Bayerischer VGH, Beschluss vom 02.11.2010 - 19 B 10.1941
Fundstelle
openJur 2012, 112175
  • Rkr:
Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 29. April 2010 – AN 5 K 09.02354 – wird der Bescheid der Beklagten vom 18. November 2009 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Rechtsstreit betrifft die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zur Fortführung des Studiums der Zahnmedizin.

1. Der Kläger, ein am … geborener türkischer Staatsangehöriger, reiste am 12. Februar 2004 erstmals zum Zwecke des Studiums in das Bundesgebiet ein. Er erhielt daraufhin bis zum 18. November 2008 Bewilligungen und danach Aufenthaltserlaubnisse zur Durchführung eines Studiums der Zahnmedizin, zuletzt an der Universität Würzburg. Am 22. September 2008 beantragte er erneut die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.

2. Mit Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom 27. Mai 2009 wurde der Kläger wegen Nötigung mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 30,00 € verurteilt. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass er seine damalige Freundin, die die Beziehung zu ihm beendet hatte, im Flur des Studentenwohnheims, in dem sie beide Zimmer gemietet hatten, rund drei Stunden lang, teils durch kurzzeitiges Ergreifen der Arme und Drücken gegen die Wand festhielt, um eine Aussprache mit ihr zu suchen.

3. Mit Bescheid vom 18. November 2009 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab und drohte ihm unter Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Aufgrund der Verurteilung liege ein Ausweisungsgrund vor. Die Aufenthaltserlaubnis könne daher nicht verlängert werden.

4. Hiergegen ließ der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 10. Dezember 2009 Klage erheben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es handele sich um eine reine Beziehungstat. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht gegeben. Die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei deshalb unverhältnismäßig.

5. Mit Urteil vom 29. April 2010 wies das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet ab. Die Beklagte habe die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu Recht nicht verlängert, da in dessen Person ein Ausweisungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliege. Ein atypischer Lebenssachverhalt, der dazu führen könnte, dass die Aufenthaltserlaubnis entgegen § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu verlängern sei, liege nicht vor. Die Verurteilung sei so gewichtig, dass sie es rechtfertige, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers trotz der damit verbundenen Konsequenzen nicht zu verlängern. Der Kläger habe bewusst und vorsätzlich Gewalt zur Durchsetzung seiner Interessen eingesetzt. Es lasse sich nicht ausschließen, dass er im Falle einer erneuten Enttäuschung innerhalb einer Beziehung wiederum zu ähnlichen Mitteln greife. Dass er die Geschädigte bislang nicht weiter behelligt habe, stehe dem nicht entgegen. Der Abbruch des Studiums und der Verlust von 4 ½ Jahren Berufsausbildung seien nicht so bedeutend, dass sie das Gewicht der gesetzlichen Regelversagungsvoraussetzung beseitigen könnten.

6. Mit Beschluss vom 19. August 2010 – 19 ZB 10.1494 u.a. – ließ der Senat die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zu, nach dem die Beklagte unter dem 3. August 2010 mitgeteilt hatte, dass der Kläger sich am 15. Juli 2010 nach Köln umgemeldet habe; gleichzeitig wurde die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Mit Schriftsatz vom 9. September 2010 trug der Klägerbevollmächtigte zur Begründung der Berufung im Wesentlichen vor, eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht. Die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei deshalb unverhältnismäßig.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 29. April 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, seine Aufenthaltserlaubnis antragsgemäß zu verlängern, hilfsweise über den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt sie mit Schreiben vom 8. Oktober 2010 im Wesentlichen vor, dem Antrag des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 Satz 5 AufenthG könne nicht entsprochen werden, weil in seiner Person ein Ausweisungsgrund im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliege. Ein atypischer Sachverhalt, der geeignet wäre, die gesetzliche Regelvermutung der Versagung einer Aufenthaltserlaubnis zu verdrängen, sei nicht gegeben. Ein Ausnahmefall könne insbesondere nicht darauf gestützt werden, dass vom Kläger keine Wiederholungsgefahr ausgehe. Vielmehr spreche dessen planmäßiges Vorgehen dafür, dass er in einer ähnlichen Situation wieder gleichermaßen handeln werde, um seinen Willen durchzusetzen. Erschwerend komme hinzu, dass der Kläger zur Durchsetzung seiner Interessen Gewalt angewandt habe. Ebenso wenig liege ein Verstoß gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip resultierenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor. Die Geringfügigkeitsgrenze von 30 Tagessätzen nach Nr. 55.2.2.3.1 AVV-AufenthG sei überschritten. Zudem sei auch die Vorschrift des § 18a Abs. 1 Nr. 7 AufenthG zu beachten, nach der ein Verbleib von Ausländern, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mehr als 50 Tagessätzen verurteilt worden seien, grundsätzlich nicht in Frage komme.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behörden- und Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss über die von ihm zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers; er hält diese einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung weder im Hinblick auf die Berufungsbegründung des Klägers noch wegen des Vorbringens der Beklagten für erforderlich (§ 130 a VwGO).

1. Die Beklagte ist für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch passivlegitimiert. Nachdem der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach Köln verlegt hat, ist zwar grundsätzlich nicht mehr die Beklagte Stadt Erlangen, sondern die Stadt Köln für die Erteilung der vom Kläger begehrten Aufenthaltserlaubnis örtlich zuständig. Dies folgt aus § 5 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten zur Ausführung der Aufenthaltsgesetzes und ausländerrechtlicher Bestimmungen in anderen Gesetzen (ZustVAuslR) vom 14. Juli 2005 (GVBl. S. 306). Nach der ergänzend anwendbaren Bestimmung des Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG kann die Beklagte aber das Verwaltungsverfahren in eigener Zuständigkeit fortführen, wenn sich im Laufe des Verfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern, die Fortführung unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.5.1995 – 1 C 7.94 –, InfAuslR 1995, 287 [288]). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, nachdem die Stadt Köln mit Schreiben vom 14. Oktober 2010 ihr Einverständnis zu der objektiv prozesswirtschaftlichen Fortführung des Verfahrens durch die Beklagte erteilt hat.

2. Die Klage hat in der Sache nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Zwar war die Versagung der Verlängerung der begehrten Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

a) Mangels Spruchreife kann die Beklagte jedoch nur dazu verpflichtet werden, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Weder die Beklagte noch der Kläger haben sich zu den Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Satz 5 2. Halbsatz AufenthG, insbesondere der Frage, ob der Ausbildungszweck noch in einem angemessenen Zeitraum erreicht werden kann, verhalten. Vor allem hat die Beklagte die insoweit erforderliche Prognoseentscheidung (vgl. hierzu BayVGH, Urteil vom 5.5.2010 – 19 BV 09.3102 – juris) bislang nicht getroffen. Die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 18. November 2009 wurde ausschließlich auf den Umstand gestützt, dass mit der Verurteilung des Klägers wegen Nötigung und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen ein Ausweisungsgrund (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vorliege, der gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zur Regelversagung führe.

b) Indes lässt sich die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis allein mit dieser Begründung nicht aufrecht erhalten.

19aa) § 8 Abs. 1 AufenthG sieht zwar ausdrücklich vor, dass auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis dieselben Vorschriften Anwendung finden wie für ihre Erteilung, mit anderen Worten, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG auch im Falle der Verlängerung vorliegen müssen. Gleichwohl darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Ausländer, der eine Verlängerung eines ihm bereits bewilligten Aufenthalts erstrebt, sich in einer anderen Situation befindet, als der Ausländer, der erstmals um eine Aufenthaltserlaubnis nachsucht. Je nach der Dauer seines Aufenthalts und dem Maß seiner beruflichen, persönlichen und sozialen Bindungen ist er in erheblich stärkerem Maße auf den Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland angewiesen als ein Ausländer, der gerade sein Heimatland verlassen hat (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: August 2008, RdNr. 11 zu § 8 AufenthG). Über die Verlängerung ist deshalb unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und des Vertrauensschutzes zu entscheiden (vgl. Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 3. Aufl. 2007, § 2 RdNr. 280).

Der Ermessensspielraum der Ausländerbehörde bei der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ist insoweit grundsätzlich enger als bei ihrer erstmaligen Erteilung (vgl. BVerfGE 49, 168 [185 f.]). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass mit der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine schutzwürdige Rechtsposition des Ausländers geschaffen worden ist, die nicht mehr zur freien Disposition des Staates steht. Bei der Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltstitels ist daher die konkrete Situation des Betroffenen in den Blick zu nehmen und im Rahmen einer Güter- und Interessenabwägung zu prüfen, ob die Beendigung des Aufenthalts zumutbar ist. Dabei sind insbesondere die Folgen, die bei einer Nichtverlängerung des Aufenthaltstitels für die tatsächlichen, persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen des Betroffenen entstünden, mit den für eine Versagung des weiteren Aufenthalts streitenden öffentlichen Interessen abzuwägen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: August 2008, RdNrn. 12 ff. zu § 8 AufenthG; Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 3. Aufl. 2007, § 2 RdNr. 280).

bb) Ob ein von der Regel abweichender Ausnahmefall im Sinne des § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegt, ist im Lichte der soeben beschriebenen Differenzierung zwischen einer erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis einerseits und ihrer Verlängerung andererseits zu beurteilen. Dabei ist im Rahmen der gebotenen Abwägung zu berücksichtigen, dass die persönlichen Belange und Bindungen des Betroffenen bei der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis stärker ins Gewicht fallen müssen als bei ihrer erstmaligen Erteilung (vgl. Bäuerle, in: GK-Aufenthaltsgesetz, Stand: November 2006, § 5 RdNrn. 22 und 23).

In tatsächlicher Hinsicht liegt ein Ausnahmefall vor, wenn ein atypischer Sachverhalt gegeben ist, der sich von der Menge gleichliegender Fälle durch besondere Umstände unterscheidet, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht des der Regelerteilungsvoraussetzung zugrunde liegenden öffentlichen Interesses beseitigen (vgl. BVerwGE 94, 35 [43 f.]; 102, 12 [17]). In rechtlicher Hinsicht ist ein Ausnahmefall gegeben, wenn die Versagung der begehrten Aufenthaltserlaubnis mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar ist (vgl. BVerwGE 102, 12 [17]). Dabei handelt es sich um eine Rechtsentscheidung, die voller verwaltungsgerichtlicher Kontrolle unterliegt (vgl. BVerwGE 94, 35 [43 f.]; 102, 12 [17]).

23Beim Regelversagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass nur solche Ausweisungsgründe beachtlich sind, die noch aktuell vorliegen, mit anderen Worten eine gegenwärtige bzw. in absehbarer Zukunft fortwirkende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland ernsthaft droht (vgl. Bäuerle, in: GK-Aufenthaltsgesetz, Stand: November 2006, § 5 RdNr. 104; s. auch Nr. 5.1.2.2 AVV-AufenthG). Da es um die Erlaubnis eines künftigen Aufenthalts geht, ist nicht die Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Vergangenheit von Bedeutung, sondern nur eine solche in Gegenwart und Zukunft (vgl. BayVGH, Beschluss vom 16.7.2008 – 19 CS 08.1436 u.a. – <juris> RdNr. 8).

In die anzustellende Gefährdungsprognose sind als Beurteilungskriterien das Gewicht des Ausweisungsgrundes, die Schwere der strafrechtlichen Verurteilung, das Fortbestehen der Gefährdungslage, die Dauer des straffreien Aufenthalts im Verhältnis zur Gesamtaufenthaltsdauer, das Bestehen schutzwürdiger Bindungen zum Bundesgebiet, die Dauer des bisherigen rechtmäßigen Aufenthalts und die aktuelle persönliche Situation des Betroffenen einzustellen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Juni 2008, RdNr. 31 zu § 5 AufenthG). Voraussetzung ist insoweit stets, dass die Gefährdungslage, der mit der Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis begegnet werden soll, auch tatsächlich und nicht nur theoretisch besteht. Die lediglich entfernte Möglichkeit weiterer Störungen, etwa weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Ausländer sein bisheriges Verhalten wiederholt, kann die Annahme einer aktuellen Gefährdung nicht tragen (vgl. BVerwGE 81, 155 [159 f.]; 101, 247 [253]; 106, 351 [357]).

c) Gemessen an diesem Maßstab kann die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Fortsetzung des Medizinstudiums keinen Bestand haben. Die insoweit angeführten Gründe können eine solche Entscheidung nicht tragen.

aa) Es fehlt bereits an einer aktuellen Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Der Verurteilung des Klägers wegen Nötigung und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen liegt ein einmaliges Fehlverhalten des Klägers im Zusammenhang mit der Trennung von seiner damaligen Freundin zugrunde, die entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts schon nach dem gesamten äußeren Tatgeschehen nicht als „Gewaltdelikt“ im herkömmlichen Begriffsverständnis apostrophiert werden kann.

Nach den Feststellungen des Strafgerichts hat der Kläger seine vormalige Freundin an beiden Armen gepackt und ca. 10 Minuten an die Wand gedrückt, so dass später Abdrücke auf der Haut zu sehen gewesen seien. Auch wenn ein solches Verhalten als strafwürdig angesehen werden muss, bewegt es sich doch am unteren Rand dessen, was der Verwirklichung des Tatbestandes einer Körperverletzung entspricht. Dass der Kläger generell zur Anwendung von Gewalt neigen und diese zur Durchsetzung seiner persönlichen Interessen einsetzen würde, kann daraus nicht gefolgert werden. Vorliegend handelt es sich ersichtlich um eine Beziehungstat, die sich nach dem Abbruch der Verbindung und dem vollständigen, auch örtlichen Wechsel der Lebensbeziehungen sowohl des Klägers als auch seiner vormaligen Freundin nicht wiederholen wird. Auch die Tatsache, dass der Kläger über einen Zeitraum von drei Stunden hinweg versucht hat, seine Position darzulegen und seine vormalige Freundin zu einer Änderung ihrer Trennungsentscheidung zu bewegen, macht deutlich, dass der Kläger durchaus willens ist, Konflikte argumentativ und nicht mittels Anwendung von Gewalt zu lösen, auch wenn man die Dauer eines solchen Verhaltens als völlig unangemessen und damit als strafwürdig empfinden muss.

Im Übrigen hat der Kläger das gegen ihn verhängte Kontaktverbot stets eingehalten. Dass er auch im Rahmen einer neuen Beziehung wieder in gleicher Weise handeln wird, erscheint demgegenüber allenfalls als entfernte Möglichkeit. Soweit das Verwaltungsgericht insoweit – ohne dass entsprechende Anhaltspunkte angeführt würden – die Auffassung vertritt, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger innerhalb einer neuen Beziehung wiederum zu ähnlichen Mitteln greife, verkennt es die an die Annahme einer Wiederholungsgefahr zu stellenden Anforderungen. Allein die theoretische Möglichkeit, dass der Kläger im Rahmen einer – enttäuschten – Liebe erneut in ähnlicher Weise verfahren könnte, kann die Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht rechtfertigen. Damit liegt schon kein beachtlicher Ausweisungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, so dass es bereits an den Tatbestandsvoraussetzungen eines Regelversagungsgrundes fehlt.

bb) Dessen ungeachtet kann die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auch im Lichte des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keinen Bestand haben. Sowohl die Beklagte als auch das Verwaltungsgericht haben die einschneidenden Folgen, die mit dem Verlust des Aufenthaltsrechts für den Kläger verbunden wären, nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die vorzunehmende Interessenabwägung eingestellt und sind daher zu einer Abwägungsfehleinschätzung gelangt.

Müsste der Kläger seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich beenden, so hätte dies für die von ihm gewählte Berufsausbildung gravierende Folgen. Der Kläger steht im 9. Fachsemester des Studiums der Zahnmedizin und hat damit derzeit bereits rund zwei Drittel der tatsächlichen Studienzeit absolviert. Bei einem Verlust des Aufenthaltsrechts ginge ihm dieser Ausbildungsabschnitt und damit 4 ½ Jahre seiner beruflichen Ausbildung verloren, da er, sofern er bei einer Rückkehr in die Türkei überhaupt einen Studienplatz erhalten würde, mit dem Studium – wenn auch unter Verwertung des bisher erworbenen Wissens – aufgrund der unterschiedlichen Studienordnungen faktisch vollständig neu beginnen müsste. Es liegt auf der Hand, dass diese den Kläger treffenden einschneidenden Folgen außer jedem Verhältnis zu dem von ihm im Rahmen der Aussprache mit seiner vormaligen Freundin gesetzten Unrecht stehen. Sowohl die Beklagte als auch das Verwaltungsgericht haben bei ihren Erwägungen unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger, der eine Verlängerung eines ihm bereits bewilligten Aufenthalts erstrebt, sich in einer gänzlich anderen Situation befindet, als derjenige Ausländer, der erstmalig um eine Aufenthaltserlaubnis nachsucht und Ausweisungstatbestände im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verwirklicht hat. Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus § 18a Abs. 1 Nr. 7 AufenthG. Diese Regelung betrifft die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung an qualifizierte Geduldete, mit anderen Worten vollziehbar ausreisepflichtige Personen. Der Status des Klägers ist mit demjenigen dieses Personenkreises in keiner Weise vergleichbar.

Die Verlängerung der begehrten Aufenthaltserlaubnis durfte deshalb nicht mit den von der Beklagten angeführten Gründen versagt werden. Der vorliegende Sachverhalt ist mit dem des vom Senat mit Beschluss vom 20. September 2010 – 19 CS 10.1668 entschiedenen Fall nicht zu vergleichen. Dort war der Antragsteller wegen sexueller Nötigung an einer Arbeitskollegin (ohne dass eine Beziehung bestand) zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt worden. Zudem hatte er sein Studium bereits abgeschlossen. Nachdem der Kläger nunmehr aus dem Zuständigkeitsbereich der Beklagten nach Köln verzogen ist, wird die dortige Ausländerbehörde unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats (erneut) über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu entscheiden haben (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Der Berufung war daher aus dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben.

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.

3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die hierfür vorgesehenen Voraussetzungen (§ 132 Abs. 2 VwGO) nicht vorliegen.

5. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.