LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.02.2012 - L 7 AS 43/12 B ER
Fundstelle
openJur 2012, 53964
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 14. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Auf die Anschlussbeschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 14. Dezember 2011 geändert: Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die durch die Teilnahme der Antragsteller an der Therapie ihrer Lese- und Rechtschreibschwäche am Lehrinstitut J., K., L. M., entstehenden Kosten in der Zeit vom 7. November 2011 bis 31. Juli 2012 zu übernehmen. Die Therapiemaßnahme hat dabei je Antragsteller einen zeitlichen Umfang von zwei mal zwei Unterrichtsstunden à 45 Minuten pro Woche. Die Leistungsgewährung erfolgt vorläufig und steht unter dem Vorbehalt der Rückforderung.

Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zur Durchführung einer außerschulischen Lernförderung.

Der am 5. Februar 1998 geborene Antragsteller besucht die 8. Klasse der Hauptschule N. Ganztagsschule in O.. Zuvor besuchte er die Realschule. Aufgrund seiner Lese- und Rechtschreibschwäche, hatte er in dem Zeitraum vom 29. April 2010 bis zum 1. Juli 2011 eine Legasthenietherapie wegen drohender seelischer Behinderung am Institut P. in Q. durchgeführt (§ 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII -). Sein Endjahreszeugnis der 7. Klasse weist für das Fach Deutsch die Note 3 auf. Ausweislich dieses Zeugnisses berechtigt der Notendurchschnitt zum Übergang an die Realschule. Das Halbjahreszeugnis der 8. Klasse weist weiterhin eine 3 in Deutsch, allerdings eine 5 in Chemie auf.

Die am 5. Januar 2000 geborene Antragstellerin besucht die 6. Klasse an der vorgenannten Hauptschule. Ausweislich des Endjahreszeugnisses für die Klasse 5 erreichte sie in Deutsch die Note 3 und wurde in Klasse 6 versetzt.

In den Anträgen auf Lernförderung für die Antragsteller bescheinigte die Schule jeweils einen Lernförderbedarf für den Antragsteller zu 1. für die Klasse 8 in Deutsch und für die Antragstellerin zu 2. für die Klasse 6 in Deutsch, wobei jeweils mitgeteilt wurde, dass im Falle der Erteilung von Lernförderung eine positive Versetzungsprognose bestehe. Es wurde nicht angekreuzt, dass das Erreichen der wesentlichen Lernziele (im Regelfall die Versetzung) gefährdet sei. Befürwortet wurde für beide Antragsteller eine Gruppenförderung, vier Stunden pro Woche.

Beide Kinder haben am 6. September 2011 bei der R. GmbH einen Rechtschreibtest durchgeführt. Aus den Gutachten zu diesen Ergebnissen der Testung ergibt sich für beide Antragsteller ein unterdurchschnittliches Leistungsvermögen. Bei beiden Antragstellern entsprechen - nach den dortigen Ausführungen - die orthographischen Kompetenzen nicht den Alters- und Schulform spezifischen Anforderungen. Es wird ausgeführt, dass über das Fach Deutsch hinaus dies zu Beeinträchtigungen in anderen Schulfächern führen und den Schulabschluss gefährden könne. Es solle daher eine sachkundige Beratung und spezielle pädagogische Förderung in Anspruch genommen werden.

Mit Bescheid vom 1. November 2011 lehnte der Antragsgegner die Kostenübernahme ab, da das wesentliche Lernziel, nämlich die unmittelbare Versetzung in die nächste Jahrgangsstufe, bei beiden Antragstellern nicht gefährdet sei. Mit dem Widerspruch vom 9. November 2011 wiesen die Antragsteller noch einmal darauf hin, dass über das Fach Deutsch hinaus die Lese- und Rechtschreibschwäche zu Beeinträchtigungen auch in anderen Schulfächern führen könne und der Schulabschluss gefährdet sei. Damit bestünde die Gefahr, dass wesentliche Lernziele nicht erreicht werden könnten.

Am 7. November 2011 haben die Antragsteller die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg beantragt. Es sei nachgewiesen, dass beide Antragsteller an einer Lese- und Rechtschreibschwäche leiden. Die Lernförderung sei zum einen notwendig um die schulischen Erfolge sicherzustellen, im Übrigen aber auch um die spätere Aufnahme eines Ausbildungsplatzes zu ermöglichen. Dies sei für Hauptschüler ohnehin schwer genug. Darüber hinaus haben sie eine Bescheinigung der Hauptschule N. vom 31. Oktober 2011 vorgelegt, aus der hervorgeht, dass die Rechtschreibnote nach einem Beschluss der Deutschfachkonferenz nur zu 10 % in der Gesamt-Deutsch-Zensur berücksichtigt werde und Förderbedarf für die Antragsteller zu 1. und 2. im Fach Deutsch-Rechtschreibung bestehe. Weiterhin haben die Antragsteller eine Bescheinigung des Instituts P., Q., vom 12. September 2011 vorgelegt, in der für den Antragsteller zu 1. die Weiterführung der Fördermaßnahme (Rechtschreibtraining) befürwortet wird. Die Therapie der Lese- und Rechtschreibschwäche habe in der durchgeführten Maßnahme leider nicht abgeschlossen werden können. Weiterhin wurde für den Antragsteller zu 1. ein Schreiben des Landkreises S. vom 30. November 2011 vorgelegt, aus dem hervor geht, dass die Entwicklungs- und Lerntherapie im Einvernehmen beendet wurde, da eine (drohende) seelische Behinderung nicht mehr vorliege. Darüber hinaus wurden der Zwischenbericht vom 20. Dezember 2010 und der Abschlussbericht vom 28. November 2011 des Instituts P., Q., vorgelegt.

Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, dass danach § 28 Abs. 5 SGB II nur kurzzeitige und vorübergehende Lernschwächen erfasst seien. Bei beiden Antragstellern bestünde aber keine negative Versetzungsprognose, so dass das Lernziel Versetzung bzw. ein ausreichendes Leistungsniveau erreicht sei. Im Übrigen könne eine Lese- und Rechtschreibstörung nicht vorübergehend behoben werden. Der Antragsteller zu 1. sei bereits dreizehn Monate gefördert worden, ohne dass die Lernschwäche behoben worden sei.

Das SG Lüneburg hat mit Beschluss vom 14. Dezember 2011 den Antragsgegner verpflichtet, die durch die Teilnahme der Antragsteller an der Therapie ihrer Lese- und Rechtschreibschwäche am Institut P., Q., entstehenden Kosten in der Zeit vom 7. November 2011 bis 31. Juli 2012 (zwei mal zwei Stunden pro Woche à 45 Minuten) vorläufig zu übernehmen. Es hat ausgeführt, dass die Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht haben. Der beabsichtigte Förderunterricht stelle eine angemessene und geeignete Therapie dar. Die Lernförderung sei auch erforderlich, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Es sei in der Regel nur ein kurzfristiger Nachhilfeunterricht als Bedarf zu berücksichtigen, allerdings liege ein atypischer Sonderfall im Sinne des § 28 Abs. 5 SGB II vor. Die Förderung sei nicht auf den Fall der Versetzungsgefährdung beschränkt. Es handele sich nicht um ein Ausschlusskriterium. Nach dem Niedersächsischen Schulgesetz gehöre nach § 2 Abs. 1 Satz 3 NSchG auch die Befähigung der Schülerinnen und Schüler, sich umfassend zu informieren und sich im Berufsleben zu behaupten, zu den wesentlichen Lernzielen. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 NSchG vermittele die Hauptschule ihren Schülerinnen und Schülern eine grundlegende Allgemeinbildung, die sich an lebensnahen Sachverhalten ausrichte. Ausreichende Kenntnisse im Fach Deutsch gehören nach Auffassung der Kammer zu einer grundlegenden Allgemeinbildung. Nach der gegenwärtigen Sachlage sei davon auszugehen, dass beide Antragsteller das Lernziel "ausreichende Kenntnisse im Fach Deutsch" nicht ohne Lernförderung erreichen können, da sie an einer ausgeprägten Lese- und Rechtschreibschwäche leiden. Die Lernförderbedarfe im Rahmen der pädagogischen ohnehin gebotenen Diagnosenaufgabe der Lehrkräfte sei entsprechend festgestellt worden. Dies werde auch durch die Rechtschreibtests und die dortigen Empfehlungen der R. GmbH vom 6. September 2011 bestätigt, wonach empfohlen werde, spezielle pädagogische Förderung in Anspruch zu nehmen. Für den Antragsteller zu 1. gehe auch aus dem Abschlussbericht des Instituts P. vom 28. November 2011 hervor, dass zwar bereits gute Erfolge erzielt worden seien, aber ein weiterer Therapiebedarf bestehe. Der Anordnungsgrund liege vor, da die Lernförderung zeitnah im Rahmen des Schuljahres benötigt werde. Der Eilbeschluss werde auf die Zeit von der Antragstellung bis zum Schuljahresende begrenzt.

Gegen den dem Antragsgegner am 20. Dezember 2011 zugestellten Beschluss hat dieser am 13. Januar 2012 Beschwerde erhoben. Der Beschluss wurde den Antragstellern am 14. Dezember 2011 zugestellt. Diese haben ausdrücklich am 25. Januar 2012 Anschlussbeschwerde erhoben mit dem Ziel, dass die gewährte Therapie am Lehrinstitut J., K., L. M., gewährt werde. Dieses Ziel hatten die Antragsteller zunächst mit einem Tenorberichtigungsantrag vor dem SG Lüneburg verfolgt, den Antrag dann aber zurückgenommen.

Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass für die Antragstellerin zu 2. eventuell ein Vorrang der Leistungen durch das Jugendamt bestehe. Entsprechende Maßnahmen seien allerdings nicht eingeleitet worden. Für den Antragsteller zu 1. bestehe ein solcher Anspruch nicht mehr. Darüber hinaus verweist der Antragsgegner auf seinen bisherigen Vortrag, wonach in der Regel nur kurzfristige Lernförderung übernommen werde und die Versetzung der Kinder nicht gefährdet sei. Soweit die Versetzung des Antragstellers zu 1. nunmehr durch die Note im Fach Chemie gefährdet sei, könne ein entsprechender Antrag auf Lernförderung für das Fach Chemie gestellt werden. Lernschwächen, die einer intensiven Förderung bedürfen, wie sie das SG in dem Beschluss vom 14. Dezember 2011 vorgesehen habe, könnten nicht durch Leistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II erfolgen. Die Noten in den aufgrund einer Legasthenie vor allem betroffenen Fächern Deutsch und Englisch seien befriedigend. Diesbezüglich könne eine Lernförderung nicht bewilligt werden. Im Hinblick auf den Tenorberichtigungsantrag hatte der Antragsgegner mitgeteilt, dass durch den Anbieterwechsel voraussichtlich geringere Kosten entstehen und daher keine Einwände gegen eine Änderung des Beschlusses bestünden. Um die Leistungen vorläufig bewilligen zu können, benötige der Antragsgegner auch noch den Nachweis über die Anmeldung bei dem Lernförderungsanbieter und einen Nachweis über die monatlich anfallenden Kosten.

Die Antragsteller tragen vor, dass ein Vorrang der Jugendhilfe nicht bestehe, da die dortige Therapie hinsichtlich des Antragstellers zu 1. beendet sei. Eine seelische Behinderung drohe nicht mehr. Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2. drohe eine seelische Behinderung gar nicht, da diese mit der Legasthenie gelassen umgehe. Die Bewilligung der Lerntherapie in M. sei notwendig, da die Antragsteller das dortige Institut selbstständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen könnten. Zu dem Institut nach Q. müssten sie durch die Eltern mit dem Pkw gefahren werden. Dies sei aber nicht leistbar, da die Mutter gegenüber dem Antragsgegner in der Eingliederungsvereinbarung zugesagt habe, sich für eine Vollzeittätigkeit zu bewerben und einen entsprechenden Arbeitsplatz bei Erhalt anzutreten. Zudem biete das Lerninstitut in M. Gruppenunterricht.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte (erster und zweiter Instanz) und die Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners und die Anschlussbeschwerde der Antragsteller sind zulässig.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist nicht begründet.

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der angefochtene Beschluss des SG Lüneburg vom 14. Dezember 2011 dahingehend geändert, dass die Lerntherapie bei dem Lehrinstitut J. M. durchgeführt werden kann.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Ergänzend wird ausgeführt: Nach §§ 19 Abs. 2, 28 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Fassung vom 13. Mai 2011 (gültig ab 1. April 2011) wird bei Schülerinnen und Schülern eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 125, 175 bis 260, ebenso veröffentlicht in juris, dort Rdn. 192, 197) hat ausgeführt, dass notwendige Aufwendungen zur Erfüllung schulischer Pflichten zum existenziellen Bedarf schulpflichtiger Kinder gehören. Ohne Deckung dieser Kosten droht hilfebedürftigen Kindern der Ausschluss von Lebenschancen, weil sie ohne den Erwerb der notwendigen Schulmaterialien, wie Schulbücher, Schulhefte oder Taschenrechner, die Schule nicht erfolgreich besuchen können. Bei schulpflichtigen Kindern, deren Eltern Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch beziehen, besteht die Gefahr, dass ohne hinreichende staatliche Leistungen ihre Möglichkeiten eingeschränkt werden, später ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können. Dies ist mit Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip des Artikels 20 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Das BVerfG hat weiter ausgeführt:

"Vor allem ist ein altersspezifischer Bedarf für Kinder einzustellen, welche die Schule besuchen. Wie bereits ausgeführt macht die Zuständigkeit der Länder für das Schul- und Bildungswesen die fürsorgerechtliche Berücksichtigung dieses Bedarfs nicht entbehrlich. Die Zuständigkeit der Länder betrifft überdies den personellen und sachlichen Aufwand für die Institution Schule und nicht den individuellen Bedarf eines hilfebedürftigen Schülers. Der Bundesgesetzgeber könnte erst dann von der Gewährung entsprechender Leistungen absehen, wenn sie durch landesrechtliche Ansprüche substituiert und hilfebedürftigen Kindern gewährt würden. Dann könnte eine einrichtungsbezogene Gewährung von Leistungen durch die Länder, z. B. durch Übernahme der Kosten für die Beschaffung von Lernmitteln oder durch ein kostenloses Angebot von Nachhilfeunterricht, durchaus ein sinnvolles Konzept jugendnahe Hilfeleistungen darstellen, das gewährleistet, dass der tatsächliche Bedarf gedeckt wird. Solange und soweit dies jedoch nicht der Fall ist, hat der Bundesgesetzgeber, der mit dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ein Leistungssystem schaffen wollte, welches das Existenzminimum vollständig gewährleistet, dafür Sorge zu tragen, dass mit dem Sozialgeld dieser zusätzliche Bedarf eines Schulkindes hinreichend abgedeckt ist."

Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 17/3404 Seite 105 zu § 28 Abs. 4 wird in der Folge zum Urteil des BVerfG ausgeführt, dass auch außerschulische Lernförderung als Sonderbedarf vom Anspruch auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfasst werde. Dieser Bedarf sei allerdings nur in Ausnahmefällen geeignet und erforderlich und damit notwendig. In der Regel sei die außerschulische Lernförderung nur kurzzeitig notwendig, um vorübergehende Lernschwächen zu beheben. Die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Lernförderung beziehe sich auf das wesentliche Lernziel, das sich wiederum im Einzelfall je nach Schulform und Klassenstufe aus den schulrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Landes ergebe. Das wesentliche Lernziel in der jeweiligen Klassenstufe sei regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe bzw. ein ausreichendes Leistungsniveau.

Die Antragsteller sind Schüler. Die beabsichtigte Lernförderung stellt eine schulische Angebote ergänzende Lernförderung dar. Dies hat die Schule bestätigt. Bei beiden Antragstellern ist das Erreichen der wesentlichen Lernziele gefährdet. Lernziel ist nicht nur die Versetzung, sondern z. B. auch das Erreichen eines ausreichenden Leistungsniveaus. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 NSchG ist im Bildungsauftrag der Schule auch die Befähigung der Schüler enthalten, sich umfassend zu informieren und die Information kritisch zu nutzen. Für den Bereich der Hauptschule regelt § 9 Abs. 1 NSchG, dass die Hauptschule ihren Schülerinnen und Schülern eine grundlegende Allgemeinbildung, die sich an lebensnahen Sachverhalten ausrichtet, vermittelt. Die Hauptschule stärkt u. a. elementare Kulturtechniken und selbstständiges Lernen. Zu den elementaren Kulturtechniken gehören auch Fertigkeiten wie Lesen und Schreiben. Für den Antragsteller zu 1., der bereits beim Institut P. Q. zu Lasten des Jugendhilfeträgers eine Legasthenietherapie durchgeführt hat, wurde im Abschlussbericht dieses Instituts ausgeführt, dass Aufbau und Stabilisierung des Sekundärbereichs der problematischen Sprachlautanalyse weitergeführt aber nicht abgeschlossen werden konnten. Es zeigen sich verbliebene Defizite, insbesondere die Umsetzung der elementaren Großschreibung überfordert den Schriftbau des Antragstellers zu 1. zeitweise noch deutlich. Seine Leseleistungen sind inzwischen gut entwickelt. Ausweislich des nach Abschlusses der Therapie am 6. September 2011 durch die R. GmbH durchgeführten Rechtschreibtests zur Erfassung der orthografischen Kompetenz ist bei dem Antragsteller zu 1. im Bereich der richtig geschriebenen Wörter und der Graphem ein unterdurchschnittliches Leistungsvermögen bescheinigt worden und ausgeführt worden, dass die orthografischen Kompetenzen nicht den alters- und schulspezifischen Anforderungen entsprechen. Für die Antragstellerin zu 2. ist ein ebensolcher Test durchgeführt worden und auch ein unterdurchschnittliches Leistungsvermögen im Hinblick auf die richtig geschriebenen Wörter und die Graphemtreffer bestätigt worden. Auch hier entsprechen die orthografischen Kompetenzen nicht den alters- und schulformspezifischen Anforderungen. Dementsprechend hat die Schule den Antragstellern zu 1. und 2. jeweils eine Gruppenförderung für vier Stunden pro Woche im Fach Deutsch empfohlen und eine positive Versetzungsprognose für diesen Fall bestätigt.

Die hier vorgenommene Auslegung deckt sich mit der Gesetzesbegründung, wonach ein ausreichendes Leistungsniveau ein wesentliches Lernziel ist. Dem steht vorliegend nicht entgegen, dass die Antragsteller jeweils über die Note 3 im Fach Deutsch verfügen, da ausweislich der Bescheinigung der von beiden Antragstellern besuchten Hauptschule N. die Rechtschreibnote nur zu 10 % in die Gesamtdeutschzensur einfließt. Gerade die Fähigkeit Schreiben wirkt sich auf die Leistung in allen Schulfächern und vor allem auch in wesentlichen Lebensbereichen aus. Dies gilt besonders auch für die Erlangung eines Ausbildungsplatzes, die weitere Entwicklung im Beruf und damit die Fähigkeit, später seinen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können. Dementsprechend hatte z. B. auch bereits das SG Bremen beim dortigen an einer Lese- und Rechtschreibschwäche leidenden Antragsteller, welcher im Zeugnis in Deutsch die Note ausreichend erhalten hatte, auch die Erforderlichkeit von Lernförderung anerkannt (SG Bremen Beschluss vom 14. April 2011- S 23 AS 357/11 ER).

Ein Vorrang der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe ist nach Aktenstand nicht gegeben. Im Hinblick auf den Antragsteller zu 1. ergibt sich aus dem Zwischen- und Abschlussbericht des Instituts P., Q., vom 20. Dezember 2010 und 28. November 2011 sowie aus der Stellungnahme des Landkreises S. Bereich Jugend und Familie, dass eine drohende seelische Behinderung nicht mehr vorliegt und damit eine Förderung nach § 35a SGB VIII nicht mehr möglich ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin zu 2. die Voraussetzungen des § 35a SGB VIII erfüllt, liegen nicht vor. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht.

Im Hinblick auf die Angemessenheit und Geeignetheit der beantragten Lernförderung geht der Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von einer zutreffenden Einschätzung durch die Lehrer der Antragsteller aus, die eine Gruppenförderung für vier Stunden pro Woche empfehlen. Anhaltspunkte, dass die von den Antragstellern begehrte Lernförderung beim Lehrinstitut J. in M. nicht angemessen und geeignet ist, liegen nicht vor und werden auch vom Antragsgegner nicht vorgetragen, der im Rahmen des Tenorberichtigungsantrages in der ersten Instanz keine Einwände gegen einen Anbieterwechsel geäußert hat. Aus der Homepage des Lehrinstitutes J. T. ergibt sich, dass sich das Institut in M. in einem U. Verbund befindet, der inzwischen in rund 200 Standorten in Deutschland, Österreich und Luxemburg viele 1000 lese- und rechtschreibschwache Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene pro Jahr fördert.

Auf der Grundlage der Empfehlung der Schule und der vorgelegten Abschlussberichte und des Rechtschreibtests hinsichtlich des Antragstellers zu 1. und des Rechtschreibtestes hinsichtlich der Antragstellerin zu 2. geht der Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes davon aus, dass es sich auch bei der vom Lehrinstitut J. angebotenen Förderung um eine erforderliche Lernförderung handelt. Vor allem die geringeren Kosten im Vergleich zum Institut in Q. (davon geht jedenfalls der Antragsgegner aus) lassen eine dortige Förderung als geeignet und angemessen erscheinen, um die Rechtschreibschwäche der Antragsteller jedenfalls bis zur Erreichung eines ausreichenden Leistungsniveaus im Hinblick auf die Rechtschreibung zu fördern. Dementsprechend wird auch der vom SG vorgesehene Zeitraum der Förderung bis Ende des Schuljahres am 31. Juli 2012 vom Senat bestätigt.

Dem Senat ist es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes darüber hinaus nicht möglich zu ermitteln, welcher Umfang und welche Dauer der Lernförderung erforderlich sind, um das Lernziel der ausreichenden Fähigkeiten im Bereich der Rechtschreibung zu erreichen. Bei der erforderlichen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist im Bereich der Leistungen nach dem SGB II die Erfolgsaussicht der Hauptsache zwar grundsätzlich nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (BVerfG, Breithaupt 2005, 803 bis 808). Allerdings ist in den Fällen, in denen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich ist, anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Hierbei sind die grundrechtlichen Belange der Antragsteller einzubeziehen. Da außerschulische Lernförderung als Sonderbedarf vom Anspruch auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfasst wird, geht hier die Folgenabwägung hinsichtlich des Umfangs der Leistungen zugunsten der Antragsteller aus. Der Senat folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung, in der die Leistungen bis zum Schuljahresende begrenzt werden.

Ein Anordnungsgrund liegt vor. Es ist den Antragstellern nicht zuzumuten ein Hauptsacheverfahren abzuwarten. Die Lernförderung kann ihr Ziel nur dann erreichen, wenn sie zeitnah einsetzt.

Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

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