ArbG Rostock, Urteil vom 31.07.2008 - 3 Ca 745/08
Fundstelle
openJur 2012, 54591
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird auf 23.055,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass das beklagte Land verpflichtet ist, sie als Oberärztin nach der Vergütungsgruppe Ä 3 des TV-Ärzte zu bezahlen.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der TV-Ärzte Anwendung.

Die am ... geborene, verheiratete Klägerin ist seit dem ... zunächst als Assistenzärztin, später als Funktionsärztin an der Klinik für Innere Medizin, Abteilung Pathophysiologie, in der ... beim beklagten Land bzw. dessen Rechtsvorgängern beschäftigt.

Seit ... ist die Klägerin anerkannte Fachärztin für Pathophysiologie, verfügt seit ... über den Qualifikationsnachweis "Somnologie" und darf seit ... die Zusatzbezeichnung "Schlafmedizin" zu führen.

Seit ... leitet die Klägerin das Schlaflabor an der Klinik für Innere Medizin, zunächst befristet und seit dem ... endgültig. Die Ernennungsschreiben, Bl. 12 und 13 der Akte, werden zum Inhalt des Tatbestandes gemacht.

Das von der Klägerin geleitete Schlaflabor verfügt über zwei Betten. Der Klägerin sind im Rotationsprinzip noch ein Assistenzarzt und eine Krankenschwester zugeordnet. Als studentische Sitzwachen fungieren acht Studenten.

Die Klägerin ist unstreitig zu mehr als 50 % im Schlaflabor beschäftigt.

Die Klägerin ist in die Entgeltgruppe Ä 2 Stufe 3 des TV-Ärzte eingruppiert und verdient gegenwärtig 4.800,00 EUR brutto monatlich.

Nachdem die Klägerin sich vergeblich bemüht hatte, eine Höhergruppierung in die Ä 3 zu erreichen, hat sie am 5. Mai 2008 Klage erhoben.

Die Klägerin geht davon aus, ihr stehe nach beiden Alternativen des § 12 TV-Ärzte Vergütung nach der Vergütungsgruppe Ä 3 des TV-Ärzte zu.

Ihr sei die Verantwortung für einen eigenen Teil- bzw. Funktionsbereich übertragen worden. So erstelle die Klägerin in Eigenregie Dienstpläne für das Schlaflabor. Das Schlaflabor stelle auch einen nach außen hin abgrenzbaren Bereich dar. Die Klägerin verweist dazu auf die Darstellung des Arbeitsbereichs auf der Internetseite der Pneumologie. Dort sei das Schlaflabor als eigenständiger Unterpunkt quasi als Fachbereich aufgeführt. Dies zeige, dass sich auch die Beklagte der besonderen Spezialisierung dieses Arbeitsgebiets bewusst sei und dies in der Außendarstellung unterstreiche.

Der Bereich der Somnologie stelle ein anerkanntes Spezialgebiet dar. Dies erschließe sich auch dadurch, dass auf diesem Gebiet zahlreiche Erkrankungen/Leiden medizinisch erfasst sind, deren Erkennen und Behandeln einer entsprechenden ärztlichen Spezialausbildung bedarf. Letztlich werde die Spezialisierung auch, zumindest konkludent, von beklagten Land gefordert. Die Akkreditierung des Schlaflabors hänge davon ab, dass eine entsprechende Spezialausbildung Somnologie oder Schlafmedizin des jeweiligen Leiters vorliegt.

Die Klägerin beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin seit 01.09.2007 Vergütung nach der Vergütungsgruppe Ä 3 des TV-Ärzte zu bezahlen.

2. Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 4.515,00 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz

aus 500,00 EUR seit 01.10.2007,

aus weiteren 500,00 EUR seit 01.11.2007,

aus weiteren 500,00 EUR seit 01.12.2007,

aus weiteren 500,00 EUR seit 01.01.2008,

aus weiteren 500,00 EUR seit 01.02.2008,

aus weiteren 500,00 EUR seit 01.03.2008,

aus weiteren 500,00 EUR seit 01.04.2008,

aus weiteren 500,00 EUR seit 01.05.2008

und aus weiteren 515,00 EUR seit 01.06.2008 zu bezahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land vertritt die Auffassung, die Klägerin sei weder nach der ersten noch nach der zweiten Alternative in die Entgeltgruppe Ä 3 des TV-Ärzte einzugruppieren. Die Beklagte habe interne Kriterien für die Ernennung von Oberärzten festgelegt. Diese Kriterien seien den Klinik- und Institutsdirektoren bzw. Abteilungsleitern mit Schreiben vom 03.08.2007 mitgeteilt worden. Darin sei u. a. festgelegt, dass der Stelleninhaber habilitiert sein sollte. Darüber hinaus fordere das Universitätsklinikum die Erfüllung von mindestens vier der fünf im Folgenden genannten Merkmale:

– fachliche Aufsicht über Assistenz- und Fachärzte,

– herausgehobene klinische Kompetenz,

– Organisationsverantwortung,

– Ausbildungsfunktion,

– Wahrnehmung von Hintergrunddiensten.

Diese Voraussetzungen an eine oberärztliche Tätigkeit erfülle die Klägerin nicht. Das von der Klägerin geleitete Schlaflabor stelle auch keinen Teil- oder Funktionsbereich i. S. d. TV-Ärzte dar. Das beklagte Land verweist auf das Organigramm der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin, Abteilung Pneumologie, Bl. 82 der Akte. Das von der Klägerin geleitete Schlaflabor mit seinen zwei Betten erfülle nicht die Anforderungen an eine gewisse Größe und Eigenständigkeit innerhalb der Einrichtung. Darüber hinaus fehle es der Klägerin auch an der medizinischen Verantwortung. Eine Aufsichtsfunktion über ärztliches bzw. nicht ärztliches Personal genüge nicht. Die medizinische Verantwortung müsse sich auf den gesamten Bereich der Patientenbehandlung in diesem Bereich erstrecken. Es fehle an ärztlichem Personal, für das die Klägerin die Verantwortung trage. Letztlich führe die Klägerin fachärztliche Tätigkeiten aus.

Im Hinblick auf die zweite Alternative des § 12 TV-Ärzte Ä 3 trägt das beklagte Land vor, die Weiterbildung sei von der Klägerin nicht gefordert worden. Die Klägerin habe nicht auf Aufforderung des Landes den Qualifikationsnachweis "Somnologie" und die Zusatzweiterbildung "Schlafmedizin" gemacht, sondern dies auf eigene Verantwortung getan.

Die Akkreditierung des Schlaflabors erleichtere lediglich die Abrechnung mit den Krankenkassen. Das Schlaflabor könne auch ohne Akkreditierung betrieben werden.

Das in der mündlichen Verhandlung vorgetragene schriftsätzliche Vorbringen der Parteien wird zum Inhalt des Tatbestandes gemacht.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Voraussetzungen für eine Vergütung nach Ä 3 des § 12 TV-Ärzte ergeben sich aus dem Tarifvertrag und obliegen nicht den Kriterien des Arbeitgebers.

Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 12 TV-Ärzte nicht.

Nach der ersten Alternative des § 12 TV-Ärzte ist Oberarzt derjenige Arzt, dem die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung vom Arbeitgeber übertragen worden ist. Der Klägerin ist die Leitung des Schlaflabors mit Schreiben vom 26.07.2006 bzw. 22.11.2007 übertragen worden. Darin liegt jedoch nicht die Übertragung der medizinischen Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich der Klinik i. S. d. § 12 TV-Ärzte. Die Auslegung des Begriffs der "medizinischen Verantwortung" ist umstritten. In der Instanzrechtsprechung wird zum einen vertreten, dass das Erfordernis erfüllt ist, wenn dem Betroffenen Aufsichtsfunktionen über ärztliches oder nicht ärztliches Personal übertragen wurden (Arbeitsgericht Düsseldorf, 12.07.2007, 14 Ca 669/07). Ebenso wird vertreten, dass die Weisungsbefugnis gegenüber Assistenzärzten und medizinischem Pflegepersonal es noch nicht rechtfertige, von der Übertragung medizinischer Verantwortung auszugehen, da bereits Fachärzte den Ärzten in der Weiterbildung und den Pflegekräften gegenüber weisungsbefugt seien (Arbeitsgericht Darmstadt, 26.07.2007, 12 Ca 122/07). Schließlich wird in der Literatur sogar vertreten, dass überhaupt keine Aufsichts- oder Weisungsfunktion wahrgenommen werden müsse, um von der Übertragung medizinischer Verantwortung ausgehen zu können. Ein Teil- oder Funktionsbereich i. S. d. TV-Ärzte könne daher auch nur aus dem Oberarzt selbst bestehen (Bruns, Arztrecht 2007 S. 60, 67) (Amtsgericht Lörrach vom 17.12.2007, 5 Ca 410/07). Die medizinische Verantwortung ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Klägerin trägt keine über ihre fachärztliche Tätigkeit hinausgehende medizinische Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich. § 12 TV-Ärzte ist dahingehend auszulegen, dass der nach Ä 3 zu vergütende Arzt Aufsichts- und Weisungsbefugnis über nachgeordnete Fachärzte, mindestens jedoch gegenüber Ärzten hat. Dafür spricht zunächst die sprachliche Stufenfolge in § 12 TV-Ärzte, welche auf eine zu Grunde liegende personelle Hierarchie in der betroffenen Klinik schließen lässt. Entgeltgruppe Ä 1 bezeichnet den oder die Betroffene begrifflich als Arzt/Ärztin, Entgeltgruppe Ä 2 als Fachärztin/Facharzt und Entgeltgruppe Ä 3 als Oberärztin/Oberarzt. Entgeltgruppe 4 betrifft Fachärzte als ständige Vertretung des Chefarztes. Daraus kann geschlossen werden, dass den Entgeltgruppen Weisungs- und Aufsichtsbefugnisse gegenüber der jeweils niedrigeren Entgeltgruppe zustehen. Dafür spricht auch, dass der Begriff "Oberarzt" kein vergütungsrechtlicher Terminus technicus der Vergütungsgruppe zum BAT war, sondern lediglich ein vergütungsirrelevanter Titel mit ausschließlicher Bedeutung für die hierarchische Einordnung zwischen Chefarzt einerseits und Stationsarzt bzw. Assistenzarzt andererseits (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Entscheidung vom 07.11.2007, 12 Sa 49/07). Daraus ergibt sich, dass die Tarifvertragsparteien mit der Aufnahme des Begriffes "Oberarzt" in § 12 Ärzte-TV auch die hierarchische Einordnung zur tatbestandlichen Voraussetzung machen wollten. Schon rein sprachlich erfordern Berufsbezeichnungen mit der Vorsilbe "Ober" regelmäßig die Unterstellung eines "Untergebenen". Der Klägerin ist jedoch unstreitig kein Arzt oder Facharzt unterstellt, sondern lediglich ein Assistenzarzt und eine Krankenschwester im Rotationssystem zugeordnet. Eine medizinische Verantwortung i. S. d. TV-Ärzte ist der Klägerin danach nicht übertragen worden. Ausgehend davon, dass die Klägerin in dem von ihr geleiteten Schlaflabor lediglich zwei Betten belegen kann, tut sich die Kammer schwer, die medizinische Verantwortung der Klägerin von der eines Facharztes abzugrenzen. Auch dieser ist für seine Patienten verantwortlich. Auch diesem stehen im Hinblick auf die Betreuung seiner Patienten Weisungsrechte im Hinblick auf das pflegerische Personal zu. Eine darüber hinausgehende medizinische Verantwortung der Klägerin vermag das Gericht nicht zu erkennen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten geht das Gericht davon aus, dass es sich bei dem Schlaflabor um einen Funktionsbereich der Klinik handelt. Der Begriff wurde bereits unter der Geltung des BAT vor allem analog der ärztlichen Weiterbildungsordnung verstanden. An dieser Interpretation des Begriffs "Funktionsbereich" hat sich auch durch den TV-Ärzte nichts geändert. Schlafmedizin ist, wie sich aus der Urkunde zur Anerkennung und Genehmigung der Zusatzbezeichnung "Schlafmedizin" vom 22.06.2005 ergibt, ein anerkanntes Spezialgebiet innerhalb eines ärztlichen Fachgebiets.

Aufgrund fehlender medizinischer Verantwortung steht der Klägerin nicht die Eingruppierung in die Entgeltgruppe Ä 3 nach § 12 erste Alternative TV-Ärzte zu.

Auch die zweite Alternative der Entgeltgruppe Ä 3 in § 12 TV-Ärzte ist nicht gegeben. Voraussetzung dafür wäre, dass der Klägerin als Fachärztin durch den Arbeitgeber eine Spezialfunktion übertragen worden wäre, für die dieser eine erfolgreich abgeschlossene Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung fordert. Das beklagte Land hat dazu ausgeführt, dass es eine erfolgreich abgeschlossene Schwerpunkt- und Zusatzweiterbildung "Schlafmedizin" nicht gefordert habe. Nach Auffassung des Gerichts ist die zweite Alternative des § 12 Ä 3 so zu lesen, dass entweder Arbeitgeber oder übertragene Spezialfunktion eine erfolgreich abgeschlossene Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung fordern müssen. Nach den unwidersprochenen Ausführungen des beklagten Landes ist es möglich, Schlaflabore auch ohne erfolgreich abgeschlossene Weiterbildung im Bereich "Schlafmedizin" zu leiten. Danach fordert die der Klägerin übertragene Spezialfunktion (Leiterin des Schlaflabors) keine Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Akkreditierung des von der Klägerin geleiteten Schlaflabors einen Qualifikationsnachweis Somnologie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin erfordert, mindestens jedoch den Abschluss der Zusatzweiterbildung Schlafmedizin. Der Klägerin ist lediglich die Leitung des Schlaflabors übertragen worden. Anforderungen dahingehend, dass die Klägerin weiterhin für die Akkreditierung des Schlaflabors etwa durch Qualifikationsnachweise oder Weiterbildungen sorgen müsse, enthält die Übertragung der Leitung des Schlaflabors nicht. Darüber hinaus wäre der Qualifikationsnachweis "Somnologie" ausreichend, um die Akkreditierung des Schlaflabors sicherzustellen. Bei dieser Qualifikation handelt es sich nicht um eine Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsverordnung. Die Weiterbildung der Klägerin zur Schlafmedizinerin wurde und wird von dem beklagten Land nicht für die Übertragung der Leitung des Speziallabors gefordert. Die Klage ist danach abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 ZPO, §§ 12, 12 a ArbGG.

Der gem. § 61 Abs. 1 ArbGG festzusetzende Streitwert entspricht der 36-fachen Differenz zwischen der Ä 2 und der Ä 3 des TV-Ärzte. Hinzu addiert sich der Zahlungsantrag.