VG Oldenburg, Urteil vom 14.12.2009 - 13 A 1158/08
Fundstelle
openJur 2012, 49946
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Beklagten, den Klägern Einsicht in eine Jugendamtsakte zu geben.

Die Kläger sind Eltern der … bzw. … geborenen Kinder … und …. Am 27. März 2007 ging beim Sozialen Dienst des Jugendamtes des Beklagten ein Hinweis auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung ein. Über dieses Gespräch wurde ein Vermerk vom gleichen Tage aufgenommen, der auch die Daten des Informanten enthält. Anlässlich dieses Hinweises führte der Sozialdienst des Beklagten am 4. April 2007 bei den Klägern einen unangemeldeten Hausbesuch durch, bei dem keine Beanstandungen festgestellt wurden. Am 18. Dezember 2007 fand ein weiterer, nunmehr angemeldeter Hausbesuch statt, bei dem sich herausstellte, dass die erhobenen Vorwürfe nicht zutrafen und jugendhilferechtliche Maßnahmen nicht zu veranlassen waren.

Die Kläger beantragten mit Schreiben vom 7. Dezember 2007 und 25. Januar 2008 Einsicht in den Verwaltungsvorgang. Mit Bescheid vom 12. März 2008 gewährte der Beklagte den Klägern Akteneinsicht, jedoch ohne Preisgabe der Angaben über den Informanten. Diese Daten seien wegen des berechtigten Interesses des Informanten, anonym zu bleiben, geheim zu halten. Außerdem könnte das Jugendamt seiner Aufgabe, Kinder vor eventuellen Gefährdungen zu schützen, nicht ohne Hinweise aus der Bevölkerung nachkommen. Der Informant habe auch nicht wider besseres Wissen oder in Schädigungsabsicht gehandelt.

Die Kläger haben am 18. April 2008 Klage erhoben. Maßgeblich für das Einschreiten des Jugendamtes seien die unwahren Tatsachenbehauptungen eines Informanten gewesen. Deshalb bestehe ein Anspruch auf Kenntnis dieses der Entscheidung des Jugendamtes zugrunde liegenden Sachverhaltes. Das Jugendamt dürfe Hausbesuche nur vornehmen, sofern konkrete und nachvollziehbare Verdachtsmomente für eine Vernachlässigung bzw. eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls festzustellen seien. Die Vorwürfe des nicht bekannten Informanten seien dagegen von vorneherein haltlos gewesen und somit zwingend wider besseren Wissens und offensichtlich mit dem alleinigen Zweck der Rufschädigung erhoben worden. In einem solchen Fall sei der Informant nicht schützenswert. Dass der Informant bzw. die Informantin um Vertraulichkeit hinsichtlich des von ihm gegebenen Hinweises gebeten habe, werde bestritten.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 12. März 2008 zu verpflichten, ihnen uneingeschränkte Akteneinsicht in den Verwaltungsvorgang des Jugendamtes des Beklagten bezüglich ihrer Kinder unter Preisgabe der Angaben über den Informanten zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf den angefochtenen Bescheid sowie auf die Ausführungen des Nds. Ministeriums für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit im Schreiben vom 23. Juni 2009, mit dem das Ministerium als zuständige Aufsichtsbehörde die von dem Beklagten unter dem 29. Mai 2009 beantragte Erteilung eines Sperrvermerks nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ablehnte, da § 99 VwGO nicht einschlägig sei. Gem. § 83 SGB X bestehe zwar ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht. Die Datenübermittlung sei jedoch gem. § 65 SGB VIII nicht zulässig.

Während des gerichtlichen Verfahrens haben die Kläger mit Schriftsatz vom 21. September 2009 die Durchführung eines „in-camera“-Verfahrens gem. § 99 Abs. 2 VwGO beantragt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Beklagte hat den Antrag der Kläger zu Recht abgelehnt, da sie keinen Anspruch auf die Gewährung uneingeschränkter Akteneinsicht haben.

Rechtsgrundlage für einen Akteneinsichtsanspruch in einem jugendhilferechtlichen Verwaltungsverfahren ist grundsätzlich § 25 Abs. 1 S. 1 SGB X. Danach hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Die Vorschrift umfasst (nur) ein laufendes Verwaltungsverfahren (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 14.08.2002 - 4 LC 88/02 -, NDV-RD 2003, 13; BVerwG, Urt. v. 04.09.2003 - 5 C 48.02 -, NJW 2004, 1543). Ein solches „laufendes“ Verwaltungsverfahren gab es zwar noch zum Zeitpunkt des ersten Akteneinsichtsgesuchs, das bereits vor dem zweiten Hausbesuch gestellt worden ist, nicht mehr jedoch zum Zeitpunkt des erneuten Antrags am 25. Januar 2008 sowie zum maßgeblichen Zeitpunkt - es handelt sich um eine Verpflichtungsklage - der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, da das Überprüfungsverfahren nach dem zweiten Hausbesuch, bei dem keine Kindeswohlgefährdung festgestellt werden konnte, bereits abgeschlossen war.

Nach Abschluss eines Verwaltungsverfahrens besteht nur noch ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde über den Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht (vgl. Hauck/ Noftz, SGB X, § 25 Rn. 9a m.w.N.). Akteneinsicht ist danach zu gewähren, soweit dies zur Verfolgung berechtigter Interessen des (früheren) Beteiligten angezeigt ist. Die Entscheidung des Beklagten, eine uneingeschränkte Einsicht in den Verwaltungsvorgang zu verweigern, ist sachlich nicht zu beanstanden. Der Gewährung von Akteneinsicht steht § 25 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 65 Abs. 1 SGB VIII entgegen. Danach ist eine Behörde zur Gestattung der Akteneinsicht nicht berechtigt, soweit die streitbefangenen Sozialdaten dem Mitarbeiter eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zwecke persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut wurden und kein Ausnahmefall nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 - 5 SGB VIII vorliegt.

15Nach der Legaldefinition des § 67 Abs. 1 SGB VIII sind Sozialdaten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener), die von einer der in § 35 SGB I genannten Stellen im Hinblick auf die Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Einen solchen „persönlichen“ Bezug haben alle Informationen, die über eine individualisierbare natürliche Person etwas aussagen und damit zur Identifikation dienen. Dementsprechend fallen alle Kenntnisse aus der privaten Sphäre, die ein Mitarbeiter des Jugendamtes bei Erfüllung seiner Aufgaben von Außenstehenden erlangt hat, unter die Geheimhaltungspflicht. Dies gilt in erster Linie für den Namen von Beteiligten, also auch Informanten, andererseits auch - wie hier - für deren inhaltliche Angaben (VG Göttingen, Urt. v. 09.02.2006 - 2 A 199/05 -, juris).

16Während nach den allgemeinen Regeln des Sozialdatenschutzes von Behördeninformanten eine Preisgabe der Personalien nur nach einer Güterabwägung erfolgen darf, nämlich dann, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Behördeninformation wider besseres Wissen und in Schädigungsabsicht erfolgte (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.09.2003 - 5 C 48.02 -), sind anvertraute Daten i.S.d. § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, zu denen auch Hinweise von Informanten zählen, im Jugendhilferecht unabhängig davon geheim zu halten, ob ein Geheimhaltungsgrund im berechtigten Interesse des Informanten liegt oder ob ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, der Informant habe wider besseren Wissens in der vorgefassten Absicht, den Ruf eines anderen zu schädigen, gehandelt oder auch leichtfertig falsche Informationen gegeben. Der Gesetzgeber hat den Datenschutz im Jugendhilferecht höher gewichtet als das nachvollziehbare Interesse von Betroffenen, sich über Behördeninformanten zu informieren, um sich wehren können. Die Jugendämter sind nämlich auf die Anzeige von Verdachtsfällen durch Personen, die sich um das Wohlergehen von Kindern oder Jugendlichen sorgen, angewiesen, um zum Schutz der jungen Menschen eingreifen zu können. Die Tatsache, dass gerade nahestehende Personen, wie Verwandte, Nachbarn, Freunde oder auch Familienangehörige über den dafür notwendigen Einblick in familieninterne Konfliktlagen verfügen, macht es nachvollziehbar, dass eine solche Anzeige entweder gänzlich anonym oder aber unter Angabe von Personendaten unter der Zusicherung erfolgt, dass diese vom Jugendamt nicht weitergegeben werden. Könnten die Jugendämter diese Vertraulichkeit nicht garantieren, wären sie eines wichtigen Mittels beraubt, um eventuelle familiäre Probleme rechtzeitig zu entdecken und zu lösen (vgl. auch VG Schl.-H., Urt. v. 11.05.2009 - 15 A 160/08 -, juris).

17Sozialdaten im Jugendhilferecht dürfen daher nur in den gem. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 - 5 SGB VIII genannten Fällen weitergegeben werden, d.h. wenn der Datengeber einwilligt, wenn eine entsprechende gerichtliche Anordnung vorliegt, wenn dies zur Sicherung des Kindeswohls bei einem Sachbearbeiterwechsel im Amt oder gegenüber Fachkräften nach § 8a SGB VIII erforderlich ist, oder dann, wenn die in § 203 StGB genannten Personen dazu befugt wären. Keine dieser Voraussetzungen ist hier gegeben. Insbesondere § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII ist nicht einschlägig. Ob der Informant um Vertraulichkeit hinsichtlich des von ihm gegebenen Hinweises gebeten hat, was von den Klägern bestritten wird, ist nicht maßgeblich, da der besondere Vertrauensschutz des § 65 Abs. 1 SGB VIII ein solches Verlangen nicht voraussetzt, sondern, die Weitergabe der Daten bereits dann ausscheidet, wenn der Informant keine ausdrückliche Einwilligung hierzu abgeben hat. Eine solche Einwilligung liegt nicht vor. Das ergibt sich nicht nur aus dem Vermerk des Beklagten vom 5. Februar 2008 (Bl. 10 des Verwaltungsvorgangs), sondern auch aus der Überlegung, dass der Beklagte dem Akteneinsichtsgesuch aller Voraussicht nach vorbehaltlos entsprochen hätte, wenn der Informant eine solche Einwilligung abgegeben hätte.

Der Beklagte hatte damit aus Rechtsgründen keine andere Möglichkeit, als den Klägern die uneingeschränkte Akteneinsicht zu verweigern.

Ob der durch § 65 Abs. 1 SGB VIII gewährte besondere Vertrauensschutz unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Grundsätze seine Grenzen findet, wenn ein und derselbe Informant immer wieder nachweislich unzutreffende Hinweise auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung an das Jugendamt weitergibt, muss nicht geprüft werden. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Die Rechtsauffassung der Kläger, die Vorschrift des § 65 SGB VIII sei nicht einschlägig, weil sie nur das Verhältnis zwischen der Behörde und den Personen, die Jugendhilfe in Anspruch nehmen, schützen, trifft nicht zu. Würden Informationen über eine mögliche Kindeswohlgefährdung, die das Jugendamt von Dritten und damit außerhalb des Verhältnisses zwischen der Behörde und dem Hilfebedürftigen erhält, bereits nicht unter § 65 Abs. 1 S. 1 SGB VIII fallen, dann hätte es keiner Ausnahmeregelung in Nr. 4 der Vorschrift für die Weitergabe dieser Informationen an Fachkräfte, die zum Zwecke der Abschätzung des Gefährdungsrisikos nach § 8a SGB VIII hinzugezogen werden, bedurft.

21Das Gericht musste die Verwaltungsvorgänge des Jugendamtes, in denen sich der streitbefangene Vermerk befindet und dessen weiterer Inhalt möglicherweise eine Beantwortung der Frage ermöglicht hätte, ob die Einschaltung der Behörde durch den Informanten wider besseres Wissen und in Schädigungsabsicht erfolgt ist, nicht beiziehen, da diese Vorgänge im Hinblick auf den bereits dargestellten besonderen Vertrauensschutztatbestand des § 65 Abs. 1 SGB VIII nicht entscheidungserheblich sind. Abgesehen davon bestehen aber auch keine Anhaltspunkte für eine Schädigungsabsicht. Gegen eine solche spricht gerade, dass der Informant bei dem Beklagten seine Personendaten hinterlassen hat. Hätte er die Kläger tatsächlich, möglicherweise sogar in einer strafrechtlich relevanten Weise, schädigen wollen, wäre dies auch durch einen anonymen Hinweis möglich gewesen.

Bei dieser Lage war ein Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht durchzuführen, weil ein „in-camera“-Verfahren voraussetzt, dass das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen durch Beweisbeschluss feststellt oder ansonsten förmlich feststellt, dass der Inhalt von Akten für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (BVerwG, Beschluss v. 17.03.2008, Az. 20 F 42/07; Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschluss v. 26.10.2009, Az. 14 PS 4/09). Eines Beschlusses über diese Frage in der mündlichen Verhandlung bedurfte es nicht, weil die Kläger im Termin einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben.