VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.08.2000 - 13 S 950/00
Fundstelle
openJur 2013, 11409
  • Rkr:

1. Das Recht des Familienangehörigen auf freien Zugang zu einer ordnungsgemäßen Beschäftigung aus Art 7 S 1 Ss 2 ARB 1/80 (EWGAssRBes 1/80) vermittelt mit der Aufnahme einer Beschäftigung ein eigenständiges, vom Gesichtspunkt des Fortbestehens der Familieneinheit mit einem dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmer losgelöstes Aufenthaltsrecht, das durch nationale Regelungen über den Aufenthalt nicht mehr beeinträchtigt werden kann (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 16.03.2000, Rechtssache C-329/97 (Ergat), DVBl. 2000, 691).

2. Art 6 Abs 2 S 2 ARB 1/80 (EWGAssRBes 1/80) /80 und die Grundsätze zum Erlöschen des Zugangsrechts des türkischen Arbeitnehmers nach Art 6 Abs 1 Ss 3 ARB 1/80 (EWGAssRBes 1/80) wegen Erwerbslosigkeit sind auch auf dieses eigenständige Zugangsrecht des Familienangehörigen nach Art 7 S 1 Ss 2 ARB 1/80 (EWGAssRBes 1/80) anzuwenden.

3. Es ist für die Frage des Erlöschens des eigenständigen Zugangsrechts des Familienangehörigen nach Art 7 S 1 Ss 2 ARB 1/80 (EWGAssRBes 1/80) wegen Erwerbslosigkeit ohne Bedeutung, ob die Familieneinheit mit dem türkischen Arbeitnehmer fortbesteht.

4. Es bleibt offen, ob die Mitteilung des Arbeitsamtes, Arbeitslosengeld sei ohne Sperrzeit gemäß § 119 AFG bewilligt worden, als ordnungsgemäße Feststellung der Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit durch die zuständige Stelle im Sinne von Art 6 Abs 2 S 2 ARB 1/80 (EWGAssRBes 1/80) zu werten ist.

5. Vom Ausscheiden des türkischen Arbeitnehmers aus dem regulären deutschen Arbeitsmarkt wegen Erwerbsunfähigkeit (vgl EuGH, Urteil vom 6.6.1995, Rechtssache C-434/93 (Bozkurt), Slg 1995, I-1475, RdNrn 39 und 40) ist im Sinne des Gemeinschaftsrechts erst zu dem Zeitpunkt auszugehen, zu dem aufgrund des Bescheides des zuständigen Sozialversicherungsträgers feststeht, dass eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt durch Maßnahmen der Rehabilitation nicht mehr in Betracht kommt; auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Eintritts der Erwerbsunfähigkeit kommt es nicht an.

Tatbestand

Der am 12.1.1967 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Sein Vater reiste im Oktober 1973 in das Bundesgebiet ein, seine Mutter folgte im März 1977. Beide erhielten befristete Aufenthaltserlaubnisse; seit Februar 1997 besitzen sie Aufenthaltsberechtigungen. Der Vater des Klägers war zunächst als Arbeitnehmer vollzeitbeschäftigt. Aufgrund eines im Mai 1984 eingetretenen Versicherungsfalles stellte er am 10.12.1984 Antrag auf Rehabilitation. Die Landesversicherungsanstalt Westfalen stellte mit Bescheid vom 19.9.1985 die Erwerbsunfähigkeit fest und bewilligte eine Erwerbsunfähigkeitsrente ab 1.12.1984. Ab 1986 war der Vater zeitweise als Aushilfskraft geringfügig beschäftigt gewesen. Die Mutter des Klägers war im Bundesgebiet nicht erwerbstätig gewesen.

Der Kläger zog Ende Mai 1977 aus der Türkei zu seinen Eltern, bei denen er mit Wohnsitz angemeldet wurde. Er besuchte die Grund- und Hauptschule, welche er 1984 ohne Abschluss verließ. Der Kläger erhielt erstmals am 2.10.1984 eine Arbeitserlaubnis mit uneingeschränktem Geltungsbereich; am 24.1.1996 erhielt er eine unbefristete Arbeitserlaubnis. Er war seit 20.5.1985 mit Unterbrechungen bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt. Der Kläger ist seit dem 25.4.1997 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet.

Für die Einreise und den Aufenthalt bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres war der Kläger vom Erfordernis einer Aufenthaltserlaubnis befreit. Danach erhielt er aufgrund seines Antrags vom 21.2.1983 eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis, die in der Folgezeit befristet verlängert wurde, zuletzt bis zum 22.11.1990. Am 20.11.1990 beantragte der Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Er beging in der Zeit von 1982 bis Anfang 1991 wiederholt Straftaten; zuletzt wurde er durch Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 9.6.1992 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (mehrfacher Erwerb und Verkauf von Haschisch bis zu 250g und Kokain bis zu 30g Ende 1990/Anfang 1991) zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt; die Bewährungszeit von vier Jahren wurde später um sechs Monate verkürzt und die Strafe 1996 erlassen.

Mit Bescheid vom 12.11.1992 wies die Beklagte den Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus; zugleich lehnte sie den Antrag des Klägers vom 20.11.1990 auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab und drohte ihm die Abschiebung in sein Heimatland an. Das Regierungspräsidium Stuttgart wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 3.8.1994 zurück; zu diesem Zeitpunkt war der Kläger arbeitslos gemeldet und wohnte weiterhin bei seinen Eltern. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger erfülle nach dem Strafurteil des Amtsgerichts vom 9.7.1992 den Regelausweisungsgrund nach § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG. Ein Ausnahmefall liege nicht vor. Der Kläger sei ab 1982 bis 1991 insgesamt neunmal insbesondere im Bereich der Eigentums- und Betäubungsmitteldelikte strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die verhängten Strafen hätten ihn nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten können, so dass Wiederholungsgefahr bestehe. Zwar sei der Kläger seit der Ausweisung strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten. Dieses Wohlverhalten sei jedoch beeinflusst durch die Ausweisung und die drohende Aufenthaltsbeendigung. Die Ausweisung sei zum einen spezialpräventiv gerechtfertigt. Die Taten des Klägers seien nach Anzahl und Gewicht der schweren Kriminalität zuzuordnen. Er habe Ende 1990/Anfang 1991 in erheblichen Umfang Haschisch und Kokain verkauft; Kokain sei für die Konsumenten ebenso gefährlich wie Heroin. Die kurze Abfolge der Straftaten belege deutlich, dass sich der Kläger nicht an die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland halten wolle. Insbesondere habe er sich die Verurteilung des Amtsgerichts Stuttgart vom 30.11.1989 nicht als Warnung dienen lassen, obwohl er spätestens seit dieser Verurteilung mit seiner Ausweisung bei weiterer Straffälligkeit habe rechnen müssen. Mit Rücksicht auf die besondere Schwere des Ausweisungsgrundes liege in der Ausweisung keine unangemessene Härte, obwohl der Kläger bereits 1977 als Zehnjähriger zusammen mit seinen zwei Geschwistern eingereist sei und seinen Angaben zufolge derzeit seine Eltern finanziell unterstütze. Die Ausweisung sei auch aus generalpräventiven Gründen zulässig. Den hier lebenden Ausländern solle deutlich vor Augen geführt werden, dass das Handeltreiben mit Kokain oder ähnlichen gefährlichen Drogen nicht hingenommen werde. Der besondere Schutz, der den freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gem. § 12 AufenthG/EWG zukomme, gebe keinen Maßstab für den Schutz, den Art. 14 ARB 1/80 den Ausländern türkischer Staatsangehörigkeit gewähre. Denn Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 enthalte keine dem Freizügigkeitsrecht entsprechenden Bestimmungen. Gem. § 8 Abs. 2 AuslG könne dem ausgewiesenen Kläger die beantragte Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt werden.

Mit Urteil vom 2.2.1996 wies das Verwaltungsgericht Stuttgart die gegen die Ausweisung, die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung gerichtete Klage ab (5 K 3500/94). Es teilt im Wesentlichen die Rechtsauffassung der Widerspruchsbehörde.

Der Kläger hat am 11.3.1996 gegen das am 26.2.1996 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berufung eingelegt und beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 2. Februar 1996 - 5 K 3500/94 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 12.11.1992 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 3.8.1994 zu verpflichten, ihm eine befristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Er sei in Deutschland aufgewachsen; daher verstoße die Ausweisung gegen Art. 8 EMRK. Außerdem habe er Anspruch auf uneingeschränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt gem. Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80. Zu dem Zeitpunkt, zu dem sein Vater berentet worden sei, habe er als damals 17-jähriger grundsätzlich eine Beschäftigung ausüben dürfen. Das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt sei nicht deshalb untergegangen, weil er es nicht sogleich ausgeübt habe. Aus der Regelung des Art. 9 ARB 1/80 werde deutlich, dass das Ausscheiden des "Stammberechtigten" aus dem Arbeitsmarkt das einmal entstandene Zugangsrecht des bei ihm wohnenden Familienangehörigen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 nicht untergehen lasse; dies sei vorbehaltlich der Verfestigung des Rechts durch Aufnahme einer Beschäftigung erst dann der Fall, wenn der Stammberechtigte ausreise oder ausreisen müsse. Der Ausweisungsschutz nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 entspreche demjenigen, der für Unionsbürger bestehe. Danach sei die Ausweisung unzulässig, weil sie nicht auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden könne, und weil sie angesichts der Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung spezialpräventiv nicht gerechtfertigt sei. Zudem sei Art. 3 Abs. 3 ENA anwendbar. Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bis zu einem Jahr seien gem. § 97 AuslG unbeachtlich; zudem liege ein ununterbrochener rechtmäßiger Inlandsaufenthalt auf der Grundlage des gemeinschaftsrechtlichen Anspruchs auf Zugang zum Arbeitsmarkt nach Art. 7 ARB 1/80 vor. Schließlich treffe die Beklagte eine Folgenbeseitigungslast. Er habe bereits vor Vollendung des 16. Lebensjahres, als er erstmals aufenthaltserlaubnispflichtig geworden sei, einen Anspruch auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gehabt. Hätte ihn die Beklagte hierauf hingewiesen, wozu sie gem. § 25 VwVfG verpflichtet gewesen sei, käme ihm nunmehr erhöhter Ausweisungsschutz gem. § 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG zugute.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht im Wesentlichen geltend: Art. 8 EMRK sei nicht verletzt, weil keine unverhältnismäßige Härte vorliege. Die hier gegebenen general- und spezialpräventiven Erwägungen rechtfertigten die Ausweisung auch, falls Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 einschlägig sein sollte. Der Schutz des Art. 3 Abs. 3 ENA entfalle ohne Rücksicht auf § 97 AuslG bereits bei einer kurzfristigen Unterbrechung des ordnungsgemäßen Aufenthalts; jedenfalls das Recht aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 vermittle keinen ordnungsgemäßen Aufenthalt im Sinne des Art. 3 Abs. 3 ENA, weil zweifelhaft sei, ob dieses Zugangsrecht ein Aufenthaltsrecht beinhalte. In jedem Falle sei die Ausweisung wegen eines besonders schwerwiegenden Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung zulässig.

Mit Beschluss vom 5.11.1998 - 13 S 816/96 - legte der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Fragen zur Auslegung von Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 und Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zur Vorabentscheidung vor und setzte das Verfahren bis zur Vorabentscheidung aus. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Vorlagebeschlusses verwiesen. Mit Schriftsatz vom 16.3.2000 bat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften um Mitteilung, ob der Senat es im Hinblick auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 16.3.2000 und vom 10.2.2000 (Rechtssachen C-329/97 Ergat/Ulm und C-340/97 Nazli/Nürnberg) noch für notwendig erachte, sein Vorabentscheidungsersuchen aufrecht zu erhalten. Der Senat hat den Vorlage- und Aussetzungsbeschluss mit Beschluss vom 10.5.2000 aufgehoben.

Dem Senat liegen die Ausländerakten der Beklagten und des Regierungspräsidiums Stuttgart, die Strafakten der Staatsanwaltschaft Stuttgart (C 2 138/92), das Bewährungsheft des Amtsgerichts Stuttgart (C 3 LS 138/92) sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart (auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes) vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf diese Unterlagen und die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Gründe

Der Senat kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung am 2.2.1996 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart ist zulässig (Art. 10 Abs. 1 Nr. 1 des Sechsten Gesetzes zur Änderung der VwGO vom 1.11.1996 - BGBl. I S. 1626). Sie ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der zulässigen Klage stattgeben müssen. Der Bescheid der Beklagten vom 12.11.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 3.8.1994 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; dieser hat Anspruch auf antragsgemäße Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Die im Bescheid der Beklagten vom 12.11.1992 enthaltene Ausweisung des Klägers ist rechtswidrig und verletzt diesen in seinen Rechten.

a) Allerdings lagen die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG für eine Ausweisung zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids am 3.8.1994 vor (vgl. Vorlagebeschluss des Senats vom 5.11.1998, a.a.O.). Auch auf den besonderen Ausweisungsschutz des Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens vom 13.12.1955 (BGBl. II, S. 998 - ENA) kann sich der Kläger nicht berufen, weil sein Aufenthalt bei Erlass der Ausweisung nicht seit zehn Jahren lückenlos ordnungsgemäß war. Der Kläger war im Zeitraum von 1983 bis 1988 infolge verspäteter Antragstellung mehrfach nicht im Besitz der erforderlichen Aufenthaltsgenehmigung. § 97 AuslG ist auf Unterbrechungen der Ordnungsmäßigkeit des Aufenthalts im Sinne des ENA nicht anwendbar (BVerwG, Urteil vom 17.6.1998, DVBl. 1998, 1028, 1032). Für die Frage der Ordnungsmäßigkeit des Aufenthalts im Sinne von Art. 3 Abs. 3 ENA ist es auch unerheblich, ob der Aufenthaltserlaubnis nur deklaratorische Bedeutung zukam, weil der Kläger ein aus Art. 6ff. ARB 1/80 folgendes gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht inne hatte (BVerwG, Beschluss vom 28.5.1979, Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 63 für das Fehlen der Aufenthaltserlaubnis-EG bei freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern). Die Ausweisung verstieß auch nicht gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK, weil sie zumindest generalpräventiv zum Schutz der Gesundheit potentieller Drogenkonsumenten und zur Vermeidung von Straftaten im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig war. In Anbetracht der verheerenden Wirkung von Drogen unter der Bevölkerung billigt auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Behörden der Vertragsstaaten mit Härte gegen jene vorgehen, die dazu beitragen, "diese Geißel zu verbreiten"; das gilt auch dann, wenn der von der Ausweisung Betroffene - wie der Kläger - als Minderjähriger in den Vertragsstaat übergesiedelt ist (EGMR, Urteil vom 7.8.1996 - Dall/Belgien, InfAuslR 1997, 185, RdNr. 35f.).

b) Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids hatte der Kläger jedoch ein aus Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 abgeleitetes gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht inne (siehe unten aa)). Die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für einen Entzug dieses Aufenthaltsrechts durch Ausweisung lagen nicht vor (siehe unten bb)).

aa) Zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids am 3.8.1994 konnte sich der Kläger auf ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht berufen.

Ein solches folgte allerdings nicht aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Der Kläger setzte seine am 13.3.1989 aufgenommene Beschäftigung bei der Firma B. nach dem 20.7.1991 nicht mehr fort; damit entfiel sein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich ARB 1/80. Die am 28.1.1992 aufgenommene Beschäftigung bei der Firma R. endete am 5.8.1993; in der Folgezeit war der Kläger bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids arbeitslos.

Dem Kläger stand jedoch ein aus Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 folgendes Aufenthaltsrecht zur Seite.

Nach dieser Vorschrift haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Auf diese gemeinschaftsrechtliche Rechtsposition konnte sich der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids berufen.

(1) Hierfür ist zunächst ohne Bedeutung, dass der Kläger bereits eingereist war, als Art. 7 ARB 1/80 am 1.12.1980 in Kraft trat und Rechtswirkungen entfaltete (vgl. EuGH, Urteil vom 20.9.1990 - Sevince, NVwZ 1991, 255, RdNr. 9; BVerwG, Urteil vom 15.7.1997, InfAuslR 1998, 4, 5). Unerheblich ist auch, dass die Einreise des Klägers in das Bundesgebiet im Jahre 1977 gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Ausländergesetzes vom 28.4.1965 (BGBl. I S. 353) genehmigungsfrei erfolgt war. Verlangt das nationale Ausländerrecht für den Zuzug der Familienangehörigen die in Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 vorausgesetzte Genehmigung zum Zuzug nicht, steht die genehmigungsfreie Einreise zum Zwecke der Familienzusammenführung jedenfalls dann der Genehmigung gleich, wenn die Behörde von der ihr hier nach § 7 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 AuslG 1965 eingeräumten Befugnis keinen Gebrauch gemacht hat, den Aufenthalt des Familienangehörigen nachträglich zeitlich zu beschränken; außerdem war dem Kläger nach Inkrafttreten des Assoziationsratsbeschlusses im Jahre 1983 eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft erteilt worden (BVerwG vom 15.7.1997, a.a.O.).

(2) Die Ausweisung ist ungeachtet des Umstands an Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu messen, dass der Kläger seit dem 22.11.1990 nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war, sein Aufenthalt aufgrund des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 20.11.1990 nur noch vorläufig gemäß § 69 Abs. 3 AuslG als erlaubt galt und der Antrag mit Bescheid vom 12.11.1992 abgelehnt wurde (Frage der Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes im Sinne von Art. 7 Satz 1 ARB 1/80; zur ordnungsgemäßen Beschäftigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nur bei unbestrittenem Aufenthalt vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.1992 - Kus, InfAuslR 1993, RdNr. 11ff.). Auf diese ausländerrechtlichen Umstände kommt es nicht an, weil der Kläger im Mai 1985 eine ordnungsgemäße Beschäftigung aufnahm, nachdem er zuvor mindestens fünf Jahre mit seinem dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden Vater auf der Grundlage des erlaubten Familiennachzugs in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hatte. Dies ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt:

Der Europäische Gerichtshof hat im Urteil vom 16.3.2000 - Ergat (DVBl. 2000, 691) grundsätzlich zur Rechtsnatur des Beschäftigungsanspruchs nach Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 und den sich daraus ergebenden Grenzen für die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Regelung des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer Stellung genommen. Danach gilt folgendes: Die Vorschrift bezweckt die Förderung des Familiennachzugs zu einem dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmer in der Weise, dass den Familienangehörigen ebenfalls die Möglichkeit gegeben wird, sich durch Eingliederung in den regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates dauerhaft zu integrieren (grds. bereits EuGH, Urteil vom 17.4.1997 - Kadiman, Slg. 1997, I-2144, RdNrn. 34ff.). In einer ersten Phase geht es um die Realisierung des Familiennachzuges als Voraussetzung für das Entstehen eines eigenständigen Rechts des Familienangehörigen auf Beschäftigung. Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich verlangt insoweit, dass dem Familienangehörigen der Nachzug zu dem türkischen Arbeitnehmer erlaubt wurde, und dass der Familienangehörige mindestens fünf Jahre und außerdem solange tatsächlich mit dem dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt haben muss, bis er selbst eine ordnungsgemäße Beschäftigung aufnehmen kann; während dieses Zeitraums sind die Mitgliedstaaten befugt, die Bedingungen des Aufenthalts des Familienangehörigen zu regeln (Urteil vom 16.3.2000, a.a.O., RdNrn. 36, 37 und 42 sowie Urteil des EuGH vom 17.4.1997, a.a.O., RdNr. 33; zur gänzlich anders gelagerten Situation in den Fällen des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80, vgl. Urteil des EuGH vom 19.11.1998 - Akman, Slg. 1998, I-7537 zu Art. 7 Satz 2 ARB 1/80: Aufgrund dieser nach dem Wortlaut - Vergangenheitsform, RdNrn. 30f. -, Sinn und Zweck - keine Familienzusammenführung, RdNrn. 38, 43, 46 - und Systematik - Zusammenhang mit Art. 9 ARB 1/80, RdNrn. 40 bis 42 - von Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 abweichenden Vorschrift reicht es aus, dass die Voraussetzung der ordnungsgemäßen Beschäftigung eines Elternteils im Mitgliedstaat für einen bestimmten Zeitraum irgendwann vor Abschluss der Berufsausbildung des Kindes vorgelegen hat, RdNr. 47). Der Gesichtspunkt der Familienzusammenführung entfällt, sobald der Familienangehörige nach mindestens fünf Jahren ordnungsgemäßen Zusammenlebens mit dem türkischen Arbeitnehmer selbst in den regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates eintritt. In dieser zweiten Phase geht es um die eigene dauerhafte Integration des Familienangehörigen durch ordnungsgemäße Beschäftigung. Die praktische Wirksamkeit dieser Integrationsmöglichkeit verlangt, dass das Recht auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates unabhängig vom Fortbestehen der auf die Verwirklichung der Familienzusammenführung mit dem türkischen Arbeitnehmer gerichteten Voraussetzungen für das Entstehen dieses Rechts ausgeübt werden kann (anders noch der - nunmehr überholte - Beschluss des BVerwG vom 23.12.1993, InfAuslR 1994, 169; a.A. auch Urteil des erkennenden Gerichtshofs vom 19.3.1997 - 11 S 2990/96 -, InfAuslR 1997, 286, 287); deshalb kann sich der Familienangehörige für die tatsächliche Ausübung seines eigenständigen Beschäftigungsrechts auch unmittelbar auf ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht berufen, das ebenfalls losgelöst ist vom Fortbestand der Familieneinheit und außerdem durch nationale Regelungen über den Aufenthalt nicht mehr beeinträchtigt werden kann (EuGH, Urteil vom 16.3.2000, a.a.O., RdNr. 40, 41, 42, 43, 45, 61, 65; vgl. auch Urteil vom 17.4.1997, a.a.O., RdNr. 35f.; ebenso bereits GK-Ausländerrecht, Band 4, IX - 1, Art. 7 RdNr. 38 mit Blick auf die Voraussetzung der Zugehörigkeit des türkischen Arbeitnehmers zum Arbeitsmarkt).

Ausgehend davon stand dem Kläger mit der erstmaligen Aufnahme einer Beschäftigung im Mai 1985 ein eigenständiges, von den Familiennachzugsvoraussetzungen losgelöstes gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht zu, dessen Bestand durch die Versagung der Aufenthaltserlaubnis nicht berührt wurde.

(3) Der Anwendbarkeit der Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich, 14 Abs. 1 ARB 1/80 steht auch nicht entgegen, dass der Vater des Klägers aufgrund eines Vorfalls im Mai 1984 erwerbsunfähig geworden war.

Dabei kann offen bleiben, ob die Voraussetzung der Zugehörigkeit des türkischen Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates auch dann wegen dauerhafter Erwerbsunfähigkeit entfällt (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 10.2.2000 - Nazli, InfAuslR 2000, 161, RdNr. 37; Urteil vom 6.6.1995 - Bozkurt, Slg. 1995, I-1492, RdNr. 39f.), wenn - wie hier - noch geringfügige Einkünfte (gemäß §§ 44 Abs. 2, 18 SGB VI bis zur Höhe von einem Siebtel der durchschnittlichen Arbeitsentgelte der Rentenversicherten) erzielt werden konnten (vgl. zur Arbeitnehmerfreizügigkeit der Unionsbürger bei geringfügiger Beschäftigung EuGH, Urteil vom 23.3.1982 - Levin, Slg. 1982, 1035, RdNrn. 16ff.; Urteil vom 3.6.1986 - Kempf, Slg. 1986, 1741, RdNrn. 14ff.; vgl. dazu auch Hailbronner, a.a.O., RdNr. 17e; zum Begriff der Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Kasseler: Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 1, 6 SGB VI, § 44 RdNr. 12ff.). Denn wie dargelegt, hängt die Ausübung des Rechts auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt nach Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 nicht vom Fortbestand der Voraussetzungen für die Entstehung dieses Rechtes ab. Das Ausscheiden des "stammberechtigten" türkischen Arbeitnehmers aus dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates ist demnach unschädlich, wenn es erfolgt, nachdem der Familienangehörige in Ausübung seines Beschäftigungsrechts aus Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 selbst ordnungsgemäß in das Erwerbsleben eingetreten ist. So liegt es hier. Zwar hatte der Vorfall, aufgrund dessen der Vater des Klägers erwerbsunfähig und - ab 1. Dezember 1984 - berentet wurde, bereits im Mai 1984 - also ein Jahr vor dem Eintritt des Klägers in das Erwerbsleben - stattgefunden. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass der Vater des Klägers nicht dauerhaft aus dem deutschen Arbeitsmarkt ausgeschieden ist, bevor dieser im Mai 1985 seine erste Beschäftigung aufnahm. Dafür sind folgende Überlegungen maßgeblich:

Im Sozialversicherungsrecht gilt der Grundsatz des Vorrangs der Rehabilitation vor der Rente (§§ 9 Abs. 1 Satz 2, 116 Abs. 1 SGB VI). Danach ist der Rentenversicherungsträger vor Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente verpflichtet, die Erfolgsaussichten von Rehabilitationsmaßnahmen zu prüfen; den Versicherten treffen insoweit Mitwirkungspflichten (vgl. §§ 62 bis 64 SGB I), deren Nichterfüllung die Versagung oder Entziehung sozialrechtlicher Leistungen zur Folge haben kann (§ 66 SGB I). Die Verrentung erfolgt erst, wenn ein Erfolg von Rehabilitierungsmaßnahmen nicht zu erwarten ist (vgl. dazu Kasseler Kommentar, a.a.O., § 9 RdNr. 5ff. und § 116 RdNr. 2f. m.w.N.; Erlenkämper, Sozialrecht, 2. Aufl. 1987, S. 156f. und S. 195ff.). Dieses sozialversicherungsrechtliche Verfahren setzt auf Seiten des türkischen Arbeitnehmers den Fortbestand des Rechts auf Beschäftigung gemäß § 6 Abs. 1 ARB 1/80 und des zugrunde liegenden Aufenthaltsrechts voraus, bis geklärt ist, dass er nicht mehr in den regulären deutschen Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann (zur Berücksichtigung der nationalen Vorschriften der sozialen Sicherheit bei der Beurteilung der Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates, EuGH, Urteil vom 6.6.1995, a.a.O., RdNr. 23f.). Maßgeblicher Zeitpunkt für das Ausscheiden des türkischen Arbeitnehmers aus dem regulären deutschen Arbeitsmarkt ist daher der Erlass eines entsprechenden Bescheides des zuständigen Sozialversicherungsträgers; erst dann steht der Verlust der Arbeitnehmergemeinschaft fest. Dagegen ist die Feststellung des Zeitpunkts, zu dem die Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, im vorliegenden Zusammenhang unerheblich. Dies gilt mit Blick auf das hier in Rede stehende Zugangsrecht des Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers aus Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 auch deshalb, weil der Familienangehörige in dieser Situation Klarheit darüber haben muss, wann er sein Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt durch Aufnahme einer eigenen Beschäftigung von den Familiennachzugsvoraussetzungen lösen muss.

Die Erwerbsunfähigkeit des Vaters des Klägers wurde - auf seinen Antrag auf Rehabilitation vom Dezember 1984 - erst mit Bescheid der Landesversicherungsanstalt Westfalen vom 19.9.1985 festgestellt. Der Kläger hatte jedoch bereits im Mai 1985 eine Beschäftigung aufgenommen. Dass die Verrentung zum 1.12.1984 erfolgte, ist nach den obigen Darlegungen ohne Bedeutung.

(4) Der Anwendbarkeit des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auf die Ausweisung steht schließlich auch nicht entgegen, dass der Kläger nach Aufnahme der ersten Beschäftigung im Mai 1985 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids am 3.8.1994 mehrfach erwerbslos gewesen war und sich außerdem über einen längeren Zeitraum in der Türkei aufgehalten hatte. Dadurch ist der Kläger nämlich nicht aus dem regulären deutschen Arbeitsmarkt ausgeschieden.

Allerdings ist die Erwerbslosigkeit des Klägers nicht schon deshalb für den Bestand der Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 unerheblich, weil er die Familieneinheit mit seinem Vater auch noch nach seinem Eintritt in das Erwerbsleben bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids aufrechterhielt. Wie dargelegt, steht die Ausübung des Rechts auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates nach Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 nicht unter dem Vorbehalt der weiteren Aufrechterhaltung der Familieneinheit mit einem dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmer, weil es insoweit um die eigenständige Integration des Familienangehörigen in den Arbeitsmarkt geht. Angesichts dieses Zwecks des Beschäftigungsrechts kann es sich auch nicht günstig auf dessen Bestand auswirken, wenn der Familienangehörige nach seinem Eintritt in das Erwerbsleben weiterhin bei dem türkischen Arbeitnehmer wohnen bleibt (a.A. GK-Ausländerrecht, a.a.O., Art. 7 RdNr. 80 und 83). Vielmehr entspricht das aufgrund der Familienzusammenführung mit dem türkischen Arbeitnehmer erworbene eigenständige Beschäftigungsrecht des Familienangehörigen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 nach Inhalt und Zweck dem Beschäftigungsrecht des türkischen Arbeitnehmers gemäß Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB 1/80, das letzterer allerdings nicht schon mit dem Eintritt in das Erwerbsleben, sondern erst nach vierjähriger ordnungsgemäßer Beschäftigung erlangt (vgl. EuGH, Urteil vom 16.3.2000, a.a.O., RdNr. 40; ebenso Hailbronner, a.a.O., RdNr. 38; a.A. GK-Ausländerrecht, a.a.O., Art. 7 RdNr. 78ff.). Deshalb sind auch Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 und die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Erlöschen des Zugangsrechts nach Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB 1/80 wegen Erwerbslosigkeit auf das Zugangsrecht des Familienangehörigen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich anzuwenden (ebenso Hailbronner, a.a.O.). Die jeweils unterschiedlichen Entstehungsvoraussetzungen der Beschäftigungsrechte geben insoweit keinen Anlass zur Differenzierung.

Für die Auswirkungen der Erwerbslosigkeit auf die Rechtsposition nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gelten folgende Regelungen und Grundsätze: Gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 berühren die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit nicht die erworbenen Ansprüche. Etwas anderes gilt allerdings, wenn damit das endgültige Ausscheiden des türkischen Arbeitnehmers aus dem regulären Arbeitsmarkt einhergeht, etwa bei dauerhafter Erwerbsunfähigkeit oder fehlender Vermittelbarkeit (Hailbronner, a.a.O., RdNr. 25 m.w.N.). Das Recht auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt nach Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB 1/80 beinhaltet auch das Recht, eine Arbeitsstelle freiwillig aufzugeben und sich innerhalb einer angemessenen Zeit eine neue Arbeitsstelle zu suchen (EuGH, Urteil vom 23.1.1997 - Tetik, Slg. 1997, I-341, RdNr. 40ff.; vgl. auch Hailbronner, a.a.O., RdNr. 15ff.). Als zeitliche Grenze für das Bewerbungsrecht nach freiwilliger Aufgabe des Arbeitsplatzes wird allgemein im Anschluss an eine entsprechende Aussage des Europäischen Gerichtshofs zum Bewerbungsrecht von Unionsbürgern (Urteil vom 26.2.1991 - Antonissen, InfAuslR 1991, 151, RdNr. 21) eine Dauer von sechs Monaten angesehen (GK-Ausländerrecht, a.a.O., Art. 6 RdNr. 107 m.w.N.). Ausgehend von diesen auf die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 übertragbaren Regelungen und Grundsätzen sind das Beschäftigungsrecht und das daraus folgende Aufenthaltsrecht des Klägers nicht durch Zeiten der Erwerbslosigkeit erloschen.

Das Arbeitsamt Stuttgart hat auf die gerichtliche Anfrage vom 6.3.1998 nach Feststellungen im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 mitgeteilt, dass der Kläger hinsichtlich der beschäftigungslosen Zeiten vom 15.10.1985 bis 7.4.1986, vom 28.9.1986 bis 1.6.1987, vom 30.9.1987 bis 25.2.1989 und vom 5.8.1993 bis 1.9.1994 Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe ohne Sperrzeit gemäß § 119 AFG bezogen habe. Daraus sei zu folgern, dass die Arbeitslosigkeit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt worden sei. Weitergehende Feststellungen würden im Zuständigkeitsbereich der Arbeitsämter nicht getroffen. Es kann offen bleiben, ob die genannten, im Zusammenhang mit dem Bezug sozialrechtlicher Leistungen stehenden Feststellungen des Arbeitsamtes auch als Feststellungen im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 zu werten sind (verneint in GK-Ausländerrecht, a.a.O., Art. 6 RdNr. 175 und 195; vgl. zur Notwendigkeit entsprechender Feststellungen des Arbeitsamts auch bei EG-Wanderarbeitnehmern, Art. 7 Abs. 1 RL 68/360/EWG). Jedenfalls kann es nicht zu Lasten des türkischen Arbeitnehmers gehen, wenn keine Vorkehrungen für die in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 vorausgesetzte Feststellung durch eine zuständige Behörde getroffen sind; vielmehr ist es dann Aufgabe der Ausländerbehörde bzw. der Verwaltungsgerichte, eine solche Feststellung zu treffen. Denn die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Erlass der zur Durchführung des Art. 6 ARB 1/80 erforderlichen Bestimmungen ermächtigt nicht dazu, die Ausübung des genau bestimmten und nicht an Bedingungen geknüpften Rechts türkischer Arbeitnehmer aus Art. 6 ARB 1/80 zu beschränken oder zu unterlaufen (EuGH, Urteil vom 16.12.1992 - Kus, a.a.O., RdNr. 31; vgl. auch Rengeling u.a., Rechtsschutz in der Europäischen Union, 1994, RdNr. 893ff. m.w.N. zur vergleichbaren Problematik von unmittelbar aus Richtlinienbestimmungen folgenden Rechten der Unionsbürger bei nicht fristgerechter Umsetzung durch die Mitgliedstaaten). Danach ist für die oben genannten Zeiten der Erwerbslosigkeit davon auszugehen, dass es an einem Verschulden des Klägers im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 fehlt. Der Kläger hat insoweit dargetan, dass die jeweiligen Arbeitsverhältnisse wegen Fristablaufs bzw. vorübergehender Arbeitsunfähigkeit aufgelöst worden sind. Es ist nicht ersichtlich, dass die Arbeitsverhältnisse auch wegen eines dem Kläger vorwerfbaren Verhaltens aufgelöst worden wären; auch die Beklagte hat dies nicht behauptet. Außerdem war der Kläger während dieser Zeiträume auch nicht endgültig aus dem deutschen Arbeitsmarkt ausgeschieden; dies zeigt sich schon daran, dass er jeweils wieder Beschäftigungen aufnehmen konnte.

Allerdings hat das Arbeitsamt Stuttgart mitgeteilt, dass aufgrund der Kündigung des Arbeitsplatzes bei der Firma B. (vom 13.3.1989 bis 20.7.1991) eine Sperrzeit gemäß § 119 AFG wegen unentschuldigten Fernbleibens verfügt worden war. Insoweit kann sich der Kläger indes darauf berufen, dass er aufgrund der Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 eine Arbeitsstelle auch von sich aus aufgeben kann, um eine neue zu suchen; er hat eine solche auch in angemessener Zeit gefunden, nämlich innerhalb von sechs Monaten.

Schließlich ist das Beschäftigungsrecht des Klägers auch nicht deshalb erloschen, weil er sich nach eigenen Angaben vom 14.10.1987 bis 4.8.1988 und vom 16.9.1988 bis zum 24.2.1989 in der Türkei aufgehalten hatte. Dies ist unschädlich, weil die Wiedereinreise des Klägers nicht von der Erteilung einer neuen Erlaubnis abhängig gemacht wurde, so dass der Kläger aufgrund der ihm erteilten Arbeitserlaubnis erneut eine Beschäftigung ausüben konnte (vgl. EuGH, Urteil vom 16.3.2000, a.a.O., RdNr. 51).

Nach allem konnte sich der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids am 3.8.1994 auf ein aus Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 folgendes gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht berufen.

bb) Die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für einen Entzug dieses Aufenthaltsrechts durch Ausweisung lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids nicht vor. Die Ausweisung war nicht "aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit" im Sinne dieser Vorschrift gerechtfertigt.

Der EuGH hat mit Urteil vom 10.2.2000 (a.a.O.) klargestellt, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 - ebenso wie der Vorbehalt nach Art. 48 Abs. 3 EG-Vertrag für die Freizügigkeit von Unionsbürgern - eine Ausweisung nur zulässt, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt; das persönliche Verhalten des Betroffenen muss auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeuten (RdNrn. 56, 57, 61). Der danach erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung von Straftaten lag hier nicht vor. Zwar war der Kläger - auch was Zuwiderhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz angeht - Rückfalltäter und außerdem Bewährungsbrecher. Ihm war jedoch vom Strafrichter Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 StGB bewilligt worden. Dies setzt die Erwartung künftigen straffreien Verhaltens voraus und stand der Annahme einer die Ausweisung des Klägers rechtfertigenden konkreten Wiederholungsgefahr grundsätzlich entgegen (BVerwG, Urteil vom 27.10.1978, BVerwGE 57, 61, 66ff. zur Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger). Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids die Voraussetzungen des § 56 StGB entgegen der Begründung des Strafgerichts nicht vorgelegen hätten.

Folglich erweist sich die Ausweisung als rechtswidrig.

2. Auch die Ablehnung des Antrags des Klägers vom 20.11.1990 auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten; der Kläger hat nach der maßgeblichen derzeitigen Sach- und Rechtslage Anspruch auf antragsgemäße Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der seit dem 25.4.1997 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratete Kläger kann sich hierfür zudem auch auf § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG berufen. Nach Aufhebung der rechtswidrigen Ausweisung greift auch die Sperrwirkung des § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG nicht.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass dem Kläger auf seinen Antrag eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen sein wird (§ 27 AuslG). Der Kläger hat die Acht-Jahres-Frist des § 27 Abs. 1 Nr. 1a AuslG längst durchlaufen. Er war im Zeitraum vom 21.2.1983 bis zum 22.11.1990 - also sieben Jahre und neun Monate - im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Die Beklagte hätte jedoch auf den Antrag des Klägers die Aufenthaltserlaubnis in der Folgezeit verlängern müssen. Wie dargelegt, konnte sich der Kläger bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids am 3.8.1994 auf ein aus Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 folgendes Aufenthaltsrecht berufen. Die Angaben des Arbeitsamts Stuttgart (Schriftsatz vom 16.4.1998) geben auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Rechtsposition des Klägers seither wegen Zeiten der Erwerbslosigkeit entfallen sein könnte. Er hat in der Zeit vom 5.1.1995 bis zum 23.1.1996 Arbeitslosengeld bzw. -hilfe ohne Sperrzeit nach § 119 AFG bezogen; seit der Arbeitsaufnahme am 24.1.1996 wurde kein Arbeitslosengeld mehr beantragt. Aufgrund des somit bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts hatte der Kläger jedoch auch Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.1992 - Kus, a.a.O., RdNr. 36 und Urteil vom 30.9.1997 - Ertanir, InfAuslR 97, 434, RdNr. 62). Seit dem 25.4.1997 ist der Kläger überdies mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet (§ 23 Abs. 1 AuslG). Daher ist der Zeitraum seit dem 22.11.1990 ungeachtet der behördlichen Unterlassung bzw. Ablehnung der Verlängerung zu berücksichtigen; der ausdrücklichen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor Erteilung der Aufenthaltsberechtigung bedarf es dazu nicht, weil dies nur auf eine reine Förmlichkeit hinausliefe (BVerwG, Urteil vom 29.9.1998, DVBl. 1999, 172, 173). Auch die übrigen Erteilungsvoraussetzungen des § 27 Abs. 2 AuslG liegen unstreitig vor.

3. Aus den obigen Darlegungen folgt, dass dem Kläger mangels vollziehbarer Ausreisepflicht auch nicht die Abschiebung in sein Heimatland angedroht werden durfte (§§ 42 Abs. 1 und 2 Satz 2, 49 Abs. 1, 50 Abs. 1 AuslG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor; insbesondere gibt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes einen ausreichenden Maßstab zur Beantwortung der vorliegend relevanten Fragen.