VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.09.2007 - 13 S 1059/07
Fundstelle
openJur 2012, 66510
  • Rkr:

Eine unbefristete Arbeitsgenehmigung kann einem algerischen Arbeitnehmer wegen des Diskriminierungsverbots in Art. 67 des Europa-Mittelmeer-Abkommens / Algerien ein Aufenthaltsrecht verschaffen, wenn das ihm zustehende ausländerrechtliche Aufenthaltsrecht befristet ist (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 14.12.2006 - C 97/05 -, Gattoussi);. Ob dies auch für solche Europa-Mittelmeer-Abkommen gilt, denen eine anderslautende Gemeinsame Erklärung beigefügt ist (verneinend BVerwG, Urteil vom 1.7.2003 - 1 C 18/02 -, NVwZ 2004, 241), bleibt offen.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 4. Dezember 2006 - 11 K 1727/06 - geändert; die Verfügung der Beklagten vom 1.4.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 31.3.2006 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der im Jahr 1958 geborene Kläger ist algerischer Staatsangehöriger. Er reiste 1992 in das Bundesgebiet ein und wurde zunächst nach zwei erfolglosen Asylverfahren im Bundesgebiet geduldet. Am 16.5.2002 erteilte die Beklagte dem Kläger eine bis zum 16.5.2004 befristete Aufenthaltsbefugnis, die am 30.3.2004 bis zum 17.5.2006 verlängert wurde. Hintergrund der Erteilung der Aufenthaltsbefugnisse war die Tatsache, dass im Jahr 2000 zugunsten der Ehefrau des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG festgestellt worden war.

Nach Anhörung des Klägers nahm die Beklagte mit Bescheid vom 1.4.2005 die am 30.3.2004 verlängerte Aufenthaltsbefugnis mit Wirkung für die Zukunft zurück und drohte ihm mit einer Ausreisefrist bis zum 29.4.2005 die Abschiebung nach Algerien an. Zur Begründung wurde ausgeführt, der für die Ehefrau des Klägers günstige Bescheid des Bundesamts vom 10.8.2000 sei am 15.6.2003 widerrufen worden, und die Aufenthaltsbefugnis des Klägers sei verlängert worden, ohne dass man sich vergewissert habe, ob dieser Widerruf unanfechtbar geworden sei. Nach der Bestandskraft dieses Widerrufsbescheides hätten die Verlängerungsvoraussetzungen nicht vorgelegen, wie dem Kläger bekannt gewesen sei. Ein anderweitiger Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis bestehe nicht. Bei dem Kläger liege zwar ein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet vor; er habe sich jedoch nicht integriert. Er gehe erst seit mehr als fünf Jahren einer Beschäftigung nach, die allerdings die finanziellen Bedürfnisse der Familie (Ehefrau und sechs Kinder) nicht decken könne. Auch komme er der Passpflicht nicht nach und sei zur Mitarbeit in diesem Bereich nicht bereit. Auch die Kinder des Klägers seien in Deutschland nicht integriert.

Der hiergegen am 2.5.2005 eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 31.3.2006 mit der Maßgabe zurückgewiesen, die bis zum 17.5.2006 verlängerte Aufenthaltsbefugnis gelte mit Wirkung der Bekanntgabe der Entscheidung zum 2.4.2005 als zurückgenommen. Die Widerspruchsbehörde führt aus, die Feststellung des Bundesamts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG in der Person der Ehefrau des Klägers sei im Juni 2003 widerrufen worden und bestandskräftig; die Ausländerbehörde habe wegen der getrennten Wohnsitze des Klägers und seiner Restfamilie erst im April 2004 vom Widerruf Kenntnis erlangt. Nach Wegfall des Ausreisehindernisses hätte die Aufenthaltsbefugnis am 30.3.2004 nicht verlängert werden dürfen.

Zur Begründung der am 28.4.2006 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, der Rücknahmebescheid verstoße gegen die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG. Im Übrigen sei im Zeitpunkt dieses Bescheides bereits klar gewesen, dass wegen laufender Asylverfahren der beiden jüngsten Kinder auf unabsehbare Zeit ein rechtliches Abschiebungsverbot bestehe. Auch habe zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AuslG bestanden, der von der Widerspruchsbehörde nicht geprüft worden sei.

Die Beklagte hat im Klageverfahren den Rücknahmebescheid verteidigt.

Mit Urteil vom 4.12.2006 - 11 K 1727/06 - hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und ausgeführt, die dem Kläger erteilte Aufenthaltserlaubnis habe am 30.3.2004 nicht verlängert werden dürfen, weil das Abschiebungshindernis in der Person seiner Ehefrau nicht mehr vorgelegen habe. Der entsprechende Widerrufsbescheid sei seit dem 18.3.2004 rechtskräftig. Auch ein anderweitiger Rechtsanspruch auf Aufenthaltsbefugnis habe nicht vorgelegen; insbesondere seien die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 4 AuslG nicht gegeben gewesen. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG sei eingehalten, und das der Behörde eröffnete Rücknahmeermessen sei fehlerfrei ausgeübt worden. Ein vorrangiges Interesse des Klägers bestehe bereits wegen eines fehlenden anderweitigen Anspruchs auf einen Aufenthaltstitel nicht. Insofern scheide auch § 26 Abs. 4 AufenthG als Anspruchsgrundlage aus. Auch sonstige Ermessenfehler seien nicht zu erkennen, und auch die Abschiebungsandrohung sei rechtlich nicht zu beanstanden.

Gegen die am 18.12.2006 zugestellte Entscheidung hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt; mit Beschluss vom 3.5.2007 hat der Senat die Berufung zugelassen. In der rechtzeitig eingegangenen Berufungsbegründung nimmt der Kläger auf den Zulassungsantrag Bezug und trägt vor, das klagabweisende Urteil sei fehlerhaft, da ihm am 8.9.2002 eine unbefristete Arbeitsgenehmigung erteilt worden sei. Dementsprechend sei er bereits seit 1999 bei der Firma Mc Donalds Deutschland in Sindelfingen in Vollzeit beschäftigt. Aufgrund des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und seinem Heimatland Algerien habe er Anspruch auf Unterlassung jeder Diskriminierung; hieraus folge nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass die Dauer einer Aufenthaltserlaubnis mit der Dauer der ihm erteilten unbefristeten Arbeitserlaubnis in Deckung zu bringen sei. Insofern stehe ihm ein anderweitiger Anspruch auf einen Aufenthaltstitel zu, der von Abschiebungshindernissen in der Person seiner Ehefrau unabhängig sei. Dass Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit für eine Aufenthaltsbeendigung bestünden, sei weder ersichtlich noch vorgetragen. Im übrigen habe die Behörde irrtümlich angenommen, er sei im Bundesgebiet weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich integriert; dabei habe das Gericht verkannt, dass er rückwirkend seit Oktober 2002 für seine vier Kinder und ab Dezember/Januar 2005 für zwei weitere Kinder einen Kindergeldanspruch habe. Dieser Anspruch solle mit einem Erstattungsanspruch gegen seine Ehefrau verrechnet werden; dies müsse aber gerichtlich erst geklärt werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 4.12.2006 - 11 K 1727/06 - zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 1.4.2005 sowie den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 31.3.2006 aufzuheben sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, nach der obergerichtlichen Rechtsprechung insbesondere des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergebe sich aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 64 des Europa-Mittelmeer-Abkommens/Marokko kein aufenthaltsrechtlicher Anspruch für marokkanische Arbeitnehmer. Insofern müsse das gleiche gelten zu Art. 67 des hier einschlägigen Mittelmeer-Abkommens mit Algerien. Dieser Auffassung werde auch in der Literatur vertreten. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Abkommen mit Marokko sei daher für den vorliegenden Fall nicht zu folgen.

Beide Beteiligte haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Akten der Beklagten und die Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums Stuttgart vor; auf ihren Inhalt wird verwiesen. Sie waren Gegenstand der Beratung.

Gründe

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung über die Berufung entscheiden, da beide Beteiligte auf die mündliche Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige, insbesondere rechtzeitig begründete Berufung (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) hat Erfolg; die von dem Kläger mit der Anfechtungsklage angegriffene Rücknahme der Aufenthaltsbefugnis und die damit verbundene Abschiebungsandrohung (Verfügung der Beklagten vom 1.4.2005) sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), so dass sie und der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart 31.3.206 aufzuheben waren. Der Rücknahme der dem Kläger am 30.3.2004 (erneut) erteilten Aufenthaltsbefugnis steht nämlich ein dem Kläger zustehendes anderweitiges Aufenthaltsrecht entgegen.

Nach § 48 Abs. 1 LVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nach Unanfechtbarkeit ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden; diese Vorschrift gilt auch für ausländerrechtliche Aufenthaltserlaubnisse (siehe BVerwG, Urteil vom 23.5.1995 - 1 C 3.94 -, BVerwGE 98, 298, 304 und zuletzt Urteil vom 5.9.2006 - 1 C 20.05 -, NVwZ 2007, 470). Der Senat kann offenlassen, ob dem Kläger zum Zeitpunkt der Rücknahme bzw. des Widerspruchsbescheids ein Anspruch auf Verlängerung der ihm erteilten Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG oder ein Aufenthaltstitel nach den zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides bereits geltenden Regelungen des AufenthG (§§ 23 i.V.m. der Härtefallregelung für ausländische Familien mit langjährigem Aufenthalt bzw. § 25 oder § 26 Abs. 4 AufenthG) zustand; unabhängig hiervon ist die behördliche Rücknahmeentscheidung bereits deswegen rechtlich zu beanstanden, weil der Kläger aufenthaltsrechtlich zu seinen Gunsten auf ein aus dem Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der demokratischen Volksrepublik Algerien andererseits (im folgenden: Europa-Mittelmeer-Abkommen/Algerien, Amtsblatt der Europäischen Union vom 10.10.2005, L 265/2) abgeleitetes Aufenthaltsrecht verweisen kann. Es ist anerkannt, dass der Rücknahme eines Aufenthaltstitels ein anderweitiger Aufenthaltstitel entgegengehalten werden kann (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 23.5.1995, a.a.O.; zur vergleichbaren Problematik bei der Widerrufsentscheidung nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG siehe BVerwG, Urteil vom 20.2.2003 - 1 C 13.02 -, NVwZ 2003, 1275; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 28.2.2007 - 13 S 2409/06 -, juris und Urteil vom 26.7.2006 - 11 S 951/06 -, VBlBW 2006, 442). Ein solcher Fall ist hier gegeben, wobei es ohne rechtliche Bedeutung ist, dass das Entgegenstehen des Anspruchs auf einen anderweitigen Aufenthaltstitel im vorliegenden Fall erst im Berufungszulassungsverfahren gerügt worden ist und nicht bereits Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Erörterung war (vgl. dazu Sodan/Ziekow, VwGO, 2006, Rn 88 f. zu § 124.).

Der Kläger unterfällt als algerischer Staatsangehöriger dem Regelungsbereich des Europa-Mittelmeer-Abkommens/Algerien zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der demokratischen Volksrepublik Algerien andererseits. Art. 67 Abs. 1 dieses Abkommens bestimmt, dass jeder Mitgliedstaat für algerische Arbeitnehmer, die in seinem Hoheitsgebiet beschäftigt sind, eine Regelung gewährt, die hinsichtlich der Arbeits-, Entlohnungs- und Kündigungsbedingungen keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierung gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen beinhaltet. Der Kläger ist unstreitig seit Jahren Arbeitnehmer im Sinn dieser Regelung; er ist seit dem 8.9.2002 Inhaber einer unbefristeten Arbeitsberechtigung des (damaligen) Arbeitsamts Stuttgart, die auch nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes fortgilt (vgl. § 105 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).

Was die aufenthaltsrechtlichen Wirkungen solcher unbefristeter Arbeitsgenehmigungen angeht, hat der für die Auslegung der einzelnen Europa-Mittelmeer-Abkommen im Hinblick auf die jeweils verliehene Rechtsstellung letztlich maßgebende Europäische Gerichtshof zu vergleichbaren Antidiskriminierungsvorschriften (Art. 64 Abs. 1 Europa-Mittelmeer-Abkommen mit Tunesien vom 17.7.1995 und Art. 40 Abs. 1 des Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Marokko vom 27.4.1976, jetzt Art. 64 Abs. 1 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko vom 26.2.1996) entschieden, dass die dort enthaltenen, auf die Arbeits-, Entlohnungs- und Kündigungsbedingungen bezogenen Antidiskriminierungsgrundsätze auch eine aufenthaltsrechtliche Wirkung haben; übersteigt der zeitliche Anwendungsbereich einer einem solchen Staatsangehörigen enthaltenen Arbeitserlaubnis die Dauer einer Aufenthaltserlaubnis, so führt dies dazu, dass der Arbeitnehmer aus der zeitlich überschießenden Arbeitserlaubnis auch ein entsprechendes (weitergehendes) Aufenthaltsrecht ableiten kann (siehe dazu EuGH, Urteil vom 2.3.1999 - C 416/96 - El Yassini, InfAuslR 1999, 218, und Urteil vom 14.12.2006 - C 97/05 - Gattoussi, InfAuslR 2007, 89, Rn 38 f.). Damit ist der Europäische Gerichtshof der anderslautenden deutschen Rechtsprechung (siehe BVerwG, Urteil vom 1.7.2003 - 1 C 18/02 -, NVwZ 2004, 241, 245; OVG Münster, Beschluss vom 25.7.2005 - 18 B 983/05 -, juris und vom 22.6.2007 - 18 B 722/07 -, DVBl. 2007, 983; BayVGH, Beschluss vom 23.3.2006 - 24 CS 06.514 -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 6.4.2004 - 9 TG 864/04 -, NVwZ-RR 2005, 285) entgegengetreten. Der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs zur aufenthaltsrechtlichen Wirkung überschießender Arbeitserlaubnisse schließt sich der Senat, der als nationales Gericht im Interesse der einheitlichen Anwendung des Europarechts grundsätzlich gehalten ist, die vom EuGH vorgegebene Auslegung anzuwenden (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 6.10.1982 - Rs 283/81 - CILFIT -, Slg. 1982, 3415, Rn 16 ff.), jedenfalls für das hier streitige Abkommen mit Algerien an. Im Einzelnen:

Insbesondere aus der Entscheidung vom 14.12.2006 (a.a.O.) und der vorangegangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Übertragung der im Urteil El Yassini entwickelten Grundsätze auf türkische Arbeitnehmer nach Art. 10 ARB 1/80 (EuGH, Urteil vom 26.10.2006 - C 4/05 - Güzeli, InfAuslR 2007, 1, 4, Rn 52) ergibt sich, dass der Europäische Gerichtshof auch einer nach deutschem Recht erteilten Arbeitsgenehmigung (vgl. § 286 Abs. 3 SGB III) eine entsprechende aufenthaltsrechtliche Wirkung beimisst. Beide Verfahren betrafen Arbeitnehmer, die aufgrund entsprechender arbeitsrechtlicher Erlaubnisse dem deutschen Arbeitsmarkt angehörten. Dem Urteil Güzeli (a.a.O.) und auch der Bezugnahme auf die Entscheidung El Yassini (Urteil vom 2.3.1999, a.a.O.) in der Entscheidung Gattoussi (a.a.O.) kann nicht entnommen werden, dass der Europäische Gerichtshof es der deutschen Rechtsprechung überlässt, nach nationalem Recht zu entscheiden, ob mit der Erteilung der unbefristeten Arbeitserlaubnis mit entsprechender Wirkung für die Europa-Mittelmeer-Abkommen derartige aufenthaltsrechtliche Wirkungen verbunden sein sollen oder nicht (a.A. OVG Münster a.a.O.). Der Europäische Gerichtshof hat in dem Urteil Güzeli (a.a.O. S. 4) der nationalen Rechtsordnung (und damit den nationalen Gerichten) lediglich die Feststellung überlassen, ob eine solche (d.h. der Entscheidung El Yassini vergleichbare) Fallgestaltung im Ausgangsverfahren vorlag. Diese die Frage der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt - konkret: das Vorliegen eines Auflagenverstoßes - betreffende Zurückverweisung an das vorzulegende Gericht hätte keinen Sinn gehabt, wenn auch die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt dem Kläger kein aus der unbefristeten Arbeitsgenehmigung abgeleitetes überschießendes Aufenthaltsrecht verschaffen könnte. In der Entscheidung Gattoussi (a.a.O.) fehlt dementsprechend ein derartiger Hinweis auf eine der nationalen Rechtsordnung vorbehaltene abweichende Auslegungsmöglichkeit. Da nach deutschem Recht mit der Arbeitserlaubnis gerade keine aufenthaltserlaubnisunabhängigen Rechte verliehen werden (siehe dazu BVerwG, a.a.O. und Hailbronner, NVwZ 2007, S 416), würde die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den aufenthaltsrechtlichen Wirkungen von deutschen Arbeitserlaubnissen und -genehmigungen leerlaufen, wenn man sie auf solche Fälle beschränken würde, in denen nach innerstaatlichem Recht von der Aufenthaltserlaubnis unabhängige Beschäftigungsrechte verliehen worden sind (vgl. EuGH, Urteil vom 14.12.2006 a.a.O. Rn 39). Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Gattoussi, a.a.O. und Güzeli, a.a.O.) Fälle aus Deutschland betroffen hat, die hinsichtlich der Arbeitserlaubnis und ihrer Wirkungen nach deutschem Recht zu beurteilen waren, und es kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass dem Europäischen Gerichtshof die deutsche Rechtslage (grundsätzliche Abhängigkeit der Arbeitserlaubnis vom aufenthaltsrechtlichen Status) bekannt war (siehe dazu auch den Schlussantrag des Generalanwalts Colombo vom 6.4.2006 im Verfahren Gattoussi, juris). Der für die anderslautende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) und die Literatur (Hailbronner a.a.O.) entscheidende - und allerdings durchaus schwerwiegende - Einwand gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs betreffend die Abkommen mit Marokko (El Yassini) und Tunesien (Gattoussi) war auch weniger die innerdeutsche Konstruktion des Verhältnisses zwischen Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, sondern vielmehr der Hinweis darauf, dass der vom Europäischen Gerichtshof getroffenen Auslegung eine anderslautende Gemeinsame Erklärung der jeweiligen Vertragsparteien entgegenstand, die ihrerseits Vertragsbestandteil geworden ist (siehe etwa Art. 91 des Europa-Mittelmeer-Abkommens mit Tunesien). Diese Gemeinsame Erklärung lautet z.B. hinsichtlich Tunesien, dass Art. 64 Abs. 1 nicht in Anspruch genommen werden (kann), um die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung zu erwirken. Für die Erteilung, die Verlängerung oder die Verweigerung einer Aufenthaltsgenehmigung sind ausschließlich die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedsstaaten sowie die ... bilateralen Übereinkünfte ... maßgeblich (zur völkerrechtlichen Bedeutung einer solchen Gemeinsamen Erklärung vgl. insbesondere Hailbronner a.a.O. S. 415, 416 m.w.N.; siehe auch BVerwG a.a.O.). Der Senat kann offenlassen, inwieweit eine solche Gemeinsame Erklärung - dort, wo sie abgegeben worden ist - der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mit Erfolg entgegengehalten werden kann; immerhin hat auch der Europäische Gerichtshof in dem Verfahren Gattoussi eingeräumt, aus der Gemeinsamen Erklärung ergebe sich jedenfalls, dass das Diskriminierungsverbot als solches nicht der Regelung des Aufenthaltsrechts diene (Urteil vom 14.12.2006, a.a.O. Rn 35). Für den vorliegenden Fall ist der aus einer derartigen Gemeinsamen Erklärung hergeleitete grundsätzliche Einwand gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur aufenthaltsrechtlichen Wirkung von Arbeitserlaubnissen und Arbeitsgenehmigungen aber nicht weiterführend; das hier einschlägige und als letztes derartiges Abkommen geschlossene Europa-Mittelmeer-Abkommen/Algerien enthält nämlich eine vergleichbare Gemeinsame Erklärung nicht (mehr). Es liegen lediglich Gemeinsame Erklärungen zu Art. 44, 84, 104 und 110 des Abkommens sowie zum Austausch von Menschen und betreffend das Fürstentum Andorra, die Republik San Marino und zur Ursprungskumulierung vor, so dass Art. 67 Abs. 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens Algerien im vorliegenden Fall gerade nicht völkerrechtlich eingeschränkt ist. Auch sind aufenthaltsrechtliche Fragen in Art. 103 des hier einschlägigen Abkommens nicht aus dem Regelungsbereich des Abkommens herausgenommen worden. Damit geht der Senat davon aus, dass die aufenthaltsrechtlichen Vorbehalte, die in den sonstigen Europa-Mittelmeer-Abkommen in den genannten Gemeinsamen Erklärungen enthalten sind, jedenfalls in dem hier anzuwendenden Abkommen mit Algerien für die Vertragsparteien nicht (mehr) maßgebend waren. Ob dies darauf beruht, dass die Vertragsparteien in Kenntnis der früheren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (insbesondere der Entscheidung im Fall El Yassini) solchen aufenthaltsrechtlichen Vorbehalten in Gemeinsamen Erklärungen keine Bedeutung mehr beimaßen oder nicht, kann der Senat offenlassen; jedenfalls kann dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Arbeitnehmer mit algerischer Staatsangehörigkeit kein Völkerrechtsverstoß entgegengehalten werden.

Ergibt sich danach für den Kläger aus Art. 67 Abs. 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens-Tunesien ein entsprechendes überschießendes Aufenthaltsrecht, so ist dies lediglich durch die dem Abkommen selbst zu entnehmenden Vorbehalte begrenzt, die dem Schutz eines berechtigten Interesses des Staates sowie der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit dienen (siehe EuGH, Urteil vom 14.12.2006 a.a.O. Rn 40 m.w.N.). Dass das dem Kläger aus dem Europa-Mittelmeer-Abkommen/Algerien zustehende, aus der überschießenden Arbeitserlaubnis abgeleitete Aufenthaltsrecht nach diesen Grundsätzen - etwa wegen Vorliegens eines Ausweisungsgrundes - konkret zu beschränken ist, trägt die Beklagte nicht vor, und dies lässt sich aus den dem Senat vorliegenden Verwaltungsakten auch nicht entnehmen. Ebenso wenig kann diesem Aufenthaltsrecht die nach nationalem Recht für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen relevante Passlosigkeit (siehe § 5 Abs. 1 AufenthG) entgegengehalten werden.

Dementsprechend war das erstinstanzliche Urteil abzuändern; die gegen den Kläger ergangene Rücknahmeverfügung sowie der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid waren aufzuheben.

Das gleiche gilt für die der Rücknahmeverfügung beigegebene Abschiebungsandrohung, da deren Voraussetzung (Ausreisepflicht, siehe §§ 50, 58, 59 Abs. 1 AufenthG ) durch die Aufhebung der Rücknahmeverfügung entfallen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision war nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, da die Auslegung der im Wortlaut nahezu identischen Antidiskriminierungsvorschriften der Europa-Mittelmeer-Abkommen angesichts der in der obergerichtlichen Rechtsprechung bestehenden Uneinigkeit von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5000.-- EUR festgesetzt (§§ 63, 52 Abs. 2 GKG). Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).