OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 18.01.2010 - 1 U 185/08
Fundstelle
openJur 2010, 390
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 2/4 O 217/07
Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 25.06.2008 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

(gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO ohne Sachverhaltsdarstellung)

1. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung des beklagten Landes hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO; außerdem rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO). Der Klägerin steht wegen der Beschädigung ihres Fahrzeuges kein Schadensersatzanspruch gegen das beklagte Land zu. Die Voraussetzungen einer Haftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG liegen nicht vor.

a) Allerdings hat das Landgericht zu Recht angenommen, dass die dem Lehrpersonal der Schule obliegende Pflicht, die Schüler während des Sportunterrichts bzw. einer „Bewegungszeit“ auf dem Schulgelände zur Verhinderung von Schäden zu beaufsichtigen, eine Amtspflicht im Sinne des § 839 BGB darstellt, die auch Dritten gegenüber besteht. Sowohl bei der Beaufsichtigung der Schüler durch das Lehrpersonal selbst als auch bei der Organisation dieser Maßnahme handelt es sich um die Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 34 GG.

b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist aber aufgrund der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme nicht erwiesen, dass eine schuldhafte Verletzung von Aufsichtspflichten oder ein Organisationsverschulden der Schule für den geltend gemachten Schaden ursächlich geworden ist.

aa) Es kann nicht festgestellt werden, dass eine schuldhafte Aufsichtspflichtverletzung der Sportlehrerin, der Zeugin ... für die Beschädigungen an dem Fahrzeug der Klägerin kausal geworden ist.

(1) Der die Aufsicht über die Schüler der Klasse 4 a während der Sportstunde bzw. der „Bewegungszeit“ führenden Zeugin ... kann bereits kein Vorwurf einer unzureichenden Beaufsichtigung dieser Schüler gemacht werden, weil nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme noch nicht einmal feststeht, dass der Schaden an dem Fahrzeug der Klägerin durch einen Schüler der Klasse 4 a und damit durch einen unter der Aufsichtsverantwortung der Zeugin ... stehenden Schüler angerichtet worden ist, was mit der Berufung zu Recht gerügt wird. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass der Stein von einem der Schüler vom Dach der Sporthalle während des Sportunterrichts der Klasse 4 a geworfen wurde. Aufgrund der Angaben des Zeugen ... kann lediglich angenommen werden, dass der Stein vom Schulgelände aus geworfen wurde; nähere Angaben konnte der Zeuge in diesem Zusammenhang nicht machen. Es steht aufgrund seiner Angaben weder fest, dass der Stein von dem Dach der Sporthalle, auf der Schüler der Klasse 4 a Fußball spielten, geworfen wurde, noch steht fest, dass der Stein von einem Schuler der Klasse 4 a von einem anderen Ort des Schulgeländes aus geworfen wurde. Der Zeuge ... hat insoweit bekundet, habe nicht gesehen, dass ein Kind den Stein geworfen habe. Die Identität des Schädigers konnte auch später nicht ermittelt werden, so dass noch nicht einmal feststeht, dass die Beschädigungen zwingend von einem Schüler der Grundschule „...“ verursacht worden sind. Selbst wenn man annehmen wollte, dass eine gewisse Vermutung dafür spricht, dass der Schädiger dem Kreis der Schüler dieser Grundschule zuzuordnen sein könnte, weil der Stein aus Richtung des Schulgeländes kam und das Werten mit einem Stein eher auf ein kindliches Verhalten hindeutet, so bleibt jedenfalls völlig offen, ob der Schädiger zur Klasse 4 a gehörte, deren Beaufsichtigung die Zeugin ... während der „Bewegungszeit“ übernommen hatte. Die durch diese Ungewissheit verbleibenden Zweifel gehen zu Lasten der Klägerin.

(2) Eine - für die Beschädigung an dem Fahrzeug der Klägerin kausal gewordene - Aufsichtspflichtverletzung der Zeugin ... lässt sich aber auch dann nicht feststellen, wenn man die Behauptung der Klägerin als zutreffend unterstellt, ein Schüler habe den Stein während des Sportunterrichts der Klasse 4 a vom Dach der Sporthalle aus auf bzw. gegen ihren Pkw geworfen.

(2.1) Das Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter der Kinder, nach der Vorhersehbarkeit des schädigenden Verhaltens sowie danach, was den Aufsichtspflichtigen in ihrem jeweiligen Verhalten zugemutet werden kann. Entscheidend ist letztlich, was ein verständiger Aufsichtspflichtiger nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall unternehmen muss, um Schädigungen Dritter durch das Kind zu verhindern (vgl. BGH, NJW-RR 1987, 1430 [juris Rn. 12]; RuS 1992, 233 [juris Rn. 3]; BGHZ 111, 282 [juris Rn. 19]; NJW 1996, 1404 [juris Rn. 12]; OLG Düsseldorf, OLGR 1996, 126 [juris Rn. 4]; OLG Dresden, NJW-RR 1997, 857 [juris Rn. 9]; OLG Karlsruhe, OLGR 2006, 426 [juris Rn. 23]).

(2.2.) Gemessen an diesen Grundsätzen lässt sich nicht feststellen, dass eine mangelnde Sorgfalt der Zeugin ... dazu geführt hat, dass ein Schüler - den Vortrag der Klägerin als zutreffend unterstellt - von dem Dach der Sporthalle aus einen Stein werfen konnte. Die Klägerin hat selbst vorgetragen, dass sich die Zeugin ... auf dem Dach der Sporthalle befand, auf dem Schüler der Klasse 4 a Fußball spielten. Die Zeugin hat dies im Rahmen der erstinstanzlich durchgeführte Beweisaufnahme bestätigt und darüber hinaus bekundet, sie habe während eines Fußballspiels das Spielfeld im Blick, wobei sie allerdings nicht jeden einzelnen Schüler im Auge haben könne; sie gehe auf dem Dach „hin und her“, damit sie auch den Schulhof einsehen könne, kontrolliere, „wer wo ist“ und mache dann auch Stichproben. Damit genügte sie ihrer Aufsichtspflicht. Denn eine ständige Beobachtung eines jeden einzelnen Schülers konnte von ihr nicht verlangt werden. In diesem Zusammenhang weist die Berufung zu Recht darauf hin, dass in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass eine dauernde Überwachung „auf Schritt und Tritt“ schon bei Kindern im Kindergartenalter nicht erforderlich ist und erst recht nicht bei etwa 10 Jahre alten Schülern einer 4. Klasse. Bei Kindern in diesem Alter darf unterstellt werden, dass ihnen die Gefahr der Entstehung von Schäden an Personen oder Sachen bei Steinwürfen bereits bewusst ist. Diese Erkenntnis wird Kindern erfahrungsgemäß noch weit vor Erreichen der Schulreife von den Erziehungsberechtigten immer wieder eingeschärft und mit einem Verbot derartiger Verhaltensweisen verbunden. Darauf, dass eine derartige Erziehung im Elternhaus erfolgt ist, darf sich grundsätzlich auch das Lehrpersonal verlassen (vgl. OLG Düsseldorf, OLGR 1996, 126 [juris Rn. 6, 7]; OLG Hamm, Urteil vom 17.10.2007 - 11 U 132/06 - [juris Rn. 12]).

bb) Das beklagte Land hat auch kein Organisationsverschulden zu verantworten. Entgegen der Annahme des Landgerichts ist ein Organisationsverschulden der Schulleitung nicht darin zu sehen, dass zum Vorfallszeitpunkt keine weitere Aufsichtsperson eingesetzt war. Eine Aufsicht, die die Aufgabe hat, sowohl Schüler vor Schäden zu bewahren, als auch Schäden durch Schüler zu verhindern, kann - wie ausgeführt - nicht das Ziel haben, jeden einzelnen Schüler ständig unter Aufsicht zu haben. Eine ununterbrochene Aufsicht über alle Schüler lässt sich nicht gewährleisten, sie erscheint unzumutbar und ist nicht geboten (vgl. BGH, VersR 1972, 979 [juris Rn. 12]). Es ist daher nicht zu beanstanden, dass zur Beaufsichtigung - nur - einer Klasse, der Klasse 4 a, nur eine Lehrerin eingesetzt wurde. Darüber hinaus steht - wie ausgeführt - noch nicht einmal fest, dass ein Schüler dieser Klasse den Schaden verursacht hat. Den Vortrag der Klägerin als zutreffend unterstellt, ein Schüler dieser Klasse habe den Stein vom Dach der Garage aus geworfen, fehlt zudem auch jeder Anhaltspunkt dafür, dass eine weitere, auf dem Schulhof eingesetzte Aufsichtskraft dies hätte erkennen und/oder verhindern können. Eine ständige Beobachtung des gesamten Schulgeländes allein „aufgrund der örtlichen Gegebenheiten“, d. h., weil der Schulhof an einer öffentlichen Straße liegt und aufgrund einer Hanglage „erhöht“ ist, kann entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht gefordert werden. Der Schulleitung ist es nicht zuzumuten, allein aufgrund der Lage der Schule soviel Aufsichtspersonal aufzubieten, das jeder Schüler zu jeder Zeit gesehen und kontrolliert werden kann.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO).