LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 17.08.2011 - 2 Ta 44/11
Fundstelle
openJur 2012, 55523
  • Rkr:
Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 24.05.2011 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Schwerin vom 16.05.2011 abgeändert:

Der Rechtsstreit wird bis zur Erledigung eines Beschlussverfahrens zur Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) zum Zeitpunkt des Abschlusses der zwischen dem 01.07.2007 und 31.05.2008 einschlägigen Tarifverträge ausgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

A.

Die Parteien streiten über Differenzlohnansprüche nach dem Equal-Pay-Grundsatz, insbesondere über die Wirksamkeit der von der Tarifgemeinschaft Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) mit dem Arbeitgeberverband Mittelständische Personaldienstleister (AMP) abgeschlossenen Tarifverträge.

Der am … 1970 geborene Kläger war vom 01.07.2007 bis zum 31.05.2008 bei der Beklagten als Leiharbeitnehmer mit den Aufgaben eines Lagerarbeiters beschäftigt. Die Parteien nahmen im Arbeitsvertrag Bezug auf die für den Arbeitgeber fachlich einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung, d. h. die zwischen CGZP und AMP abgeschlossenen Tarifverträge. Der Kläger erhielt einen Stundenlohn von 6,70 Euro brutto.

Die Kläger ist der Ansicht, dass die Tarifverträge der CGZP unwirksam seien, da diese Organisation nicht tariffähig sei, wie sich aus dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 - (NZA 2011, 289) ergebe. Deshalb habe er einen Anspruch auf das Arbeitsentgelt der vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers und auf Auszahlung der Vergütungsdifferenzen.

Die Beklagte hingegen bestreitet, dass die CGZP bei Abschluss der im vorliegenden Rechtsstreit maßgeblichen Tarifverträge nicht tariffähig gewesen sei. Diese Tarifverträge seien wirksam. Der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 gelte nur gegenwartsbezogen, nicht aber für die Vergangenheit, also für den Zeitraum vor dem 14.12.2010. Ob die CGZP bei Abschluss der hier einschlägigen Tarifverträge nicht tariffähig gewesen sei, stehe gerade nicht fest. Diese Frage sei vielmehr Gegenstand des Beschlussverfahren vor dem ArbG Berlin - 29 BV 13947/10 -, dessen Ausgang abzuwarten sei. Deshalb müsse das Gericht den Rechtsstreit zunächst nach § 97 Abs. 5 ArbGG auszusetzen.

Das Arbeitsgericht Schwerin hat eine Aussetzung des Rechtsstreits mit Beschluss vom 16.05.2011, zugestellt am 18.05.2011, abgelehnt, da die Beklagte keinen Anhaltspunkt vorgetragen habe, der eine abweichende Beurteilung der Tariffähigkeit in der Vergangenheit möglich erscheinen lasse. Eine Aussetzung führe lediglich zu einer unnötigen Verfahrensverzögerung und sei mit dem Sinn des § 97 ArbGG nicht zu vereinbaren.

Hiergegen hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 24.05.2011, eingegangen am 26.05.2011, sofortige Beschwerde eingelegt, um eine Aussetzung des Rechtsstreits zu erreichen. Ob die CGZP auch zuvor nicht tariffähig gewesen sei, könne nur in einem entsprechenden Beschlussverfahren, das im Übrigen bereits anhängig sei, festgestellt werden. Andernfalls bestehe die Gefahr divergierender Entscheidungen. Das Arbeitsgericht Schwerin nehme die Entscheidung des Beschlussverfahrens vorweg, wenn es von einer Aussetzung absehe. Es könne nicht darauf ankommen, ob das Arbeitsgericht meine, die Frage der Tariffähigkeit selbst beurteilen zu können.

Der Kläger tritt einer Aussetzung entgegen. Er meint, dass der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 auch den hier streitgegenständlichen Zeitraum erfasse, da das BAG die Satzung der CGZP aus dem Jahre 2005 in seine Entscheidung miteinbezogen habe. Die Beklagte habe zudem keine Gesichtspunkte vorgetragen, die für eine Tariffähigkeit der CGZP in der Vergangenheit sprechen könnten.

Das Arbeitsgericht Berlin hat zwischenzeitlich mit Beschluss vom 30.05.2011 - 29 BV 13947/10 - (ArbuR 2011, 310) festgestellt, dass die CGZP zu folgenden Zeitpunkten nicht tariffähig war: 29.11.2004, 19.06.2006, 09.07.2008.

B.

I.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist zulässig.

Nach § 252 ZPO findet die sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen statt, durch die auf Grund der §§ 239 ff. ZPO oder auf Grund anderer gesetzlicher Bestimmungen die Aussetzung des Verfahrens angeordnet oder abgelehnt wird. Eine andere gesetzliche Bestimmung in diesem Sinne ist auch § 97 Abs. 5 ArbGG (BAG, Beschluss vom 28.01.2008 - 3 AZB 30/07 - NZA 2008, 489).

II.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist begründet.

Der Rechtsstreit ist bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens zur vergangenheitsbezogenen Tariffähigkeit der CGZP auszusetzen (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.06.2011 - 11 Ta 10/11 - juris; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.06.2011 - 6 Ta 99/11 - juris; ArbG Freiburg, Beschluss vom 13.04.2011 - 3 Ca 497/10 - DB 2011, 1001; Neef, NZA 2011, 618; Löwisch, SAE 2011, 66; a. A. ArbG Frankfurt/Oder, Urteil vom 09.06.2011 - 3 Ca 422/11 - AiB 2011, 550; ArbG Dortmund, Beschluss vom 16.03.2011 - 8 Ca 18/11 - ArbuR 2011, 272; Brors, Anm. zu ArbG Freiburg, Beschluss vom 13.04.2011 - 3 Ca 497/10 - jurisPR-ArbR 18/2011).

Nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG haben die Gerichte für Arbeitssachen einen Rechtsstreit, wenn dessen Entscheidung davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig ist, auszusetzen, bis das Beschlussverfahren nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG zur Entscheidung über die Tariffähigkeit dieser Vereinigung erledigt ist.

Eine Aussetzungspflicht besteht immer dann, wenn die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft entweder streitig ist oder Bedenken hiergegen bestehen (BAG, Beschluss vom 28.01.2008 - 3 AZB 30/07 - NZA 2008, 489). Die Tariffähigkeit ist angesichts ihrer Bedeutung für eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen nicht einzelfallbezogen im Urteilsverfahren zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, sondern im Beschlussverfahren unter Hinzuziehung der Beteiligten, insbesondere auch der betroffenen Organisation, zu klären. Das Beschlussverfahren bietet wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 83 Abs. 1, § 97 Abs. 2 ArbGG) eine höhere Richtigkeitsgewähr als das Urteilsverfahren, dessen Ausgang weitgehend von dem Sachvortrag und dem Prozessverhalten der Parteien bestimmt wird (BAG, Beschluss vom 28.01.2008 - 3 AZB 30/07 - NZA 2008, 489; BAG, Beschluss vom 23.10.1996 - 4 AZR 409/95 - NZA 1997, 383). Eine rechtskräftige Entscheidung in dem Beschlussverfahren nach § 97 ArbGG wirkt zudem gegenüber jedermann, nicht nur zwischen den am Ursprungsprozess oder den am Beschlussverfahren Beteiligten (BAG, Beschluss vom 25.11.1986 - 1 ABR 22/85 - NZA 1987, 492; BAG, Beschluss vom 06.06.2000 - 1 ABR 21/99 - NZA 2001, 156). Eine Aussetzung setzt nicht voraus, dass ein solches Beschlussverfahren bereits anhängig ist (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 02.03.2006 - 6 Ta 89/06 - juris).

Die Aussetzung steht nicht im Ermessen des Gerichts (ErfK/Koch, 11. Aufl. 2011, § 97 ArbGG, Rn. 5). Sie ist nicht von einem Antrag der Parteien abhängig, sondern von Amts wegen vorzunehmen (BAG, Beschluss vom 23.10.1996 - 4 AZR 409/95 - NZA 1997, 383). Die Aussetzungspflicht soll verhindern, dass über die Tariffähigkeit in einem oder mehreren einzelnen Urteilsverfahren entschieden wird. Vermieden werden damit zum einen divergierende Entscheidungen, zum anderen aber auch die bereits aufgezeigten Schwächen des Individualprozesses. Nicht zuletzt sprechen Gründe der Prozessökonomie dafür, die regelmäßig komplexe Rechtsfrage der Tariffähigkeit einer Organisation nicht in vielen einzelnen Rechtsstreiten, sondern einheitlich, endgültig und gegenüber jedermann zu klären.

1.

Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, ob die CGZP bei Abschluss der für den Zeitraum Juli 2007 bis Mai 2008 maßgeblichen Tarifverträge tariffähig war. Der Kläger fordert gemäß § 612 Abs. 2 BGB, § 9 Nr. 2 AÜG dasjenige Arbeitsentgelt, das sein Entleiher an seine eigenen Arbeitnehmer mit vergleichbaren Tätigkeiten zu zahlen hatte. Diesen Anspruch stützt er ausschließlich auf die Unwirksamkeit der von der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge, und zwar mangels Tariffähigkeit dieser Organisation.

2.

Das Beschlussverfahren nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG zur Entscheidung über die Tariffähigkeit der CGZP ist noch nicht erledigt.

Nach dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 steht fest, dass die CGZP nicht tariffähig ist, und zwar weder nach § 2 Abs. 1 TVG als Gewerkschaft noch nach § 2 Abs. 3 TVG als Spitzenorganisation. Umstritten ist hingegen, auf welchen Zeitraum sich diese - vom BAG ausdrücklich als gegenwartsbezogen bezeichnete - Feststellung erstreckt. Den Gegenwartsbezug folgert das BAG aus der Antragsformulierung (,... tarifunfähig ist") und der Antragsbegründung (a. a. O., Rn. 33). Deshalb stand diesem Verfahren auch nicht der bereits früher anhängige Feststellungsantrag zur Tariffähigkeit der CGZP vor dem ArbG Berlin - 63 BV 9415/08 - entgegen, da dieser einen anderen Streitgegenstand betrifft. Dieses Beschlussverfahren beim ArbG Berlin beruht auf einem Individualrechtsstreit eines Leiharbeitnehmers, in dem dieser Ansprüche für den Zeitraum 17.06.2006 bis 31.01.2008 geltend macht (ArbG Bamberg - 2 Ca 249/08 -). Der Streitgegenstand des hieran anknüpfenden Beschlussverfahrens ist dementsprechend auf eine vergangenheitsbezogene Feststellung über die Tariffähigkeit der CGZP beschränkt (BAG, a. a. O., Rn. 38).

Die Beklagte ist der Ansicht, der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 stelle die Tarifunfähigkeit erst zum Entscheidungsdatum fest und erfasse nicht davor liegende Zeiträume (so auch Löwisch, SAE 2011, 64 und 66). Nach anderer Ansicht kommt es auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz an, d. h. die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 07.12.2009 - 23 TaBV 1016/09 - (Neef, NZA 2011, 618). Welcher Auffassung zu folgen ist, bedarf hier keiner Entscheidung, da die von dem Kläger geltend gemachten Ansprüche den Zeitraum Juli 2007 bis Mai 2008 betreffen, auf den sich die Entscheidung des BAG keinesfalls erstreckt. Dieser Zeitraum war gerade nicht Gegenstand des Verfahrens, wie sich aus den Ausführungen des BAG zu den Streitgegenständen der verschiedenen Beschlussverfahren ergibt.

Das vergangenheitsbezogene Beschlussverfahren nach § 97 ArbGG zur Tariffähigkeit der CGZP ist noch nicht abgeschlossen. Ein solches Beschlussverfahren ist vor dem ArbG Berlin - 29 BV 13947/10 - anhängig, das am 30.05.2011 eine Entscheidung verkündet hat, deren Rechtskraft abzuwarten bleibt. Das ArbG Berlin hat sich die Begründung des BAG zu eigen gemacht und die Tariffähigkeit der CGZP auch vergangenheitsbezogen verneint.

Die Feststellung der Tariffähigkeit, soweit sie die Vergangenheit betrifft und deshalb nicht von dem Beschluss des BAG erfasst wird, ist dem - bereits anhängigen - Beschlussverfahren vorbehalten. Den Gerichten ist es verwehrt, den Ausgang des Beschlussverfahrens im Urteilsverfahren vorwegzunehmen.

3.

Die Tariffähigkeit der CGZP bei Abschluss der für den Zeitraum Juli 2007 bis Mai 2008 maßgeblichen Tarifverträge ist trotz der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 streitig.

Die Aussetzung hängt nicht davon ab, ob die Parteien neue Umstände vortragen, die eine abweichende Bewertung der Tariffähigkeit möglich erscheinen lassen (a. A. Brors, Anm. zu ArbG Freiburg, Beschluss vom 13.04.2011 - 3 Ca 497/10 - jurisPR-ArbR 18/2011). Eine solche Voraussetzung lässt sich dem Urteil des BAG vom 15.11.2006 - 10 AZR 665/05 - (NZA 2007, 448) nicht entnehmen. Das BAG hat in diesem Rechtsstreit den bereits vorhandenen rechtskräftigen Beschluss aus dem Verfahren zur Feststellung der Tariffähigkeit dahingehend verstanden, dass dieser nicht nur für die Zeit nach Verkündung der Entscheidung gilt, sondern auch für einen vorangegangenen Zeitraum, d. h. bei Abschluss des Tarifvertrages, dessen Wirksamkeit zu beurteilen war (a. a. O., Rn. 21 und 22). Aus den Feststellungen des LAG ergab sich gerade nicht, wie das BAG weiter anführt (a. a. O., Rn. 22), dass der Beschluss zur Tariffähigkeit den Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses nicht erfasst. Dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 zur Tariffähigkeit der CGZP kommt eine solche Reichweite jedoch nicht zu. Dieser Beschluss wirkt ausschließlich gegenwartsbezogen, jedenfalls nicht für den im vorliegenden Rechtsstreit maßgeblichen Zeitraum.

Welches Ergebnis das vergangenheitsbezogene Beschlussverfahren angesichts der gegenwartsbezogenen Entscheidung des BAG voraussichtlich haben wird, ist unerheblich. Die Aussetzungspflicht entfällt nicht deshalb, weil sich die Begründung des BAG ggf. auch auf diesen Zeitraum übertragen lässt. Hierüber haben allein die für das entsprechende Beschlussverfahren zuständigen Gerichte zu befinden. Dieses Beschlussverfahren wäre zudem überflüssig und ohne jegliche Bedeutung, wenn die Gerichte für Arbeitssachen über die vergangenheitsbezogene Tariffähigkeit der CGZP im Urteilsverfahren entscheiden könnten. Darüber hinaus ist schon fraglich, ob die Parteien des Urteilsverfahrens überhaupt in der Lage sind, zur Tariffähigkeit vorzutragen, da sie nicht ohne Weiteres über den Informationsstand wie die am Beschlussverfahren beteiligte Gewerkschaft verfügen. Deshalb bedarf es zunächst einer rechtskräftigen Entscheidung in einem Beschlussverfahren.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 78 Satz 2 ArbGG.