BGH, Urteil vom 24.01.1992 - V ZR 274/90
Fundstelle
openJur 2010, 569
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 4 U 233/89
Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. August 1990 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Kläger ist Inhaber eines Gartenbaubetriebes. Er baut seit 1987 großflächig Schnittblumen (Gypsophila, Septemberkraut, Solidaster) im Freiland an, um sie zu veräußern. Auch sein Sohn tut dies auf einer benachbarten Fläche. Der Beklagte hält etwa 2,4 km von den Anbauflächen des Klägers (und dessen Sohnes) entfernt auf seinem Grundstück seit ca. elf Jahren nebenberuflich mehrere Bienenvölker.

Der Kläger verlangt vom Beklagten Schadensersatz, wobei er von seinem Sohn abgetretene Ansprüche mit geltend macht (im folgenden ist nur noch vom Kläger die Rede). Er behauptet, die Bienen des Beklagten hätten 1988 die Schnittstaudenbestände angeflogen, dadurch seien die Blüten befruchtet worden; dies habe ein rasches Verblühen zur Folge gehabt, so dass die Blumen nicht mehr hätten vermarktet werden können. Dadurch sei ihm ein Verdienstausfall in Höhe von 79.849,30 DM entstanden. Zusammen mit den Kosten des eingeschalteten Sachverständigen (915,42 DM) ergebe sich daraus ein Schaden von 80.764,72 DM.

Die auf Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen gerichtete Klage ist in den Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageanspruch weiter; der Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Gründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Im Ergebnis mit Recht verneint das Berufungsgericht eine Tierhalterhaftung des Beklagten (§ 833 BGB). Es meint, mit dem artspezifischen Verhalten der Bienen, das zur Blütenbefruchtung führe, verwirkliche sich im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGHZ 67, 129, 130; BGH, Urt. v. 6. März 1990, VI ZR 246/89, BGHR BGB § 833 Satz 1 - Tiergefahr 1) nicht eine „typische“ oder „besondere“ Tiergefahr. Die Revisionsangriffe hierzu können unentschieden bleiben.

Die Tierhalterhaftung ist ein Unterfall des Schadensersatzes für unerlaubte Handlungen. Die entsprechenden Vorschriften bezwecken den Schutz des Einzelnen gegen widerrechtliche Eingriffe in seinen Rechtskreis. Gemeinsam ist deshalb allen unerlaubten Handlungen die objektive Rechtswidrigkeit. In ihrem Regelungsbereich sind aber die nachbarrechtlichen Sonderbestimmungen der § 906 ff BGB maßgebend dafür, ob die von dem einen auf das andere Grundstück ausgehenden Einwirkungen rechtswidrig sind. Dieser vom Senat für § 823 BGB ausgesprochene Rechtssatz (BGHZ 90, 255, 258 m. w. N.) muss ebenso für die Tierhalterhaftung nach § 833 BGB gelten, weil die Rechtswidrigkeit im Bereich der unerlaubten Handlungen nicht unterschiedlich beantwortet werden kann (a. A. RGZ 141, 406, 407; incidenter wohl auch RGZ 158, 388 ff; Figge, RdL 1954, 172, 174). Kann der Kläger die von ihm behauptete Einwirkung durch Bienen nicht als Eigentumsbeeinträchtigung abwehren (§ 1004 Abs. 2 i. V. mit § 906 BGB), so kann der Beklagte weder nach § 823 BGB (worauf auch die Revision nicht mehr abstellt) noch nach § 833 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein (so richtig Keßler, JW 1933, 2951; Schüssler, Deutsches Bienenrecht 1934, S. 136; Schwendner, Bienenrecht 1989 1. Teil, S. 12).

Zutreffend sieht das Berufungsgericht im Bienenflug und der dadurch verursachten Blütenbefruchtung eine „ähnliche Einwirkung“ im Sinne von § 906 BGB. Dies entspricht der Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 141, 406, 409; 158, 68, 73; zur Fliegenbelästigung vgl. RGZ 160, 381, 382) und des Bundesgerichtshofes (BGHZ 16, 366, 370 ff), die in der Literatur, soweit ersichtlich, nunmehr einhellig gebilligt wird (vgl. BGB-RGRK/Augustin, 12. Aufl. § 906 Rdn. 24; Erman/Hagen, BGB 8. Aufl. § 906 Rdn. 8; Figge, RdL 1953, 172, 173; MünchKomm/Säcker, BGB 2. Aufl. § 906 Rdn. 72; Palandt/Bassenge, BGB, 51. Aufl. § 906 Rdn. 14 m. w. N.; Schüssler, Deutsches Bienenrecht 1934, S. 83 m. w. N.; Schwendner, Bienenrecht 1989 1. Teil A, S. 12; Soergel/Baur, BGB, 12. Aufl., § 906 Rdn. 72; Staudinger/Roth, BGB 12. Aufl. § 906 Rdn. 152; Jauernig, JZ 1986, 605, 608). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Das Gesetz zählt nur die hauptsächlichen Beispiele grenzüberschreitender Einwirkungen auf, um die weitere Entwicklung der Rechtsprechung zu überlassen (Mot. III, 264). Ein einheitliches Merkmal für alle unter § 906 BGB fallenden Immissionen lässt sich nicht feststellen. Der Begriff der „Imponderabilien“, der im Gesetz nicht verwendet wird, kann nicht allein maßgeblich sein, weil viele der vom Gesetz gewählten Beispiele selbst keine unwägbaren Einwirkungen sind. Weiter führt nur der Gesetzeszweck (vgl. auch BGHZ 90, 255, 259 zur Unmaßgeblichkeit der Zuführungsart). Für so beschaffene Immissionen, wie sie beispielhaft aufgezählt sind, soll das grundsätzliche Ausschließungsrecht des Eigentümers (§ 903 BGB) mit den Bedürfnissen des praktischen Lebens in Einklang gebracht werden, um die rechtswidrigen von den nicht rechtswidrigen Einwirkungen abzugrenzen. Die von § 906 BGB erfassten Einwirkungen stimmen darin überein, dass sie in ihrer Ausbreitung weitgehend unkontrollierbar und unbeherrschbar sind, in ihrer Intensität schwanken und damit andere Grundstücke überhaupt nicht, unwesentlich oder wesentlich beeinträchtigen können (vgl. Jauernig, JZ 1986, 608). Das trifft auf den Bienenflug zu und insbesondere auf die vom Kläger behauptete Blütenbefruchtung. Wollte man dies anders sehen, wäre eine sachgemäße Bienenhaltung so gut wie ausgeschlossen (RGZ 141, 406, 409).

Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Bienenhaltung des Beklagten jedenfalls ortsüblich ist und die daraus folgenden Einwirkungen auf das Grundstück des Klägers mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen vom Beklagten nicht verhindert werden können (§ 906 Abs. 2 Satz 1 BGB). Diese tatrichterlichen Feststellungen werden von der Revision nicht angegriffen. Das Berufungsurteil lässt insoweit auch keinen Fehler in seinen rechtlichen Ausgangspunkten erkennen (vgl. BGHZ 59, 378, 381 m. w. N.). Mithin kann der Beklagte die behaupteten Einwirkungen nicht abwehren.

2. Das Berufungsgericht verneint auch einen Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Dies hält im Ergebnis den Revisionsangriffen stand.

Das Berufungsgericht lässt letztlich offen, ob die Benutzung des betroffenen Grundstücks wesentlich beeinträchtigt wird. Diese Frage kann auch hier unentschieden bleiben, weil ein Ausgleichsanspruch des Klägers aus anderen Gründen scheitert.

Ein Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB setzt unter anderem voraus, dass die Einwirkung, die der Eigentümer gemäß § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB dulden muss, eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks beeinträchtigt. Mit dieser Frage hat sich das Berufungsgericht nicht befasst. Das kann der Senat nachholen, weil weitere tatsächliche Feststellungen hierzu nicht erforderlich sind (vgl. BGHZ 65, 107, 112). Der Vortrag des insoweit jedenfalls behauptungs- und beweispflichtigen Klägers (vgl. Baumgärtel, Beweislast Bd. 2 § 906 Rdn. 9; BGB-RGRK/Augustin, 12. Aufl., § 906 Rdn. 89; Palandt/Bassenge, BGB, 51. Aufl., § 906 Rdn. 33; Staudinger/Roth, BGB, 12. Aufl., § 906 Rdn. 233) ist unschlüssig. Mit der Feststellung, die Immission beeinträchtige die Benutzung eines Grundstücks wesentlich (§ 906 Abs. 1 BGB), ist die Frage der Ortsüblichkeit der betroffenen Nutzung nicht mit entschieden. Ortsüblich ist eine Nutzung dann, wenn in der Umgebung eine Mehrzahl von Grundstücken nach Art und Umfang einigermaßen gleich benutzt wird (vgl. BGHZ 111, 63, 72 m. w. N.). Insoweit ist nicht entscheidend, dass im Vergleichsgebiet nach den Feststellungen des Berufungsgerichts allgemein eine landwirtschaftliche und gärtnerische Nutzung stattfindet. Maßgebend ist, dass der Kläger in ungeschützten Freilandkulturen besondere Blütenstauden anbaut, die nach seinem eigenen Vortrag einerseits einen unvergleichlichen Anziehungspunkt für Bienen darstellen, andererseits aber in ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit gegenüber dem Bienenanflug besonders empfindlich sind. Der Kläger hat selbst behauptet, seine Schnittblumenkulturen fänden in der näheren Umgebung keine Entsprechung und die in dieser Gegend tätigen Gärtner hätten über einen vergleichbaren Bienenanflug nicht zu klagen. Er hat damit selbst Art und Maß seiner Nutzung in der Gegend als einzigartig und nicht ortsüblich dargestellt. Dem entspricht das von ihm vorgelegte Gutachten, das den hohen Prozentsatz der Schädigung mit der „ausgezeichneten Lockwirkung und Wertschätzung dieser Schnittstauden bei Bienen“ erklärt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Kläger mit dem Anbau seiner Schnittstauden in einem Gebiet begann, das - wie das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang unangegriffen feststellt - traditionellerweise zur Bienenhaltung geeignet ist, weil es geprägt wird durch eine landwirtschaftliche und gärtnerische Nutzung mit Obstgehölzen und Kleingärten. Der Standpunkt des Klägers läuft darauf hinaus, den so genutzten Grundstücken Bienenanflug weitgehend vorzuenthalten, denn er fordert im Ergebnis eine „bienenfreie“ Zone mit einem Radius von ca. 2,4 km (Entfernung zum Grundstück des Beklagten) um seine Grundstücke herum.

Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, ob - worauf das Berufungsgericht abstellt - in dem Bienenanflug und in der Blütenbestäubung eine Beeinträchtigung liegt, die das zumutbare Maß überschreitet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.