralen Bereichen der Dopplung und Dehnung sei ein akustisches Wahrnehmungstraining zur Stärkung der Differenzierungsfähigkeit der betonten und unbetonten Silben sowie der Länge und Kürze der betonten Vokale erforderlich. Aufgrund der vorliegenden ausgeprägten legasthenen Funktionsschwächen müsse es in der erforderlichen therapeutischen Arbeit auch darum gehen, bei der Klägerin einer Mißerfolgsorientierung hinsichtlich der Rechtschreibleistungen entgegenzuwirken sowie eine motivierte Arbeitshaltung und das Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zu fördern.

In einer weiteren gutachtlichen Stellungnahme vom 15.10.1993 wurde noch angegeben: Die Leseleistung der Klägerin sei unzureichend. Sie habe stockend gelesen und zeige vor allem Schwächen in der Erkennung der einzelnen Morpheme eines Wortes und der Analyse und Synthese von Konsonantenhäufungen. Seit April 1991 nehme die Klägerin an einer Legastheniker-Therapie teil, die im Einzelunterricht systematisch die unterschiedlichen Fehlerschwerpunkte angehe. Im bisherigen Verlauf der Therapie hätten sich die Rechtschreibleistungen der Klägerin verbessert. Allerdings komme es aufgrund der in der schulischen Situation gegebenen Komplexität der Anforderungen weiterhin zu Fehlern in diesen Bereichen, so daß wiederholende Übungen einzubeziehen seien. Die Leseleistung habe sich erheblich verbessert, müsse jedoch noch stabilisiert werden. Eine Berücksichtigung der Lese- und Rechtschreibschwäche bei der Benotung der schulischen Leistungen sei dringend erforderlich, um die Klägerin in ihren Bemühungen um eine weitere Verbesserung ihrer Leistungen nicht zu irritieren.

Mit Urteil vom 14.04.1994 hat das Verwaltungsgericht die ergangenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Eingliederungshilfe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Klägerin habe einen Anspruch darauf, daß der Beklagte über ihren Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheide. Bei der Klägerin habe sich als Folge ihrer Legasthenie eine seelische Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG eingestellt, wie dies das Staatliche Gesundheitsamt festgestellt habe. Die Gutachterin habe im übrigen die in dem Gutachten vorhandenen Widersprüche dahingehend aufgeklärt, daß sie nur eine wesentliche seelische Behinderung habe verneinen wollen. Es bestehe daher keine Veranlassung, an der Richtigkeit des Gutachtens zu zweifeln. Im Gutachten werde knapp von den durch die Legasthenie hervorgerufenen seelischen Problemen berichtet. Dies komme in der Passage zum Ausdruck, daß die Klägerin zu Hause zum Abreagieren Klarinette spiele, wenn sie eine schlechte Note im Diktat habe. Auch aus dem Gutachten des Legasthenie-Instituts E könne gefolgert werden, daß die Klägerin an den auf ihre Legasthenie zurückzuführenden Mißerfolgen gelitten habe, weshalb insoweit eine therapeutische Behandlung erforderlich sei. Es sei erforderlich, der Klägerin Eingliederungshilfe für den Besuch des Legasthenie-Instituts E zu gewähren. Die von der Klägerin besuchte Grundschule habe dagegen einen ausreichenden Förderungsunterricht für Legastheniker nicht angeboten. Die Übernahme der Kosten für den Besuch des Legasthenie-Instituts E sei als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung nach § 40 Abs 1 Nr 3 BSHG gerechtfertigt. Der Beklagte habe nicht erkannt, daß die Klägerin im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG behindert sei. Insofern sei von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden, so daß die ergangenen Bescheide als ermessensfehlerhaft aufgehoben werden müßten. Bei einer erneuten Entscheidung habe der Beklagte zu berücksichtigen, daß die Therapie der Klägerin am Legasthenie-Institut E erfolgreich gewesen sei. Dagegen komme als Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Leistung nicht § 27 Abs 4 SGG VIII in Betracht. Soweit die Klägerin statt einer Neubescheidung des Antrages eine Verpflichtung des Beklagten zur Bewilligung der Eingliederungshilfe beantragt habe, müsse die Klage abgewiesen werden.

Gegen dieses ihm am 03.05.1994 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 16.05.1994 Berufung eingelegt. Er macht geltend: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liege bei der Klägerin keine seelische Behinderung vor. Aus dem Gutachten des Gesundheitsamtes könne gerade nicht mit Eindeutigkeit der Schluß des Verwaltungsgerichts gezogen werden. Es sei durchaus möglich, daß die Gutachterin des Staatlichen Gesundheitsamtes seinerzeit einfach versäumt habe anzukreuzen, daß eine Behinderung nicht vorliege. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene telefonische Befragung der Ärztin sei äußerst fragwürdig, weil sie zweieinhalb Jahre nach der Erstellung des Gutachtens erfolgt sei. Die Annahme der Gutachterin, es liege eine seelische Behinderung vor, sei im übrigen unzutreffend. Der Umstand, daß die Klägerin zu Hause zum Abreagieren Klarinette spiele, reiche nicht aus, das Vorliegen einer seelischen Behinderung nachzuweisen. Auch habe die Ärztin das Klarinettenspiel nicht mit einer seelischen Behinderung in Verbindung gebracht, wie dies das Verwaltungsgericht getan habe. Insoweit sei zweifelhaft, ob das Gericht die erforderliche fachliche Kompetenz besitze. Das Verwaltungsgericht hätte vielmehr ein Sachverständigengutachten darüber einholen müssen, ob bei der Klägerin eine Behinderung vorliege oder nicht. Die Einholung eines solchen Gutachtens werde daher beantragt. Der inzwischen eingetretene Erfolg der an dem Legasthenie-Institut E durchgeführten Therapie sei nicht zu berücksichtigen, da er nicht in dem maßgeblichen Zeitraum eingetreten sei.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.04.1994 - 12 K 1746/92 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat eine Stellungnahme des Kinderarztes der Klägerin, Dr K, zur Frage eingeholt, ob bei der Klägerin eine Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 1 oder S 2 BSHG vorliege. Dr K hat unter dem 13.11.1995 die Frage dahingehend beantwortet, daß bei der Klägerin in der Zeit vom 16.04.1991 bis 07.05.1992 im Sinne des § 39 Abs 1 S 1 BSHG wegen ihrer Legasthenie oder als Folge davon eine nicht nur vorübergehende, sondern wesentliche körperliche und seelische Behinderung vorgelegen habe. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß bei einer Nichtbehandlung der Legasthenie regelmäßig mit psychosomatischen Beschwerden, neurotischen Verhaltensstörungen und dissozialer Entwicklung zu rechnen sei, so daß eine Behandlung am Legasthenie-Institut E aus medizinischen Gründen dringend erforderlich gewesen sei. Der Stellungnahme war außerdem ein Untersuchungsblatt betreffend den psychiatrischen Status der Klägerin vom 20.9.1991 beigefügt worden. Danach waren bei der Klägerin ein unauffälliger Affekt, eine ausgeglichene Stimmung, ein unauffälliger Antrieb, eine unauffällige bzw eingeschränkte Wahrnehmung, ein normaler Denkablauf, eine unauffällige bzw verminderte Aufmerksamkeit, eine gute Merk- und Erinnerungsfähigkeit und eine normale Kritikfähigkeit festgestellt worden.

Ferner hat der Senat das Legasthenie-Institut E ebenfalls um die Beantwortung der Frage, ob bei der Klägerin eine Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 1 und 2 BSHG vorliege, gebeten. Unter dem 27.11.1995 erklärte die Diplompsychologin K: Die in den Jahren 1991 bis 1995 bei der Klägerin eingesetzte Legasthenietherapeutin sei inzwischen ausgeschieden. Die Stellungnahme beruhe deshalb auf einer Überprüfung der Unterlagen zur Diagnose und Therapie der Klägerin. Vom Institut seien bei der Klägerin keine zusätzlichen psychologischen und ärztlichen Untersuchungen über das Ausmaß der psychischen Folgen durchgeführt worden. Den Testergebnissen und den am 22.04.1991 und 15.10.1993 erstellten Gutachten sei zu entnehmen, daß eine ausgeprägte Lese-Rechtschreibschwäche bei der Klägerin vorgelegen habe, die von einer Mißerfolgsorientierung des Kindes begleitet gewesen sei. Es könne davon ausgegangen werden, daß die hohe Ausprägung der Legasthenie und die Behandlungsdauer von vier Jahren diagnostisch einer Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten zuzuordnen seien, die den Leitlinien der "Internationalen Klassifikation psychischer Störungen" (WHO: ICD - 10) der Kategorie "Lese- und Rechtschreibstörung" (F 81.0) entspreche. Bei der Klägerin könne deshalb angenommen werden, daß mit der Durchführung der Therapie die Entwicklungsstörung behoben worden sei und eine psychische Stabilisierung habe erreicht werden können. Somit habe die Gefahr einer überdauernden seelischen Behinderung abgewendet werden können. Die Unterlassung einer Therapie könne die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes erheblich beeinträchtigen und eine sekundäre Neurotisierung zur Folge haben, da eine nicht behobene Teilleistungsstörung ungünstige Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit sowie die Selbstwerteinschätzung eines Kindes habe.

Ferner hat der Senat die Schulzeugnisse der Klägerin seit deren Einschulung bis zur Klasse 3a, zweite Jahreshälfte, eingeholt. In den Zeugnissen wurde ua festgestellt, daß die Klägerin eine freundliche und ruhige Schülerin sei. Ihre Mitschüler würden sie wegen ihrer umsichtigen und hilfsbereiten Art mögen. Sie habe vom ersten Tag an keine Schwierigkeiten gehabt, sich in die große Klassengemeinschaft einzufügen. Sie habe meistens aufmerksam mitgearbeitet. Tageweise sei sie leicht ablenkbar gewesen. Mit ihren mündlichen Beiträgen habe sie geholfen, neue Inhalte zu erarbeiten. Gerne habe sie eigene Erlebnisse erzählt. Ihre Hausarbeiten habe sie sorgfältig und regelmäßig angefertigt. Sie habe alle Laute gekannt und habe sie auswendig aufschreiben können. In Abschriften habe sie wenige Fehler, in Diktaten mehr Fehler gemacht. So habe sie ähnlich klingende Laute verwechselt und Buchstaben vergessen. Ihre Schrift sei meistens sauber gewesen. Geübte Texte habe sie deutlich vorgelesen. Fremde Texte habe sie sich langsam selbständig erlesen können. Den Zahlenraum bis 20 habe sie erfaßt. Plus-, Minus- und Ergänzungsaufgaben hätten ihr keine Probleme bereitet. Dennoch habe sie meistens einige Fehler gemacht, weil sie zu schnell gerechnet habe. Im Turnen habe sie alle Übungen mit Geschick und Mut ausgeführt (Schulbericht für das Schuljahr 89/90). Sie sei nach wie vor gern in Arbeits- und Spielgruppen gewählt worden. Sie äußere ihre eigenen Ideen, sei aber auch stets zu Kompromissen bereit gewesen. Gerne habe N Arbeiten für die Gemeinschaft erledigt. Sie habe sich vermehrt am Unterrichtsgespräch beteiligt. Dennoch habe sie mitunter zusätzliche Erklärungen - besonders in Deutsch - benötigt, um ihre Übungsaufgaben zu lösen. Auch habe sie immer wieder ermuntert werden müssen, sauberer zu schreiben. Neue Texte habe sich N selbständig erlesen. Beim ersten Vorlesen habe sie noch vor längeren Wörtern gestockt. Geübte Texte habe sie flüssig vorgelesen. In Diktaten und Abschriften habe sie immer einige Fehler gemacht. Ihr sei es noch schwergefallen, Rechtschreibregeln anzuwenden. Im Zahlenraum bis 100 habe N alle Aufgaben lösen können. Oft habe sie sich jedoch verrechnet, so daß sie stets einige Fehler gemacht habe (Schulbericht Schuljahr 90/91 erstes Schulhalbjahr). Sie habe ihre Freundinnen gefunden, mit denen sie gern zusammensitze und die Pausen verbringe. Aber auch zu den übrigen Mitschülern sei sie stets freundlich und hilfsbereit gewesen. Sie sei selbständiger geworden. Sie beteilige sich vermehrt am Unterrichtsgespräch und erledigte ihre Übungsaufgabe meistens ohne zusätzliche Erklärungen. Dabei bemühe sie sich um eine saubere Heftführung. Bekannte Texte habe sie manchmal auch mit sinngemäßer Betonung vorgelesen. Bei neuen Texten habe sie noch nicht flüssig gelesen. Fragen zum Inhalt habe sie meistens beantworten können. In Abschriften habe sie in letzter Zeit weniger Fehler gemacht, in Diktaten seien es noch mehr gewesen. In Aufsätzen habe sie anfangs Probleme gehabt, Erlebnisse in klaren Sätzen zu beschreiben. Dies sei ihr nun viel besser gelungen. Im Zahlenraum bis 100 habe sie aber Aufgabentypen selbständig und zügig gelöst. In den letzten Monaten habe sie nur noch wenige Fehler gemacht.

Für das Schuljahr 1990/91, zweites Halbjahr, wurden die Leistungen der Klägerin in Deutsch mit befriedigend und in Mathematik mit gut bewertet. In den Zeugnissen des dritten Schuljahrs erhielt die Klägerin im Fach Deutsch ausreichend und später befriedigend. Die Noten für die übrigen Fächer waren gut bzw (in Musik und Sport sowie im ersten Halbjahr auch in Schrift und Gestaltung) sehr gut.

Außer den Akten des Verwaltungsgerichts haben die Behördenakten vorgelegen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig. Sie bedarf nach § 131 Abs 2 VwGO keiner Zulassung. Die Klage ist auf den Erlaß eines eine Geldleistung von mehr als 1.000,-- DM betreffenden Verwaltungsakts gerichtet. Die geltend gemachten Unterrichtskosten betrugen die Hälfte der für die Klägerin und ihren Bruder aufgewendeten monatlichen 440,-- DM, also monatlich 220,-- DM, was für den strittigen Bewilligungszeitraum vom 16.04.1991 bis 07.05.1992 eine Summe von über 3.000,-- DM ergibt.

Die Berufung ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht der Klage teilweise stattgegeben, denn die Klägerin wird durch die Ablehnung der beantragten Eingliederungshilfe nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs 5 S 1 VwGO).

Gegenstand der Klage ist ausweislich des beim Verwaltungsgericht gestellten Antrags die Verpflichtung des Beklagten, der Klägerin für die Zeit vom 16.04.1991 bis 07.05.1992 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für den Besuch des Legasthenie-Instituts E zu gewähren. Damit ist das Klagebegehren ausschließlich auf die Gewährung von Eingliederungshilfe im Sinne der §§ 39 ff BSHG gerichtet und bezieht sich nicht auf andere Ansprüche, also auch nicht auf solche nach § 27 Abs 3 und 4 des Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendrechts vom 26.06.1990 (BGBl I S 1163) - KJHG. Dies folgt auch daraus, daß Gegenstand des beim Landratsamt gestellten Antrages ausschließlich die Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe - "ambulante Eingliederungshilfe" - gewesen war, wobei die Eltern der Klägerin den Antrag in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreter unterschrieben hatten. Daraus ergibt sich, daß der Antrag im Namen der Klägerin gestellt worden war; nicht dagegen haben die Eltern als Personensorgeberechtigte der Klägerin etwaige ihnen nach § 27 Abs 1, 3 und 4 KJHG zustehende Ansprüche geltend gemacht.

Maßgeblich für das vorliegende Berufungsverfahren ist nicht die Frage, ob die Klägerin im Sinne des § 39 Abs 1 S 1 BSHG wesentlich behindert mit der Folge war, daß ihr Eingliederungshilfe zwingend zu gewähren war. Denn insoweit hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen, ohne daß die Klägerin hiergegen Berufung eingelegt hätte. Die erstinstanzliche Entscheidung ist mithin insoweit in Rechtskraft erwachsen. Demgemäß kommt es im vorliegenden Fall nur darauf an, ob bei der Klägerin seinerzeit eine andere Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG vorgelegen hatte, mit der Folge, daß ihr Eingliederungshilfe im Wege einer Ermessensentscheidung gewährt werden konnte. Letzteres ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu verneinen, so daß der Klägerin ein diesbezüglicher Anspruch nicht zugestanden hat. Demgemäß durfte der Beklagte auch nicht zur Neubescheidung des klägerischen Antrages unter Beachtung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts verpflichtet werden.

Das Fehlen eines Anspruchs auf Eingliederungshilfe nach § 39 Abs 1 S 2 BSHG folgt allerdings nicht bereits aus dem in § 2 BSHG geregelten Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe bzw aus einer die Klägerin treffenden Pflicht zur Selbsthilfe durch Geltendmachung vorrangiger Ansprüche gegen andere Sozialleistungsträger. Insbesondere ergibt sich nicht ein Vorrang von anderen Ansprüchen aus § 21 Abs 1 Bad-Württ Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz vom 04.06.1991 (GBl S 299) iVm Art 1 § 10 und Art 11. Nach diesen Bestimmungen gehen Maßnahmen für seelisch wesentlich behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte junge Menschen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch mit Wirkung vom 01.01.1991 den Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz vor, soweit sie erstmals nach dem 31.12.1990 geleistet wurden. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin deshalb nicht vor, weil, wie dargelegt, im vorliegenden Fall bereits rechtskräftig entschieden worden ist, daß die Klägerin nicht wesentlich behindert ist und weil - zweitens - Maßnahmen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch tatsächlich nicht geleistet wurden. Ein Zurücktreten der Sozialhilfe gegenüber der Jugendhilfe kommt aber nach § 2 BSHG nur dann in Betracht, wenn in einer Notlage die erforderliche Hilfe umfassend uneingeschränkt vom Träger der Jugendhilfe tatsächlich auch gewährt wurde (vgl BVerwG, Urt v 06.02.1986 und v 27.06.1991, Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nrn 6 und 7; Beschl d Senats v 10.05.1995 - 6 S 913/95 -, VBlBW 1996, 33 sowie Urt v 24.04.1996 - 6 S 827/95). Zu einer solchen Hilfeleistung ist es aber nicht gekommen. In Hinblick darauf entfällt ein Sozialhilfeanspruch auch nicht im Hinblick auf die Regelungen des § 27 Abs 1 und 3 bzw 4 KJHG. Diese Vorschrift geht allerdings vorliegend nach § 10 Abs 2 S 1 KJHG den Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz deshalb vor, weil der Ausschlußtatbestand des § 10 Abs 2 S 2 KJHG hier nicht einschlägig ist, denn die letztere Vorschrift bezieht sich auf Fälle der wesentlichen Behinderung, mithin auf einen Tatbestand, den das Verwaltungsgericht, wie dargelegt, rechtskräftig verneint hat.

Ist somit die Anwendbarkeit des § 27 Abs 1 und 3 KJHG im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen, kann dies, wie der 7. Senat mit Urteil vom 29.05.1995 - 6 S 259/94 - entschieden hat, unter bestimmten Voraussetzungen dazu führen, daß ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für den Besuch einer Legasthenie-Einrichtung nach § 27 Abs 3 KJHG besteht. Dies hat jedoch nicht zur Folge, daß wegen des Nachrangs der Sozialhilfe im vorliegenden Fall ein Anspruch der Klägerin auf Bewilligung von Eingliederungshilfe ausgeschlossen wäre. Denn ein Anspruch nach § 27 Abs 3 KJHG steht nicht dem auf Gewährung von Jugendhilfe angewiesenen Minderjährigen, sondern, wie dargelegt, dessen Personensorgeberechtigten zu (§ 27 Abs 1 KJHG). Damit aber hat die Klägerin selbst keinen vorrangigen Anspruch nach § 27 Abs 3 bzw 4 KJHG, auf den sie im Rahmen des § 2 BSHG verwiesen werden könnte. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang wiederum entscheidend, daß der Träger öffentlicher Jugendhilfe Leistungen nach § 27 Abs 3 und 4 KJHG tatsächlich nicht gewährt hat, so daß es an der Voraussetzung für ein Zurücktreten der Sozialhilfe fehlt (vgl BVerwG, Urt v 06.02.1986 und 27.06.1991 aaO).

Ist somit der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Eingliederungshilfe nicht ausgeschlossen, so ist er nach den §§ 39 ff BSHG in der Fassung zu beurteilen, wie sie in der Zeit vom 16.04.1991 bis 07.05.1992, für den die Übernahme der Kosten für den Besuch des Legasthenie- Instituts in E begehrt wurde, gegolten hatte.

Nach § 39 Abs 1 S 1 BSHG in der maßgeblichen Fassung ist Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, Eingliederungshilfe zu gewähren. Nach S 2 der Vorschrift kann Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung Eingliederungshilfe gewährt werden, dh die Hilfegewährung ist in das pflichtgemäße Ermessen des Trägers der Sozialhilfe gestellt (vgl Urt d Senats v 23.04.1991 - 6 S 938/90). Nach § 2 der Verordnung nach § 47 BSHG- EinglH-VO vom 27.05.1964 (BGBl I S 339) in der für den obengenannten Zeitraum maßgeblichen Fassung sind geistig wesentlich behindert im Sinne des § 39 Abs 1 S 1 BSHG Personen, bei denen infolge einer Schwäche der geistigen Kräfte die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft erheblich beeinträchtigt ist. Seelisch wesentlich behindert sind im Sinne des § 39 Abs 1 S 1 BSHG Personen, bei denen infolge seelischer Störungen die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft in erheblichem Umfang beeinträchtigt ist (§ 3 EinglH-VO). Für andere geistige oder seelische Behinderungen im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG enthält die Eingliederungshilfeverordnung keine Regelung. Nach § 39 Abs 2 BSHG stehen einem Behinderten die von einer Behinderung bedrohten Personen gleich. § 5 EinglH-VO bestimmt, daß von einer Behinderung bedrohte Personen solche sind, bei denen der Eintritt der Behinderung nach allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Bei alledem ist nach § 39 Abs 3 BSHG die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu beachten, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört vor allem, dem Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder ihn soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (§ 39 Abs 3 S 2 BSHG).

Eine andere Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG, wie sie Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist, liegt also nur vor, wenn die betreffende Person auch in ihrer Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt ist. Dies ergibt sich aus einer rechtlichen Gesamtschau unter Einschluß der in § 39 Abs 1 S 1 BSHG iVm den §§ 1 bis 3 EinglH-VO geregelten wesentlichen Behinderung einerseits und der in § 39 Abs 3 BSHG definierten Aufgabe der Eingliederungshilfe andererseits. Danach unterscheidet sich die andere Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG von der wesentlichen Behinderung im Sinne des Satzes 1 der Bestimmung dadurch, daß sie quantitativ/qualitativ insofern weniger schwerwiegend ist, als sie auch vorübergehender und nicht wesentlicher Natur sein kann (vgl LPK-BSHG, 4. Aufl, § 39 RdNr 25; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 14. Aufl, § 39 RdNr 17). Letzteres bedeutet aber nicht, daß bei einer anderen Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG im übrigen die für eine wesentliche Behinderung maßgeblichen Merkmalen der §§ 1 bis 3 EinglH-VO nicht erfüllt sein müssen. Vielmehr gelten die dort bezeichneten Merkmale in gleicher Weise, wenn auch in abgeschwächter Form. Denn dem Begriff der Behinderung liegen zwei Elemente zugrunde, nämlich einerseits körperliche Regelwidrigkeiten, Schwäche der geistigen Kräfte bzw seelische Störungen (§§ 1 bis 3 EinglH-VO), andererseits aber auch die sich daraus ergebende Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft (vgl dazu BVerwG, Urt v 19.06.1984, Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr 3). Dies gilt für wesentliche Behinderungen bereits aufgrund der Bestimmungen der Eingliederungshilfeverordnung, aber auch - mit den entsprechenden Einschränkungen - für andere Behinderungen im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG. Demgemäß muß auch bei anderen geistigen oder seelischen Behinderungen eine Schwäche der geistigen Kräfte bzw eine seelische Störung vorliegen, wenn auch - im Verhältnis zur wesentlichen Behinderung - in reduziertem Umfang. Desgleichen muß auch bei einer anderen Behinderung die Fähigkeit des Betreffenden zur Eingliederung in die Gesellschaft zwar wiederum nicht erheblich, aber doch in hierzu eingeschränktem Umfang beeinträchtigt sein. Letzteres ergibt sich daraus, daß Eingliederungshilfe die Aufgabe hat, nicht nur eine drohende Behinderung zu verhindern oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern, sondern auch zugleich, den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern (§ 39 Abs 3 S 1 letzter Satzteil BSHG). Der bereits im Namen der Hilfe zum Ausdruck kommende Eingliederungszweck setzt aber voraus, daß die Fähigkeit des Hilfesuchenden zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt ist, so daß deshalb eine Eingliederung als Form einer Hilfe in besonderen Lebenslagen geboten ist. Nach alledem ist in dem Begriff der anderen Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal mitenthalten, daß der Hilfesuchende in seiner Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft (eingeschränkt) beeinträchtigt ist. Denn nur dann ist die Eingliederungshilfe erforderlich (vgl dazu Urt d Senats v 23.04.1991 - 6 S 938/90) bzw es besteht nach § 39 Abs 4 BSHG die Aussicht, daß die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann (vgl dazu BVerwG, Urt v 18.02.1994 - 5 B 136.93 -, RdLH 1994 Nr 3, 27).

Nach diesen Grundsätzen hat bei der Klägerin im maßgeblichen Zeitraum eine andere Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG nicht vorgelegen.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat bei der Klägerin im strittigen Bewilligungszeitraum auch nicht eine seelische Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG vorgelegen und auch nicht im Sinne des Absatzes 2 der Vorschrift gedroht. Zwar kann eine seelische Behinderung die Folge einer Legasthenie sein (vgl BVerwG, Urt v 19.06.1984 und 05.07.1995, Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nrn 3 und 12; Beschl d Senats v 29.11.1979 - VI 1593/79; OVG Nieders, Urt v 29.09.1978, FEVS 27, 70; OVG Nordrh-Westf, Urt v 04.10.1979 - VIII B 1628/78; OVG Schlesw-Holst, Urt v 24.07.1991 - 3 L 255/91 -, SchlHA 1992, 35). Im vorliegenden Fall ist dies jedoch nicht festzustellen.

Allerdings hat das Staatliche Gesundheitsamt in seiner Stellungnahme vom 19.11.1991 eine seelische Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG bescheinigt, gleichzeitig aber erklärt, daß eine seelische Behinderung nach den derzeitigen Befunden und dem vorliegenden Gutachten nicht bestehe. Damit erweist sich die Stellungnahme als widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Die später dem Verwaltungsgericht abgegebene Erklärung der Ärztin des Gesundheitsamtes, sie habe nur eine wesentliche seelische Störung bei der Klägerin ausschließen wollen, erscheint angesichts der einschränkungslosen Aussage in der Stellungnahme nicht überzeugend. Dem entspricht es, daß sich in den unter Ziff 2 der Stellungnahme festgestellten Befunden keine Hinweise für eine seelische Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG finden lassen. Vielmehr war betont worden, daß zu Hause keine Erziehungsschwierigkeiten bei der Klägerin bestünden und daß diese viel Sport treibe und einen Musikkurs besuche. Soweit ferner festgestellt worden ist, daß die Klägerin bei schlechten Noten im Diktat zum Abreagieren Klarinette spiele, reicht dies nicht aus, um eine geistige Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG anzunehmen, denn es ist nicht auszuschließen, daß es sich insoweit um ein "normales" Abreagieren handelt. Für diese Einschätzung spricht vor allem der im Berufungsverfahren vorgelegte psychiatrische Status, der in der Praxis des damals die Klägerin behandelnden Kinderarztes Dr K erstellt worden war. In diesem Befund wurden mit Ausnahme einer eingeschränkten Wahrnehmung und verminderten Aufmerksamkeit bei der Klägerin keine nachteiligen, sondern durchgehend normale bzw gute Befunde festgestellt. Vor allem der Affekt wurde als unauffällig und die Stimmung als ausgeglichen dargestellt. Damit liegen aber Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer anderen Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG nicht vor. Die im Schreiben vom 13.11.1995 vorgenommene Beurteilung von Dr K, wonach die Klägerin wegen ihrer Legasthenie oder als Folge davon nicht nur vorübergehend wesentlich körperlich oder seelisch behindert gewesen sei, widerspricht dem seinerzeit erstellten psychiatrischen Status in den maßgeblichen Punkten. Zudem läßt die weitere Angabe von Dr K, daß bei einer Nichtbehandlung der Legasthenie regelmäßig mit psychosomatischen Beschwerden, neurotischen Verhaltensstörungen und dissozialen Entwicklungen zu rechnen sei, erkennen, daß bei der Klägerin eine psychische Behinderung eben noch nicht eingetreten war, sondern ihr Eintreten allenfalls aufgrund allgemeiner Erfahrungen für möglich gehalten worden war. Auch aus der Stellungnahme des Legasthenie-Instituts vom 27.11.1995 läßt sich eine damalige seelische Störung der Klägerin nicht herleiten, da seinerzeit keine Untersuchungen über das Ausmaß der psychischen Folgen durchgeführt wurden. Auch hat die Psychologin K nur auf allgemeine Erfahrungen verwiesen.

Die Einschätzung, daß bei der Klägerin im fraglichen Bewilligungszeitraum eine seelische Behinderung nicht vorgelegen hat, erfährt eine weitere Bestätigung durch die ebenfalls im Berufungsverfahren vorgelegten Schulzeugnisse. Die dort getroffenen Feststellungen lassen eine seelische Behinderung in keiner Weise erkennen, sondern schließen sie aus. Daran ändert auch nicht, daß in den ersten Zeugnissen zugleich Mängel beim Diktat und Lesen sowie eine teilweise leichte Ablenkbarkeit der Klägerin sowie ein Angewiesensein auf zusätzliche Erklärung bescheinigt worden war. Im einzelnen heißt es in den Zeugnissen, daß die Klägerin zur damaligen Zeit eine freundliche und ruhige Schülerin gewesen sei, die von ihren Mitschülern wegen ihrer umsichtigen und hilfsbereiten Art gemocht worden sei. Ausdrücklich wird erklärt, daß die Klägerin vom ersten Tag ihrer Einschulung an keine Schwierigkeit gehabt habe, sich in die große Klassengemeinschaft einzufügen. Sie sei nach wie vor gern in Arbeits- und Spielgruppen gewählt worden. Sie habe ihre Freundinnen gefunden, mit denen sie zusammentreffe und die Pausen verbringe. Aber auch zu den übrigen Mitschülern sei sie freundlich und hilfsbereit. Nach alledem hat bei der Klägerin zum maßgeblichen Zeitraum eine seelische Fehlentwicklung nicht vorgelegen.

Der Klägerin hatte aber auch in dem maßgebenden Zeitraum nicht eine seelische Behinderung im Sinne des § 39 Abs 2 S 1 BSHG iVm § 5 EinglH-VO gedroht. Denn dies setzt nach § 5 EinglH-VO nach allgemeiner ärztlicher und sonstiger fachlicher Erkenntnis eine hohe Wahrscheinlichkeit des Eintritts voraus. Hierzu bedarf es einer konkreten Beurteilung anhand der Umstände des gegebenen Einzelfalls, während eine bloß allgemeine oder theoretische Möglichkeit einer seelischen Behinderung im Sinne einer abstrakten Gefährdungslage nicht ausreicht (vgl BVerwG, Beschl v 05.07.1995, Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr 12, S 2 sowie Urt d Senats v 24.04.1996 - 6 S 827/95). Ferner müssen Einschränkungen der Eingliederungsfähigkeit zwar noch nicht eingetreten sein oder unmittelbar bevorstehen; sie müssen aber mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein; eine einfache Wahrscheinlichkeit genügt nicht (vgl zit Urt d Senats v 24.04.1996; Knopp/Fichtner, BSHG, 7. Aufl, § 39 RdNr 35). All diese Voraussetzungen haben bei der Klägerin zum maßgeblichen Zeitraum nicht vorgelegen. Die erwähnte Passage in der Stellungnahme des Kinderarztes Dr K, wonach bei einer Nichtbehandlung der Legasthenie mit psychischen Verhaltensstörungen zu rechnen sei, gibt lediglich eine allgemeine Einschätzung wieder, läßt also die erforderliche konkrete Prognose unter Berücksichtigung gerade der speziellen Befunde der Klägerin vermissen. Besondere Anhaltspunkte für eine mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende seelische Behinderung wurden dagegen nicht gezielt für die Person der Klägerin vorgetragen; sie sind vielmehr angesichts der fehlenden positiven Befunde im psychiatrischen Status der Klägerin und den in den vorgelegten Schulzeugnissen getroffenen Feststellungen zu verneinen. Eine seelische Behinderung hat nach alledem der Klägerin mit dem erforderlichen Grad der hohen Wahrscheinlichkeit nicht gedroht.

Letztlich können aber die mit der medizinischen Einschätzung der Klägerin zusammenhängenden Fragen einer bereits eingetretenen oder drohenden seelischen Behinderung deshalb dahingestellt bleiben, weil deren Vorliegen jedenfalls aus anderen rechtlichen Gründen auszuscheiden hat. Es fehlt nämlich die für das Vorliegen einer Behinderung notwendige weitere Voraussetzung, daß die betreffende Person infolge seelischer Störungen in ihrer Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt gewesen war oder daß ihr eine solche Beeinträchtigung mit hoher Wahrscheinlichkeit gedroht hatte. Wie bereits ausgeführt, belegt gerade der seinerzeit in der Praxis Dr K erstellte psychiatrische Status, daß bei der Klägerin eine ihre Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft ausschließende oder auch nur gefährdende Entwicklung der Persönlichkeit nicht festgestellt werden konnte. Mit Ausnahme einer eingeschränkten Wahrnehmung und Aufmerksamkeit wurden bei der Klägerin keine nachteiligen, sondern vielmehr normale bzw gute Befunde ermittelt und insbesondere der Affekt als unauffällig und vor allem die Stimmung als ausgeglichen beurteilt. Damit stimmen, wie ebenfalls bereits ausgeführt, die zur fraglichen Zeit erstellten Schulzeugnisse überein, in denen in bezug auf die Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin ebenfalls keine - die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft in Frage stellenden - Anomalien festgestellt werden konnten, sondern vielmehr eine völlig ungefährdete und normale Integration der Klägerin in den Klassenverband bestätigt worden war. Soweit Schwierigkeiten beim Lesen und beim Diktat angegeben wurden - Schwierigkeiten, die die Schule mit Noten zwischen 4 und 5 bewertet hatte (Bl 41 der VG-Akte) - so lag die Deutschnote gleichwohl für die Zeit ab April 1991 (dem Beginn des Unterrichts am Legasthenie-Institut E) nicht unter dem Durchschnitt. So erhielt die Klägerin in dem zweiten und dritten Schuljahr in Deutsch zweimal befriedigend und einmal ausreichend. Dabei lassen sich die im dritten Schuljahr erzielten Leistungen nicht etwa bereits auf einen Erfolg des Legasthenie-Unterrichts zurückführen, berücksichtigt man, daß dieser immerhin vier Jahre angedauert hatte, also im dritten Schuljahr noch nicht voll zum Tragen gekommen war. Hinzu kommt, daß den nicht zufriedenstellenden Leistungen in der Rechtschreibung und beim Lesen überdurchschnittliche Noten in anderen Fächern gegenübergestanden hatten, nämlich ein durchgehendes "gut" in Mathematik sowie in anderen Fächern sowie sehr gute Leistungen in Sport und Musik. Unter diesen Umständen war die Versetzung der Klägerin zu keiner Zeit in Frage gestellt gewesen, ein Umstand, der bereits für sich allein ausreicht, eine Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft auszuschließen. Zumindest ist dies anzunehmen unter Berücksichtigung der vorstehenden Feststellungen sowohl von Dr K und der Schule. Nach alledem war bei der Klägerin im fraglichen Zeitraum eine seelische Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG weder eingetreten noch hatte eine solche gedroht.

Die Klägerin war seinerzeit aber auch nicht als Legasthenikerin geistig im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG behindert gewesen bzw es hatte ihr auch nicht eine solche Behinderung gedroht. Zwar kann eine Legasthenie unter bestimmten Voraussetzungen eine geistige Behinderung darstellen (so BVerwG, Urt v 28.09.1995 - 5 C 21.93 -, FEVS 46, 360 = DVBl 1996, 857; offengelassen Beschl d Senats v 29.11.1979 - VI 1593/79; OVG Lüneburg, Urt v 29.09.1978, FEVS 27, 70). Der teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung, wonach Legasthenie für sich allein in der Regel keine geistige Behinderung darstellt, sondern allenfalls psychische Behinderungen nach sich ziehen kann (vgl LPK-BSHG, 4. Aufl, § 39 RdNr 15; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 14. Aufl, § 2 EinglH-VO RdNr 4), ist in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Auszugehen ist vielmehr bei der rechtlichen Einordnung der Legasthenie von der Definition der geistigen wesentlichen Behinderung in § 2 Abs 1 EinglH- VO. Danach liegt eine geistige Behinderung dann vor, wenn die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft infolge einer Schwäche der geistigen Kräfte erheblich beeinträchtigt ist. Eine solche Schwäche ist in der Regel bei einem besonders niedrigen Intelligenzquotienten anzunehmen, kann aber auch in besonderen Fällen bei einem partiellen geistigen Defizit bei sonst normaler Intelligenz bejaht werden (vgl BVerwG, Urt v 28.09.1995; Urt d Senats v 24.04.1996 - 6 S 827/95). Die "geistigen Kräfte" im Sinne des § 2 EinglH-VO stellen nämlich keine einheitliche Größe dar, sondern setzen sich aus einer Vielzahl von Komponenten zusammen. Allerdings werden geistige Teilleistungsstörungen vielfach durch andere geistige Fähigkeiten ausgeglichen oder reichen wegen ihrer Bezogenheit auf einen Teil der geistigen Kräfte für eine Beeinträchtigung der Eingliederungsfähigkeit im Sinne des § 2 EinglH-VO nicht aus (vgl BVerwG, Urt v 28.09.1995; Urt d Senats v 24.04.1996; OVG Lüneburg, Beschl v 29.09.1978 aaO).

Die vorstehenden zu einer wesentlichen geistigen Behinderung entwickelten Grundsätze kommen auf andere geistige Behinderungen im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG entsprechend zur Anwendung, allerdings, wie dargelegt, in abgeschwächter Form. Demgemäß kann eine Legasthenie als solche und für sich allein unter bestimmten Voraussetzungen eine andere geistige Behinderung darstellen, denn sie betrifft eine Schwäche der geistigen Kräfte in bezug auf die Fähigkeit des Lesens und Schreibens. Dieser Einordnung als geistige Behinderung steht auch nicht die von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebene Klassifikation psychischer Störungen, Kapitel V, lit F entgegen. Zwar ist dort die Lese- und Rechtschreibstörung nicht als geistige Behinderung, sondern als eine zu den psychischen Störungen gehörende Entwicklungsstörung definiert worden (lit. F 81.0 der Klassifikation). Diese mehr auf die Ursachen abstellende Definition ist jedoch sozialhilferechtlich nicht verbindlich. Vielmehr muß nach § 2 Abs 1 EinglH-VO als entscheidendes Kriterium auf die Schwäche der - die Fähigkeiten der Rechtschreibung und des Lesens mit erfassenden - geistigen Kräfte abgestellt werden, und zwar ohne Rücksicht auf die Ursachen (vgl LPK-BSHG, 4. Aufl, § 39 RdNr 13; Mergler/Zink, BSHG, § 39 RdNr 37).

Sodann gilt auch für eine andere geistige Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG die oben dargelegte weitere Voraussetzung, daß infolge der Schwäche geistiger Kräfte die Fähigkeit der betreffenden Person zur Eingliederung in die Gesellschaft, wenn auch nicht erheblich, so doch eingeschränkt, beeinträchtigt ist.

Nach diesen Maßstäben hat bei der Klägerin infolge der Legasthenie eine andere geistige Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG nicht vorgelegen und auch nicht im Sinne des Absatzes 2 der Vorschrift iVm § 5 EinglH-VO mit hoher Wahrscheinlichkeit gedroht. Dabei läßt der Senat die Frage offen, ob eine geistige Behinderung der genannten Art im vorliegenden Fall bereits wegen Fehlens des für eine Behinderung begriffsnotwendigen Schweregrads (vgl dazu Schellhorn/Jirasek/Seipp, 14. Aufl, § 39 RdNr 9) im Hinblick darauf zu verneinen ist, daß die Leistungen der Klägerin in den Fächern Lesen und Rechtschreibung seinerzeit mit den Noten 4 bis 5 beurteilt worden war, also noch nicht den Bereich des eindeutig Mangelhaften erreicht hatten. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in dem zitierten Urteil vom 28.09.1995 eine wesentliche Behinderung allein wegen des Schweregrads einer vorliegenden Legasthenie nicht angenommen, weil sich daraus nicht zwangsläufig eine Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft ergibt. Andererseits hat es aber das Vorhandensein einer geistigen Schwäche doch von deren Ausmaß abhängig gemacht, so daß der Schweregrad ein maßgebliches Beurteilungsmerkmal darstellt. Gerade im vorliegenden Fall ergeben sich Zweifel insoweit daraus, ob es gerechtfertigt ist, eine zwischen ausreichend und mangelhaft liegende Leistung im Schreiben und Lesen als Behinderung einzustufen, während eine genauso beurteilte Leistung in einem anderen Schulfach unter dem Gesichtspunkt der Behinderung normalerweise unbedenklich ist. Auch erscheint es nicht konsequent, bei allgemeinen Intelligenzmängeln eine geistige Behinderung erst bei einer an die Imbezillität heranreichende Debilität anzunehmen (vgl Urt d Senats v 06.12.1995 - 6 S 2273/95 - mwN), bei einer Legasthenie dagegen möglicherweise jede noch so geringfügige Regelwidrigkeit im Sinne des § 3 SchwbG (vgl dazu HessVGH, Urt v 28.04.1992, FEVS 44, 20/23) als ausreichend anzusehen. Bei alledem könnte auch von Bedeutung sein, daß die Weltgesundheitsorganisation eine in einer Legasthenie zum Ausdruck kommende Entwicklungsstörung erst dann annimmt, wenn die schulischen Bewertungen im konkreten Fall einer bei weniger als 3% der Schulkinder erwarteten Bewertung entspricht (F 8.1, S 272 der Klassifikation), wogegen die bei der Klägerin festgestellte Rechtschreib- und Leseschwäche einen Prozentrang von 9, also einen dreifach höheren Wert aufgewiesen hatte.

All die vorstehenden Fragen können aber letztlich dahingestellt bleiben, da auch eine andere geistige Behinderung im Sinne des § 39 Abs 1 S 2 BSHG vorliegend deshalb bei der Klägerin für den fraglichen Zeitraum auszuschließen ist, weil das außerdem geltende Erfordernis einer Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft, wie bereits oben im einzelnen dargelegt wurde, bei der Klägerin nicht erfüllt gewesen war. Da die Schwächen der Klägerin in der Rechtschreibung und beim Lesen den Schulerfolg in keiner Weise gefährdet hatten und auch nicht zu gefährden drohten, vielmehr die Versetzung in die nächsthöhere Klasse und die Integration in den Klassenverband jeweils unproblematisch gewesen waren, hatte eine Beeinträchtigung der Fähigkeit der Klägerin zur Eingliederung in die Gesellschaft im erforderlichen Sinne nicht vorgelegen und auch nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit gedroht.

Nach alledem fehlen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Eingliederungshilfe nach Maßgabe des § 39 Abs 1 S 2 BSHG mit der Folge, daß der Klägerin insoweit auch kein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung zugestanden hat. Die Klage ist daher in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs 1 und 188 S 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs 2 VwGO vorliegt.