VG Stuttgart, Urteil vom 08.08.2008 - 9 K 627/08
Fundstelle
openJur 2012, 60644
  • Rkr:

1. Es besteht regelmäßig kein Anspruch auf Erteilung mehrerer Aufenthaltstitel nebeneinander.

2. § 26 Abs. 3 AufenthG ist eine § 26 Abs. 4 AufenthG verdrängende Spezialvorschrift.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG zusätzlich zu der ihr bereits nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilten.

Sie ist nach ihren Angaben eine im Jahr 1983 geborene Staatsangehörige Äthiopiens somalischer Volkszugehörigkeit. Im Jahr 1996 reiste sie mit ihren Eltern zur Durchführung eines Asylverfahrens in das Bundesgebiet ein. Mit Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: für Migration und Flüchtlinge) vom 3.5.1996 wurden die Asylanträge der Familienangehörigen abgelehnt. Das Verwaltungsgericht Sigmaringen verpflichtete jedoch das Bundesamt durch Urteil vom 8.11.2000 - A 1 K 11271/96 -, bei der Klägerin das Vorliegen der Voraussetzungen des damals geltenden § 51 Abs. 1 AuslG festzustellen. Dem kam das Bundesamt mit Bescheid vom 16.1.2001 nach.

Daraufhin beantragte die Klägerin im Februar 2001 bei der für ihren damaligen Wohnort zuständigen Ausländerbehörde die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach dem damals geltenden Ausländergesetz. Am 9.4.2001 erhielt sie eine Aufenthaltsbefugnis in einen Reiseausweis für Flüchtlinge mit einer Geltungsdauer von knapp zwei Jahren. Nach einem Umzug in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten verlängerte diese am 3.4.2003 die Geltungsdauer der Aufenthaltsbefugnis bis zum 23.3.2005. Am 6.6.2005 erteilte die Beklagte der Klägerin eine für ein Jahr gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 des inzwischen geltenden Aufenthaltsgesetzes.

Das Bundesamt teilte der Beklagten allerdings mit Schreiben vom 29.12.2005 mit, dass ein Widerrufsverfahren hinsichtlich der Flüchtlingsanerkennung der Klägerin eingeleitet sei.

Nach einem Umzug nach Stuttgart verlängerte die dortige Ausländerbehörde am 31.5.2006 die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG für ein Jahr.

Am 13.9.2006 beantragte die Klägerin bei der Stadt Stuttgart die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG, hilfsweise der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Am 1.12.2006 zog die Klägerin in das Gebiet der Beklagten zurück. Diese bat daraufhin die Klägerin, aktuelle Unterlagen über das Begehren auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis bei ihr einzureichen.

Mit Bescheid vom 7.12.2006 widerrief das Bundesamt die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Dagegen erhob die Klägerin Klage. Mit Urteil vom 27.3.2007 - A 17 K 1904/06 - hob das Verwaltungsgericht Stuttgart den Widerrufsbescheid des Bundesamts auf.

Am 25.4.2007 verlängerte die Beklagte in Unkenntnis vom Ausgang des asylrechtlichen Verfahrens die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin nach § 25 Abs. 2 AufenthG bis zum 22.4.2009.

Am 18.2.2008 hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Ziel, die Beklagte zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG zu verpflichten, hilfsweise, zur Erteilung einer solchen nach § 26 Abs 3 AufenthG. Zur Begründung hat sie zunächst ausgeführt, die Klage sei als Untätigkeitsklage zulässig, denn zumindest die Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 AufenthG würden vorliegen.

Am 7.4.2008 hat die Beklagte über das Regierungspräsidium Stuttgart vom Bundesamt die Mitteilung über den Eintritt der Rechtskraft des Urteils vom 23.7.2007 im asylrechtlichen Widerrufsverfahren erhalten. Die Beteiligten haben daraufhin den Rechtsstreit hinsichtlich des Hilfsantrages - der Verpflichtung zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG - übereinstimmend für erledigt erklärt und sind der beabsichtigten Abtrennung dieses Verfahrensteils nicht entgegengetreten, so dass der Berichterstatter mit Beschluss vom 14.7.2008 den Rechtsstreit insoweit abgetrennt hat.

Zur Begründung ihrer verbliebenen Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer zusätzlichen Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG führt die Klägerin aus, für diese Verpflichtung bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis, obgleich sie mittlerweile eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG besitze. Denn Ausländerbehörden und insbesondere Einbürgerungsbehörden behandelten Niederlassungserlaubnisse nach § 26 Abs. 3 AufenthG - zu Unrecht - als asylabhängig, solche nach § 26 Abs. 4 AufenthG aber als asylunabhängig. Zudem scheide ein Widerruf einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG nach Widerruf der Anerkennung der Asylberechtigung oder der Flüchtlingsanerkennung aus. Die somit zulässige Klage sei auch begründet. Denn sie erfülle alle Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 26 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. 104 Abs. 2 u. 9 Abs. 2 AufenthG. Insbesondere könne sie sich auf einfache Art und Weise in der deutschen Sprache mündlich verständigen. Und von der fehlenden Sicherung ihres Lebensunterhalts könne nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Eine andere Auslegung sei gegenüber ihr als Mutter eines kleinen Kindes verfassungswidrig.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihr zusätzlich zur Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG eine nach § 26 Abs. 4 AufenthG zu erteilen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, ihren Antrag auf zusätzliche Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach ihrer Ansicht fehlt es schon am Rechtsschutzbedürfnis für die Klage. Denn eine Aufenthaltserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG könne schon ihrem Wortlaut nach nur im Übrigen, also wenn die Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 AufenthG nicht vorliegen, erteilt werden. Jedenfalls sei sie aber unbegründet, da die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg die Sicherung des Lebensunterhalts erfordere. Schließlich gebe es in der Praxis der Beklagten auch keinen relevanten Unterschied beim Widerruf von Niederlassungserlaubnissen nach § 26 Abs. 3 u. 4 AufenthG.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Klägerin nochmals auf die unterschiedliche Behandlung von Niederlassungserlaubnissen durch die Einbürgerungsbehörden verwiesen. Ziel dieses Rechtsstreits sei letztlich die gerichtliche Feststellung, dass auch eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG asylverfahrensunabhängig sei. Die Frage des Nachweises, sich auf einfache Art in der deutschen Sprache mündlich verständigen zu können, wurde kontrovers diskutiert. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage, über die der Berichterstatter entscheiden kann (§§ 87a Abs. 2 u. 3 VwGO), bleibt mit Haupt- und Hilfsantrag jedenfalls in der Sache ohne Erfolg. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer weiteren Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) noch auf Bescheidung ihres Antrags (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Ein Anspruch auf gleichzeitige Erteilung mehrerer Aufenthaltstitel besteht nämlich regelmäßig nicht (dazu 1.) und die Klägerin hat jedenfalls nach Erhalt einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG keinen Anspruch auf zusätzliche Erteilung einer nach dem vierten Absatz dieser Vorschrift (dazu 2.). Daher bedarf es hier keiner Entscheidung, ob die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG bei der Klägerin vorliegen, woran im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts und auf die über § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erforderliche Fähigkeit, sich auf einfache Weise in der deutschen Sprache mündlich verständigen zu können, Zweifel bestehen.

1. Es spricht schon Vieles dafür, dass dem System von Aufenthaltsgesetz und Aufenthaltsverordnung die gleichzeitige Erteilung mehrerer Aufenthaltstitel an einen Ausländer fremd ist.

Das gilt ungeachtet dessen, dass es für Ausländer vorteilhaft sein kann, Aufenthaltserlaubnisse oder Niederlassungserlaubnisse unterschiedlicher Rechtsgrundlagen zu besitzen. Denn diese werden etwa hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt oder der weiteren Verfestigung des Aufenthalts teilweise unterschiedlich behandelt und der Ausländer könnte sich dann je nach Erfordernis auf den einen oder den anderen Titel berufen. Auch wäre die praktische Umsetzung auf den ersten Blick einfach, in dem in das Feld Anmerkungen zum Aufenthaltstitel gemäß § 59 Abs. 3 AufenthV mehrere Rechtsgrundlagen eingetragen würden. Schließlich scheint § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, der davon spricht, die Aufenthaltserlaubnis werde zu den in den nachfolgenden Abschnitten genannten Aufenthaltszweck en erteilt, die Erteilung jedenfalls mehrerer Aufenthaltserlaubnisse zu mehreren Aufenthaltszwecken nebeneinander nicht auszuschließen.

Doch bereits die nachfolgende Bestimmung, § 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, belegt, dass ein Anspruch auf gleichzeitige Erteilung mehrerer Aufenthaltserlaubnisse in vielen Fällen zu unlösbaren Problemen führen dürfte. Denn nach dieser Bestimmung ist eine Aufenthaltserlaubnis unter Berücksichtigung des (jeweiligen) Aufenthaltszwecks zu befristen. Bei unterschiedlichen Aufenthaltszwecken kann aber eine unterschiedliche Befristung geboten sein, was in einer einheitlichen Aufenthaltserlaubnis wohl nicht zu lösen wäre. Auch wenn bei einer Niederlassungserlaubnis solche Befristungsprobleme nicht auftreten können, dürfte auch sie nur für jeweils einen von der Klägerin zu bezeichnenden Zweck und mithin nur auf Grund einer Rechtsgrundlage zu erteilen sein (so für alle Aufenthaltstitel OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23.2.2007 - 3 S 10.07 - am Ende; vgl. auch die Verwendung des Singulars in den vorl. Anwendungshinweisen zum AufenthG, Ziff. 4.1.2: Der Erteilungsgrund wird in dem Klebeetikett vermerkt).

2. Jedenfalls besteht aber im konkreten Fall kein Anspruch der Klägerin auf zusätzliche Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG .

Das gilt ungeachtet dessen, dass diese Art der Niederlassungserlaubnis - wie der Klägervertreter zutreffend ausführt - vom Asylrecht, der Flüchtlingsanerkennung oder dem Abschiebungsverbot stärker gelöst ist als jene nach § 26 Abs. 3 AufenthG (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 29.5.2007 - 11 S 2093/06 - ). Denn schon Wortlaut und Stellung im Gesetz belegen, dass § 26 Abs. 3 AufenthG die zuerst zu prüfende Spezialbestimmung ist (so auch Heinhold, ZAR 2008, 161, 162: lex specialis; ähnlich Storr in: Storr/Wenger, Komm. z. ZuwR, 2. Aufl., § 26 Rn. 7). Nur im Übrigen sind die Voraussetzungen des vierten Absatzes zu prüfen.

Soweit in der Literatur das Problem des Verhältnisses von Absatz 3 zu Absatz 4 des § 26 AufenthG überhaupt erörtert wird, wird - soweit ersichtlich - nur vertreten, in einer Phase, in der sich ein Streit um eine Widerrufs- oder Rücknahmeentscheidung des Bundesamts hinzieht, sei in die Prüfung der Voraussetzungen des Absatzes 4 einzutreten; (nur) insoweit stünden die Bestimmungen nebeneinander (vgl. nochmals Heinhold, ZAR 2008, 161, 162).

Mit der somit gebotenen Annahme des Vorrangs der Bestimmung des § 26 Abs. 3 AufenthG werden Besitzer von Niederlassungserlaubnissen nach diesem Absatz im Hinblick auf etwaige Widerrufsentscheidungen auch nicht etwa schlechter gestellt. Denn wenn auf Grund von Widerrufs- oder Rücknahmebescheiden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (vgl. § 73 AsylVfG) ein Widerruf einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG zu prüfen ist, ist selbstverständlich bei der Ausübung des Widerrufsermessens (vgl. § 52 Satz 1 Nr. 4 AufenthG) zu prüfen, ob nicht inzwischen - d.h. bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerruf der Niederlassungserlaubnis - die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG vorliegen.

3. Da die Klägerin unterliegt, hat sie die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Gründe, die eine Berufungszulassung durch das Verwaltungsgericht ermöglichen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO), sind nicht erkennbar. Zwar könnte der Frage des Anspruchs auf gleichzeitige Erteilung mehrerer Aufenthaltstitel sowie jener nach dem Verhältnis von Absatz 3 zu Absatz 4 des § 26 AufenthG grundsätzliche Bedeutung zukommen. Doch ist nicht hinreichend sicher, ob diese Fragen in der Berufungsinstanz entscheidungserheblich werden, nachdem trotz gerichtlicher Aufforderung mit der Ladung offen geblieben ist, ob die Klägerin über die Fähigkeit verfügt, sich auf einfache Weise in der deutschen Sprache mündlich verständigen zu können.