OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.01.2011 - 13 W 76/10
Fundstelle
openJur 2012, 63850
  • Rkr:

Verlangt ein Anleger im Wege des Schadensersatzes Rückzahlung des für eine Kapitalanlage aufgewendeten Anlagebetrags sowie die Zahlung der ihm im Vertrag zugesagten Zinsgewinne, so erhöht der Anspruch auf Zahlung der Zinsgewinne den Gebührenstreitwert; § 43 Abs. 1 GKG ist insoweit nicht anwendbar.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird der Beschluss des Einzelrichters der 25. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 11.11.2010 - 25 O 172/10 - a b g e ä n d e r t.

Der Streitwert wird auf 20.324,86 EUR festgesetzt.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Klägerin hat vor dem Landgericht Ansprüche auf Ersatz ihr entstandenen Schadens aus einer Kapitalanlage geltend gemacht. Sie hat 16.000,00 EUR als Schadensersatz im Hinblick darauf verlangt, dass sie im August 2005 einen entsprechenden Bargeldbetrag an den Beklagten übergeben hatte. Ferner hat sie - nach zwischenzeitlicher teilweiser Zurücknahme der Klage - Zinsen aus dieser Schadensersatzforderung begehrt i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich aus 16.000,00 EUR seit 01.09.2009.

Zudem hat sie den Beklagten auf Zahlung weiteren Schadensersatzes i. H. v. 4.324,86 EUR in Anspruch genommen. Bei diesem Betrag handelt es sich um die in dem als Anlage K 12 vorgelegten Schreiben vom 25.11.2008 aufgeschlüsselte Summe der in den Zertifikaten vom 26.08.2005 (Anlage K 3) sowie vom 31.08.2005 (Anlage K 5) als zugesicherte Kapitalgewinne bezeichneten Beträge, die auch in Art. 6 des als Anlage K 4 vorgelegten Vertrags aufgeführt sind. Die Klägerin ist der Auffassung gewesen, der Beklagte habe ihr auch insoweit Schadensersatz zu leisten, weil ihr die vertraglich zugesagten Kapitalgewinne nicht zugeflossen seien.

Zur Sachdarstellung im Übrigen wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts vom 11.11.2010 verwiesen.

Das Landgericht hat der Klage in dem nach teilweiser Zurücknahme der Klage noch anhängigen Umfang stattgegeben. Der Beklagte habe der Klägerin Schadensersatz i. H. v. 16.000,00 EUR zu leisten, weil sie einen entsprechenden Bargeldbetrag aus ihrem Vermögen aufgewendet habe, wofür der Beklagte einstehen müsse. Der Beklagte schulde zudem nach § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4 BGB sowie § 288 Abs. 1 BGB Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich, und zwar schon seit Übergabe der Bargeldbeträge durch die Klägerin im August 2005. Der Klägerin stehe daher zum einen entsprechender Zins aus 16.000,00 EUR seit 01.09.2009 zu, zum anderen der geltend gemachte weitere Anspruch i. H. v. 4.324,86 EUR, bei dem es sich um die bis dahin ausgerechneten Zinsen für den Zeitraum ab Übergabe der Gelder handle.

Den Streitwert hat das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss (Bl. 121) auf 16.000,00 EUR festgesetzt. Hiergegen richtet sich die am 17.11.2010 beim Landgericht eingegangene Streitwertbeschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin (Bl. 123). Mit dieser begehren sie die Festsetzung des Streitwerts auf 20.324,86 EUR mit der Begründung, bei dem Differenzbetrag zu dem vom Landgericht festgesetzten Streitwert i. H. v. 4.324,86 EUR handele es sich um Anlagezinsen und nicht um eine bloße Nebenforderung, weil die Klägerin großen Schadensersatz geltend gemacht habe.

Der Beklagte hält die Beschwerde für unbegründet, weil es sich bei dem Betrag i. H. v. 4.324,86 EUR um ausgerechnete Zinsen und damit um Nebenforderungen handele, die nicht streitwertbildend seien.

Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 28.12.2010 (Bl. 127 ff.), auf dessen Begründung verwiesen wird, nicht abgeholfen.

Wegen des weitergehenden Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die Streitwertbeschwerde ist im Hinblick darauf, dass es an einer Beschwer der Klägerin fehlt, dahin auszulegen, dass sie von deren Prozessbevollmächtigten aus eigenem Recht gemäß § 32 Abs. 2 RVG eingelegt wurde (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 07.06.2010 - 1 W 30/10 - Tz. 3 [juris]; OLG Brandenburg, FamRZ 2007, 1999, 2000; OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 1303; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., § 32 RVG Rn. 14). Die Beschwerde ist nach §§ 32 Abs. 2 RVG, 68 Abs. 1 S. 1 GKG statthaft, gemäß §§ 32 Abs. 2 RVG, 68 Abs. 1 S. 3, 63 Abs. 3 S. 2 GKG innerhalb offener Frist eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Landgericht die geltend gemachten Anlagezinsen i. H. v. 4.324,86 EUR bei der Festsetzung des Gebührenstreitwerts nicht berücksichtigt. § 43 Abs. 1 GKG ist insoweit unanwendbar. Es handelt sich zwar um Zinsen aus dem hingegebenen Anlagebetrag i. H. v. 16.000,00 EUR. Diese waren hier nach dem insoweit maßgeblichen Sachvortrag der Klägerin jedoch nicht als Nebenforderung geltend gemacht, weil es an dem erforderlichen Abhängigkeitsverhältnis zur Hauptforderung fehlt.

a) Zinsen im Rechtssinne sind die vom Schuldner aufgrund Vertrags oder Gesetzes zu entrichtenden fortlaufenden Entschädigungen oder aber das Entgelt für die Überlassung, Nutzung oder die Möglichkeit der Nutzung von Kapital (vgl. BGH, NJW 1998, 2060, 2061; Musielak/Heinrich, ZPO, 7. Aufl., § 4 Rn. 14). Die begehrten 4.324,86 EUR sind nach dem Sachvortrag der Klägerin das vertraglich zugesagte Entgelt für die Nutzung und die Überlassung des von ihr zur Verfügung gestellten Kapitals und damit Zinsen im Rechtssinne.

b) Ihr Zinsbegehren hat die Klägerin insoweit jedoch nicht als Nebenforderung geltend gemacht.

aa) Der Umstand, dass die Klägerin das vertraglich zugesagte Entgelt für die Nutzung und die Überlassung des von ihr zur Verfügung gestellten Kapitals nicht in Form eines Prozentsatzes der Hauptforderung für bestimmte Zeiträume, sondern als festen Betrag (4.324,86 EUR) verlangt haben mag, ist insoweit allerdings ohne Bedeutung. Nebenforderungen werden selbst dann nicht zur Hauptforderung, wenn sie im Klageantrag mit der Hauptforderung zu einem einheitlichen Betrag zusammengefasst werden (vgl. BGH, NJW-RR 2000, 1015 m. w. N.).

bb) Eine Nebenforderung liegt hier aber deshalb nicht vor, weil es an dem erforderlichen Abhängigkeitsverhältnis des Zinsbegehrens vom Schadensersatzanspruch wegen der Hingabe des Kapitals i. H. v. 16.000,00 EUR fehlt.

(1) Ob ein miteingeklagter Anspruch Nebenforderung ist, kann nur aus seinem Verhältnis zu dem als Hauptforderung in Betracht kommenden Anspruch heraus beurteilt werden. Zur Hauptforderung muss die Nebenforderung in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, sie muss von ihr sachlich-rechtlich abhängen. Sind die Forderungen dagegen nach materiellem Recht - auch im Hinblick auf ihre Entstehung - gleichrangig, so ist keine von ihnen Nebenforderung. Dabei kommt es auf dasjenige materielle Recht an, das für den jeweiligen Streitgegenstand maßgeblich ist (BGH, NJW 2007, 1752).

(2) Demnach war das Zinsbegehren i. H. v. 4.324,86 EUR hier keine Nebenforderung. Die Klägerin begehrte nach ihrem Vortrag zum einen Schadensersatz in Geld wegen der Hingabe von aus ihrem Vermögen aufgewendeten Bargeldbeträgen i. H. v. 16.000,00 EUR, verlangte also die vertragsgemäße Rückzahlung des Anlagebetrags. Ferner begehrte die Klägerin, im Wege des Schadensersatzes so gestellt zu werden, wie wenn die von ihr gezeichnete Kapitalanlage auch im Übrigen vertragsgemäß abgewickelt worden, ihr also überdies die vertraglich zugesagten Kapitalgewinne zugeflossen wären. Ob der jeweilige Anspruch begründet war, hing jedenfalls zum Teil von jeweils voneinander sachlich unabhängigen, nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht eigenständig zu beurteilenden Anspruchsvoraussetzungen ab. Die Forderung auf Rückzahlung des Anlagebetrages und der Anspruch auf Zahlung der vertraglich zugesagten Zinsgewinne sind gleichwertige Berechnungsposten des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs. Es fehlt deshalb an der erforderlichen sachlich-rechtlichen Abhängigkeit.

(3) Die hier vertretene Auffassung entspricht der allgemein geteilten Ansicht, wonach es an dem erforderlichen Abhängigkeitsverhältnis fehle, bilde das Zinsbegehren nur einen Berechnungsmaßstab bei der Bildung einer einheitlichen Geldforderung, insbesondere nur einen Berechnungsposten eines selbstständigen Schadensersatzanspruchs (etwa Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar, 12. Aufl., Rn. 4001, 4004, 4061; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 29.04.1971 - III ZR 142/70 - KostRsp. ZPO § 4 Nr. 30; vom 28.09.1992 - II ZR 277/90 - KostRsp. ZPO § 4 Nr. 72). So liegt es aus den genannten Gründen hier, soweit die Klägerin ihr entgangene Zinsgewinne i. H. v. 4.324,86 EUR ersetzt verlangt; Gegenstand dieses Anspruchs ist ihr vertragliches Erfüllungsinteresse an den ihr zugesicherten Kapitalgewinnen, dessen Wert sie - den einschlägigen vertraglichen Vereinbarungen entsprechend - unter Rückgriff auf die zugesagten prozentualen Einkünfte vom Kapitalbetrag als Berechnungsmaßstab ermittelt.

(4) Dementsprechend sind bei einer Schadensersatzklage die verlangten Zinsen Teil der Haupt- und damit nicht Nebenforderung, wenn neben der Rückzahlung des Anlagebetrags Ausgleich des anderweitig entgangenen Anlagezinses für die Zeit ab der Zeichnung der Anlagen gefordert wird (OLG Frankfurt, Beschluss vom 07.06.2010 - 1 W 30/10 - Tz. 7 [juris]; vgl. auch BGH, Beschluss vom 24.06.2010 - III 145/09 - Tz. 3 [juris]); a. A. OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.09.2010 - 19 W 46/10 - Tz. 6 [juris]). Entsprechend liegt es ferner etwa bei Bereicherungsansprüchen, wenn sie Gegenstand eines einheitlichen Gesamtanspruchs sind wie z. B. im Fall des Anspruchs auf Herausgabe des zur Bezahlung einer Nichtschuld nebst Zinsen aufgewandten Betrags oder des Anspruchs auf Zustimmung zur Auszahlung einer aus hinterlegtem Betrag und aufgelaufenen Zinsen bestehenden Hinterlegungsmasse (vgl. BGH, NJW-RR 2000, 1015 m. w. N.; Schneider/Herget, a.a.O., Rn. 998, 1000, 4034).

cc) An der Beurteilung ändert schließlich der Umstand nichts, dass das Landgericht die erhobene Schadensersatzklage auf Ersatz der der Klägerin entgangenen zugesicherten Kapitalgewinne i. H. v. 4.324,86 EUR für begründet erachtet hat, weil der Beklagte nach § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4 BGB sowie § 288 Abs. 1 BGB Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich schon seit Übergabe der Bargeldbeträge durch die Klägerin im August 2005 schulde, weshalb der Klägerin u.a. der geltend gemachte Anspruch i. H. v. 4.324,86 EUR zustehe, bei dem es sich um die bis dahin ausgerechneten Zinsen für den Zeitraum ab Übergabe der Gelder handle. Das Landgericht hat damit zwar, legt man diese Begründung zugrunde, der Klägerin den verlangten Betrag i. H. v. 4.324,86 EUR aus einem Rechtsgrund zugesprochen, auf dessen Basis der Anspruch als Nebenforderung i. S. v. § 43 Abs. 1 GKG einzuordnen wäre; dementsprechend hat das Landgericht - zu Unrecht - den Vortrag der Klägerin verstanden, wie die Ausführungen im Nichtabhilfebeschluss vom 28.12.2010 zeigen, und von hier aus den Streitwert festgesetzt. Die auf dieser Sicht beruhenden Entscheidungen des Landgerichts können aber jedenfalls an der sich aus dem richtig verstandenen Vorbringen der Klägerin ergebenden Beurteilung, der fragliche Anspruch sei mangels sachlich-rechtlicher Abhängigkeit nicht als Nebenforderung einzuordnen, und an den sich daraus für die Bemessung des Streitwerts ergebenden Konsequenzen nichts ändern. Folglich kann für die hier zu treffende Entscheidung dahinstehen, ob das - rechtskräftige - Urteil des Landgerichts insoweit in der Sache zu Recht ergangen ist.

III.

Der Ausspruch zu den Kosten beruht auf § 68 Abs. 3 GKG (vgl. Hartmann, a.a.O., § 32 RVG Rn. 23). Eine Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 ZPO) ist gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG, eine weitere Beschwerde ist gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 4 GKG nicht statthaft.