OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.05.2011 - 3 Ws 215/10
Fundstelle
openJur 2012, 67241
  • Rkr:

Der Untersuchungsführer nach dem Bundesdisziplinargesetz ist keine zur eidlichen Vernehmumg zuständige Stelle im Sinne des § 153 StGB.

Tenor

Der Antrag des Anzeigeerstatters C. auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 26. Mai 2010 wird als unzulässig verworfen.

Gründe

I.

Gegen den als Leiter des [...] tätig gewesenen Anzeigeerstatter/Antragsteller wurde mit Verfügung des Präsidenten [...] vom 6.11.2008 ein Disziplinarverfahren gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG unter dem Vorwurf eingeleitet, Mitarbeiterinnen durch sexuelle Äußerungen beleidigt zu haben. Am 5.2.2009 und nochmals am 20.4.2009 wurde B. von der im Disziplinarverfahren zur Ermittlungsführerin bestellten D. als Zeugin angehört.

Mit Anwaltsschriftsatz der von ihm bevollmächtigten Rechtsanwälte vom 17.4.2009 erstattete der Antragsteller gegen B. - unter Stellung von Strafantrag aus allen rechtlichen Gesichtspunkten - Strafanzeige dahin, diese habe sich zu seinem Nachteil, um seine Position im Disziplinarverfahren zu erschweren, eines Vergehens nach § 153 StGB schuldig gemacht. Mit Verfügung vom 5.8.2009 stellte die Staatsanwaltschaft das daraufhin geführte Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO in Anbetracht der Beweislage aus tatsächlichen Gründen ein. Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 26.8.2009 hob die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe mit Verfügung vom 1.12.2009 die Einstellungsverfügung auf und ersuchte die Staatsanwaltschaft A., die Ermittlungen fortzuführen. Mit Schrift vom 11.1.2010 erhob die Staatsanwaltschaft A. gegen B. unter dem Vorwurf der falschen uneidlichen Aussage nach § 153 StGB (Tatzeit: 5.2.2009) Anklage zum Amtsgericht - Strafrichter - E.. Mit Beschluss vom 22.2.2010 lehnte das Amtsgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens ebenfalls aus tatsächlichen Gründen ab; die Staatsanwaltschaft focht die - dadurch in Rechtskraft erwachsene - Entscheidung nicht an. Mit Anwaltsschrift vom 26.3.2010 frug der Antragsteller bei der Staatsanwaltschaft nach, ob dort mittlerweile eine abschließende Verfügung ergangen sei (dieser Schriftsatz wird im vorliegend verfahrensgegenständlichen Antrag des Anzeigeerstatters vom 24.6.2010 auf gerichtliche Entscheidung nicht mitgeteilt). Mit Verfügung vom 23.4.2010 stellte die Staatsanwaltschaft A. daraufhin das Ermittlungsverfahren wiederum gem. § 170 Abs. 2 StPO unter Hinweis auf die Nichteröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen ein, ohne erneute Ermittlungen durchgeführt zu haben. Dagegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 6.5.2010 unter Behauptung als von ihm neu gewerteter Tatsachen Beschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaft mit Bescheid vom 26.5.2010 keine Folge gab. Gegen den Beschwerdebescheid hat der Anzeigeerstatter/Antragsteller mit beim Senat am 28.6.2010 eingekommener Anwaltsschrift vom 24.6.2010 Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 StPO mit dem Antrag angebracht, die öffentliche Klage gegen B. wegen vorsätzlicher falscher uneidlichen Aussage nach § 153 StGB anzuordnen.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit Schrift vom 12.7.2010, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zu verwerfen.

Das gegen den Antragsteller eingeleitete Disziplinarverfahren ist, wie der Bevollmächtigte des Antragstellers auf Rückfrage des Senats am 13.5.2011 mitgeteilt hat, nach wie vor noch im Lauf.II.

Der fristgerecht am 28.6.2010 eingegangene und formgerecht von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 24.6.2010 genügt nicht den in § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO normierten Darlegungs- und Begründungserfordernissen und ist deshalb nicht zulässig.

1. Nach der nahezu einhelligen Auslegung, die die Formvorschrift des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO - verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. nur BVerfG, NJW 2000, 1027; NStZ-RR 2005, 176) - durch die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte erfährt, muss bereits das Vorbringen in der Antragsschrift selbst den Senat in die Lage versetzen, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft oder andere - dem Antrag gegebenenfalls als Anlagen beigefügte oder in diesem in Bezug genommene - Schriftstücke eine Schlüssigkeitsprüfung hinsichtlich der Erfolgsaussichten des Antrags in formeller und materieller Hinsicht vorzunehmen (vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 172 Rdnr. 27). Dabei muss die Antragsschrift zunächst zur form- und fristgerechten Durchführung des vorgeschalteten Beschwerdeverfahrens sowie den sonstigen den Rechtsweg zum Oberlandesgericht eröffnenden formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 172 Abs. 1 und Abs. 2 StPO ausreichend vortragen.

Um dem Senat die Beurteilung zu ermöglichen, ob die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren unter Verstoß gegen das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO) eingestellt bzw. von der Einleitung oder - wie hier - von der Wiederaufnahme eines solchen abgesehen hat, muss der Antrag darüber hinaus in materieller Hinsicht eine in sich geschlossene aus sich selbst heraus verständliche substantiierte Darstellung des dem Beschuldigten vorgeworfenen Sachverhalts enthalten, aus dem sich der die Erhebung der öffentlichen Klage rechtfertigende hinreichende Tatverdacht ergeben soll. Außerdem ist erforderlich, dass - zumindest in groben Zügen - der Gang des Ermittlungsverfahrens, das wesentliche Ergebnis der von der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungen sowie die angegriffenen Bescheide der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft mit ihrem wesentlichen Inhalt wiedergegeben und die tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründe dargelegt und erörtert werden, die gegen die diese Bescheide tragenden Erwägungen geltend gemacht werden. Hierbei ist der wesentliche Inhalt der genannten staatsanwaltschaftlichen Bescheide zwar nicht wörtlich, aber doch so genau und vollständig mitzuteilen, dass die in der Antragsschrift gegen diese Bescheide vorgebrachten tatsächlichen und/oder rechtlichen Einwendungen für den Senat nachvollziehbar sowie einer sachlichen Prüfung und Bewertung zugänglich sind. Sämtliche für die formelle und materielle Schlüssigkeitsprüfung erforderlichen Darlegungen müssen in die von dem Rechtsanwalt unterzeichnete, fristgerecht eingegangene Antragsschrift selbst aufgenommen oder jedenfalls innerhalb der Monatsfrist des § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO dem prüfenden Senat in formgerechter Weise zugänglich gemacht worden sein. Ein Verweis auf die Ermittlungsakten und/oder andere - der Antragsschrift ggf. als Anlagen beigefügte oder in dieser in Bezug genommene - Schriftstücke und Unterlagen ist ebenso unzulässig wie ein Nachschieben von zulässigkeitsrelevantem Sachvorbringen nach Ablauf der genannten Frist.

Es widerspricht dem Zweck der Vorschrift des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO, wenn ein Antragsteller durch Verweisung auf die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft oder Anlagen zur Antragsschrift es dem Senat überlässt, daraus mögliche antragsbegründende Umstände herauszusuchen (Meyer-Goßner, a.a.O., § 172 Rdnr. 27a ff. m.w.N.).

Diesem Maßstab wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht gerecht, so dass er unzulässig ist.

2. Die Antragsschrift vom 24.6.2010 macht allerdings noch ausreichende Ausführungen zu den formellen, den Rechtsweg zum Oberlandesgericht überhaupt erst eröffnenden Zulässigkeitsvoraussetzungen. Zur Zulässigkeit des Antrags erforderlich ist auch, dass sich dem Antragsvorbringen entnehmen lässt, dass die Zwei-Wochen-Frist des vorgeschalteten Beschwerdeverfahrens nach § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO eingehalten worden ist. Diese Zulässigkeitsvoraussetzung ist unter Berücksichtigung der durch das Bundesverfassungsgericht (NStZ-RR 2005, 176) eingeschränkten Darlegungspflichten bei Fällen offenkundiger Fristwahrung noch erfüllt.

Der Antragsschrift ist vorliegend zwar nicht zu entnehmen, wann die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft A. vom 23.4.2010 dem Antragsteller oder seinem Bevollmächtigten zugegangen ist. Ausgehend davon, dass die Verfügung noch am 23.4.2010 (Freitag) zur Post gegeben wurde, und unter Berücksichtigung der üblichen Postlaufzeit von zwei Postbeförderungstagen (Samstag, 24.4.2010, und Montag, 26.4.2010), wäre die Verfügung der Staatsanwaltschaft spätestens am 27.4.2010 (Dienstag) beim Antragsteller oder seinem Bevollmächtigten eingetroffen. Weiterhin fehlen Angaben, wann und in welcher Form das Beschwerdeschreiben vom 6.5.2010 (Donnerstag) gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft abgesandt wurde und an welchem Tag es bei der (General)Staatsanwaltschaft eingegangen ist.

Ausgehend davon, dass die Beschwerdeschrift noch am selben Tag zur Post gegeben wurde, und unter Zugrundelegung der üblichen Postlaufzeit von zwei Tagen (Freitag, 7.5.2010, und Samstag, 8.5.2010), wäre das Beschwerdeschreiben spätestens am 10.5.2010 (Montag), somit vor dem Tag des Ablaufs der zweiwöchigen Beschwerdefrist am 11.5.2010 bei der (General)Staatsanwaltschaft fristgerecht eingegangen.

Die Einhaltung der Monatsfrist des § 172 Abs. 2 StPO (Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft vom 26.5.2010, Zugang beim Antragsteller/Bevollmächtigen am 4.6.2010, Eingang des Antrags auf gerichtliche Entscheidung am 28.6.2010) lässt sich dem Antragsvorbringen entnehmen.

3. Demgegenüber zeigt der Antragsteller keinen Sachverhalt auf, der die Erhebung der öffentlichen Klage gegen die ehemals mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft A. vom 11.1.2010 angeschuldigte und vom Antragsteller nun erneut beschuldigte Zeugin B. wegen falscher uneidlicher Aussage (§ 153 StGB) rechtfertigen könnte. Dabei kann hier offen bleiben, ob die von der Zeugin im Disziplinarverfahren gegenüber der diese vernehmenden Ermittlungsführerin inhaltlich (uneidlich) falsch ausgesagt hatte. Denn die Zeugin machte im zum Zeitpunkt der inkriminierten Aussagen noch im Ermittlungsstadium befindlichen, gegen den Antragsteller geführten Disziplinarverfahren weder vor Gericht noch vor einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen zuständigen Stelle, wie dies aber die Bestimmung des § 153 StGB voraussetzt, eine (uneidlich falsche) Aussage. Die maßgebliche Bestimmung des § 25 BDG in der ab 1.1.2002 geltenden Fassung vom 9.7.2001 verweist nicht auf die Bestimmung des § 59 StPO. Die Vereidigung von Zeugen durch den Ermittlungsführer im Disziplinarverfahren ist nicht zulässig; der Ermittlungsführer ist als beweiserhebende Stelle zur Vereidigung nicht befugt (vgl. Schmiemann in Schütz/Schmiemann, DisziplinarR, 4. Aufl. [Stand April 2009], BDG § 25 Rdnr. 10; Claussen/Bennecke/Schwandt, Das Disziplinarverfahren, 5. Aufl. Rdnr. 508).

Dies hatten allerdings auch die Staatsanwaltschaft und das die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen ablehnende Amtsgericht nicht bedacht.

Die Frage, ob der Nichteröffnung des Hauptverfahrens durch den in Rechtskraft erwachsenen Beschluss des Amtsgerichts E. vom 22.2.2010 eine Sperrwirkung (§ 211 StPO) hinsichtlich der weiteren Verfolgung der Beschuldigten B. unter dem Vorwurf eines möglicherweise verwirklichten Vergehens der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB), das ggf. zu dem - aus Rechtsgründen unbegründet vorgeworfen gewesenen - Vergehen der falschen uneidlichen Aussage in Tateinheit stünde und mit diesem eine prozessuale Tat (§ 264 StPO) darstellen würde, zukäme, d. h. die Strafklage verbraucht oder ohnedies noch möglich ist, kann offen bleiben. Die Antragsschrift verhält sich zu diesem Gesichtspunkt, wie dies aber gebotenen wäre, weder in tatsächlicher noch in materiell-rechtlicher noch in prozessualer Hinsicht, auch nicht dazu, ob die Staatsanwaltschaft insoweit - mit Blick auf die Bestimmung des § 154e StPO wegen des gegen den Antragsteller noch anhängigen Disziplinarverfahrens - von der Erhebung der öffentlichen Klage zunächst abgesehen hat. Da es dem Senat nach alledem aufgrund der Antragsschrift vom 24.6.2010 nicht ermöglicht ist, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft oder sonstige Unterlagen insoweit die materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 172 StPO zu überprüfen, ist der Klageerzwingungsantrag auch aus diesem Grund als unzulässig zu verwerfen.III.

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. § 177 StPO findet keine Anwendung.