OLG Stuttgart, Beschluss vom 27.10.2010 - 15 UF 196/10
Fundstelle
openJur 2012, 63698
  • Rkr:

Legt im Versorgungsausgleichsverfahren nur ein Versorgungsträger gegen die Entscheidung zu dem mit ihm bestehenden Versorgungsverhältnis Beschwerde ein, sind die anderen Versorgungsträger im Beschwerdeverfahren nicht beteiligt. Die im Verhältnis zu ihnen getroffenen Teil-Entscheidungen erwachsen in Teil-Rechtskraft, weshalb die Amtsermittlungspflicht des Beschwerdegerichts nicht gebietet, diese von Amts wegen zu korrigieren.

Tenor

1. Auf die Beschwerde der G. Lebensversicherung AG wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Backnang vom 26.07.2010 unter 1. Absatz 4

abgeändert.

Ein Ausgleich des Anrechts des Antragsgegners bei der G. Lebensversicherung AG - Nr. 1-33.797.160-7 - findet nicht statt.

2. Im Beschwerdeverfahren werden Kosten nicht erhoben. Die Beteiligten tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Beschwerdewert: 1.000 EUR

Gründe

I.

Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind Ehegatten, deren am 3.7.1992 geschlossene Ehe das Familiengericht auf den am 7.2.2008 zugestellten Scheidungsantrag durch Urteil vom 6.8.2008, 3 F 654/07, geschieden wurde. Zugleich hat das Familiengericht das Verfahren zur Durchführung des Versorgungsausgleichs abgetrennt und ausgesetzt.

Mit Verfügung vom 18.11.2009 hat das Familiengericht das Verfahren zur Durchführung des Versorgungsausgleichs wieder aufgenommen und "Auskunft nach neuem Recht" eingeholt.

Während der im Sinne des § 3 Abs. 1 VersAusglG vom 1.7.1992 bis 31.1.2008 dauernden Ehezeit haben die Ehegatten folgende Versorgungsanrechte erworben:

Die Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund in der allgemeinen Rentenversicherung7,9503 EPmit einem Ausgleichwert von3,9752 EPund einem korrespondierenden Kapitalwert von23.798,39 EUR sowie in der allgemeinen Rentenversicherung (Ost)0,0827 EP (Ost)mit einem Ausgleichswert von0,0414 EP (Ost)und einem korrespondierenden Kapitalwert von209,56 EUR

Der Antragsgegner hat bei der Deutschen Rentenversicherung Bund in der allgemeinen Rentenversicherung24,6180 EPmit einem Ausgleichwert von12,3090 EPund einem korrespondierenden Kapitalwert von73.690,49 EUR sowie bei der G. Lebensversicherung AG mit einem Ausgleichswert von107,10 EURnach Abzug von Teilungskosten in Höhe der Mindestgebühr nach den Versicherungsbedingungen von 50 EUR.

Das Familiengericht hat durch interne Teilung auf den Antragsgegner in der allgemeinen Rentenversicherung3,9752 EPund in der allgemeinen Rentenversicherung (Ost)0,0414 EP (Ost) übertragen sowie auf die Antragstellerin in der allgemeinen Rentenversicherung12,3090 EPübertragen und bei der G. Lebensversicherung AG ein Anrecht in Höhe eines Kapitalwerts von107,10 EURbegründet.

Zur Begründung führt das Familiengericht aus, der Ausgleich sei zur Wahrung des Halbteilungsgrundsatzes und zur Gleichstellung mit vor dem 01.09.2009 geschlossenen und geschiedenen Ehen erforderlich.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der G. Lebensversicherung AG, mit der sie den Ausschluss des Ausgleichs der bei ihr bestehenden Versorgungsanrechte des Antragsgegners erstrebt. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus, dass für den Versorgungsträger mit der Umsetzung des Beschlusses ein - mit Blick auf die Höhe des neu einzurichtenden Anrechts - unverhältnismäßig hoher Aufwand entstehen würde.

In der den Verfahrensbeteiligten übermittelten Verfügung vom 23.08.2010 teilt das Familiengericht daraufhin mit: Das pauschal geäußerte Kostenargument ist in § 13 Vers-AusglG berücksichtigt und dürfte mit den Mitteln der modernen Datenverarbeitung beherrschbar sein. Das vor dem 01.09.2010 geltende Recht kannte keine Regelung für den Ausschluss von Anrechten im Bagatellwertbereich und führte zum Ausgleich der Anwartschaften bis in den Centbereich hinein. Eine Ungleichbehandlung von vor dem 01.09.2010 geschlossenen und geschiedenen Ehen mit dem aktuellen Fall gerät in Konflikt mit Art. 3 GG.

II.

Die zulässige Beschwerde der G. Lebensversicherung AG hat in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses unter 1. Absatz 4 der Entscheidungsformel, im Übrigen bleibt der Ausspruch zum Versorgungsausgleich unverändert.1.

Zu Recht hat das Familiengericht seiner Entscheidung über den Versorgungsausgleich das ab 1.9.2009 geltende Recht zugrundegelegt und auf der Grundlage erneut eingeholter aktueller Auskünfte der Versorgungsträger entschieden. Nachdem es das Verfahren auf Durchführung des Versorgungsausgleichs im Urteil vom 6.8.2008 abgetrennt und ausgesetzt und durch Verfügung vom 18.11.2009 wieder aufgenommen hat, ist der Versorgungsausgleich nach neuem Recht durchzuführen (§ 48 Abs. 2 Nr. 1 Vers-AusglG).2.

Das Anrecht des Antragsgegners bei der G. Lebensversicherung AG ist nach § 18 Abs. 2 VersAusglG nicht auszugleichen. Dass die Antragstellerin vorliegend aus besonderen Gründen auch auf den Ausgleich geringer Anrechte angewiesen wäre, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Ausgleichswert des Anrechts des Antragsgegners bei der G. Lebensversicherung AG von 107,10 EUR unterschreitet den auf das Ende der Ehezeit bezogenen Grenzwert von 2.982,00 EUR deutlich. Auch handelt es sich vorliegend um das einzige Anrecht des Antragsgegners, von dessen Ausgleich nach § 18 VersAusglG abzusehen ist.a)

Nach Auffassung des Senats verstößt die Vorschrift des § 18 Abs. 2 VersAusglG nicht gegen Verfassungsrecht.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Bei der Ausgestaltung von Massenerscheinungen, wozu auch der Versorgungsausgleich zählt, können typisierende und G. generalisierende Regelungen getroffen werden. Dabei entstehende Härten müssen hingenommen werden, sofern die wirtschaftlichen Folgen nicht in einem Missverhältnis zu den mit der Typisierung verbundenen Vorteilen stehen (vgl. zum Ganzen BVerfG FamRZ 2006, 1000, 1001 sowie FamRZ 1993, 161 ff.). Auch sind Stichtagsregelungen für das Inkrafttreten belastender Bestimmungen grundsätzlich zulässig (Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 9. Aufl., Art. 3 Rn. 32 m. w. N.).

Die Vorschrift des § 18 Abs. 2 VersAusglG wurde (auch) geschaffen, um das Entstehen eines im Verhältnis zum Ausgleichswert des Anrechts übermäßigen Verwaltungsaufwandes bei den betroffenen Versorgungsträgern, deren Interessen, sofern sie privatrechtlich organisiert sind, durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sind, zu verhindern. Allein die Regelung des § 13 VersAusglG über die Teilungskosten des Versorgungsträgers hielt der Gesetzgeber nicht für ausreichend (BT-Drucks. 16/10144 S. 42 f.). Deshalb stellen die Geringfügigkeitsgrenzen in § 18 Abs. 3 VersAusglG sicher, dass dem an sich ausgleichsberechtigten Ehegatten im Fall eines Absehens vom Ausgleich kein unangemessen hoher Nachteil entsteht. § 18 Abs. 2 VersAusglG stellt damit einen sachgerechten und am Gebot der Verhältnismäßigkeit orientierten Ausgleich der grundrechtlich geschützten Interessen aller Beteiligter dar.

§ 18 Abs. 2 VersAusglG enthält keine zwingende Anordnung, dass vom Ausgleich bestimmter Anrechte stets abzusehen ist, sondern eröffnet dem Familienrichter einen - wenn auch geringen - Gestaltungsspielraum (vgl. BT-Drucks. 16/10144 S. 60). Für das Ergebnis des Ausgleichs kommt es damit nicht nur darauf an, ob das ab dem 01.09.2009 geltende Versorgungsausgleichsrecht zur Anwendung kommt und ob die Grenzwerte des § 18 Abs. 3 VersAusglG unterschritten werden. Bei der richterlichen Entscheidung sind insbesondere auch die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, um so Härtefälle zu vermeiden. Insbesondere wegen dieser flexiblen Ausgestaltung bestehen gegen die gesetzliche Regelung aus Sicht des Senats keine verfassungsrechtlichen Bedenken (ebenso MünchKommBGB/Gräper, 5. Aufl., § 18 VersAusglG Rn. 5).b)

Bei der Anwendung des § 18 Abs. 2 VersAusglG sind unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Positionen der Beteiligten die Umstände des Einzelfalls zu würdigen.

Dass der Antragsgegner vorliegend aus besonderen Gründen auch auf den Ausgleich geringer Anrechte angewiesen wäre, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Der Senat teilt nicht die Auffassung, dass der Ausgleich eines geringfügigen Anrechts unter Berücksichtigung des Zwecks des § 18 Abs. 2 VersAusglG allein deshalb durchzuführen ist, weil bei demselben Versorgungsträger ein weiteres, nicht unter § 18 Vers-AusglG fallendes und damit auszugleichendes Anrecht besteht (aA OLG Dresden, Beschluss vom 14.06.2010, 23 UF 239/10, juris). Denn eine nennenswerte Verringerung des Verwaltungsaufwandes kann durch den Ausgleich weiterer bei demselben Versorgungsträger bestehender Anrechte nicht angenommen werden.

Weitere Anhaltspunkte, die für einen Ausgleich des Anrechts trotz Geringwertigkeit sprechen würden, sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Dass das Familiengericht auch die geringfügigen Anrechte (Ost) der Antragstellerin ausgeglichen hat, kann angesichts deren Geringwertigkeit von 0,0414 Entgeltpunkten (Ost) mit einem korrespondierenden Kapitalwert von 209,56 EUR keine andere Beurteilung rechtfertigen.3.

Nach - der dargelegten - Auffassung des Senats hat das Familiengericht zu Unrecht auch das zugunsten der Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund bestehende Anrecht mit einem Ausgleichswert von 0,0414 Entgeltpunkten (Ost) ausgeglichen. Doch sieht sich der Senat an einer Korrektur dieses Teilausspruchs auf die Beschwerde der G. Lebensversicherung AG gehindert, weil dieser Teilausspruch bereits rechtskräftig geworden ist, nachdem die Deutsche Rentenversicherung Bund auch insoweit keine Beschwerde eingelegt hat.a)

Mit dem ab 1.9.2009 geltenden Versorgungsausgleichsrecht hat sich die Struktur des Versorgungsausgleichs vom Einmalausgleich hin zum Ausgleich des jeweiligen Anrechts grundlegend geändert (BT-Drucks. 16/10144 SA. 37 [4. a)]). Dadurch entfiel die "Vergleichbarmachung der höchst unterschiedlichen Anrechte", was auch die Entbehrlichkeit der Totalrevision nach § 10a VAHRG zur Folge hat (BT-Drucks. 16/10144 S. 38 [d]). Vielmehr ändert das Familiengericht eine Entscheidung zum Versorgungsausgleich nur in Bezug auf das Anrecht ab, für das die Abänderungsvoraussetzungen auch im Übrigen vorliegen (§ 225 Abs. 2 FamFG). Demzufolge sind auch nur "die von der Abänderung betroffenen Versorgungsträger" antragsberechtigt (§ 226 Abs. 1 FamFG). Das Familiengericht hat demzufolge im Abänderungsverfahren nicht mehr von Amts wegen auch Bestand und Höhe der "anderen" Versorgungsanrechte zu prüfen und zu ermitteln.

Auch für das Rechtsmittelverfahren ging die Rechtsprechung des BGH von einer "Totalrevision" in dem Sinne aus, dass in Verfahren zum öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich grundsätzlich eine umfassende Prüfung der auszugleichenden Versorgungsanrechte verlangt wurde (dazu etwa BGHZ 92, 5 = FamRZ 1984, 990, 991). Dies hat sich allerdings für den ab 1.9.2009 geltende Versorgungsausgleich insoweit geändert, als Versorgungsträger "nicht mehr durch Fehler bei der Ermittlung der Werte anderer Versorgungen beschwert [sind] und deshalb auch kein Interesse an deren Überprüfung [haben]" (Schwab/Streicher, Handbuch des Scheidungsrechts, 6. Aufl., I Rz. 622), es im Rechtsmittelrechtszug also nur zu einer Überprüfung des Anrechts kommen kann, das Gegenstand der Beschwerde ist.b)

Teilrechtskraft eines Ausspruchs zum Versorgungsausgleich tritt ein, wenn der betreffende Teilausspruch durch eine Korrektur des angegriffenen Teils nicht mehr berührt werden kann. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Ausspruch zum Versorgungsausgleich nicht mehr weitergehend als mit dem verfahrensgegenständlichen Rechtsmittel angegriffen werden kann. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Überprüfung des erstinstanzlichen Ausspruchs verwehrt. Insbesondere gebietet auch die Amtsermittlungsmaxime (§ 26 FamFG) keine andere Betrachtungsweise, da die Amtsermittlungspflicht nicht über den Verfahrensgegenstand hinausgeht.

Die Änderung des Versorgungsausgleichsrechts hin zum Ausgleich des jeweiligen Anrechts führt dazu, dass insbesondere die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung am Versorgungsausgleichsverfahren nicht mehr insgesamt beteiligt sind - etwas anderes kann auch nicht aus § 219 Nr. 2, 3 FamFG hergeleitet werden -, sondern nur noch in dem Umfang, als das bei ihnen begründete und ausgeglichene Anrecht betroffen ist (dazu auch Schwab/Streicher, a.a.O., 6. Aufl., I Rz. 673, 661; für den Sonderfall von Verfahren über Ausgleichsansprüche nach der Scheidung s. auch Wagner in: Prütting/Helms, FamFG, § 219 Rz. 10). Deshalb kann ein an einem Versorgungsverhältnis nicht beteiligter Versorgungsträger nicht Beschwerde hinsichtlich dieses Teilausspruchs einlegen, ihm fehlt insoweit die Beschwerdebefugnis (dazu auch Schwab/Streicher, a.a.O., Rz. 622, 669).c)

Etwas anderes kann auch nicht aus dem System der Anschlussrechtsmittel hergeleitet werden:

§ 145 FamFG ist bereits deshalb nicht anwendbar, weil es sich innerhalb des Versorgungsausgleichs nicht um eine andere Familiensache handelt (etwa Helms in: Prütting/Helms, a.a.O., § 145 Rz. 10). Auch dient die Anschließung nach § 145 FamFG vornehmlich - wenn auch nicht ausschließlich - dazu, den Ehegatten eine Erweiterung des Verfahrensgegenstands im Beschwerderechtszug zu ermöglichen (Keidel/Weber, FamFG, § 145 Rz. 10), und weniger Drittbeteiligten (/dazu auch Helms in: Prütting/Helms, a.a.O., § 145 Rz. 10).

Die Anschlussbeschwerde nach § 66 FamFG ist auf den Gegenstand des Hauptrechtsmittels und auf die Beteiligten zum Ausgangsrechtsmittel beschränkt (dazu oben, s. auch Schwab/Streicher, a.a.O., I Rz. 898; Unger in: Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, § 66 Rz. 6, 7 m. weit. Nachw.). Auch insoweit kommt es also darauf an, wer Beteiligter am Verfahren des Hauptrechtsmittels ist, was also der Verfahrensgegenstand im Beschwerdeverfahren ist. Soweit unter Berufung auf BT-Drucks. 16/6308 S. 206 vertreten wird, § 66 FamFG sei auch auf Verbundentscheidungen anwendbar und lasse die Anschließung hinsichtlich eines anderen Verfahrensgegenstands zu (Feskorn in: Prütting/Helms, a.a.O., § 117 Rz. 39; Helms in: Prütting/Helms, a.a.O., § 145 Rz. 7), übersieht dies, dass die Formulierung "eine Beschränkung auf bestimmte Verfahrensgegenstände" ersichtlich auf das alte Recht bezogen ist, in dem die Zulässigkeit von Anschlussbeschwerden nur ausnahmsweise gesetzlich geregelt war. Zudem enthält § 145 FamFG eine Spezialregelung gerade für die Anfechtbarkeit von Verbundentscheidungen mit einem Anschlussrechtsmittel.

III.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 81 Abs. 1 FamFG, § 20 FamGKG.

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, da der Frage der Verfassungsmäßigkeit und der Handhabung des § 18 VersAusglG grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).