LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10.11.2010 - L 3 KA 75/07
Fundstelle
openJur 2012, 51193
  • Rkr:

1. Die Nachholung einer rechtmäßigen Entscheidung über eine Praxisnachfolge gemäß § 103 Abs 4 und 6 SGB V ist nicht mehr möglich, wenn seit dem Verzicht des ursprünglichen Praxisinhabers sechs Jahre vergangen sind und sich die Struktur der Praxis seitdem grundlegend geändert hat.2. Um derartige Veränderungen und dadurch verursachte Einschränkungen des effektiven Rechtsschutzes zu verhindern, ist einem Zulassungskonkurrenten die Möglichkeit der Beantragung vorläufigen Rechtsschutzes eröffnet.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juli 2007 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 1-8 und 12, die diese selbst tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert im Berufungsverfahren wird auf 244.259,94 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in einer formal genehmigten Gemeinschaftspraxis. Der Kläger wendet sich gegen die Zulassung des Beigeladenen zu 10) und begehrt an dessen Stelle im Wege der Praxisnachfolge des Beigeladenen zu 9) als Facharzt für diagnostische Radiologie in Soltau zugelassen zu werden.

Der Kläger ist Facharzt für radiologische Diagnostik und Strahlentherapie und übt seine vertragsärztliche Tätigkeit in Gemeinschaftspraxis mit dem Radiologen Dr. I. in J. und zusätzlich in einem ausgelagerten Praxisteil in K. aus. Der streitbefangene Vertragsarztsitz liegt im Planungsbereich L., der für das Fachgebiet Radiologie mit 190,8 % gesperrt ist (Beschluss des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 7. Januar 2004).

Dort führte der Beigeladene zu 9) eine radiologische Praxis in M., N.. Von Oktober 1996 bis März 2001 war der Beigeladene zu 11) - ebenfalls Facharzt für Radiologie - bei dem Beigeladenen zu 9) beschäftigt - ganz überwiegend in einem ausgelagerten Praxisteil für CT-Untersuchungen am O. in M., P. -, wobei die Praxis nach außen in Gestalt einer (genehmigten) Gemeinschaftspraxis geführt wurde(vgl hierzu die Entscheidung des Bundessozialgerichts <BSG> vom 23. Juni 2010 - B 6 KA 7/09 R). In Wirklichkeit wurde die Praxis von einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gelenkt, die aus dem Kläger, dem Beigeladenen zu 9) und Dr. I. bestand. Diese GbR wurde wegen erheblicher Unstimmigkeiten zwischen den beteiligten Ärzten zum 31. Dezember 2001 beendet; ein zivilprozessuales Verfahren schloss sich an.

Zum 1. April 2001 hatte der Beigeladene zu 11) die CT-Untersuchungsstelle am P. erworben, die bis dahin im Eigentum des Klägers, des Beigeladenen zu 9) und Dr. Q. gestanden hatte; er führte diese als Einzelpraxis fort. Der Beigeladene zu 9) führte seine Einzelpraxis in den Räumen R. fort. Bereits im Jahr 2002 ließ er seinen Vertragsarztsitz zur Nachfolge ausschreiben. Schon damals bewarb sich der Kläger mit Nachdruck um die Praxisnachfolge, wurde aber vom Beigeladenen zu 9) abgelehnt. Im Rahmen des im Ausschreibungsverfahren geführten Briefwechsels wurden erhebliche Spannungen zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 9) deutlich. Bereits damals war der Beigeladene zu 9) an einer Praxisnachfolge durch den Beigeladenen zu 10) interessiert (Schreiben vom 19. November 2002).

Mit Beschluss vom 3. September 2003 genehmigte der Zulassungsausschuss J. die Ausübung der gemeinschaftlichen vertragsärztlichen Tätigkeit der Beigeladenen zu 9) und 11) mit Praxissitz in der S.. Im Vorfeld war der maßgebliche Gemeinschaftspraxisvertrag sowohl vom Justiziar der Ärztekammer als auch von der Rechtsabteilung der Beigeladenen zu 1) eingehend geprüft worden. Der Beschlussfassung lag der Gesellschaftsvertrag (Sozietätsvertrag) vom 27. August 2003 zugrunde. Nach dessen § 5 Abs 1 blieb das jeweilige Vermögen der von den Gesellschaftern bis 30. Juni 2003 betriebenen Einzelpraxen Sondervermögen des jeweiligen Gesellschafters und wurde der Gesellschaft zur unentgeltlichen Nutzung überlassen. Sämtliche Gegenstände waren für jeden Gesellschafter getrennt in einer Liste zu führen, die dem Vertrag als Anl 1 beigefügt war. Die Liste war laufend zu aktualisieren. Nach § 9 blieben die Verteilung von Vorab- und Restgewinn einem Gesellschafterbeschluss vorbehalten. Nach § 9 Abs 3 hatten die Gesellschafter bei der Beschlussfassung das jeweilige in die Gesellschaft eingebrachte Sonderbetriebsvermögen zu berücksichtigen, ebenfalls die von den Gesellschaftern erbrachten Leistungen. Zu diesem Zweck wurden die von jedem Gesellschafter erbrachten und abgerechneten Leistungen gesondert erfasst und waren dann Maßstab für die Verteilung des Gewinns bzw der Verluste.

Im Briefkopf trat die genehmigte radiologische Gemeinschaftspraxis mit 2 Praxisräumen auf, nämlich der "T. " in der S. für Röntgendiagnostik, Sonographie und Nuklearmedizin sowie der CT- und MRT-Untersuchungsstelle im P. (vgl Brief vom 26. April 2004 an den Kläger). Ob und inwieweit es tatsächlich zu einer gemeinsamen Praxistätigkeit der Beigeladenen zu 9) und 11) kam, ist strittig.

Nachdem der Beigeladene zu 9) unter der Bedingung einer rechtskräftigen Nachbesetzung auf seine Zulassung verzichtet und die Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes beantragt hatte, schrieb die Beigeladene zu 1) den Vertragsarztsitz im Niedersächsischen Ärzteblatt (NdsÄBl) 2/2004 aus. Die Ausschreibung erfolgte für einen Vertragsarzt in Gemeinschaftspraxis. Mit Antrag vom 10. Februar 2004 bewarb sich der Beigeladene zu 10) um den ausgeschriebenen Vertragsarztsitz. Am 24. Februar 2004 ging der konkurrierende Antrag des Klägers ein. Unter dem 1. April 2004 teilte dieser den Beigeladenen zu 9) und 11) mit, dass er unter der Voraussetzung einer adäquaten Gegenleistung grundsätzlich bereit sei, seine Bewerbung um den frei werdenden Kassenarztsitz zurückzuziehen. Dazu führte er im Schreiben an den Zulassungsausschuss vom 30. April 2004 aus, dass er bereit sei, seine Bewerbung zurückzuziehen, wenn die von ihm seit Jahren angestrebte ärztliche Kooperation auf der Ebene gemeinsamer Großgerätenutzung bezüglich der derzeit in K. stationierten Kernspintomographen zustande komme.

Der Beigeladene zu 11) teilte dem Zulassungsausschuss mit Schreiben vom 23. April 2004 mit, er habe großes Interesse, mit dem Beigeladenen zu 10) eine Gemeinschaftspraxis zu gründen bzw diese wie mit dem Beigeladenen zu 9) fortzuführen. Er legte einen Übernahmevertrag mit dem Beigeladenen zu 9) und einen Gemeinschaftspraxisvertrag mit dem Beigeladenen zu 10) vor.

Mit Beschluss vom 12. Mai 2004 lehnte der Zulassungsausschuss den Zulassungsantrag des Klägers ab und gab dem Zulassungsantrag des Beigeladenen zu 10) mit Wirkung zum 1. Juli 2004 statt. Bei der Bewerberauswahl seien die Interessen des in der Gemeinschaftspraxis verbleibenden Beigeladenen zu 11) zu berücksichtigen, der nachdrücklich erklärt habe, dass eine Gemeinschaftspraxis mit dem Beigeladenen zu 10) zustande kommen würde, eine Gemeinschaftspraxis mit dem Kläger dagegen undenkbar sei. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, der Zulassungsausschuss habe seine fachlichen und persönlichen Qualifikationsmerkmale nicht ordnungsgemäß berücksichtigt. Zu Unrecht sei ausschließlich auf die Interessen des verbleibenden Praxispartners abgestellt worden, obwohl tatsächlich keine Gemeinschaftspraxis geführt worden sei.

Mit Beschluss vom 18. August 2004, zur Post gegeben am 28. September 2004, wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und ließ den Beigeladenen zu 10) unter Abänderung des Beschlusses des Zulassungsauschusses im Wege der Praxisnachfolge zum 1. September 2004 als Facharzt für diagnostische Radiologie für den Vertragsarztsitz S. zur vertragsärztlichen Versorgung zu. Die sofortige Vollziehung dieser Zulassung wurde angeordnet. Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestehe kein Anlass, an der gemeinschaftlichen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit durch die Beigeladenen zu 9) und 11) zu zweifeln. Daher seien die Interessen des in der Praxis verbleibenden Beigeladenen zu 11) bei der Bewerberauswahl von ausschlaggebendem Gewicht. Angesichts der Vorgeschichte erscheine es jedenfalls nicht willkürlich, wenn der Beigeladene zu 11) eine Zusammenarbeit mit dem Kläger für nicht zumutbar halte.

Die Beigeladenen zu 10) und 11) nahmen in der Folgezeit ihre vertragsärztliche Tätigkeit im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis auf, die bis heute andauert. Zum 1. Juni 2007 haben sie die Anschrift ihrer Praxis in: P., M., verändert.

Mit seiner am 27. Oktober 2004 vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhobenen Klage hat der Kläger daran festgehalten, dass der Beigeladene zu 9) die 2003 formal gegründete Gemeinschaftspraxis tatsächlich nie betrieben habe. Bereits Anfang 2002 habe dieser seinen Vertragsarztsitz zur Nachbesetzung ausschreiben lassen mit dem Ziel einer langfristigen lukrativen Vermietung der im Eigentum seiner Ehefrau stehenden Praxisräume. Nachdem bis auf den Kläger alle Bewerber abgesprungen seien, habe er die Ausschreibung zurückgezogen, um eine Praxisnachfolge durch den Kläger zu verhindern. Die Gründung einer Gemeinschaftspraxis im Jahr 2003 sei allein zu dem Zweck erfolgt, Einfluss auf die Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes zu nehmen. So sei der Antrag auf Ausschreibung bereits drei Monate nach formaler Genehmigung der Gemeinschaftspraxis gestellt worden. Auch die Ausgestaltung des Gemeinschaftspraxisvertrages entspreche nicht einer gemeinschaftlichen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit. Zudem sei der Beigeladene zu 10) nie in den Praxisräumen S. tätig geworden, sondern sei in seinen Praxisräumen P. verblieben. Ein Mitbestimmungsrecht des Praxispartners im Nachbesetzungsverfahren bestehe bei einer Nullbeteiligungsgesellschaft, wie sie vorliegend geführt worden sei, nicht.

Mit Urteil vom 25. Juli 2007, dem Kläger zugestellt am 11. August 2007, hat das SG die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass zu Recht auf die Interessen des verbleibenden Praxispartners abgestellt worden sei. Anhaltspunkte für eine Scheingesellschaft bestünden nicht. Eine Gemeinschaftspraxis müsse nicht rechtlich zwingend für eine Mindestdauer gegründet werden. Der Beigeladene zu 9) habe seinen Vertragsarztsitz unter Berücksichtigung der geltenden Normsetzung so veräußert, wie es seinen Interessen am besten entspreche. Das sei rechtlich nicht zu beanstanden.

Der Kläger hat am 5. September 2007 beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen Berufung eingelegt und hält an seiner Auffassung fest, dass Zulassungen nicht zu einem Handelsgut verkommen dürften.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juli 2007 und den Beschluss des Beklagten vom 18. August 2004 aufzuheben und

den Beklagten zu verurteilen, ihn als Praxisnachfolger des Beigeladenen zu 9) als Facharzt für radiologische Diagnostik mit dem Vertragsarztsitz S. in M. zuzulassen und den Antrag des Beigeladenen zu 10) abzulehnen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Beschluss.

Die Beigeladenen zu 9) bis 11) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen und dem Kläger die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 9) bis 11) aufzuerlegen.

Das SG Hannover habe zutreffend festgestellt, dass zwischen den Beigeladenen zu 9) und 11) rechtlich und tatsächlich eine Gemeinschaftspraxis bestanden habe.

Die Beigeladenen zu 1) bis 8) und 12) haben keine Anträge gestellt.

Die Beigeladene zu 1) hält an ihrer Auffassung fest, dass die zugunsten des Beigeladenen zu 10) getroffene Auswahlentscheidung nicht zu beanstanden sei. Gegen die ausdrückliche Erklärung des verbleibenden Praxispartners, er wolle oder könne mit bestimmten Bewerbern nicht zusammenarbeiten, könne eine Zulassung im Sinne der Nachbesetzung nicht erfolgen. Der Kläger habe in Schreiben gegenüber dem Zulassungsausschuss zum Ausdruck gebracht, dass er trotz gegenteiliger Bekundungen tatsächlich nicht an der Übernahme des ausgeschriebenen Vertragsarztsitzes des Beigeladenen zu 9) interessiert gewesen sei. Auch aus diesem Grund habe ihm keine Zulassung erteilt werden können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG Hannover hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die gegen den Beschluss vom 18. August 2004 gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist gemäß § 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere besteht die Klagebefugnis nach § 54 Abs 1 S 2 SGG. Denn hierfür ist nur erforderlich, dass nach dem Vorbringen des Klägers die Verletzung eigener materieller Rechtspositionen zumindest möglich erscheint(BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 15), was hier der Fall ist.

Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Dem Kläger steht zwar ein Recht zu, die Zulassung des Beigeladenen zu 10) gerichtlich prüfen zu lassen, denn er möchte gleichzeitig an dessen Stelle zugelassen werden. Für diese Konstellation eines Wettbewerbs zweier Bewerber um eine nur einmal zu vergebende Berechtigung (sog "offensive Konkurrentenklage") ist die Anfechtungsberechtigung des abgelehnten Bewerbers anerkannt(BSG SozR 4-2500 § 103 Nr 2). Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch, im Rahmen der Nachbesetzung anstelle des Beigeladenen zu 10) für den Vertragsarztsitz S. zugelassen zu werden.

Rechtsgrundlage für die Nachbesetzung des umstrittenen Vertragsarztsitzes sind die Regelungen in 103 Abs 4 und Abs 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Diese Bestimmungen hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit den Regelungen über Bedarfsplanung und Zulassungsbeschränkungen getroffen. Sind für eine Arztgruppe - wie vorliegend für die Radiologen in L. - in einem Planungsbereich Zulassungsbeschränkungen wegen Überversorgung angeordnet worden (§ 103 Abs 1 und 2 SGB V), so kann dort ein Arzt ua dann zugelassen werden, wenn auf Antrag eines ausscheidenden Vertragsarztes oder seiner zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben dessen Vertragsarztsitz ausgeschrieben und ein Praxisnachfolger ausgewählt wird (§ 103 Abs 4 SGB V). Ist der Vertragsarzt, dessen Zulassung endet, in einer Gemeinschaftspraxis tätig gewesen, so sind die Interessen des oder der verbleibenden Praxispartner angemessen zu berücksichtigen (§ 103 Abs 6 S 2 SGB V).

Der Beigeladene zu 9) hat wirksam auf seine Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit verzichtet. Soweit er den Verzicht unter der Bedingung der bestandskräftigen Zulassung eines Praxisnachfolgers für den Vertragsarztsitz erklärt hat (vgl Schreiben an den Zulassungsausschuss vom 9. Juni 2004), ist dies unschädlich. Zwar ist der Verzicht als rechtsgestaltende Willenserklärung bedingungsfeindlich(hierzu: Pawlita in jurisPK-SGB V, § 103 Rn 48 mwN).Allerdings wird dem ausscheidenden Arzt zugebilligt, das Wirksamwerden der Verzichtserklärung davon abhängig zu machen, dass ein Nachfolger auf bestandskräftiger Grundlage tätig werden kann(Pawlita aaO, Rn 49).Dieser Auffassung schließt sich der Senat an; denn andernfalls würden rechtliche und tatsächliche Unwägbarkeiten, die vielfach mit einem Nachbesetzungsverfahren verbunden sind, das Risiko für den abgebenden Arzt, zwar auf die Zulassung verzichtet zu haben, aber letztlich keinen Nachfolger zu finden, unüberschaubar machen(vgl LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Mai 2010 - L 11 KA 9/10 B ER-).

Die Beigeladene zu 1) hat den Vertragsarztsitz des Beigeladenen zu 9) sodann auf dessen Antrag vom 15. Januar 2004 - als Vertragsarztsitz innerhalb einer Gemeinschaftspraxis - ausgeschrieben (§ 103 Abs 4 S 1 SGB V). Für die Entscheidung des Beklagten, nicht den Kläger, sondern den Beigeladenen zu 10) zuzulassen, war die Erklärung des Beigeladenen zu 11) ausschlaggebend, mit dem Beigeladenen zu 10) eine zwar von ihm und dem Beigeladenen zu 9) begründete Gemeinschaftspraxis fortführen zu wollen (Schreiben an den Zulassungsausschuss vom 23. April 2004). Damit hat er sich auf die Vorschrift des § 103 Abs 6 S 2 SGB V gestützt, wonach die Interessen des in der (Gemeinschafts-)Praxis verbleibenden Partners angemessen zu berücksichtigen sind.

Allerdings führt die formale Genehmigung einer Gemeinschaftspraxis nicht zwingend dazu, im Rahmen einer im Nachbesetzungsverfahren zu treffenden Auswahlentscheidung die Interessen eines (uU: angeblich) verbleibenden Praxispartners als schutzwürdig anzusehen. Denn das BSG hat bereits wiederholt entschieden, dass eine Gemeinschaftspraxis nur besteht, wenn die konstitutiv und statusbegründend wirkende Genehmigung nach § 33 Abs 2 S 2 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) vorliegt und sich zusätzlich die Vertragsärzte, denen die Führung einer Gemeinschaftspraxis genehmigt worden ist, tatsächlich zur gemeinsamen und gemeinschaftlichen Ausübung der ärztlichen Tätigkeit verpflichtet haben und diese auch gemeinsam ausüben(BSGSozR 4-5520 § 33 Nr 2 unter Hinweis auf SozR 3-2500 § 103 Nr 3; im Besonderen für die Frage der Praxisnachfolge gemäß § 103 Abs 4 und 6 SGB V: SozR 3-2500 § 103 Nr 5). Hierauf beruft sich - im Ansatz zutreffend - der Kläger.

Im vorliegenden Fall kann - im Sinne einer Wahlfeststellung - jedoch offen bleiben, ob die Beigeladenen zu 9) und 11) in der Zeit unmittelbar vor dem Verzicht des Beigeladenen zu 9) tatsächlich eine Gemeinschaftspraxis geführt haben. War dies der Fall, wäre die Auswahlentscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden (hierzu 1.); handelte es sich dagegen um eine bloß dem Schein nach geführte Gemeinschaftspraxis, steht dem Kläger gleichwohl kein Anspruch auf Zulassung zu; denn eine Nachbesetzung des streitbefangenen Vertragsarztsitzes ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr möglich (2.).

1. Für den Fall, dass die Beigeladenen zu 9) und 11) die im Jahr 2003 formal genehmigte Gemeinschaftspraxis faktisch auch als solche betrieben haben, ist die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen zu 10) rechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte konnte sich insoweit auf § 103 Abs 6 S 2 SGB V berufen, ohne dass dem Anhaltspunkte entgegenstehen, die auf einen Ermessensfehlgebrauch hindeuten. Insbesondere war die Gründung der Gemeinschaftspraxis auch nicht rechtsmissbräuchlich. Es steht zwei Vertragsärzten jedenfalls dann frei, eine Gemeinschaftspraxis mit dem Ziel zu gründen, die Interessen des verbleibenden Arztes in ein beabsichtigtes Nachbesetzungsverfahren einzubringen, wenn im Anschluss eine tatsächliche Fortführung der Gemeinschaftspraxis mit dem hinzugetretenen Arzt beabsichtigt ist. Hieran besteht vorliegend kein Zweifel, weil die Beigeladenen zu 10) und zu 11) inzwischen seit mehr als sechs Jahren eine Gemeinschaftspraxis führen. Zu Recht hat im Übrigen das SG in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass das Gesetz für das Bestehen einer Gemeinschaftspraxis nicht an eine Mindestdauer anknüpft.

2.a) Trifft dagegen die Annahme des Klägers zu, die Beigeladenen zu 9) und 11) hätten tatsächlich nie eine Gemeinschaftspraxis betrieben, wäre nicht nur die Entscheidung des Beklagten zugunsten des Beigeladenen zu 10) rechtswidrig. Vielmehr würde es schon an einer ordnungsgemäßen Ausschreibung fehlen, weil die von der Beigeladenen zu 1) veranlasste Ausschreibung im NdsÄBl für einen "Facharzt für Radiologie - in Gemeinschaftspraxis" erfolgt ist. Für eine derartige Ausschreibung gab es keine Grundlage, wenn tatsächlich nur eine Einzelpraxis existierte(vgl LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Mai 2010, aaO). Denn es ist möglich, dass sich auf die Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes in einer Gemeinschaftspraxis aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsweisen und Anforderungen andere Ärzte bewerben als auf die Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes in Einzelpraxis.

Die Folge der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses könnte deshalb nicht ein Anspruch des Klägers auf Zulassung sein, sondern von vornherein nur die Verpflichtung zur Neuausschreibung der Einzelpraxis und zur anschließenden erneuten Entscheidung unter den daraufhin eingegangenen Bewerbungen. Auch dies ist allerdings im vorliegenden Fall nicht mehr möglich, weil es infolge des Zeitablaufs und eingetretener Veränderungen inzwischen an einer noch fortführungsfähigen Praxis fehlt. Denn für das hier vorliegende kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehren des Klägers sind nach der Rechtsprechung des BSG(SozR 4-2500 § 103 Nr 2)grundsätzlich alle Änderungen der Sachlage bis zur mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz sowie alle Änderungen der Rechtslage bis zum Abschluss der Revisionsinstanz zu berücksichtigen.Nur wenn sich in Fällen der Drittanfechtung für den begünstigten Dritten - also den Beigeladenen zu 10) - die Sach- oder Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung vorteilhafter darstellen würde, ist nach der Rechtsprechung des BSG(aaO)dieser Zeitpunkt maßgeblich. Das ist vorliegend aber gerade nicht der Fall.

39Seitdem der Beigeladene zu 9) seinen Vertragsarztsitz in M., U., aufgegeben hat (dh spätestens seit September 2004), sind mehr als sechs Jahre vergangen. Das BSG hat in einer Entscheidung vom 28. November 2007(SozR 4-2500 § 103 Nr 3)ausgeführt, nach mehr als sieben Jahren gebe es für die Fortführung einer Praxis iSd § 103 Abs 4 S 1 SGB V keine Grundlage mehr, ohne hiermit eine generelle Fristsetzung zu verbinden. Der erkennende Senat ist der Auffassung, dass auch mehr als sechs Jahre nach Verzicht auf den Vertragsarztsitz keine ausreichende Verbindung der jetzigen Praxis zum früheren Praxisinhaber mehr besteht, die es rechtfertigen könnte, noch von der Fortschreibung "seiner" Praxis zu sprechen.

Dies gilt umso mehr, als es in der Zwischenzeit zu einer durchgreifenden Umwandlung der Praxisstrukturen gekommen ist. Ausschreibung und Nachbesetzungsverfahren können gemäß § 103 Abs 4 SGB V aber grundsätzlich nur dann in Betracht kommen, wenn (noch) ein Praxissubstrat vorhanden ist, in das eine Nachfolge möglich ist (BSG SozR 3-2500 § 103 Nr 5). So müssen übernehmbare Praxisräume und ein übernehmbarer Patientenstamm, wie er für den sog Goodwill einer Arztpraxis typisch ist, noch vorhanden sein. Sind diese Charakteristika einer ärztlichen Praxis nicht mehr gegeben, so besteht grundsätzlich keine Möglichkeit mehr für ein Nachbesetzungsverfahren (und damit auch nicht für dessen erste Stufe, die Ausschreibung). Diese Anforderungen gelten gleichermaßen für eine Einzel- wie für eine Gemeinschaftspraxis (BSG aaO).

Die Substanz einer bisher vom Beigeladenen zu 9) geführten Praxis existiert jedoch nicht mehr. Eine funktionsfähige "T. " ist in der S. nicht mehr vorhanden. Dort bestehen weder übernehmbare Praxisräume noch ein Patientenstamm. Die Beigeladenen zu 9) bis 11) haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vielmehr angegeben, dass die Praxisräume in der S. derzeit nicht betrieben werden.Dies deckt sich mit dem Internetauftritt der "Radiologischen Praxis M. ", Kapitel "Wir über uns"(www. V.), wonach die Praxisschwerpunkte (nunmehr) im Bereich der modernen Schnittbildverfahren CT und MRT sowie der interventionellen Schmerztherapie liegen und als Praxisanschrift ausschließlich der P. angegeben wird. Eine "T. " in der W. wird auf der Homepage nicht erwähnt. Ergänzend haben die Beigeladenen zu 9) bis 11) in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass inzwischen auch die konventionellen Röntgenleistungen, die früher in der Praxis S. angeboten wurden, in den Praxisräumen im X. durchgeführt werden.

Aus alledem ergibt sich, dass an die Stelle einer - unterstellten - Einzelpraxis des Beigeladenen zu 9) in der S. nunmehr eine Gemeinschaftspraxis der Beigeladenen zu 10) und 11) im P. getreten ist, deren Räumlichkeiten und Leistungsangebot sich grundlegend von dem der früheren "T. " unterscheiden. Deren Fortführung ist deshalb nicht mehr möglich.

b) Eine (isolierte) Aufhebung des (im Falle der zweiten Alternative) rechtswidrigen Beschlusses vom 18. August 2004 - mit der Folge, dass lediglich der Beigeladene zu 10) seine Zulassung verlieren würde - ist nicht möglich. Denn charakteristisch für die hier vorliegende "offensive Konkurrentenklage" ist die Kombination von Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehren, wobei das Klageziel von entscheidender Bedeutung ist, selbst Inhaber der umstrittenen Rechtsposition zu werden. Ein bloßes Anfechtungsbegehren wäre demgegenüber als "defensive Konkurrentenklage" zu werten. Insoweit fehlt jedoch einem Arzt, der - wie der Kläger - bereits über eine vertragsärztliche Zulassung verfügt, die Berechtigung, die Zulassung eines weiteren Vertragsarztes anzufechten, weil es an dem nach der Rechtsprechung des BSG(SozR 4-1500 § 54 Nr 10)erforderlichen Nachrangverhältnis fehlt(Klöck, NZS 2010, 358, 362).

44c) Diesem Ergebnis kann auch nicht entgegengehalten werden, dass damit der Kläger in Hinblick auf das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Grundgesetz <GG>) schutzlos gelassen wird. Er hatte vielmehr die Möglichkeit, im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die im Nachbesetzungsverfahren getroffene Auswahlentscheidung vorzugehen. In Fällen der vorliegenden Art, in denen der Berufungsausschuss die sofortige Vollziehung der Zulassung des einen Bewerbers angeordnet hat (§ 97 Abs 4 SGB V), kann der nicht berücksichtigte Konkurrent zur Wahrung seiner Interessen beim SG die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gemäß § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG beantragen. Mit einem solchen Antrag, der die einstweilige Freihaltung der umstrittenen Vertragsarztstelle ermöglicht(vgl zB LSG Schleswig-Holstein NZS 2007, 108 ff), kann - neben dem Zeitablauf - verhindert werden, dass der erfolgreiche Bewerber bereits tätig wird und sich eine von ihm veranlasste Umstrukturierung der bisherigen Praxis verfestigt. Außerdem hätte bereits als Ergebnis des Eilverfahrens zeitnah eine (korrekte) Ausschreibung als Einzelpraxis mit einem sich daran anschließenden (neuen) Auswahlverfahren nachgeholt werden können. Eine Klärung der Nachbesetzungsfrage im Verfahren nach § 86b SGG - ähnlich wie bei Konkurrentenklagen im Beamtenrecht gemäß § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) - liegt im Übrigen auch im Interesse des aus der Gemeinschaftspraxis ausscheidenden Arztes. Dessen Aussichten, seinen Praxisteil verwerten zu können, sinken mit jedem Monat, in dem die zur Nachbesetzung erforderliche Zulassung in der Schwebe bleibt(BSG SozR 4-2500 § 103 Nr 1).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 154 Abs 2, 162 Abs 3, 154 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG).