Saarländisches OLG, Beschluss vom 23.02.2010 - 6 UF 140/09
Fundstelle
openJur 2010, 550
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 41 F 329/09 SO
Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – in Saarbrücken vom 15. Oktober 2009 –41 F 329/09 SO – samt des ihm zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung – auch über die notwendigen Aufwendungen der Beteiligten im Beschwerdeverfahren – an das Familiengericht zurückverwiesen.

2. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben.

3. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

4. Der Antragsgegnerin wird mit Wirkung vom 24. Dezember 2009, dem Antragsteller mit Wirkung vom 6. Januar 2010 ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt. Der Antragsgegnerin wird Rechtsanwältin, dem Antragsteller Rechtsanwältin, beigeordnet.

Gründe

I.

Aus der seit dem 17. April 2008 geschiedenen Ehe der Kindeseltern gingen –neben vier weiteren Kindern – die Kinder M.-F., geboren am, und A.-V., geboren am, hervor. Allein M. ist vorliegend noch verfahrensbetroffen.

Mit am 9. September 2009 eingegangenem Antrag hat der Vater beantragt, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für M. und A. zu übertragen.

Die Mutter hat mit an die zuständige Familienhelferin des Familienzentrums Saarbrücken, Frau Mü., gerichtetem Faxschreiben vom 9. September 2009 dem Vater die Erlaubnis gegeben, M. „für das Schuljahr 2009/2010 in der Schule in Sulzbach anzumelden“ und durch weiteres, an Frau Mü. adressiertes Telefax vom 14. Oktober 2009 dem Vater erlaubt, M. „für ein Jahr als zweiten Wohnsitz bei sich anzumelden“.

Mit Beschluss vom 6. Oktober 2009 hat sich das Familiengericht bezüglich A. für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren insoweit an das örtlich zuständige Familiengericht Dessau-Roßlau verwiesen, das das Verfahren übernommen hat.

Im Anhörungstermin vom 15. Oktober 2009 hat das Familiengericht festgestellt, dass die Mutter zum Termin ordnungsgemäß und rechtzeitig geladen worden und nicht erschienen sei. M. und Frau Mü. haben berichtet, die Mutter habe ihnen gesagt, sie sei damit einverstanden, dass M. in Saarbrücken beim Vater bleibe. Frau Mü. hat erklärt, der zuständige Vertreter des Jugendamtes, Herr B., sei mit einer Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater einverstanden. M. hat bekundet, sie sei ebenfalls damit einverstanden, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf ihren Vater übertragen werde.

Durch den angefochtenen Beschluss vom selben Tage, auf den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht für M. übertragen.

Hiergegen wendet sich die Mutter mit ihrer fristgerechten Beschwerde, mit der sie beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung das Aufenthalts-bestimmungsrecht für M. auf sie zu übertragen, hilfsweise, die Entscheidung des Familiengerichts aufzuheben und die Sache an dieses zurückzuverweisen.

Der Vater bittet um Zurückweisung der Beschwerde.

Beide Eltern suchen um Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nach.

Dem Senat haben die Akten des Familiengerichts Saarbrücken 41 F 330/09 EASO und des Vormundschaftsgerichts Saarbrücken 10 XVII G 1334/07 vorgelegen.

II.

Die – nach §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 und Abs. 2 FamFG zulässige – Beschwerde der Mutter ist begründet und führt in der Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des ihm zugrunde liegenden Verfahrens zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Familiengericht. Denn das Verfahren des Familiengerichts leidet an einem wesentlichen Mangel, für eine Entscheidung des Senats wäre eine aufwändige Beweiserhebung notwendig und die Mutter hat die Zurückverweisung beantragt (§ 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG).

Das Familiengericht hätte nicht ohne persönliche Anhörung der Mutter entscheiden dürfen, und zwar ungeachtet der Frage, ob es im Termin vom 15. Oktober 2009 zu Recht angenommen hat, dass die Mutter zum Anhörungstermin ordnungsgemäß und rechtzeitig geladen worden sei.

Nach § 160 Abs. 1 Satz 1 FamFG sollen die Eltern im Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, vom Gericht persönlich angehört werden. Diese Pflicht dient zum einen der Gehörsgewährung (Art. 103 Abs. 1 GG), zum anderen verdichtet sie die in § 26 FamFG normierte Verpflichtung des Gerichts zu amtswegiger Aufklärung des Sachverhalts (vgl. BGH FamRZ 1985, 169). Von der Anhörung darf daher gemäß § 160 Abs. 3 FamFG nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden. Das Unterlassen einer hiernach erforderlichen persönlichen Anhörung stellt einen schweren Verfahrensmangel dar (vgl. so auch Beschluss des 9. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 27. Juli 2009 – 9 UF 58/09 - m.w.N. zu dem bis 31. August 2009 geltenden Recht).

Einen solch schwerwiegenden Grund hat das Familiengericht in seinem Beschluss nicht dargelegt; er ist auch nicht aktenersichtlich.

Das Familiengericht hat im angefochtenen Beschluss die Rechtsgrundlage für die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für M. auf den Vater nicht ausdrücklich angegeben. Es hat sich aber ersichtlich auf § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB gestützt und ist zu diesem Zweck von einer Zustimmung der Mutter zu dem Antrag des Vaters ausgegangen.

Dies begegnet durchgreifenden Bedenken, wobei offen bleiben kann, ob die beiden Faxschreiben der Mutter an Frau Mü. vom 9. September und 4. Oktober 2009 in formeller Hinsicht den Anforderungen genügen, die § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB an die Zustimmung zum Sorgerechtsantrag des anderen Elternteils stellt, nachdem diese Telefaxe nicht dem Gericht, sondern einer dritten Person übersandt worden sind (hierzu MüKo-BGB/Finger, 4. Aufl., § 1671, Rz. 63 m.w.N.; Staudinger/ Coester, Neubearbeitung 2009, § 1671, Rz. 75 m.w.N.).

Denn jedenfalls lässt der Inhalt der beiden Fernkopien nicht den Schluss auf eine Zustimmung im Sinne dieser Vorschrift zu. Aus ihnen geht zwar hervor, dass die Mutter damit einverstanden ist, dass der Vater M. für das Schuljahr 2009/2010 in der Schule in Sulzbach und bei sich mit zweitem Wohnsitz anmeldet. Gerade die im Faxschreiben vom 14. Oktober 2009 enthaltene Einschränkung der Anmeldung mit zweitem Wohnsitz lässt jedoch nur den Schluss zu, dass die Mutter sich den Erstwohnsitz des Kindes bei sich selbst vorbehalten wollte. Dann aber hat sie dem Antrag des Vaters auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gerade nicht zugestimmt, sondern vielmehr ihr Aufenthaltsmitbestimmungsrecht ausgeübt. Nichts anderes gilt, soweit sich das Familiengericht ergänzend darauf gestützt hat, die Mutter habe der Familienhelferin gegenüber ihr Einverständnis mit einem Verbleib M. in Saarbrücken erklärt; auch dies ist – einmal dahingestellt, ob eine in dieser Weise in das Verfahren eingeführte Erklärung als Zustimmung der Kindesmutter hätte gedeutet und verwertet werden dürfen – nicht mit einem Einverständnis mit der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gleichbedeutend.

Dessen unbeschadet hätte sich das Gericht im Rahmen einer persönlichen Anhörung der Mutter von der Wirksamkeit (Anwaltkommentar-BGB/Rakete-Dombeck, 1. Aufl., § 1671, Rz. 6), Reichweite, Ernsthaftigkeit und Freiwilligkeit der von ihm angenommenen Zustimmung überzeugen müssen (MüKo-BGB/Finger, a.a.O.). Hiervon hätte das Familiengericht auch dann nicht absehen dürfen, wenn es zutreffend davon ausgegangen wäre, dass die Mutter ordnungsgemäß zum Anhörungstermin geladen war (vgl. Keidel/Engelhardt, FamFG, 16. Aufl., § 160, Rz. 9 m.w.N.). Es hätte diese zumindest – ordnungsgemäße Belehrung nach § 33 Abs. 4 FamFG vorausgesetzt – nach § 33 Abs. 3 FamFG unter Androhung der Vorführung zu einem neuen Termin laden müssen (vgl. OLG Frankfurt, OLGR 2007, 168 m. Anm. Völker in jurisPR-FamR 25/2006, Anm. 4 m.w.N.; Friederici/ Kemper/Völker/Clausius, HK-FamFG, 1. Aufl., § 160, Rz. 7). § 34 Abs. 3 S. 1 FamFG, der es gestattet, von der Anhörung eines unentschuldigt im Anhörungstermin nicht erschienenen Beteiligten abzusehen, erfasst – abgesehen davon, dass aus den Akten nicht hervorgeht, ob das Familiengericht die Mutter im Rahmen der Terminsladung gemäß § 34 Abs. 3 S. 2 FamFG auf die Folgen ihres Ausbleibens hingewiesen hat – nur den Fall, in dem die Anhörung allein der Gewährung rechtlichen Gehörs dient und nicht mindestens auch – wie hier – auf die Verwirklichung der Amtsaufklärung zielt (Prütting/Helms/Abramenko, FamFG, 1. Aufl., § 34, Rz. 31).

Die hiernach angezeigte Aufhebung und Zurückverweisung gibt dem Familiengericht im weiteren Verfahren, das sich nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu richten haben wird, Gelegenheit zu prüfen, ob dem Kind ein Verfahrensbeistand zu bestellen ist (§ 158 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 FamFG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 FamGKG.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Den Eltern ist nach §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO – hinsichtlich des Vaters in Verbindung mit § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO (ungeachtet des schweren Verfahrensmangels der angefochtenen Entscheidung, vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 29. Dezember 2009 – 1 BvR 1781/09 –, juris) – die nachgesuchte Prozesskostenhilfe für die Beschwerdeinstanz zu bewilligen.