OLG Oldenburg, Urteil vom 27.05.2009 - 5 U 43/08
Fundstelle
openJur 2010, 227
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 8 O 380/07
Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 08.02.2008 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels geändert und

1. der Beklagte verurteilt, an den Kläger 70.099,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.03.2007 zu zahlen,

2. festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeglichen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, sofern dieser auf den Vorgang vom 04.09.2006 zurückzuführen ist, soweit er nicht auf Dritte übergegangen ist,

3. der Beklagte verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Kosten in Höhe von 928,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 02.03.2007 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

A.

Der Kläger verlangt Ersatz materieller und immaterieller Schäden sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten im Zusammenhang mit einer Koloskopie am 04.09.2006.

Der Kläger begab sich am 03.05.2006 wegen seit einigen Wochen festgestellter Blutbeimengungen im Stuhl in die Behandlung des Beklagten. Der Beklagte, Facharzt für innere Medizin und Gastroenterologie, stellte im Rahmen einer proktologischen Untersuchung am gleichen Tage Hämorrhoiden fest und führte eine Sklerosierungsbehandlung durch. Für eine im weiteren Behandlungsverlauf vorgesehene Koloskopie erhielt der Kläger das Abführmittel Endofalk und einen PerimedAufklärungsbogen ´Koloskopie ggfs. mit endoskopischer Resektion (Polypektomie/Mukosektomie)´. Diesen unterzeichnete er unter dem Datum 04.09.2006. An diesem Tag führte der Beklagte eine erneute proktologische Untersuchung mit Sklerosierung der Hämorrhoiden sowie eine Koloskopie durch. In deren Verlauf entfernte er zwei Polypen. Während des ohne Sedierung erfolgten Eingriffs verspürte der Kläger einen stechenden Schmerz. Nach der Koloskopie wurde der Kläger nach Hause entlassen. Da er in der folgenden Nacht unter zunehmenden stechenden abdominellen Schmerzen litt, stellte er sich am 05.09.2006 erneut beim Beklagten vor, der den Kläger nach Durchführung einer Ultraschalluntersuchung mit Verdacht auf eine Kolonperforation nach Polypektomie in das Klinikum Oldenburg überwies. Dort wurde am 05.09.2006 laparatomisch eine Sigmaresektion durchgeführt. Intraoperativ zeigte sich im Bereich des mittleren Sigmas eine stecknadelkopfgroße Perforationsstelle sowie eine beginnende diffuse Peritonitis. Der postoperative Verlauf gestaltete sich zunächst unauffällig. Am 13.09.2006 kam es plötzlich zu einer Fasziendehiszenz mit Austritt einer Dünndarmschlinge. Es erfolgte eine Revisionsoperation. Am 15.09.2006 erfolgte aufgrund ansteigender Infektionsparameter und einer putriden Sekretion aus den abdominellen Drainagen ein weiterer operativer Eingriff, bei welchem ein künstlicher Darmausgang gelegt wurde. Eine weitere Revision mit erneuter Spülung erfolgte am 16.09.2006. Die Entlassung aus der Klinik erfolgte am 04.10.2006. Eine Rückverlegung des künstlichen Darmausgangs ist bis heute nicht erfolgt.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe gegen die Regeln der ärztlichen Heilkunst verstoßen, indem er mit dem Koloskop das Sigma beschädigt habe. Anders sei der von ihm während des Eingriffs verspürte Stechschmerz nicht zu erklären. Der Beklagte habe die Koloskopie am 04.09.2006 nicht durchführen bzw. fortsetzen dürfen, da ausweislich des ärztlichen Berichts die Sicht wegen Stuhlverunreinigungen eingeschränkt gewesen sei. Dafür spreche auch die während der Operation vom 05.09.2006 festgestellte Peritonitis, die bei einem leeren Darm nicht hätte auftreten können. Ferner sei dem Beklagten als postoperatives Versäumnis vorzuwerfen, dass er es trotz des während des Eingriffs aufgetretenen stechenden Schmerzes unterlassen habe, sogleich die Darmwand entweder mittels eines Endoskops oder durch Ultraschall auf Perforationsstellen zu untersuchen und den Kläger sodann in die Klinik einzuweisen. Dadurch wäre die Entwicklung einer Peritonitis verhindert worden.

Darüber hinaus sei die Aufklärung ungenügend gewesen. Er habe den ihm überreichten Aufklärungsbogen unterschrieben zur Untersuchung am 04.09.2006 mitbringen müssen. Ein Aufklärungsgespräch habe nicht stattgefunden. Im Übrigen sei das Aufklärungsformular nicht geeignet, den Patienten über die Risiken des Eingriffs vollständig zu informieren, da darin auf die mögliche Folge eines künstlichen Darmausgangs nicht hingewiesen werde. Wäre er, der Kläger, über das eingetretene Risiko aufgeklärt worden, hätte er den Eingriff nicht vornehmen lassen. Ob eine Rückführung des künstlichen Darmausgangs möglich sei, stehe derzeit noch nicht fest.

Der Kläger hat ein Schmerzensgeld von 70.000,00 € für angemessen erachtet. Er hat Schadensersatz in Höhe von 1.466,58 € geltend gemacht, wovon 99,59 € auf unstreitig entstandene Aufwendungen für Medikamente, 75,00 € auf verschiedene Fahrten zu Ärzten und 1.291,99 € auf die Verwaltung seines Ferienappartements entfielen. Er hat behauptet, dass seine Ehefrau sich aufgrund seines Krankenhausaufenthaltes und seiner anschließenden fortdauernden Pflegebedürftigkeit nicht mehr wie zuvor um das Appartement habe kümmern können. Weiter hat der Kläger nicht anrechenbare vorgerichtliche Kosten entsprechend einer Kostennote vom 03.01.2007 in Höhe von 1.941,71 € geltend gemacht.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.12.2006 zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm jeglichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit er nicht auf Dritte übergegangen ist, sofern dieser aus dem Vorgang vom 04.09.2006 stammt und zurückzuführen ist,

3. den Beklagten weiter zu verurteilen, an ihn 1.466,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

4. den Beklagten zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Kosten in Höhe von 1.941,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat den behaupteten Behandlungsfehler in Abrede gestellt.

Er hat weiter behauptet, den Kläger mündlich über den Ablauf und die Risiken der Koloskopie, insbesondere auch das Risiko einer Perforation und einer Peritonitis, aufgeklärt zu haben. Darüber hinaus sei der Kläger durch den Aufklärungsbogen informiert gewesen. Das Verlangen nach einer darüber hinausgehenden Aufklärung über mögliche weitere Komplikationen, wie sie später beim Kläger bis hin zum künstlichen Darmausgang aufgetreten seien, würde die Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht überspannen. Außerdem sei das verlangte Schmerzensgeld überzogen. Der künstliche Darmausgang sei nur temporär angelegt und werde kurz bzw. mittelfristig wieder verlegt.

Die 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg hat - nach Einholung eines fachchirurgischen Sachverständigengutachtens - die Klage mit Urteil vom 08.02.2008 abgewiesen. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen (Band I, Bl. 119 ff. d.A.).

Der Kläger wendet sich mit der Berufung gegen das Urteil. Er greift das Gutachten des Sachverständigen an und rügt, das Landgericht habe die Ausführungen des Sachverständigen im Übrigen nicht vollumfänglich und rechtlich zutreffend gewürdigt.

Zudem habe das Landgericht verkannt, dass eine Aufklärung nicht durch Formulare erfolgen könne, sondern nur durch ein Gespräch von Arzt zu Patient. Da ein solches Gespräch jedoch nicht stattgefunden habe, fehle es bereits an der erforderlichen Grundaufklärung. Der Aufklärungsbogen stelle nur ein Indiz für die Aufklärung dar, erbringe aber nicht den vollen Beweis dafür. Der Beklagte habe ihn auch nicht über das schwerste mögliche Risiko, insbesondere die Gefahr der hier eingetretenen Auswirkungen des Eingriffs, informiert. Auch seien die mit der Entfernung der Polypen verbundenen Risiken in dem Aufklärungsbogen extrem verharmlosend dargestellt. Im Übrigen wäre die vom Beklagten behauptete mündliche Aufklärung nicht rechtzeitig, da er den Beklagten erstmals gesehen habe, als er bereits auf dem Behandlungstisch gelegen habe.

Der Kläger behauptet, dass eine Rückführung des künstlichen Darmausgangs nicht mehr möglich sein wird.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Oldenburg vom 08.02.2008

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.12.2006 zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm jeglichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit er nicht auf Dritte übergegangen ist und aus dem Vorgang vom 04.09.2006 stammt bzw. darauf zurückzuführen ist,

3. den Beklagten weiter zu verurteilen, an ihn 1.466,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

4. den Beklagten zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Kosten in Höhe von 1.941,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Die Beweislast für die behaupteten Behandlungsfehler trage der Kläger. Mit seiner neuen Behauptung, mit dem Beklagten kein Aufklärungsgespräch geführt zu haben, sei der Kläger in der Berufungsinstanz ausgeschlossen. Im Übrigen werde dies bestritten.

Vielmehr habe er mit dem Kläger am 03.05.2006 nach der proktologischen Untersuchung ein ausführliches Gespräch hinsichtlich des Erfordernisses einer Koloskopie anhand des Aufklärungsbogens geführt. Er habe in dem Zusammenhang auf das Risiko der Darmverletzung hingewiesen. Am 04.09.2006 habe er im Rahmen des anamnestischen Gesprächs gefragt, ob der Kläger den Aufklärungsbogen verstanden und ob er noch Fragen habe. Anschließend habe er ein Sedativum verabreicht.

Weiter erhebt der Beklagte den Einwand der hypothetischen Einwilligung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des weiteren Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch Anhörung der Parteien und Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.08.2008 (Band I Bl. 175 ff. d.A.) sowie die schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. L… (Band II Bl. 39 ff. d.A.) Bezug genommen.

B.

Die Berufung ist zulässig und überwiegend begründet. Der Kläger kann von dem Beklagten die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 70.000,00 € sowie Schadensersatz in Höhe von 99,59 € verlangen. Darüber hinaus ist der Beklagte verpflichtet, dem Kläger sämtlichen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit dieser auf die Koloskopie vom 04.09.2006 zurückzuführen ist.

Die Haftung des Beklagten folgt aus §§ 280, 249, 253 BGB bzw. §§ 823 Abs. 1, 249, 253 BGB.

Der Beklagte haftet unabhängig vom Vorliegen eines Behandlungsfehlers für die gesundheitlichen Folgen der Koloskopie vom 04.09.2006, weil die Einwilligung des Klägers in den Eingriff mangels hinreichender Aufklärung unwirksam gewesen ist (vgl. Müller, DRiZ 2000, 259, 261. Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Auflage, Rn. 321).

1.) Die Selbstbestimmungsaufklärung schafft die Voraussetzung für die rechtfertigende Einwilligung. Der Patient muss im Großen und Ganzen zur Kenntnis erhalten, welche Krankheit vorliegt, welcher Eingriff geplant ist, wie dringlich er ist, wie er abläuft und welche Risiken und Nebenwirkungen damit verbunden sind (Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Auflage, Rn. 329, 393). Diesen Anforderungen hat die Aufklärung, die dem Kläger zuteil geworden ist, nicht genügt.

a) Entgegen der Ansicht des Beklagten ist der Kläger mit dem Vorbringen, nicht mündlich aufgeklärt worden zu sein, nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Der Kläger hat bereits erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 16.04.2007, dort Seite 4, eine mündliche Aufklärung durch den Beklagten bestritten.

b) Die lediglich schriftlich erfolgte Aufklärung und Einwilligung in dem vom Kläger am 04.09.2006 unterzeichneten PerimedBogen war nicht ausreichend. Zwar ist insoweit unstreitig, dass der Kläger im Mai 2006 bereits das Aufklärungs und Einwilligungsformular erhielt. Die Aushändigung und Unterzeichnung von Merkblättern oder Aufklärungsbögen ersetzt jedoch nicht das erforderliche Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patient, sondern ist lediglich ein Indiz dafür, dass die Aufklärung nach Maßgabe der schriftlichen Bestätigung stattgefunden hat (OLG Oldenburg, Urteil vom 02.11.2005 – 5 U 69/05. Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, 3. Auflage, Rn. 208. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Auflage, Kap.C Rn. 88). Der Umstand, dass der Kläger am 04.09.2006 den im Mai 2006 in Empfang genommenen Aufklärungsbogen unterschrieben am Empfang abgab, entbindet den Beklagten nicht von der Durchführung eines Aufklärungsgesprächs. Da der Arzt nicht darauf vertrauen kann, dass der Patient den Inhalt des Aufklärungsbogens tatsächlich zur Kenntnis genommen und verstanden hat, muss er dies in einem Gespräch klären.

c) Eine ordnungsgemäße mündliche Aufklärung ist nach persönlicher Anhörung der Parteien durch den Senat nicht nachgewiesen, was zu Lasten des beweispflichtigen Beklagten geht. Der Beklagte hat erklärt, dass er den Kläger anlässlich der Sklerosierung der Hämorrhoiden im Mai 2006 anhand des Aufklärungsbogens auf das Erfordernis, den Ablauf und die Risiken einer Darmspiegelung hingewiesen habe. Er habe insbesondere darauf hingewiesen, dass es im Falle einer Polypenabtragung unter Umständen zu einer Darmperforation kommen könne, die dann eine unverzügliche Operation erfordere. Am 04.09.2006 habe er den Kläger im Behandlungszimmer gefragt, ob alles in Ordnung sei, ob er Fragen habe, ihm erklärt, wie der Eingriff ablaufe und mit einem Satz darauf hingewiesen, dass bei einer Polypenabtragung das Risiko einer Perforation bestehe. Er könne sich zwar nicht an den konkreten Wortlaut erinnern, die Sache sei ihm aber präsent, weil sich bei dem Kläger dann Komplikationen eingestellt haben. Dem stehen jedoch die Angaben des Klägers entgegen, der glaubhaft geschildert hat, dass er zwar einmal im Jahre 1999 anlässlich einer Darmspiegelung von dem Beklagten aufgeklärt worden sei, aber weder im Mai 2006 noch am Tage des Eingriffs über die Risiken einer Perforation aufgeklärt worden sei. Ihm sei lediglich im Mai 2006 der Aufklärungs und Einwilligungsbogen mitgegeben worden, den er unterschrieben am Tage des Eingriffs, dem 04.09.2006, am Empfang abgegeben habe. Er habe darauf vertraut, dass anschließend - wie er es von anderen Operationen im Klinikum gekannt habe - noch ein Aufklärungsgespräch geführt werde. Hierzu sei es aber nicht gekommen. In der Praxis sei es damals sehr hektisch zugegangen, weil ein anderer Arzt gerade aus der Praxis ausgeschieden war und der Beklagte alles habe alleine machen müssen.

Der Senat vermag sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit die Überzeugung zu bilden, welche Darstellung der Wahrheit entspricht. Der Beklagte hat daher nicht den ihm obliegenden Beweis erbracht, dass er den Kläger vor dem Eingriff hinreichend über das damit verbundene Risiko aufgeklärt hat.

2.) Eine Haftung des Beklagten für die Folgen des mangels wirksamer Einwilligung rechtswidrigen Eingriffs scheidet aus, wenn sich der Aufklärungsmangel im Ergebnis nicht ausgewirkt hat, weil der Patient sich auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung für den Eingriff entschieden hätte (BGH VersR 1992, 960, 962. BGH VersR 1994, 682, 684). Ob dem so war, kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, weil der Beklagte mit dem Einwand der hypothetischen Einwilligung in den Eingriff gemäß § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen ist.

a) Die Prüfung einer hypothetischen Einwilligung erfolgt nicht von Amts wegen (Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3.A., § 4 XII 6, S. 209). Das Gericht darf dieser Frage vielmehr erst nachgehen, wenn sich die Behandlungsseite darauf beruft (BGH NJW 1994, 2414, 2415. Senat, Urteil vom 04.07.2007 - 5 U 106/06). Das hat der Beklagte in erster Instanz versäumt. Sein Vortrag, er habe den Kläger tatsächlich ordnungsgemäß aufgeklärt und dieser habe daraufhin in den Eingriff eingewilligt, reicht dazu nicht aus und musste dem Kläger keine Veranlassung geben, einen Entscheidungskonflikt plausibel darzulegen.

b) Soweit der Beklagte diesen Einwand in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom 04.09.2008 nachgeholt hat, ist er damit gemäß § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Der Einwand der Behandlungsseite, der Patient hätte sich dem Eingriff auch bei zutreffender Aufklärung über dessen Risiko unterzogen, ist grundsätzlich beachtlich (BGH VersR 2007, 999, 1000). Den Arzt trifft insoweit die Behauptungs und Beweislast. Erst wenn sich die Behandlungsseite auf eine hypothetische Einwilligung berufen hat, muss der Patient darlegen, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt darüber befunden hat, ob er den tatsächlich durchgeführten Eingriff vornehmen lassen sollte (Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Auflage, Rn. 444). Wird der Einwand der hypothetischen Einwilligung erst im zweiten Rechtszug erhoben, so handelt es sich grundsätzlich um ein neues Verteidigungsmittel im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO (BGHUrteil vom 18.11.2008, VersR 2009, 257. Senat, Urteil vom 04.07.2007 - 5 U 106/06).

Das neue Verteidigungsmittel ist nicht zuzulassen. Eine Zulassung des Einwandes der hypothetischen Einwilligung ist nicht gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO gerechtfertigt. § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO gestattet neues Vorbringen zu tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkten, die vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus betrachtet entscheidungserheblich sind, vom Erstgericht jedoch als unerheblich betrachtet oder übersehen wurden (Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1903). Unter diesen Voraussetzungen erhält eine Partei in Fortführung des Rechtsgedankens des § 139 ZPO im Wege der Berufung Gelegenheit, die bisherige Lücke zu schließen. Damit wird zugleich die Gefahr gebannt, dass die Parteien im ersten Rechtszug auch solche Angriffs und Verteidigungsmittel vortragen, die vom Standpunkt des erstinstanzlichen Gerichts aus unerheblich sind. Allerdings genügt es für die Anwendung des § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht, dass sich allein aus den Urteilsgründen des erstinstanzlichen Urteils ergibt, inwieweit ein Gesichtspunkt für unerheblich gehalten wird. Eine Partei muss schon im ersten Rechtszug die Angriffs und Verteidigungsmittel vorbringen, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekannt ist oder bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt hätte bekannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie dort imstande war (BGH VersR 2009, 257). Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Zulassung des neuen Vorbringens nur dann geboten, wenn die Rechtsansicht des Gerichts den erstinstanzlichen Sachvortrag der Parteien auch beeinflusst hat und daher, ohne dass deswegen ein Verfahrensfehler gegeben wäre, (mit)ursächlich dafür geworden ist, dass sich Parteivorbringen in das Berufungsverfahren verlagert (BGH NJWRR 2005, 167. BGH NJWRR 2004, 927). Das ist der Fall, wenn das erstinstanzliche Gericht durch seine Hinweise die Partei dazu veranlasst, keine weiteren Bemühungen zur Vervollständigung des Vortrages zu einem bestimmten Gesichtspunkt mehr zu unternehmen. Demgegenüber ist eine Zulassung ausgeschlossen, wenn in der ersten Instanz aufgrund gerichtlicher Anordnungen (z.B. Beweisbeschluss) in Betracht zu ziehen ist, dass eine Verurteilung auf eine unzureichende oder nicht erfolgte Aufklärung gestützt wird (BGH VersR 2009, 257).

Danach war für den Beklagten die Erhebung des Einwandes der hypothetischen Einwilligung in der ersten Instanz geboten. Das Landgericht hat mit dem Beweisbeschluss vom 13.06.2007 deutlich gemacht, dass die Frage der Aufklärung über das Risiko des künstlichen Darmausgangs entscheidungserheblich sein könnte und dass der Beklagte daher nicht davon ausgehen konnte, dass das Landgericht seinem Vorbringen zu einer ordnungsgemäßen Aufklärung folgen würde (vgl. BGH VersR 2009, 257). Dass der Sachverständige in seinem Gutachten die Aufklärung dann für ausreichend erachtet hat, steht dem nicht entgegen, da das Maß der erforderlichen Aufklärung eine Rechtsfrage ist. Dementsprechend sind in der mündlichen Anhörung des Sachverständigen auch die Fragen des Klägers die Aufklärung betreffend nicht mit dem Sachverständigen erörtert worden.

Die der hypothetischen Einwilligung zugrunde liegenden Tatsachen sind auch nicht unstreitig, da der Kläger erklärt hat, sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung über das Perforationsrisiko gegen den Eingriff entschieden zu haben, so dass es nicht darauf ankommt, ob der Einwand der hypothetischen Einwilligung bei unstreitigem Sachverhalt zu berücksichtigen wäre.

3.) An der Kausalität zwischen der Koloskopie und der Darmperforation bestehen keine Zweifel. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Perforation durch die Polypektomie oder durch die Spitze des Endoskops verursacht wurde. Die Perforation trat zeitnah nach der Koloskopie auf. Andere Ursachen sind nicht ersichtlich.

4.) Der Senat hält ein Schmerzensgeld von 70.000,00 € für die infolge der Koloskopie vom 04.09.2006 erlittenen gesundheitlichen Folgen für angemessen.

Das Schmerzensgeld weist eine Doppelfunktion auf. Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für die Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind. Zugleich soll dem Gedanken Rechnung getragen werden, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung dafür schuldet, was er ihm angetan hat. Dabei steht der Entschädigungs und Ausgleichsgedanke im Vordergrund (KG NJWRR 2003, 24, 26. Heinrichs in Palandt, BGB, 68. Auflage, § 253 Rn. 11).

Bei der Bemessung der nach § 253 Abs. 2 BGB zu gewährenden billigen Entschädigung sind die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers in Betracht zu ziehen (OLG Köln VersR 2003, 602, 603), wobei der Grad des Verschuldens des Schädigers in Arzthaftungsfällen regelmäßig nicht entscheidend ins Gewicht fällt (OLG Bremen VersR 2003, 779).

Wesentliches Kriterium für die Bemessung des dem Kläger zuzusprechenden Schmerzensgeldes ist der Umstand, dass davon auszugehen ist, dass der künstliche Darmausgang nicht zurückverlegt wird und damit die gesundheitliche Beeinträchtigung lebenslang fortbestehen wird. Das Vorhandensein eines künstlichen Darmausgangs beeinträchtigt die Lebensführung des Klägers nachhaltig. Dem Kläger wird Zeit seines Lebens ein normaler Toilettengang nicht mehr möglich sein. Er ist stuhlinkontinent, da mangels Schließmechanismus eine Steuerung der Darmausscheidungen nicht mehr möglich ist, was unter Berücksichtigung der Dauerhaftigkeit bereits als überaus belastend zu bewerten ist. Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich aufgrund des künstlichen Darmausgangs der ausgeschiedene Darminhalt in einem außerhalb des Körpers befindlichen Beutel sammelt und deshalb auf Dauer ein höherer Pflege und insbesondere Hygieneaufwand sowie ein gewisses Schutzverhalten zur Vermeidung von Beschädigungen des Beutels erforderlich ist.

Zwar führt der Sachverständige Dr. L… aus, dass eine Wiederherstellung der Darmkontinuität grundsätzlich möglich ist und dass ihm hinsichtlich des Klägers keine Anhaltspunkte bekannt sind, die eine Rückverlegung ausschließen (Band II Bl. 41/42 d.A.). Er macht aber deutlich, dass es sich nicht um einen Bagatelleingriff handelt und dass das Operationsrisiko für den Kläger insbesondere wegen der Voroperationen und der deshalb vorhandenen Verwachsungen und speziell wegen dessen Asthma bronchiale und der begleitenden Herzerkrankung erhöht sei. Letztlich könne eine Entscheidung für oder gegen eine solche Operation nur individuell in dem engen Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gefällt werden. Dies rechtfertigt es, das Bestehen eines künstlichen Darmausgangs als Dauerzustand zugrunde zu legen, da die Entscheidung des Klägers zu respektieren ist. Die Ansicht des Beklagten, dass es allein auf die Möglichkeit der Wiederherstellung ankomme, überzeugt nicht. Ein Geschädigter ist zur Duldung einer Operation nur verpflichtet, wenn sie gefahrlos und nicht mit besonderen Risiken oder Schmerzen verbunden ist und eine sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bietet (BGH NJW 1994, 1592, 1593. Heinrichs in Palandt, BGB, 68. Auflage, § 254 Rn. 39). Davon kann angesichts der Ausführungen des Sachverständigen gerade nicht ausgegangen werden.

Weiter war zu berücksichtigen, dass infolge der Darmverletzung bislang drei Revisionsoperationen erforderlich wurden.

5.) Dem Kläger ist ein materieller Schaden in Höhe von 99,59 € zu ersetzen. In dieser Höhe sind Aufwendungen für Pflegetätigkeit der D… W… und Medikamente dargetan und nicht bestritten.

Die weiteren geltend gemachten materiellen Schäden hat der Beklagte nicht zu ersetzen, da die Ursächlichkeit der Koloskopie nicht schlüssig dargetan ist. So ist es zwar naheliegend, dass Aufwendungen für Fahrten zu Ärzten entstanden sein könnten. Jedoch ist die Geltendmachung eines Pauschalbetrages von 75,00 € trotz der aus § 287 ZPO zugunsten des Klägers abzuleitenden Beweiserleichterung nicht ausreichend, da eine Grundlage für die Schadensschätzung nicht besteht. Der Kläger hat nicht vorgetragen, wann er welche Ärzte hat aufsuchen müssen. Auch die Erforderlichkeit einer Fremdverwaltung der Ferienwohnung in O… ist angesichts der erfolgten Darlegung nicht nachvollziehbar, da nicht vorgetragen ist, wie die Verwaltung der Ferienwohnung vor der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers erfolgt war. Angesichts des zutreffenden Einwandes des Beklagten in der Klageerwiderung bedurfte es diesbezüglich auch keines weiteren gerichtlichen Hinweises.

6.) Der Zinsforderung liegen die §§ 291, 288 BGB zugrunde. Der Kläger hat keine Grundlage für eine Verzugsbegründung vor Rechtshängigkeit dargetan.

7.) Der Feststellungsantrag ist begründet, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit dem künstlichen Darmausgang weitere Behandlungen erforderlich werden könnten.

8.) Die Forderung hinsichtlich der nicht anrechenbaren vorgerichtlichen Anwaltskosten ist angesichts einer zugrunde zu legenden begründeten Anspruchshöhe von 75.099,59 € in Höhe von 928,20 € begründet. Dem Kläger ist ein Schaden in Höhe der gemäß Teil 3 Vorbemerkung (4) der Anlage 1 zum RVG in Verbindung mit Ziffer 2300 der Anlage 1 zum RVG nicht anrechenbaren Anwaltskosten entstanden. Die Schadenshöhe errechnet sich aus dem hälftigen Betrag einer 1,3fachen Gebühr und beträgt mithin 0,5 x 1,3 x 1.200,00 € zzgl. Mehrwertsteuer = 928,20 €.

C.

Die Nebenentscheidungen stützen sich auf §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.