FG Baden-Württemberg, Urteil vom 04.05.2010 - 4 K 478/10
Fundstelle
openJur 2012, 63116
  • Rkr:
Tatbestand

Streitig ist, ob bei den nach dem 28.12.2007 eingegangen Antragsveranlagungen der Streitjahre 2002und 2003bei der Berechnung der Festsetzungsverjährung die Anlaufhemmung eingreift.

Die in den Streitjahren jeweils als Arbeitnehmer beschäftigten Eheleute beantragten in den am 13.11.2008beim Finanzamt (FA) - dem Beklagten (Bekl) - eingegangenen Einkommensteuererklärungen 2002 und 2003 die Anrechnung der nach Steuerklasse IV/IV einbehaltenen Lohnsteuer. Lohnersatzleistungen erhielten beide nicht. Das FA lehnte dies mit Bescheid vom 21.11.2008 wegen Ablauf der Zweijahresfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F. sowie eingetretener Festsetzungsverjährung ab. Den zulässigen Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 20.01.2009 als unbegründet zurück. Die Zweijahresfrist sei durch das Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008) vom 20.12.2007 (BGBl I 2007, 3150, BStBl I 2008, 218) ab dem Veranlagungszeitraum 2005 generell anzuwenden sowie in Fällen, in denen zum Zeitpunkt der Verkündung des JStG 2008 (28.12.2007) über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden sei (§ 52 Abs. 55j S. 2 EStG i.d.F. des JStG 2008). Da die streitigen Erklärungen am 13.11.2008 und damit nachdem 28.12.2007 eingegangen seien, sei die Zweijahresfrist einschlägig; diese sei am 31.12.2004 bzw. am 31.12.2005 abgelaufen. Die Frage, ob Festsetzungsverjährung eingetreten sei, stelle sich daher nicht.

Mit der zulässigen Klage wurde Folgendes vorgetragen: Der BFH (Urteil vom 12.11.2009 VI R 1/09, BFH/NV 2010, 514, juris) teile nicht die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, die Neuregelung komme nur dann zur Anwendung, wenn der Antrag auf Veranlagung bereits vor dem 28.12.2007 beim FA eingegangen sei. Die Neuregelung des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG sei gemäß § 52 Abs. 55j EStG n.F. erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden sowie auch in Fällen, in denen am 28.12.2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden sei. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 15. 01.2009 VI R 23/08, BFH/NV 2009, 755, juris) stelle das Gesetz weitere Voraussetzungen nicht auf. Unter Berücksichtigung gleichheitsrechtlicher Gesichtspunkte stehe auch eine Verjährungsfrist der Veranlagung nicht entgegen. Der BFH sei davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber mit der Überleitungsvorschrift alle noch offenen Fälle ohne weitere Fragen einer umfassenden Prüfung habe zuführen wollen. Da keine bestandskräftigen Ablehnungen der Anträge der Kl auf Durchführung der Einkommensteuer-Veranlagungen 2002 und 2003 vorlägen, seien diese durchzuführen.

Im Übrigen sei auch noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten, denn die drei Jahre dauernde Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO sei zu berücksichtigen. Da die Steuererklärungen der Jahre 2002 und 2003 am 13.11.2008 eingereicht wurden, sei die Verjährung erst mit Ablauf des Jahres 2009 bzw. 2010 eingetreten. Der BFH habe sich zwar zu der Frage der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO bei einer Antragsveranlagung bislang nicht geäußert. Hierzu habe weder im Urteilsfall unter dem Az. VI R 1/09 noch in den Verfahren VI R 23/08 und VI R 2/09 Anlass bestanden. Allerdings habe der VI. Senat des BFH bereits mit Vorlagebeschluss vom 22.05.2006 VI R 46/05, BStBl II 2006, 820, juris) seine Bedenken an unterschiedlichen Veranlagungsfristen geäußert. Dort habe der BFH ausgeführt, dass es mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei, dass Steuerpflichtige, die nur auf Antrag zur Einkommensteuer veranlagt werden, die Veranlagung bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs beantragen müssen, während Steuerpflichtige, die vom Amts wegen zur Einkommensteuer zu veranlagen sind, die Durchführung der Veranlagung noch bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden siebten Kalenderjahres erreichen können. Mit der Rücknahme der Revision im BFH-Verfahren VI R 2/09 (Vorinstanz: FG Köln, Urteil vom 03.12.2008 - 11 K 4917/07) sei rechtskräftig entschieden worden, dass die Anlaufhemmung gem. § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO zu berücksichtigen sei.

Die Kl beantragen: Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 21.11.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.01.2009 wird der Bekl verpflichtet, die Einkommensteuerveranlagung 2002 und 2003 durchzuführen.

Der Bekl beantragt, die Klage abzuweisen sowie die Revision zuzulassen.

Eine Veranlagung zur Einkommensteuer 2002 und 2003 sei nicht durchzuführen. Der dem Revisionsverfahren VI R 1/09 zugrunde liegende Sachverhalt sei nicht mit dem Streitfall vergleichbar. Im entschiedenen Urteilsfall sei die Einkommensteuererklärung 2004 am 11.02.2008 beim FA eingegangen. Entscheidungserheblich sei die Frage gewesen, ob es zur Durchführung der Einkommensteuerveranlagung erforderlich sei, dass der Antrag auf Veranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 bereits am 28.12.2007 bei den Finanzbehörden eingegangen sein müsse. Dies habe der BFH mit seinem Urteil vom 12.11.2009 verneint und entschieden, dass - soweit Verjährungsfristen nicht entgegenstehen - § 46 Abs.2 Nr. 8 EStG n.F. auch für diejenigen Anträge maßgeblich sei, die erst nach der Veröffentlichung des Gesetzes am 28.12.2007 gestellt worden seien. Dagegen sei im Urteilsfall nicht entscheidungserheblich gewesen, ob die Anlaufhemmung anwendbar sei. Aus der dortigen Formulierung - soweit Verjährungsfristen nicht entgegen stehen - lasse sich jedoch eine generelle Anwendung der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO nicht ableiten.

Im Streitfall sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO greife nicht. Mit dem JStG 2008 sei die zweijährige Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F. aufgehoben worden. Durch § 46 Abs.2 Nr. 8 EStG n.F. sei die 2-Jahresfrist durch die reguläre Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO) ersetzt worden. Bei Anträgen, die - wie im vorliegenden Rechtsstreit - nach dem 28.12.2007 gestellt wurden, seien nach der Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 12.11.2009 VI R 1/09, a.a.O.) die Regelungen über Verjährungsfristen zu beachten. Die Kl seien zwar zur Abgabe der Steuererklärungen berechtigt gewesen, eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung i.S.d. § 25 Abs. 3 EStG; § 56 EStDV habe jedoch nicht bestanden. Der Beginn der Festsetzungsfrist richte sich allein nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG. Im Streitfall sei für die Einkommensteuer 2002 mit Ablauf des 31.12.2006 und für 2003 mit Ablauf des 31.12.2007 Festsetzungsverjährung eingetreten, die erst am 13.11.2008 beim FA eingegangen Steuererklärungen seien daher nicht mehr zu berücksichtigen.

Die von den Kl zitierten Verfahren vor dem BFH (VI R 2/09 und VI R 23/08) seien nicht mit dem Streitfall vergleichbar. Diesen Urteilsfällen liege jeweils der Sachverhalt zu Grunde, dass die Steuererklärungen für Veranlagungszeiträume vor 2005 bereits vor Verkündung des JStG 2008 bei den Finanzbehörden eingegangen seien. Im Streitfall seien die Steuererklärungen 2002 und 2003 jedoch erst am 13.11.2008 und damit nach der Veröffentlichung des JStG 2008 beim FA eingegangen.

Der Bekl gehe von der Verfassungskonformität des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO aus. Sollten jedoch Zweifel bestehen, ob die Vorgaben des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit den Wertungen des Art. 3 GG vereinbar seien (vgl. beispielhaft FG Köln vom 3.12.2008 11 K 4917/07, Rn. 24 ff.), könnten diese jedenfalls nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung der Norm beseitigt werden. Einer solchen Auslegung stehe der klare Wortlaut der Norm entgegen. Dieser erfasse unmissverständlich lediglich die Pflichtveranlagungsfälle (eine Steuererklärung ... einzureichen ... ist). Wenn der Gesetzgeber ist formuliert, meine er nicht kann. Fälle, in denen eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG fakultativ sei, würden daher nicht nur nicht vom Wortlaut des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO erfasst - sein Wortlaut stehe einer Erfassung geradezu entgegen. Ob der Gesetzgeber Antragsveranlagungen von der streitigen Norm habe erfassen wollen, sei nicht zu klären. Selbst wenn dem Auslegenden aufgrund von Bundestagsdrucksachen der eindeutige Wille des Gesetzgebers bekannt sei, er jedoch zu der Auffassung gelange, dieser habe im Wortlaut keinen Niederschlag gefunden, ende die Auslegungsbefugnis beim klaren Wortlaut. Daher könne in Fällen, in denen der Wille des Gesetzgebers nicht einmal bekannt sei - entgegen den Ausführungen des FG Köln vom 3.12.2008 11 K 4917/07, Rn. 32 - ein vom Auslegenden gewünschtes Ergebnis über den eindeutigen Wortlaut hinaus nicht durch Auslegung herbei geführt werden. Diese seit jeher anerkannte Auslegungsgrenze könne auch im vorliegenden Fall nicht überschritten werden. Sei ein - vermeintlich verfassungswidriger - Zustand durch verfassungskonforme Auslegung nicht zu beseitigen, könne die Rechtsfrage mit Blick auf eine formelle Norm nur das BVerfG lösen. Solange dieses nicht die Verfassungswidrigkeit des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO festgestellt habe, sei die Klage unbegründet.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Bekl hat die begehrten Veranlagungen wegen eingetretener Festsetzungsverjährung zurecht versagt. Nach § 169 Abs.1 S.1 AO ist (u.a.) eine Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies ist vorliegend der Fall. Nach § 170 Abs.1 1. Alt. AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, vorliegend also mit Ablauf der Jahre 2002 sowie 2003 (§ 36 Abs.1 i.V.m. § 25 Abs.1 EStG). Da die Steuererklärungen für die Streitjahre 2002 und 2003 erst am 31.11.2008 abgegeben wurden, war die reguläre vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO für das Jahr 2002 mit Ablauf des 31.12.2006 sowie für das Jahr 2003 mit Ablauf des 31.12.2007 eingetreten, so dass der Erfolg der Klage davon abhängt, ob die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO eingreift. Nach dieser Vorschrift beginnt die Festsetzungsfrist (u.a.) abweichend von Absatz 1, wenn eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Da die Kl die Anrechnung von Lohnsteuer auf die Einkommensteuer i.S.d. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG begehren, waren sie zwar zur Abgabe der Steuererklärungen berechtigt gewesen, eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärungen i.S.d. § 25 Abs. 3 EStG; § 56 EStDV bestand jedoch nicht. Daher greift die Anlaufhemmung nach dem eindeutigen Wortlaut des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO nicht.

Es besteht auch kein Grund das Verfahren auszusetzen, um eine Entscheidung des BVerfG zur Frage einzuholen, ob die unterschiedliche Behandlung von Pflichtveranlagung und Antragsveranlagung bei der Anlaufhemmung gegen Art. 3 Abs.1 GG verstößt. Diese Frage ist bislang höchstrichterlich noch nicht geklärt. Im Vorlagebeschluss des VI. Senats des BFH (vom 22.05.2006 VI R 49/04, BFHE 213, 508, BStBl II 2006, 808, BFH/NV 2006,1933) ging es um die Verfassungswidrigkeit der Ausschlussfrist in § 46 Abs. 2 Nr. 8 S. 2 EStG. Dem lag das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 04.06.2003 1 K 1863/01, juris, mit folgendem Sachverhalt zu Grunde: Die Klägerin reichte am 29. Dezember 2000 eine unvollständige Einkommensteuererklärung für 1998 ein, welche sie trotz gewährter Fristen nicht vervollständigte. Das FG wies die Klage wegen Überschreitung der Zweijahresfrist ab. Die Vorlage (Az. beim BVerfG: 2 BvL 55/06) erledigte sich nach Änderung der Rechtslage - Wegfall der Zweijahresfrist durch das JStG 2008. Das FA erließ einen Abhilfebescheid, die Beteiligten erklärten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, das Verfahren wurde nicht mit einer Sachentscheidung, sondern lediglich mit einer Kostenentscheidung zulasten des FA beendet (vgl. BFH - Beschluss vom 27.03. 2008 VI R 49/04, juris).

Im weiteren Vorlagebeschluss des VI. Senats des BFH (vom 22.05.2006 VI R 46/05, BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820, BFH/NV 2006,1946, juris) ging es ebenfalls um die Verfassungswidrigkeit der Ausschlussfrist in § 46 Abs. 2 Nr. 8 S. 2 EStG. Dem lag das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 10.09.2004 3 K 1810/03 (EFG 2005, 1664, juris) zugrunde. Das FG wies die Klage wegen Überschreitung der Zweijahresfrist ab. Der BFH führte im Vorlagebeschluss unter IV.2 der Gründe zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage Folgendes aus: Der Veranlagung stünde auch nicht der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen. Denn der Kläger hatte die Einkommensteuererklärung vor Ablauf der regelmäßigen Festsetzungsfrist (hier: 31.12.2003) abgegeben. Da im dortigen Streitfall die Einkommensteuererklärung 1996am 31.12.2002abgegeben wurde, war die reguläre Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2000 eingetreten, zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlage konnte der vorlegende Senat daher nur bei Annahme der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO kommen. Der Vorlagebeschluss enthält keine diesbezüglichen Ausführungen. Auch diese Vorlage erledigte sich, nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit vor dem BFH übereinstimmend für erledigt hatten. Das Verfahren wurde ebenfalls nicht durch eine Sachentscheidung, sondern durch den BFH-Beschluss vom 27.03.2008, juris (Erledigung in der Hauptsache) beendet.

Das FG Düsseldorf hat mit Urteil vom 24.04.2008 12 K 4730/04 E (EFG 2008, 1088, juris) zugunsten der Klägerin entschieden, dass bei Abgabe der Einkommensteuererklärungen 1997 und 1998 im Dezember 2003 eine Festsetzungsverjährung nicht entgegenstehe. Der BFH hat mit Urteil vom 15.01.2009 VI R 23/08, BFH/NV 2009, 755, juris, die hiergegen eingelegte Revision aus anderen, nämlich den folgenden Gründen zurückgewiesen:  § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.F. ist gemäß § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG (JStG 2008) erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden und - hier einschlägig - in Fällen, in denen am 28. Dezember 2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden ist. Letzteres trifft zu. Eine bestandskräftige Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Durchführung der Einkommensteuer-Veranlagungen 1997 und 1998 liegt nicht vor. Nach Ansicht des Senats ist der Anspruch der Klägerin auf Durchführung der streitbefangenen Veranlagungen von weiteren Voraussetzungen nicht abhängig. Unter Berücksichtigung gleichheitsrechtlicher Gesichtspunkte steht den beantragten Einkommensteuer-Festsetzungen auch eine Verjährungsfrist nicht entgegen. Dabei geht der Senat davon aus, dass der Gesetzgeber mit der genannten Überleitungsvorschrift alle noch offenen -zahlenmäßig offenbar nur wenige- Fälle ohne zusätzliche Prüfung weiterer Frageneiner umfassenden Erledigung zuführen wollte. Der Senat berücksichtigt überdies, dass aufgrund der seit 2005 geänderten Rechtsprechung des Senats zu der Vorschrift des § 46 Abs. 2 (Nr. 1 und Nr. 8) EStG und der darauf folgenden Reaktionen des Gesetzgebers vielfach zeitliche Zufälligkeiten darüber mitentscheidend waren, ob Anträge bzw. Klagen auf Durchführung von Einkommensteuer-Veranlagungen erfolgreich sein konnten. Mit dieser Begründung war es für den BFH nicht erforderlich, auf die Verjährungsfrage einzugehen.

Das FG Köln hat mit Urteil vom 03.12.2008 11 K 4917/07 (EFG 2009, 480, juris) zugunsten der Kläger, welche die Erklärungen 1991-2001erst im Jahre 2006abgegeben haben - unter Bezugnahme auf den Vorlagebeschluss - entschieden, dass die Anlaufhemmung auch bei der Antragsveranlagung eingreife. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO sei dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass die Anlaufhemmung auch bei der Antragsveranlagung gelte. Die Finanzbehörde nahm die Revision zurück.

Dagegen hat das FG Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 11.12.2008 6 K 1801/08 (DStRE 2009, 982, EFG 2009, 413, juris) entschieden, dass die Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 S.2 EStG (a.F.) weiter anzuwenden ist, wenn der Antrag auf Veranlagung erst nachdem 28.12.2007gestellt wird. Im Streitfall gaben die Kläger die Steuererklärung 2004 erst im Februar 2008 beim FA ab. Das Gericht ging von der Fortgeltung der alten Rechtslage aus und wies die Klage ab. Der BFH hob diese Entscheidung mit Urteil vom 12.11.2009 VI R 1/09, BFHE 227, 97, BFH/NV 2010, 514, juris, auf und gab der Klage - unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 15.01.2009 VI R 23/08, a.a.O. - statt. Unter II. b letzter Absatz der Gründe wird jedoch ausgeführt, dass die Neufassung - soweit Verjährungsfristen nicht entgegenstehen - auch für diejenigen Anträge maßgeblich sind, die erst nach der 28.12.2007 gestellt worden sind. Da im Streitfall die Einkommensteuererklärung 2004 im Februar 2008 abgegeben wurde, kam es folglich nicht auf die Frage an, ob die Anlaufhemmung eingreift.

Die Verwaltung vertritt die Auffassung, dass der Antrag auf Veranlagung innerhalb der allgemeinen Festsetzungsfrist von vier Jahren zu stellen ist. Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S.1 Nr.1 AO sei wegen fehlender Erklärungspflicht regelmäßig nicht anwendbar, es sei denn der Steuerpflichtige sei zur Abgabe der Einkommensteuererklärung aufgefordert worden (EStR 46.2.2.)

Die Literatur ist uneinheitlich. Geserich weist in seiner Anmerkung (NWB 2010, 249, juris) zum BFH-Urteil vom 12.11.2009 VI R 1/09 auf verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der unterschiedlichen Behandlung von Antrags- und Pflichtveranlagung hin. Bergkemper (jurisPR-SteuerR 10/2010, Anm.3) vermisst in diesem Urteil eine Begründung für die Auffassung des BFH, dass Verjährungsfristen einer Veranlagung dann entgegenstehen, wenn der Antrag für Zeiträume vor 2005 erst nach dem 28.12.2007 gestellt wird. Schmidt/Kulosa EStG § 46 Rz 34, 29. Aufl. stellt fest, dass die Ungleichbehandlung von Pflicht- und Antragsveranlagung nicht vollständig beseitigt sei.

Nach Auffassung des Senats greift bei der Antragsveranlagung die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt nicht vor. Der Gleichheitssatz hat im Steuerrecht seine besondere Ausprägung in Form des Grundsatzes der Steuergerechtigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gefunden (vgl. BVerfGE 6, 55 (70); 35, 324 (335); 36, 321 (330)). Die Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG beruht stets auf einem Vergleich von Lebensverhältnissen, die nie in allen, sondern stets nur in einzelnen Elementen gleich sind. Es ist Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Elemente der zu ordnenden Lebensverhältnisse er als maßgebend dafür ansieht, sie im Recht gleich oder verschieden zu behandeln (vgl. BVerfGE 13, 181 (202); 26, 302 (310)). Voraussetzung für die Übereinstimmung einer Regelung mit dem Gleichheitssatz ist lediglich, dass die gewählte Differenzierung auf sachgerechten Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 21, 12 (26); 26, 1 (8)). Im Rahmen seiner weitgehenden Gestaltungsfreiheit im Bereich des Steuerrechts kann sich der Gesetzgeber beispielsweise von finanzpolitischen, volkswirtschaftlichen, sozialpolitischen oder steuertechnischen Erwägungen leiten lassen. Seine Gestaltungsfreiheit endet erst dort, wo die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein sachlicher Grund für die Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung fehlt. Nur die Einhaltung dieser äußersten Grenzen der gesetzgeberischen Freiheit ist vom Bundesverfassungsgericht nachzuprüfen (vgl. BVerfGE 26, 302 (310); ständige Rechtsprechung).

Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, dass die unterschiedliche Behandlung von Pflichtveranlagung und Antragsveranlagung bei der Festsetzungsverjährung sachlich gerechtfertigt ist. Die Vorschrift des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr.1 AO soll verhindern, dass durch eine späte Einreichung u.a. der Steuererklärung oder Anzeige die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit (ggf. gezielt) verkürzt wird. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 06.06.2007 II R 54/05, BFHE 217, 393, BStBl II 2007, 954, BFH/NV 2007, 2157 sowie vom 06.06.2005 II R 9/04, BFHE 210, 65, BStBl II 2005, 780, m.w.N.) sowie der einhelligen Meinung im Schrifttum (Ruban in Hübschmann-Hepp-Spitaler AO § 170 Rz.1, Tipke/Kruse AO § 170 Rz. 7, Klein/Rüsken AO § 170 Rz.5, Frotscher in Schwarz AO § 170 Rz.5, Lohmeyer in Pump/Leibner AO § 170 Rz.18). Dem liegt die zutreffende Einschätzung zugrunde, dass Steuerpflichtige, die mit einer Steuernachzahlung rechnen, die Tendenz haben, diese möglichst lange hinauszuschieben. Dies galt bis zur Einführung der Vollverzinsung (für Steuern, die nach dem 31.12.1988 entstanden sind) in besonderem Maße (vgl. Klein/Rüsken AO § 233a Rz. 1). Der Sicherungszweck besteht im Interesse des vollständigen und rechtzeitigen Steuereingangs jedoch nach wie vor. Denn an der Interessenlage der Steuerpflichtigen hat sich auch danach - jedenfalls in Fällen, in denen die Kreditzinsen höher als die Nachzahlungszinsen sind - nichts geändert.

In Fällen der Antragsveranlagung besteht typischerweise ein gerichtsbekanntes gegenläufiges Interesse, nämlich durch möglichst frühzeitige Erklärungsabgabe schnell zu der erwarteten Steuererstattung zu kommen. Der Sicherungszweck spielt hier offensichtlich keine Rolle. Da diesem Personenkreis nunmehr vier Jahre Zeit bis zur Abgabe der Steuererklärung zur Verfügung stehen, ist davon auszugehen, dass nur noch ein verschwindend geringer Prozentsatz vorhanden sein dürfte, der innerhalb dieses zeitlichen Rahmens noch keine Steuererklärung abgegeben hat. Der Senat sieht daher die vom BFH - im Vorlagebeschluss vom 22.05.2006 VI R 56/05, a.a.O., unter III.2.c.dd der Gründe - geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken zur Zweijahresfrist - die Anzahl der von der Ausschlussfrist generellen betroffenen Steuerpflichtigen sei auch weiterhin nicht klein - durch die nunmehr doppelt so lange Frist als nicht mehr aktuell an.

Auch die weitere Annahme des BFH im o.e. Vorlagebeschluss (ebenfalls unter III.2.c.dd der Gründe), es liege eine intensive Verletzung des Gleichheitssatzes vor, weil bei der Antragsveranlagung nur ein kurzer Zeitraum - zwei Jahre - zur Verfügung steht, ist nach Auffassung des Senats durch die Neuregelung - Wegfall der Zweijahresfrist - ebenfalls überholt.

Der Senat folgt zwar der weiteren Begründung des BFH (a.a.O.) insoweit, als die finanzielle Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen mit hohen Erwerbsaufwendungen in gleicher Weise unabhängig davon erheblich gemindert sei, ob er - bei im Übrigen gleicher wirtschaftlicher Lage - Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder z.B. aus selbständiger Arbeit erzielt, er sieht darin aber keinen geeigneten Anknüpfungspunkt, eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung bei der Anlaufhemmung anzunehmen. Diese Fallgestaltung stellt - nach den Erfahrungen des Senats - in der Praxis eine extrem seltene und daher zu vernachlässigende Variante dar, denn in solchen Fällen sind die Steuerpflichtigen ohnehin bestrebt, durch geeignete Maßnahmen (z.B. Antrag auf Herabsetzung der Vorauszahlungen, Eintrag eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte, zügige Abgabe der Steuererklärungen) schon gar keine solche Situation entstehen zu lassen bzw. eine frühzeitige Steuererstattung zu erreichen. Daher ist für den Senat nicht erkennbar, dass durch die Versagung der Anlaufhemmung der Personenkreis der Antragsberechtigten regelmäßig unangemessen benachteiligt würde. Das Ziel, mit der Veranlagung sowohl im Lohnsteuerabzugsverfahren als auch im Vorauszahlungsverfahren systembedingt auftretende Steuerüberhebungen (und Steueruntererhebungen) im Interesse der Herstellung steuerlicher Gleichheit durch Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer (Vorlagebeschluss vom 22.05. 2006 VI R 46/05, a.a.O. unter III.2.a. der Gründe) auszugleichen, wird weitgehend auch durch die Neuregelung - Wegfall der Zweijahresfrist - erreicht. Allein der Umstand, dass im Interesse der Vereinfachung und Vereinheitlichung des Verfahrensrechts eine vollständige Gleichbehandlung von Antrags- und Pflichtveranlagung wünschenswert ist, reicht für die Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht aus.

Die Frage einer verfassungskonformen Auslegung dieser Norm stellt sich demnach nicht. Eine solche wäre nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes auch nicht zulässig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 FGO.

Die Revision war gemäß § 115 Abs.2 Nr.1 FGO zuzulassen.