OLG Braunschweig, Beschluss vom 17.03.2008 - Ss 33/08
Fundstelle
openJur 2012, 47126
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil desAmtsgerichts ….. vom 22. Oktober 2007 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auchüber die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung desAmtsgerichts …… zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht …. hat gegen den Angeklagten durch Strafbefehl vom 5.9.2007 wegen des Vorwurfs der Verwendung von Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation (Vorzeigen eines stehenden Messers mit Symbolen wie Hakenkreuzen am Griff) eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20 € festgesetzt.

Nach rechtzeitigem Einspruch gegen den Strafbefehl durch den früheren Verteidiger, Rechtsanwalt …. aus ……., hat der zuständige Richter am 13.9.2007 Termin zur Hauptverhandlung auf den 22.10.2007 bestimmt und dazu den Verteidiger geladen, der dem Gericht jedoch schon mit Schriftsatz vom 17.9.2007 das Erlöschen seines Mandats mitgeteilt hat. Der Angeklagte selbst konnte erst durch Einschalten der Polizei am 9.10.2007 zum Termin vom 22.10.2007 geladen werden. Er hat daraufhin umgehend seinen jetzigen Verteidiger beauftragt, der sich mit Schriftsatz vom 09./10.10.2007 gegenüber dem Gericht als neuer Verteidiger legitimiert und Akteneinsicht beantragt hat. Nach Erhalt einer Terminsladung am 11.10.2007 hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 12.10.2007 die Verlegung der Verhandlung mit der Begründung beantragt, er habe am 22.10.2007 schon länger terminierte Sachen bei zwei verschiedenen Amtsgerichten in Sachsen-Anhalt wahrzunehmen. Das Amtsgericht …… hat eine Terminsverlegung mit Schreiben vom 15.10.2007 hauptsächlich unter Hinweis auf die späte Legitimierung des neuen Verteidigers abgelehnt.

Im Termin ist der Angeklagte ohne Verteidiger erschienen. Sogleich nach der Präsenzfeststellung hat er die Verlegung des Termins beantragt und u.a. auf die Verhinderung seines Verteidigers durch anderweitige Strafverhandlungen hingewiesen. Auch diesen mündlichen Antrag hat das Gericht abgelehnt, weil der neue Verteidiger sich zu kurzfristig legitimiert habe.

Schließlich hat das Amtsgericht den Angeklagten nach Erteilung eines rechtlichen Hinweises gemäß § 265 StPO wegen Bedrohung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte rechtzeitig ein Rechtsmittel eingelegt und dieses im Rahmen seiner - ebenfalls rechtzeitig eingereichten - Begründungsschrift als Revision bezeichnet. Neben der allgemeinen Sachrüge erhebt er mehrere Verfahrensrügen; insbesondere sei er durch die Ablehnung seines in der Verhandlung gestellten und wegen Verhinderung des Verteidigers begründeten Verlegungsantrages in seiner Verteidigung unzulässig i.S.d. § 338 Nr.8 StPO behindert worden.

Der Angeklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen. Die Generalstaatsanwaltschaft unterstützt diesen Antrag.

II.

Das nach § 335 Abs.1 StPO als sog. Sprungrevision statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel führt zu dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Erfolg.

81. Die Revision dringt bereits mit der Verfahrensrüge der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr.8 StPO) wegen Ablehnung des im Termin wiederholten Aussetzungsantrags gemäß § 265 Abs.4 StPO durch einen in der Hauptverhandlung ergangenen Gerichtsbeschluss durch.

Die amtsgerichtliche Verfahrensweise ist rechtsfehlerhaft, denn sie verletzt den Angeklagten in seinem Recht auf wirksame Verteidigung (Art.6 Abs.3 c MRK) und verstößt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Durch die Ablehnung der begehrten Terminsverlegung ist dem Angeklagten das Recht genommen worden, sich in der Hauptverhandlung von dem zu diesem Zeitpunkt verhinderten Rechtsanwalt …. als Anwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen (s.a.: Senat, StV 2004, 366).

10a. Wenn auch Angeklagter und Verteidiger auf eine Verlegung des Termins grundsätzlich keinen Anspruch haben, so muss der Vorsitzende doch bei der Entscheidung über den Verlegungsantrag im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens die Interessen der Beteiligten und das Gebot der Verfahrensbeschleunigung gegeneinander abwägen (vgl. BGH, NJW 1992, 849; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 213 Rdn.7). Die vom Amtsgericht getroffene Entscheidung berücksichtigt indes nicht hinreichend, dass sich ein Angeklagter gem. § 137 Abs.1 S.1 StPO in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers bedienen darf und der auch darin zum Ausdruck kommende - im Übrigen als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 26, 66, 71) verfassungsmäßig verbürgte - Anspruch auf ein rechtsstaatlich faires Verfahren das Recht umfasst, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen (vgl. BGH, NJW 1992, 849; Meyer-Goßner,a.a.O., § 137 Rdn.2 m.zahlr.Nachw. aus der Rechtspr. des BVerfG).

b. Der die Entscheidung tragende Hinweis, der Termin sei frühzeitig anberaumt worden und der neue Verteidiger habe sich zu spät beim Gericht gemeldet - wodurch offenkundig eine Nachlässigkeit des Angeklagten durch verzögerte Reaktion auf die Terminsbestimmung belegt werden soll - greift zu kurz. Er lässt außer Acht, dass der Angeklagte nicht alsbald nach der Terminsbestimmung, sondern erst dreizehn Tage vor dem Termin geladen worden ist und dann ohne jede Verzögerung einen Verteidiger aufgesucht hat, der seinerseits dem Gericht zum frühest möglichen Zeitpunkt seine Verhinderung und deren plausiblen Grund mitgeteilt hat. Dass eine echte Abwägung widerstreitender Interessen, wie das Prinzip des fairen Verfahrens sie erfordert, unter Berücksichtigung der zuletzt genannten Umstände hier überhaupt stattgefunden hat, ist nicht ersichtlich.

Ergänzend sei angefügt, dass selbst eine „enge Geschäftslage“ des Gerichts, die häufig formularmäßig zur Begründung der Ablehnung von Verlegungsanträgen angeführt wird, schon unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht zur routinemäßigen Abweichung vom Grundsatz des fairen Verfahrens taugt (vgl. Senat, a.a.O.).

Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass sich das Amtsgericht …… ernsthaft bemüht hat, die Terminskollision zu überwinden (vgl. BGH, NStZ 1999, 527; NStZ 1992, 247-248; OLG Frankfurt, StV 1995, 9-10; Landgericht Braunschweig, StV 1997, 403-404).

2. Auf dem genannten Verfahrensfehler kann das Urteil auch beruhen (§ 337 Abs.1 StPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte sich mit Unterstützung seines Verteidigers anders als geschehen verteidigt, nämlich insbesondere aktiv auf den am Schluss der Verhandlung erteilten rechtlichen Hinweis nach § 265 StPO reagiert und die Neuvernehmung der Zeugen unter dem neuen Gesichtspunkt beantragt hätte, sodass möglicherweise die Hauptverhandlung in Anwesenheit des Wahlverteidigers zu einem für den Angeklagten günstigeren Ergebnis geführt hätte (vgl. BGH, NStZ 1999, 527). Diesem Gesichtspunkt ist schon deshalb Gewicht beizumessen, weil die Erfüllung der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 241 StGB nach den bisherigen Feststellungen nicht ohne weiteres auf der Hand liegt.

III.

Wegen des vorgenannten Mangels ist das Urteil nach § 353 StPO mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben; nach § 354 StPO ist die Sache an das Amtsgericht …. zurückzuverweisen.

Dieses wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben, da der endgültige Erfolg des Rechtsmittel zurzeit noch offen ist.