VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.03.1995 - 8 S 525/95
Fundstelle
openJur 2013, 9621
  • Rkr:

1. Die Haftung des Verhaltensstörers hat keinen Vorrang vor der des Zustandsstörers. Die von der Behörde für die Inanspruchnahme des Verhaltensstörers gegebene Begründung, der Zustandsstörer könne nur dann herangezogen werden, wenn tatsächliche oder rechtliche Unklarheiten bezüglich des Verhaltensstörers bestünden, ist daher ermessensfehlerhaft.

Gründe

Die Beschwerde ist begründet.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts dürften die in Ziff. I der Verfügung des Landratsamts vom 8.8.1994 getroffenen Anordnungen trotz der vom Landratsamt nachgeschobenen Ermessenserwägungen rechtswidrig sein. Das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs überwiegt daher das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung.

Ziff. I der angefochtenen Verfügung verpflichtet den Antragsteller zu verschiedenen Untersuchungsmaßnahmen auf dem in der weiteren Schutzzone des Zweckverbands der Landeswasserversorgung gelegenen Grundstück mit denen das Ausmaß einer bereits festgestellten Untergrundverunreinigung sowie das Vorhandensein weiterer Untergrundverunreinigungen geklärt werden soll. Die Rechtsgrundlage hierfür bietet § 82 Abs. 1 S. 2 WG, wonach die Wasserbehörde zur Wahrnehmung der in § 82 Abs. 1 S. 1 WG umschriebenen Aufgaben diejenigen Anordnungen trifft, die ihr nach pflichtgemäßen Ermessen erforderlich erscheinen. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs (vgl. etwa Urt. v. 8.2.1993 - 8 S 515/92 - VBlBW 1993, 298 m.w.N.) ermächtigt diese Vorschrift auch zu Maßnahmen, die nicht unmittelbar der Beseitigung einer Gefahr für das Grundwasser dienen, sondern erst Aufschluß über das Vorliegen oder das Ausmaß einer solchen Gefahr geben und die Behörde damit in die Lage versetzen sollen, über die Anordnung etwa erforderlicher Sanierungsmaßnahmen zu entscheiden. Voraussetzung für die Anordnung solcher Gefahrerforschungseingriffe ist allerdings, daß bestimmte Anhaltspunkte vorliegen, die auf das Vorhandensein einer Gefahr für das Grundwasser hindeuten. Das ist hier, wie auch der Antragsteller nicht bestreitet, der Fall.

Für die genannten Maßnahmen in Anspruch genommen werden kann derjenige, den für die vermutete Gefahr gemäß den §§ 6, 7 PolG die Verantwortung trifft. Das ist neben dem Eigentümer und dem Inhaber der tatsächlichen Gewalt über die Sache derjenige, der durch sein Verhalten die vermutete Gefahr verursacht hat. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, deutet im vorliegenden Fall vieles darauf hin, daß der Antragsteller (oder seine Verrichtungsgehilfen) die bereits festgestellte sowie die vom Landratsamt befürchteten weiteren Bodenverunreinigungen durch einen unsachgemäßen Umgang mit wassergefährdenden Stoffen zumindest mitverursacht hat. Die daraus folgende Störereigenschaft des Antragstellers wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß möglicherweise auch die vor ihm auf dem Grundstück tätigen Personen einen Beitrag zu den Bodenverunreinigungen geleistet haben. Haben verschiedene Personen zeitlich nacheinander und unabhängig voneinander Bodenverunreinigungen verursacht und ist eine eindeutige Zuordnung der einzelnen Verursachungsbeiträge nicht möglich, so kann jeder von ihnen in vollem Umfang zu Sanierungsmaßnahmen oder die Sanierung vorbereitenden Maßnahmen in Anspruch genommen werden, sofern nicht der von dem Einzelnen geleistete Beitrag nicht weiter ins Gewicht fällt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 26.6.1990 - 8 S 597/90 - VBlBW 1991, 30 und Urt. v. 19.10.1993 - 10 S 20435/91 - NVwZ-RR 1994, 565). Davon, daß der Verursachungsbeitrag des Antragstellers an der Gesamtverunreinigung des Grundstücks nicht nur unwesentlich ist, kann unter den vom Verwaltungsgericht genannten Umständen ausgegangen werden.

Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der getroffenen Anordnungen ergeben sich jedoch im Hinblick auf die Ausübung des der Behörde bei der Auswahl unter mehreren Störern zustehenden Ermessens. Zwar hat sich das Landratsamt mit der Frage befaßt, ob anstelle des Antragstellers der Beigeladene (jedenfalls) in seiner Eigenschaft als Grundstückseigentümer zu den angeordneten Untersuchungsmaßnahmen heranzuziehen ist. Es hat von der Inanspruchnahme des Beigeladenen jedoch mit der Begründung Abstand genommen, daß die Heranziehung des Zustandsstörers nur dann in Betracht komme, wenn tatsächliche oder rechtliche Unklarheiten bezüglich eines Verhaltensstörers bestünden. Das ist unzutreffend. Ein gesetzliches Rangverhältnis zwischen der Inanspruchnahme des Verhaltensstörers und der des Zustandsstörers gibt es nicht (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 30.1.1990 - 5 S 1806/89 - NVwZ-RR 1991, 27). Die Annahme des Landratsamts, der Zustandsstörer könne nur dann in Anspruch genommen werden, wenn tatsächliche oder rechtliche Unklarheiten bezüglich eines Verhaltensstörers bestünden, ist damit unvereinbar. Der erkennende Gerichtshof hat allerdings wiederholt entschieden, daß ein Einschreiten gegen den Zustandsstörer jedenfalls dann nicht ermessensfehlerhaft ist, wenn unklar ist, ob und in welchem Umfang eine Haftung bestimmter Personen als Verhaltensstörer in Betracht kommt (vgl. Beschl. v. 12.9.1994 - 8 S 3146/94 -; Urt. v. 30.1.1990, a.a.O., m.w.N.). Daraus folgt jedoch nicht, daß ein Zugriff auf den Zustandsstörer nur unter dieser Voraussetzung möglich ist. Vielmehr ist daran festzuhalten, daß sich die Behörde bei der Auswahl unter mehreren Störern in erster Linie von dem Gesichtspunkt der effektiven Gefahrenabwehr leiten lassen muß. Das schließt nicht aus, daß die Behörde daneben auch andere Gesichtspunkte berücksichtigt (vgl. hierzu im einzelnen Mussmann, Allgemeines Polizeirecht in Baden-Württemberg, 4. Aufl., RdNr. 302). So ist es insbesondere nicht zu beanstanden, wenn sich die Behörde in einem Fall, in dem Verhaltens- und Zustandsstörer in gleicher Weise zu einer schnellen und wirksamen Gefahrenbeseitigung in der Lage sind, an den Verhaltensstörer hält und dies mit dessen größerer Gefahrennähe oder anderen Billigkeitserwägungen begründet. Derartige Erwägungen hat das Landratsamt jedoch im vorliegenden Fall nicht angestellt und sein Auswahlermessen damit nur unzureichend betätigt.

Die vom Landratsamt in seinem Schriftsatz vom 8.12.1994 nachgeschobenen Ermessenserwägungen befassen sich allein mit der - aus der Sicht des Senats allenfalls zweitrangigen - Frage, weshalb nicht anstelle des Beigeladenen die ehemalige O. GmbH, deren alleiniger Inhaber der Antragsteller ist, als Störer in Anspruch genommen worden ist. Diese Erwägungen sind daher nicht in der Lage, den genannten Ermessensfehler zu heilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 S. 1 GKG.

Der Beschluß ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.