VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.11.2010 - 4 S 2071/10
Fundstelle
openJur 2012, 63564
  • Rkr:

1. Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung des Widerspruchs im Sinne des § 75 Satz 3 VwGO muss objektiv vorliegen und tatsächlich die (wesentliche Mit-)Ursache für die ausbleibende Widerspruchsentscheidung sein.

2. Die Widerspruchsbehörde ist zur Nichtbescheidung des Widerspruchs ohne die Zustimmung des Widerspruchsführers mit Blick auf eine ausstehende Entscheidung in einem anderen Verfahren jedenfalls dann nicht befugt, wenn diese Entscheidung nicht alsbald zu erwarten steht.

3. Bei der Beschwerde gegen die Aussetzung eines Verfahrens nach § 75 Satz 3 VwGO handelt es sich um ein streitiges Zwischenverfahren, so dass eine Kostenentscheidung nach den §§ 154 f. VwGO ergehen muss.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. August 2010 - 5 K 1163/10 - aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die statthafte (§ 146 Abs. 1 VwGO), insbesondere nicht nach § 146 Abs. 2 VwGO ausgeschlossene (BVerwG, Urteil vom 23.03.1973 - IV C 2.71 -, BVerwGE 42, 108, 113) Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem das Verfahren in Anwendung von § 75 Satz 3 VwGO bis zum 25.02.2011 - ohne die gebotene vorherige Anhörung der Beteiligten - ausgesetzt worden ist, ist auch ansonsten zulässig. Es fehlt ihr insbesondere nicht deswegen das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger das Ruhen des Verfahrens bzw. die Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO beantragt hat. Der angegriffene Beschluss ist entgegen der Auffassung der Beklagten nämlich nicht antragsgemäß ergangen. Mit ihm wird das Verfahren nicht - wie vom Kläger beantragt - nach § 94 VwGO ausgesetzt, sondern nach § 75 Satz 3 VwGO. Damit wird festgestellt, dass bis zum 25.02.2011 ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung des Widerspruchs des Klägers vom 20.07.2009 gegen die Festsetzung seiner Versorgungsbezüge vom 15.07.2009 vorgelegen hat bzw. weiterhin vorliegt. Dies kann sich sowohl im Falle der Erledigung des Klageverfahrens durch Abhilfe im Widerspruchsverfahren - dem Kläger käme dann § 161 Abs. 3 VwGO nicht zugute - als auch unter sonstigen Gesichtspunkten rechtlich nachteilig für den Kläger auswirken.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Nach § 75 Satz 1 VwGO ist die Klage unter anderem abweichend von § 68 VwGO zulässig, wenn über einen Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Nach § 75 Satz 3 VwGO setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus, wenn ein zureichender Grund dafür vorliegt, dass über den Widerspruch noch nicht entschieden ist. Ob ein zureichender Grund vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu entscheiden. Erforderlich ist, dass der in Frage stehende Grund mit der Rechtsordnung im Einklang steht (BVerwG, Beschluss vom 23.07.1991 - 3 C 56.90 -, NVwZ 1991, 1180). Der zureichende Grund für die Nichtbescheidung des Widerspruchs darf aber nicht nur objektiv vorliegen. Vielmehr muss er auch tatsächlich die (wesentliche Mit-)Ursache für die ausbleibende Widerspruchsentscheidung sein.

Gemessen hieran liegt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kein zureichender Grund für die Nichtbescheidung des Widerspruchs des Klägers vor. Es ist zwar - aus der Sicht des Verwaltungsgerichts - zutreffend, dass hinsichtlich der gesundheitlichen Folgen des Dienstunfalls des Klägers eine weitere Sachaufklärung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist. Deshalb hat es im Verfahren 5 K 126/10, in dem zwischen den Beteiligten um einen Anspruch auf Unfallausgleich gestritten wird, mit Beweisbeschluss vom 21.06.2010 die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet. Jedoch ist die Notwendigkeit der weiteren Sachaufklärung weder in jenem Verfahren gesehen worden - die Unfallkasse Post und Telekom hat vielmehr mit Widerspruchsbescheid vom 12.01.2010 das Verwaltungsverfahren hinsichtlich des Unfallausgleichs zum Abschluss gebracht -, noch hat die Beklagte im vorliegenden Verfahren die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung angenommen oder auch nur erörtert. Vielmehr hat sie dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 02.03.2010 folgendes mitgeteilt: &nachdem in dem Verfahren bei der Unfallkasse Post und Telekom Klage eingereicht worden ist, werden wir das Widerspruchsverfahren gegen die Festsetzung der Versorgungsbezüge wegen der Gewährung von Unfallruhegehalt bis zu einer Entscheidung im gerichtlichen Verfahren gegen die Unfallkasse Post und Telekom ruhend stellen. Dieser Grund für die Nichtbescheidung des Widerspruchs ist nicht zureichend im Sinne von § 75 Satz 3 VwGO, da er mit der Rechtsordnung nicht in Einklang steht. Denn die Widerspruchsbehörde ist zur Aussetzung eines Widerspruchsverfahrens ohne die Zustimmung des Widerspruchsführers mit Blick auf eine ausstehende Entscheidung in einem anderen Verfahren jedenfalls dann nicht befugt, wenn diese Entscheidung - wie hier - nicht alsbald zu erwarten steht (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 75 RdNr. 9; Dolde/Porsch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 75 RdNr. 8; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/Albedyll, VwGO, 4. Aufl., § 75 RdNr. 12).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Sie ist hier deshalb nicht entbehrlich, weil es sich bei der Beschwerde gegen die Aussetzung eines Verfahrens nach § 75 Satz 3 VwGO um ein streitiges Zwischenverfahren handelt. Im Unterschied zu Beschwerdeverfahren gegen die Zurückweisung eines Richterablehnungsgesuchs oder die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe, die nichtstreitige Zwischenverfahren darstellen, bei denen sich die Beteiligten nicht als Gegner gegenüberstehen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.05.1998 - 14 S 812/98 -, Die Justiz 1998, 578 m.w.N.), wird mit der Aussetzung nach § 75 Satz 3 VwGO - für das gesamte weitere Verfahren bindend (Dolde/Porsch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 75 RdNr. 10) - das Vorliegen eines zureichenden Grundes für die Nichtverbescheidung des Widerspruchs durch die Widerspruchsbehörde festgestellt. Durch die Aufhebung des für die Beklagte möglicherweise materiell-rechtlich wie prozessual - etwa mit Blick auf § 161 Abs. 3 VwGO (vgl. zu dessen Reichweite BVerwG, Beschluss vom 23.07.1991, a.a.O.) - günstigen Aussetzungsbeschlusses wird sie zum unterliegenden Teil im Sinne des § 154 Abs. 1 VwGO (vgl. zu der Bedeutung des Unterliegens für die Notwendigkeit einer Kostenentscheidung Senatsbeschluss vom 02.05.2001 - 4 S 667/01 -, InfAuslR 2001, 382 sowie VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.10.2006 - 1 S 758/06 -). Dies gilt angesichts der zu Lasten der Beklagten eintretenden Wirkung des § 161 Abs.3 VwGO auch für den - hier vorliegenden - Fall, dass sich die Beklagte der - allerdings nach § 94 VwGO beantragten - Aussetzung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht widersetzt und nicht etwa ihrerseits die angefochtene Aussetzung beantragt oder angeregt hat.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da bei einer erfolgreichen - ansonsten nicht in der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG besonders aufgeführten - Beschwerde keine Gerichtskosten erhoben werden.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).