VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.06.1997 - 7 S 662/97
Fundstelle
openJur 2013, 10506
  • Rkr:

1. Die Zulassung der Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur in Betracht, wenn die Klärung der aufgeworfenen Frage in dem angestrebten Eilverfahren erfolgen kann (im Anschluß an VGH Bad-Württ, Beschl v 21.02.1997 - 8 S 483/97 -; Beschl v 13.03.1997 - 14 S 545/97 -). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist darzulegen.

2. Der Zulassung der Beschwerde wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten kommt in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wegen deren Eilbedürftigkeit nur ausnahmsweise Bedeutung zu. Den Darlegungserfordernissen ist hierbei nur genügt, wenn in fallbezogener Auseinandersetzung mit dem Beschluß des Verwaltungsgerichts dargetan wird, inwieweit sich die benannten Schwierigkeiten in Vergleich mit Verfahren durchschnittlicher Schwierigkeit als "besondere" darstellen.

3. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung liegen nur vor, wenn erhebliche (überwiegende) Gründe dafür sprechen, daß die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis fehlerhaft ist.

4. Zur Frage, ob BSE eine Seuche im Sinne des Tierseuchengesetzes ist.

5. Das Tierseuchengesetz dient nur dem Schutz von Tierbeständen. Der Schutz der Verbraucher wird durch das Fleischhygienegesetz sowie das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz gewährleistet.

6. Zu den Voraussetzungen von Maßnahmen nach § 22 TierSG (ViehSeuchG).

Tatbestand

Der Antragsteller begehrt die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen eine tierseuchenrechtliche Anordnung.

Der Antragsteller ist Halter von fünf Rindern der Rasse Schweizer Original- Braunvieh, die er aus der Schweiz importiert hat. Mit öffentlich bekanntgemachter Allgemeinverfügung vom 10.4.1996 ordnete das Regierungspräsidium gem. § 79 Abs. 4 TierSG zum Schutz vor der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE) für die im Regierungsbezirk T. gehaltenen Rinder an:

1. Besitzer von aus der Schweiz stammenden Rindern haben den Besitz der Tiere unter Angabe von Anzahl, Ohrenmarkierung, Rasse, Alter, Geschlecht der Tiere und - sofern bekannt - dem Schweizerischen Herkunftsbestand sowie dem Zeitpunkt der Einfuhr aus der Schweiz der zuständigen unteren Verwaltungsbehörde (Veterinäramt) unverzüglich anzuzeigen (§ 78 TierSG).

2. Bestände, in denen Rinder, die aus der Schweiz stammen, gehalten werden, werden unter amtliche Beobachtung gestellt (§ 19 Abs. 1 TierSG).

3. Das Verbringen von Rindern, die aus der Schweiz stammen, aus diesen Beständen, insbesondere auch zum Zwecke der Schlachtung, wird untersagt (§ 22 TierSG).

4. Für die Ziffern 1 und 3 der Allgemeinverfügung wird die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Ziff. 4 VwGO angeordnet. Ziffer 2 ist nach § 80 des Tierseuchengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 20.12.1995 (BGBl. I S. 2038) sofort vollziehbar.

5. Die tierseuchenrechtliche Anordnung gilt 2 Tage nach deren Bekanntmachung als bekanntgegeben.

Zur Begründung ist angegeben: Aufgrund des vermehrten Auftretens von BSE in der Schweiz (1996 bereits 20 Neuausbrüche) seien zum Schutz der Verbraucher Maßnahmen erforderlich, die das mit Verordnung vom 28.3.1996 (BAnz. Nr. 63, S. 3817) verfügte Importverbot ergänzten. Der heimtückische Krankheitsverlauf und die Tatsache, daß der BSE-Erreger und seine Wirkungsweise nicht ausreichend bekannt seien, führe zu einer Unsicherheit, die eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit durch den Verzehr von Fleisch und Fleischprodukten BSE-verdächtiger Tiere nicht gänzlich ausschließe. Es sei zu vermuten, daß aus der Schweiz stammende Rinder den Ansteckungsstoff in sich tragen, weshalb diese als ansteckungsverdächtig zu gelten hätten. Deshalb müßten diese Tiere den getroffenen Maßregelungen unterworfen werden, um eine mögliche Gefährdung des Verbrauchers auszuschließen. Maßnahmen zur Gefahrenabwehr - insbesondere zum Schutz des Menschen - seien sofort zu treffen. Da mit den Maßnahmen nicht bis zur Unanfechtbarkeit abgewartet werden könne, sei die sofortige Vollziehung angeordnet worden.

Seinen Widerspruch vom 20.5.1996 begründete der Antragsteller damit, daß seine Tiere nach Erlaß des Verfütterungsverbots von Tiermehl an Wiederkäuer geboren worden seien. Die Tiere stammten aus BSE-freien Herkunftsbetrieben, auch seien bei dieser Rasse noch nie BSE-Fälle aufgetreten. Seine Tiere seien gesund. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.1996, der auf die Notwendigkeit und den Vorrang des Verbraucherschutzes abstellt, zurückgewiesen. Der Antragsteller hat am 15.11.1996 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Zugleich beantragte er die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.

Mit Beschluß vom 17.2.1997 hat das Verwaltungsgericht diesen Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die erforderliche Abwägung falle zu Lasten des Antragstellers aus, weil die tierseuchenrechtliche Anordnung bei summarischer Prüfung rechtmäßig sein dürfte. Das Regierungspräsidium habe als zuständige Stelle (§ 1 Abs. 2 AGTierSG) Maßnahmen nach § 79 Abs. 4 TierSG treffen können. Die Allgemeinverfügung diene der Bekämpfung von Tierseuchen und bezwecke damit mittelbar auch den Schutz der Gesundheit des Menschen. Die getroffenen Maßnahmen dürften auch verhältnismäßig sein. Zwar sei bei der Rasse Schweizer Original-Braunvieh noch kein einziger Fall von BSE nachgewiesen worden, was darauf zurückzuführen sei, daß diese wegen des Verzichts der Einkreuzung rassefremder Tiere eine Populationsinsel darstelle. Dies schließe eine vertikale BSE-Übertragung nahezu völlig aus. Auch zeige die Statistik, daß seit dem Verbot der Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer im Dezember 1990 eine drastische Abnahme des Auftretens von BSE-Fällen in der Schweiz - bei anderen Rassen - festzustellen sei. Auch habe der Antragsteller glaubhaft gemacht, daß an seine Tiere aller Voraussicht nach in den Zuchtbetrieben kein Tiermehl verfüttert worden sei. Dennoch verbleibe eine unkalkulierbare Restgefahr. Weder habe der Erreger lokalisiert werden können, noch gebe es gesicherte Hinweise hinsichtlich der Übertragungswege. Der im wesentlichen unklaren Situation stehe die Tatsache gegenüber, daß es überhaupt keine therapeutischen Möglichkeiten gebe, BSE beim Tier oder auch - für den Fall einer Übertragung - beim Menschen zu heilen. Von daher habe Handlungsbedarf hinsichtlich der aus der Schweiz stammenden Tiere bestanden. Denn dort habe es immerhin mehr als 200 BSE-Fälle gegeben, weshalb die Erfassung von Importrindern durch die angeordnete Anzeigepflicht und deren Beobachtung ebenso angezeigt gewesen sei, wie das zur weiteren Kontrolle ausgesprochene Verbringungsverbot. Wegen der nicht auszuschließenden Restgefahr habe auch kein Anlaß bestanden, eine bestimmte Rinderrasse auszunehmen. Die getroffenen Maßnahmen seien geeignet, die Seuchengefahr zu bannen und auch angemessen, da nur durch eine umfassende Kontrolle eine weitere Verbreitung des BSE-Erregers mit großer Sicherheit verhindert werden könne. Die Maßnahmen träfen den Antragsteller auch wirtschaftlich nicht unverhältnismäßig. Die Tiere stünden ihm zur Milchgewinnung und Kälbererzeugung zur Verfügung. Eine langfristige Aufrechterhaltung des Verbringungsverbots könne allerdings einer Enteignung gleichkommen, weshalb der Antragsgegner gehalten sei, dieses Verbot einer fortlaufenden Überprüfung zu unterziehen, zumal eine Inkubation der Tiere mit fortschreitender Zeit immer unwahrscheinlicher werde.

Der Antragsteller hat am 4.3.1997 beantragt, die Beschwerde gegen den am 20.2.1997 zugestellten Beschluß vom 17.2.1997 zuzulassen. Er macht geltend, daß ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Beschlusses bestehen. Die Abwägung hätte zu seinen Gunsten ausfallen müssen, weil die getroffene Anordnung schon nicht auf § 79 Abs. 4 TierSG gestützt werden könne. Denn diese Norm eröffne Handlungsspielraum zum Schutz gegen besondere Gefahren, die für Tierbestände von Tierseuchen ausgingen. Maßnahmen des Verbraucherschutzes seien hiervon nicht erfaßt, sondern könnten allenfalls im allgemeinen Polizeirecht eine Grundlage finden. Selbst wenn man von der Anwendbarkeit des § 79 Abs. 4 TierSG ausginge, könnten Maßnahmen nur für seuchenerkrankte oder -verdächtige Tiere in Betracht zu ziehen sein. Bei seinen Tieren gäbe es aber keine positiven Tatsachen, aus denen die konkrete Möglichkeit der Aufnahme des Ansteckungsstoffes gefolgert werden könnte. Die Maßnahme treffe ihn schließlich auch unverhältnismäßig, weil zwei der betroffenen Tiere geschlachtet werden müßten. Das Schlachtverbot treffe ihn wirtschaftlich sehr hart, weil er direkt vermarkte und die in Betracht kommende Entschädigung nur einen kleinen Teil des üblichen Verkaufserlöses darstellen würde. Das Schlachtverbot sei auch deshalb unverhältnismäßig, weil am geschlachteten Tier festgestellt werden könne, ob dieses den Erreger tatsächlich in sich trage. Eine solche Untersuchung könne vor der Verwertung des geschlachteten Tieres durchgeführt werden. Die Anordnung sei schließlich auch überhaupt nicht in der Lage, die behauptete Gefahr zu bannen. Denn Importe aus Frankreich oder anderen Ländern, in denen ebenfalls BSE-Fälle aufgetreten seien, seien uneingeschränkt erlaubt.

Die Berufung sei auch zuzulassen, weil die Sache besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten aufweise. Es bestehe eine erhebliche Unsicherheit bei der Einordnung des zu beurteilenden Sachverhalts. Rechtlich schwierig sei die Frage, ob die Anordnung auf das TierSG gestützt werden könne. Aus diesen Gründen habe die Sache auch grundsätzliche Bedeutung, weil weitere behördliche Maßnahmen zu erwarten seien.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde hat hinsichtlich der Ziffer 3 der Anordnung vom 10.4.1996 Erfolg. Im übrigen liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Beschwerde nach den durch das 6. VwGOÄndG vom 1.11.1996 (BGBl. I S. 1626) eingeführten Rechtsmittelbeschränkungen nicht vor.

Gemäß § 146 Abs. 4 VwGO ist die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur mehr statthaft, wenn sie der VGH in entsprechender Anwendung der Berufungszulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 VwGO) zuläßt. Das Vorliegen solcher Gründe muß der Rechtsmittelführer in dem beim Verwaltungsgericht zu stellenden Zulassungsantrag geltend machen und darlegen (§ 146 Abs. 5 VwGO). Der Antragsteller macht mit dem fristgerecht eingereichten Zulassungsantrag die Zulassungsgründe der "grundsätzlichen Bedeutung" (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der "besonderen Schwierigkeit" (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) geltend sowie das Vorliegen "ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit" des angegriffenen Beschlusses (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Der Antrag entspricht nicht den gesetzlichen Darlegungserfordernissen, soweit er geltend macht, daß die Sache grundsätzliche Bedeutung habe bzw. besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten aufweise. Zwar sind die geltend gemachten Zulassungsgründe ausreichend bezeichnet; hierzu bedarf es keiner ausdrücklichen Zitierung der Norm, aufgrund derer die Zulassung erstrebt wird. Der Antrag genügt aber nicht den Darlegungserfordernissen im übrigen.

Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes dienen grundsätzlich nicht der Klärung grundsätzlich bedeutsamer Fragen. Die Beschwerde ist in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes deshalb in aller Regel nur dann zuzulassen, wenn sie eine Frage prinzipieller Tragweite aufwirft, die einer Klärung gerade in dem angestrebten Eilverfahren zugänglich ist (VGH Bad.-Württ., B.v. 21.2.1997 - 8 S 483/97; Beschl. v. 13.3.1997 - 14 S 545/97). Dies muß der Antragsteller unter Auseinandersetzung mit dem angegriffenen Beschluß im einzelnen darlegen. Der vorliegende Antrag benennt jedoch lediglich als grundsätzlich bedeutsam die Frage, ob die Verfügung auf Ermächtigungsgrundlagen im Tierseuchengesetz gestützt werden kann, bzw. ob sich die Behörde im Rahmen der in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlagen gehalten hat. Dies genügt den Darlegungserfordernissen nicht.

Dies trifft auch zu, soweit der Antragsteller hinsichtlich der gleichen beiden Gesichtspunkte geltend macht, sie begründeten besondere Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Den Zulassungsgrund des § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO hat der Gesetzgeber zusätzlich zu dem vom Regierungsentwurf vorgesehenen Katalog aufgenommen, um dem Rechtsmittelgericht in besonders schwierigen Fällen die Möglichkeit der Zulassung zu eröffnen, ohne sich dabei festzulegen (vgl. hierzu: BT-Drs. 13/3993, 13/4069 sowie den Abschlußbericht und Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drs. 13/5098). In Eilverfahren, die der alsbaldigen Entscheidung bedürfen, kann diesem Gesichtspunkt allenfalls ausnahmsweise Bedeutung zukommen. Der Antragsteller hat darüber hinaus nur eine besondere Schwierigkeit behauptet, diese aber nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Form dargelegt. Hierzu würde gehören, daß in fallbezogener Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts die besonderen Schwierigkeiten ausdrücklich bezeichnet werden und ausgeführt wird, inwieweit sich diese von Verwaltungsrechtsstreitigkeiten durchschnittlicher Schwierigkeit abheben (vgl. OVG Münster, B.v. 27.3.1997 - 12 M 1731/97). Dies ist indessen nicht ansatzweise erfolgt.

Demgegenüber hat der Antragsteller den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung ausreichend dargelegt. Hinsichtlich der angegriffenen Ziffern 1 und 2 der Anordnung des Antragsgegners vom 10.4.1996 hat der erkennende Senat die vom Gesetz geforderten "ernstlichen Zweifel", die zur Zulassung führen würden, jedoch nicht.

"Ernstliche Zweifel" i.S.v. § 146 Abs. 4 i.V.m. §124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nur dann vor, wenn erhebliche (überwiegende) Gründe dafür sprechen, daß die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Ergebnis einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten wird (vgl. VGH Bad.-Württ., B.v. 17.3.1997 - 14 S 594/97; B.v. 17.2.1997 - 11 S 379/97; Hess. VGH, B.v. 17.2.1997 - 14 TZ 385/97; a.M.: VGH Bad.-Württ., B.v. 12.2. 1997 - 8 S 375/97; B.v. 25.2.1997 - 4 S 496/97 -, die ausreichen lassen, daß der Erfolg des Rechtsmittels ebenso wahrscheinlich ist, wie ein Unterliegen). Mit dem Zulassungsgrund der "ernstlichen Zweifel" war bezweckt, die Einzelfallgerechtigkeit zu verwirklichen und "grob ungerechte" Entscheidungen zu korrigieren (vgl. insoweit die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 13/3993, S. 13 - Einzelbegründung zu § 124). Mit dem Merkmal "ernstliche Zweifel" sollte an die Rechtsprechung zu § 80 VwGO angeknüpft werden. Nach herrschender Auffassung liegen solche Zweifel im Sinne von § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO nur vor, wenn der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als das Unterliegen (Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Anm. 195 m.w.N). In diesem Sinne wird dieses Merkmal auch vom BVerfG in seiner Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 4 S. 1 GG ausgelegt (Urt. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93, EuGRZ 1996, S. 271 (279) = BVerfGE 94, 166 (194)). Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts stellt sich jedoch nicht als "grob ungerecht" dar, sondern ist jedenfalls vertretbar.

Der Senat ist nicht davon überzeugt, daß eine Beschwerde hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 der Anordnung vom 10.4.1996 voraussichtlich Erfolg haben wird. Er ist zwar der Auffassung, daß die gegen die Anwendbarkeit des Tierseuchengesetzes vorgebrachten Argumente des Antragstellers Gewicht haben. Auch weist der Antragsteller zu Recht auf den Beschluß des OVG Lüneburg vom 2.5.1997 - 3 M 2197/97 - hin, der gewichtige Anhaltspunkte für eine Nichtanwendbarkeit des Tierseuchengesetzes aufzeigt; dem folgt der Senat im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes aber nicht. Ob das Tierseuchengesetz Grundlage für Anordnungen der vorliegenden Art sein kann, bedarf der Überprüfung im Hauptsacheverfahren. Denn wenn bei den dort anzustellenden Ermittlungen bzw. Beweisaufnahmen zur Überzeugung des Gerichts feststehen würde, daß eine - wie auch immer verursachte - Übertragung der Krankheit von einem Tier auf ein anderes Tier mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen ist, mit anderen Worten die Verbreitung der Krankheit nur durch Verfütterung kontaminierten Tiermehls zu erklären ist, könnte von vornherein nicht von einer Tierseuche gesprochen werden, was die Anwendung des Tierseuchengesetzes ausschließen würde. Denn das Gesetz geht von einer solchen Übertragung aus (§ 1 Abs. 1 S. 1 TierSG). Wenn auch die horizontale Übertragung von Tier zu Tier als weitgehend ausgeschlossen gilt, so kann die Möglichkeit der maternalen Übertragung wohl nicht mit einer zur Nichtanwendung des Tierseuchengesetzes erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden (vgl. insoweit die Expertenanhörung: "BSE - Aktueller Sachstand und Handlungsbedarf" des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit vom 24.1.1997). Auch wenn für die Rasse Schweizer Original-Braunvieh wegen des Verzichts auf die Einkreuzung rassefremder Tiere dieses Risiko vernachlässigenswert wäre, würde dies nicht die grundsätzliche Anwendbarkeit des Tierseuchengesetzes für Maßnahmen der vorliegenden Art ausschließen.

Im Hauptsacheverfahren wird weiterhin zu prüfen sein,ob das Tierseuchengesetz vielleicht auch deshalb nicht zur Anwendung gelangen kann, weil - selbst wenn man von einer geringen maternalen Übertragungsmöglichkeit der Krankheit ausgehen würde - jedenfalls nicht von einer "Seuche" im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 TierSG gesprochen werden kann. Auch hierfür hat das OVG Lüneburg (a.a.O.) beachtliche Gründe vorgebracht. Denn Anordnungen nach dem Tierseuchengesetz dürfen nicht bei jedweder Erkrankung von Tieren ergriffen werden, sondern nur bei Seuchen. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 S. 1 TierSG, aber auch aus dessen S. 2. Denn die Neufassung des § 79a durch das Gesetz zur Änderung veterinärrechtlicher, lebensmittelrechtlicher und tierzuchtrechtlicher Vorschriften vom 18.12.1992 (BGBl. I S. 2022) erfolgte zur Erweiterung des zuvor auf die Bekämpfung von Tierseuchen beschränkten Tierseuchengesetzes (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 12/3201, S. 32). Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vermag der Senat die hiermit aufgeworfenen Fragen nicht abschließend zu beantworten. Bei der in diesem Verfahren vorzunehmenden Abwägung der gegenseitigen Interessen ist deshalb vorerst von der Anwendbarkeit des Tierseuchengesetzes auszugehen. Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend zugrunde gelegt.

Geht man von der Anwendbarkeit des Tierseuchengesetzes aus, bestehen gegen die Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Abwägung hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 keine ernstlichen Zweifel. Hinsichtlich der Ziffer 1 ergibt sich dies schon daraus, daß die vom Antragsteller verlangten Angaben Gegenstand der gewechselten Schriftsätze im Verwaltungsverfahren bzw. gerichtlichen Verfahren waren. Ein rechtlich geschütztes Interesse, von dieser Verpflichtung "vorläufig" befreit zu werden, steht ihm dann nicht zu. Unabhängig davon begegnet Ziffer 1 der Anordnung auch keinen inhaltlichen Bedenken. Die Anordnung findet ihre rechtliche Grundlage in § 78 TierSG; die einstweilige Erfüllung einer solchen Anzeigepflicht bedeutet für die betroffenen Tierhalter in aller Regel auch keine besondere und unzumutbare Belastung. Beim Auftreten von Krankheiten wie BSE ist es das Recht und auch die Pflicht der zuständigen Behörden, sich über die mögliche Gefahrensituation ein genaues Bild zu machen. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang auch darauf hin, daß die Erfassung der aus der Schweiz importierten Rinder ihre Rechtfertigung in der Zahl der dort festgestellten BSE-Fälle findet. Diese Zahl ist zwar nicht mit der im Vereinigten Königreich aufgetretenen Häufigkeit vergleichbar, weicht von anderen europäischen Ländern - jedenfalls was die gemeldeten Zahlen angeht - aber deutlich ab. Insoweit ist es nicht sachfremd, wenn die zuständigen Stellen Tieren aus diesem Herkunftsbereich ihr besonderes Augenmerk widmen. Gerade die Unsicherheit hinsichtlich des BSE-Erregers und der Übertragungswege machen eine genaue Beobachtung der Situation und die Erfassung der relevanten Daten besonders wichtig. Deshalb hat der Senat auch keine "ernstlichen Zweifel" an der Richtigkeit des angegriffenen Beschlusses, soweit dort die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der amtlichen Beobachtung versagt worden ist. Alle in Deutschland erfaßten BSE-Fälle betrafen Importtiere; dies trifft nach den verlautbarten Erkenntnissen der Behörden auch für den Fall "Cindy" (Höxter, 21.1.1997) zu. Dann ist es aber sachgerecht und naheliegend, den Import bzw. das innergemeinschaftliche Verbringen aus Gebieten, in denen die Krankheit in größerer Häufigkeit aufgetreten ist und hinsichtlich derer später Einfuhr-/Verbringungsverbote erlassen wurden, zum Anlaß weitergehender Beobachtungen zu machen. Nur durch diese Beobachtungen können bestehende Verdachtsmomente erhärtet oder entkräftet werden bzw. kann festgestellten Gefahren begegnet werden.

Im übrigen aber ist die Beschwerde zuzulassen, weil "ernstliche Zweifel" an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung bestehen, soweit dort auch ein Verbringungs- und Schlachtverbot ausgesprochen worden ist. Insoweit teilt der Senat die vom Antragsteller dargelegten Zweifel.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung bestehen, weil Ziffer 3 der Anordnung vom 10.4.1996 im Hauptsacheverfahren voraussichtlich keinen Bestand haben wird.

Das neben dem Schlachtverbot verbleibende Verbringungsverbot wird voraussichtlich schon deshalb keinen Bestand haben, weil die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des vom Antragsgegner herangezogenen § 22 TierSG nicht gegeben sind. Voraussetzung von Maßnahmen nach § 22 TierSG ist, daß die Tiere seuchenkrank oder -verdächtig sind. Die betroffenen Tiere sind nicht seuchenkrank, nach Lage der Umstände sind sie auch nicht seuchenverdächtig. Seuchenverdächtig sind nach § 1 Abs. 2 Nr. 6 TierSG nur die Tiere, an denen sich Erscheinungen zeigen, die den Ausbruch einer Seuche befürchten lassen. Hierfür ist nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich. Die Umstände sprechen auch gegen einen Ansteckungsverdacht, der nur vorliegen würde, wenn anzunehmen wäre, daß die betroffenen Tiere den Ansteckungsstoff aufgenommen haben (§ 1 Abs. 2 Nr. 7 TierSG). Nach den bei den Akten befindlichen Bescheinigungen kann der Senat bei summarischer Prüfung nur davon ausgehen, daß es keine konkreten Anhaltspunkte für einen solchen Ansteckungsverdacht gibt.

Hinsichtlich des Schlachtverbots bestehen auch erhebliche - im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu beachtende - Zweifel an der Anwendbarkeit des Tierseuchengesetzes und damit an der Tragfähigkeit der vom Antragsgegner in Bezug genommenen Rechtsgrundlage. Maßnahmen nach § 79 Abs. 4 TierSG setzen u.a. voraus, daß sie gegen allgemeine oder besondere Gefahren zum Schutz von Tierbeständen getroffen werden. Gesichtspunkte des Verbraucherschutzes, auf die die Anordnung vom 10.4.1996 und der Widerspruchsbescheid vom 15.11.1996 entscheidend abheben, sind hiervon grundsätzlich nicht umfaßt. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes findet sich lediglich in § 79a TierSG, der eine Verordnungsermächtigung - im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Gesundheit - zum Schutz gegen andere Gefahren als Tierseuchen für die Gesundheit von Mensch und Tier darstellt. Nach der Schlachtung und Vermarktung von Fleisch und Fleischprodukten besteht von den geschlachteten Tieren aber keine Gefahr mehr für Tierbestände. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, daß das Tierseuchengesetz insgesamt auch dem Verbraucherschutz diene, findet im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze. Eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung ist auch nicht erforderlich, weil der Verbraucherschutz durch andere Regelungen - insbesondere das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz i.d.F. vom 8.7.1993 (BGBl. I S. 1169) sowie das Fleischhygienegesetz i.d.F. vom 8.7.1993 (BGBl. I S. 1189) - sichergestellt ist.

Stellt § 79 Abs. 4 TierSG keine tragfähige Rechtsgrundlage für das Schlachtverbot dar, käme die Zulassung der Beschwerde gleichwohl nicht in Betracht, wenn sich die angegriffene Entscheidung aus anderen, schon im Zulassungsverfahren zu berücksichtigenden, Gründen im Ergebnis als richtig erweist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.4.1997 - 8 S 667/97). Dies wäre möglicherweise der Fall, wenn die vom Antragsteller geplante Schlachtung nach anderen Regelungen unzulässig wäre. Hier ist an § 8 LMBG zu denken, der die Herstellung und das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, die geeignet sind, die Gesundheit zu schädigen, verbietet. Verstöße gegen diese Verbote sind nach Maßgabe von § 51 Abs. 1 Nr. 1 LMBG strafbar. Ebenso sind die Bestimmungen des Fleischhygienegesetzes zu beachten. Müßte der Senat davon ausgehen, daß der Antragsteller solche Lebensmittel in den Verkehr bringen will, von denen Gesundheitsgefahren ausgehen, würde die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ausscheiden. Bei Zugrundelegung aller Umstände des Einzelfalles vermag der Senat aber keine dahingehende Gefahr einer Gesundheitsschädigung - im Hinblick auf eine bisher unerkannte BSE-Infektion der Schlachttiere- zu erkennen.

Der Antragsgegner und ihm folgend das Verwaltungsgericht stellen entscheidend darauf ab, daß der BSE-Erreger und die Übertragungswege immer noch nicht geklärt seien; bei dieser unklaren Gefahrenlage müßten die zuständigen Stellen jedwedem Risiko vorbeugen. Unsicherheiten bei der Gefahreneinschätzung rechtfertigen aber nicht beliebige Maßnahmen. Dies gilt namentlich im Bereich grundrechtlich geschützter Freiheiten, in denen der Bürger einen Anspruch darauf hat, nur solchen Beschränkungen ausgesetzt zu sein, die der Sache nach geboten sind und ihn nicht unverhältnismäßig belasten. Schließlich müssen sich die getroffenen Maßnahmen auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung noch als plausibel darstellen. Das Schlachtverbot greift in die Grundrechte des Antragstellers aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ein. Denn er hat als Eigentümer der betroffenen Rinder grundsätzlich das Recht einer wirtschaftlich sinnvollen Verwertung; auch ist die Gestaltung betrieblicher Abläufe und die weitere Planung von Beschaffungs- und Absatzvorgängen unabdingbarer Bestandteil seiner durch Art. 12 GG geschützten Berufsfreiheit. Grundrechte dienen dabei nicht nur dem Schutz der materiellen Freiheit bzw. des vorhandenen Bestandes, sondern entfalten ihre Wirkung zugleich hinsichtlich der von der öffentlichen Hand gewählten verfahrensmäßigen Vorgehensweise. Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze trifft Ziffer 3 der Anordnung vom 10.4.1997 den Antragsteller unverhältnismäßig hart. Dies folgt schon daraus, daß die beiden zur Schlachtung bestimmten Tiere nicht seuchenkrank oder seuchenverdächtig sind und auch konkrete Hinweise für einen Ansteckungsverdacht fehlen (s.o.). Im Beschwerdeverfahren, ggf. im Hauptsacheverfahren ist zu prüfen, wie ein behauptetes Restrisiko zu bewerten ist; vor allem auch vor dem Hintergrund eines regen innergemeinschaftlichen Fleischhandels, der auch die Vermarktung von Fleisch und Fleischprodukten aus anderen EG-Ländern zuläßt, ohne daß es eine dieses Restrisiko erfassende Kontrolle gibt. Im vorliegenden Fall bedarf es einer solchen Bewertung möglicherweise schon deshalb nicht, weil eine - der Vermarktung entgegenstehende - etwaige Restgefahr für die Gesundheit der Verbraucher durch die vom Antragsteller ausdrücklich angebotene Pflicht zur Untersuchung vor der Vermarktung Rechnung getragen wird. Nach der Schlachtung ist eine solche Untersuchung möglich, wie der Senat dem Erlaß des Ministeriums Ländlicher Raum Baden-Württemberg vom 30.1.1997 entnimmt, in dessen Ziffer 8 eine solche Untersuchung vorgesehen ist. Die Möglichkeit einer solchen Untersuchung entnimmt der Senat zudem einer Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 6.5.1997 (S. 6), nach der nach der BSE- Verordnung mehr als 3500 Rinder getötet wurden, wobei sich in keinem Fall ein Verdacht auf Rinderwahnsinn ergeben habe, was dahingehende Untersuchungen und Feststellungen voraussetzt.

Das Zulassungsverfahren wird als Beschwerdeverfahren fortgesetzt, ohne daß es der Einlegung einer Beschwerde bedarf (§ 146 Abs. 6 S. 2 i.V.m. § 124a Abs. 2 S. 4 VwGO (entspr.)).

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.