LG Düsseldorf, Urteil vom 08.08.2008 - 22 S 378/07
Fundstelle
openJur 2012, 126813
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16. August 2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf - 47 C 772/07 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Gründe

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Im Rahmen ihrer Berufungsbegründung vertieft die Beklagte ihren Vortrag hinsichtlich der bereits in erster Instanz dargelegten Beschädigung des für den streitgegenständlichen Flug vorgesehenen Fluggerätes durch Vogelschlag. Sie trägt vor, die Besatzung des Fluggerätes habe den Vogelschlag sofort an die Beklagte gemeldet. Diese habe einen entsprechend instruierten Techniker nach Thessaloniki entsendet, wo sich das Fluggerät befunden habe. Der Techniker habe sodann im Rahmen einer speziellen Überprüfung eine Beschädigung des Triebwerkes im Bereich des Lufteinlasses, der Innenseite der Triebwerksverkleidung sowie den Schaufeln im Triebwerksausgang festgestellt. Hierdurch sei ein Austausch der beschädigten Teile erforderlich geworden. Weitere Ergänzungen sind nicht erfolgt.

II.

Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter und erstrebt die Klageabweisung.

III.

Die Berufung ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt. Die Begründung genügt den formellen Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 4 ZPO.

Die Beklagte macht geltend, zu Unrecht sei das Amtsgericht ihrem Beweisangebot hinsichtlich des Vogelschlags nicht nachgegangen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass und weshalb die benannten Zeugen als Leiter der Flugabwicklung und Werftleiter als Beweismittel ungeeignet seien sollten. Dies ist ein zulässiger Berufungsangriff im Sinne des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO mit ausreichendem Vortrag.

Soweit das Amtsgericht darauf abgestellt habe, dass es sich bei ihrem Beweisangebot um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis handele, weil nicht vorgetragen worden sei, welche genauen Beobachtungen die Zeugen konkret gemacht hätten und welche Reparaturmaßnahmen an dem Fluggerät erforderlich gewesen seien, habe es seine Hinweispflicht verletzt. Gemäß § 139 ZPO hätte es darauf hinweisen müssen, dass weiterer Sachvortrag bezüglich der Reparaturen oder des Schadens erforderlich sei. Wäre ein solcher Hinweis erfolgt, so hätte sie ihren erstinstanzlichen Vortrag - entsprechend den Ausführungen in der Berufungsbegründung - vertieft. Dies ist ein ordnungsgemäßer Berufungsangriff im Sinne des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO in Verbindung mit § 531 Abs. 2 ZPO.

IV.

Die Berufung ist begründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte der mit vorliegender Klage geltend gemachte Entschädigungsanspruch gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 lit. b) der EU-Verordnung Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (im Folgenden: EU-Verordnung Nr. 261/2004) nicht zu.

Die Beklagte kann sich mit Erfolg auf einen Haftungsausschluss gemäß Art. 5 Abs. 3 der EU-Verordnung Nr. 261/2004 berufen.

1.

Gemäß Art. 5 Abs. 3 der EU-Verordnung Nr. 261/2004 ist ein Luftfahrunternehmen dann nicht zur Zahlung von Ausgleichsleistungen verpflichtet, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf "außergewöhnliche Umstände" zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Nach dem Wortlaut der Verordnung bleibt allerdings offen, was unter "außergewöhnlichen Umständen" zu verstehen ist. In dem Erwägungsgrund Nr. 14 der Verordnung, der bei der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes heranzuziehen ist, werden in einer Aufzählung als "außergewöhnliche Umstände" politische Instabilität, Sicherheitsrisiken, unerwartete Flugsicherheitsmängel, Streiks und Wetterbedingungen genannt. Alle diese Ereignisse haben gemeinsam, dass sie außerhalb des Gewöhnlichen liegen, dass heißt, nicht nur "unerwartet" sind. Dies kommt sprachlich noch deutlicher durch die in der englischen Fassung verwendeten Begriffe zum Ausdruck: So wird anstelle von "außerordentlich" der Begriff "extraordinary" verwandt und anstelle von "unerwarteten Flugsicherheitsmängeln" heißt es "unexpected flight saftey shortcomings". Dies ist deshalb von Bedeutung, weil die Flugsicherheit (englisch: "flight safty") nur Maßnahmen umfasst, die im Notfall ergriffen werden müssen, damit sich die Passagiere sicher an Bord aufhalten und im Notfall sicher aus dem Flugzeug evakuiert werden können. Im Gegensatz dazu steht der Begriff der Lufttüchtigkeit (englisch: "airworthiness") eines Luftfahrzeugs. § 25 LuftBO, der ausdrücklich von Lufttüchtigkeit spricht, bestimmt, dass ein Luftfahrzeug stets in einem solchen technischen Zustand sein muss, dass es sicher fliegen kann. Wenn aber - wie dargelegt - der Erwägungsgrund Nr. 14 der Verordnung nur auf "unerwartete Flugsicherheitsmängel" (unexpected flight safty shortcomings), nicht aber auf die Lufttüchtigkeit abstellt, ergibt sich, dass dieser Begriff gerade nicht technische Mängel eines Flugzeugs erfasst (vgl. hierzu Schmid, Die Bewährung der neuen Fluggastrechte in der Praxis - Ausgewählte Probleme bei der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 in NJW 2006, 1841-1845). Mithin können nach der von der Kammer vertretenen Ansicht "außergewöhnliche Umstände" nur solche sein, die nicht in der Sphäre des ausführenden Luftfahrtunternehmens angesiedelt sind, sondern vielmehr außerhalb des Einfluss- und Organisationsbereiches des Beförderers liegen. Somit ist unter Berücksichtigung aller besonderen Umstände jedes Einzelfalles stets eine Abgrenzung nach Risikobereichen vorzunehmen, so dass zur Entlastung des Luftfrachtunternehmers gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung überhaupt nur solche Umstände geeignet sein können, die nicht in dessen Risikosphäre liegen.

2.

Die Beklagte hat bereits im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahren unter Beweisantritt vorgetragen, dass die Annullierung dadurch bedingt worden sei, dass das Fluggerät auf dem vorherigen Flug durch Vogelschlag während des Fluges beschädigt worden sei und habe repariert werden müssen (vgl. Seite 2 des Schriftsatzes vom 7. Februar 2007 sowie Seite 2 des Schriftsatzes vom 30. Mai 2007)

Verfahrensfehlerhaft hat es das Amtsgericht unterlassen, den von der Beklagten angebotenen Beweis zu erheben, denn der Beweisantritt der Beklagten stellt sich - entgegen dem Amtsgericht - nicht als Ausforschungsbeweis dar.

Ausforschungsbeweise sind Beweisanträge, die darauf abzielen, bei Gelegenheit der erstrebten Beweisaufnahme Tatsachen in Erfahrung zu bringen, die genaueres Vorbringen oder die Benennung weiterer Beweismittel erst ermöglichen. Solche Anträge sind nicht grundsätzlich unzulässig. Sie sind dann weithin zulässig, wenn sie wenigstens auf substantiiertes Vorbringen gestützt werden. Ein unzulässiger Ausforschungsbeweis liegt nur dann vor, wenn trotz hinreichender Substantiierung einer Behauptung der sie begleitende Beweisantrag offensichtlich rechtsmissbräuchlich ist, weil die Behauptung oder das Beweismittel willkürlich vorgebracht werden - "aufs Geratewohl", "ins Blaue hinein" - und erkennbar "aus der Luft gegriffen" sind (vgl. Musielak, Kommentar zur ZPO, 5. Aufl., Rn. 17 zu § 284).

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen war der Beweisantritt der Beklagten nicht als unzulässiger Ausforschungsbeweis anzusehen. Die Beklagte hat substantiiert vorgetragen, dass das für den streitgegenständlichen Flug vorgesehene Fluggerät auf dem vorherigen Flug durch Vogelschlag beschädigt worden war. Ferner sind die angebotenen Beweismittel, das Zeugnis des Leiters der Flugabwicklung- und Koordination und das Zeugnis des Werftleiters, nicht willkürlich vorgebracht worden. Bereits aus der Funktion der Zeugen in dem Betrieb des Luftfahrtunternehmens der Beklagten ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass und weshalb diese Zeugen den Vortrag der Beklagten bestätigen können.

Auch sind die angebotenen Beweismittel nicht ungeeignet. Die Ungeeignetheit eines Beweismittels kann nur ausnahmsweise bejaht werden, zum Beispiel wenn es im Einzelfall völlig ausgeschlossen erscheint, dass das Beweismittel zu dem Beweisthema sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., Rn. 10a zu Vor § 284). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Aufgrund der näher dargestellten Funktion der Zeugen in dem Betrieb der Beklagten wird bereits ersichtlich, dass sie zu der Frage, ob das Flugzeug durch Vogelschlag beschädigt worden war, sachdienliche Angaben machen können. Der Leiter der Flugabwicklung- und Koordination und der Werftleiter sind geradezu die klassischen Personen im Betrieb eines Luftfahrtunternehmens, die wissen, dass und weshalb ein Fluggerät beschädigt worden war und ausgefallen ist.

3.

Nach dem Ergebnis der in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme ist es der Beklagten gelungen, denn ihr obliegenden Entlastungsbeweis gemäß Art. 5 Abs. 3 der EU-Verordnung Nr. 261/2004 zu führen.

Die Kammer hat sich auf Grundlage der glaubhaften Bekundungen der Zeugen D., E. und F. davon zu überzeugen vermocht, dass das für den streitgegenständlichen Flug vorgesehene Fluggerät mit der Kennung "G." auf dem vorherigen Flug durch einen Vogelschlag während des Fluges beschädigt worden war und repariert werden musste.

Der Zeuge D. hat bekundet, zum Zeitpunkt des in Rede stehenden Vorfalls sei er Leiter der Abteilung Triebwerke gewesen. Er habe entschieden, Personal nach Thessaloniki zu schicken, um Reparaturarbeiten vorzunehmen. Dem Flughafen Düsseldorf sei die Information per Funk übermittelt worden, dass unmittelbar nach dem Start des streitgegenständlichen Fluggeräts in Kavalla ein Vogelschlag aufgetreten sei. Es sei mitgeteilt worden, dass das Triebwerk "geschüttelt" worden, also eine Vibration aufgetreten sei. Außerdem sei in der Kabine ein Geruch wahrnehmbar gewesen, der darauf zurückzuführen sei, dass Fremdkörper - wie Vögel - in den Verbrennungsraum gelangt seien. Daraufhin sei die Maschine in Thessaloniki gelandet und dort repariert worden. Er, der Zeuge D., sei zwar nicht vor Ort gewesen, als diese Informationen per Funk übermittelt worden seien; er habe aber anschließend eine Crew zusammengestellt, die nach Thessaloniki geflogen sei. Unmittelbar vor der Beweisaufnahme habe er den gesamten Vorgang aber anhand der erstellten Dokumentation rekonstruiert. Bei dieser Dokumentation handele es sich um den sogenannten "Schichtbericht", der von den zuständigen Kollegen unmittelbar niedergelegt und anschließend archiviert werde. In diesem Schichtbericht sei ausdrücklich der Begriff "birdstrike" verwendet worden. Er habe an der Einschätzung der Flugzeugbesatzung und der vor Ort zum Zwecke der Reparatur tätigen Crew, dass es sich um einen Schaden aufgrund Vogelschlages gehandelt habe, nicht gezweifelt, denn die mitgeteilten Symptome seien eindeutig. Auch der im Rahmen der Reparatur veranlasste Wechsel der sogenannten "Fan-Blätter", der sich auch aus der Dokumentation ergebe, spreche für einen Vogelschlag.

Der Zeuge E. hat bekundet, er sei zum Zeitpunkt des in Rede stehenden Vorfalles Leiter der Abteilung Risikomanagement gewesen. In dieser Funktion sei er von dem streitbefangenen Vorfall nicht direkt betroffen gewesen, sondern habe sich mit dessen Auswirkungen beschäftigt. So sei die Weiterbeförderung der Fluggäste und die Rückkehr der Crew in seinen Verantwortungsbereich gefallen. Auch er habe im Rahmen seiner Tätigkeit Kenntnis davon erlangt, dass per Funk die Information "bvirdstrike" übermittelt worden sei.

Der Zeuge F. hat ausgesagt, er sei Mechaniker und ihm sei aus den Wartungsunterlagen bekannt, dass das rechte Triebwerk aufgrund von Vogelschlag beschädigt worden sei und habe repariert werden müssen. Diese Wartungsunterlagen seien von den Kollegen gefertigt worden, die in Thessaloniki vor Ort gewesen seien. Den Wartungsunterlagen sei zu entnehmen, dass die Fan-Blätter ausgetauscht worden seien, weil sie verbogen waren. In den Wartungsunterlagen sei der Begriff "birdstrike" verwendet worden. Aufgrund des sich aus den Wartungsunterlagen ergebenden Schadensbildes und den dort aufgeführten Reparaturmaßnahmen teile er diese Einschätzung.

Die Bekundungen der Zeugen D., E. und F. waren in sich geschlossen, detailreich und lebensnah. Sie enthielten auch auf Nachfrage der Kammer keine Widersprüche. Die Kammer hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugen wahrheitswidrige Angaben gemacht haben.

Weil ein Vogelschlag dadurch entsteht, dass fliegende Vögel durch die Triebwerke eines Fluggerätes angesaugt werden, in das entsprechende Triebwerk gelangen und dort eine Beschädigung hervorrufen, liegt die Ursache außerhalb des Einfluss- und Organisationsbereiches des Luftfahrunternehmens. Es handelt sich schlicht um ein außerhalb des Gewöhnlichen liegendes Naturereignis.

Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte keine zumutbaren Maßnahmen ergreifen konnte, durch den die durch den Vogelschlag verursachte Beschädigung an ihrem Fluggerät hätte vermieden werden können. Nach dem aktuellen Stand der Technik besteht keine Möglichkeit, einen Triebwerkschaden infolge Vogelschlages auszuschließen. Im Rahmen der Luftverkehrssicherung wird zur Verhütung von Vogelschlag neben der Vogelzugvorhersage und den Vogelzugwarnungen auf das Instrument des Biotopmanagements zurückgegriffen, also die Aufhebung des ökologischen Lebensraumes in der Nähe der Flughäfen. Ferner müssen moderne Triebwerke eine gewisse Vogelschlag-Resistenz aufweisen. Aber auch diese Maßnahmen können die Beschädigung eines Triebwerkes durch Vogelschlag nicht sicher verhindern. Im Ergebnis stellt sich der Vogelschlag somit als Naturereignis, das nicht in den alleinigen Einfluss- und Verantwortungsbereich der Beklagten fällt. Die Klage unterlag daher der Abweisung.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass im Sinne des § 543 Abs.2 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 800,- €

A. B. C.