LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 12.07.2006 - L 3 KA 76/01
Fundstelle
openJur 2012, 44564
  • Rkr:

1. Der Lauf der vierjährigen Ausschlussfrist für die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen beginnt mit dem Tag der Bekanntgabe des jeweiligen Honorarbescheides.2. Dieser Zeitpunkt ist in einem gerichtlichen Verfahren, in dem die Rechtswidrigkeit der Wirtschaftlichkeitsprüfung wegen des Ablaufs der Ausschlussfrist geltend gemacht wird, zu ermitteln. Gelingt dies nicht, trägt der Beschwerdeausschuss insoweit die objektive Feststellungslast. Er kann sich demgegenüber grundsätzlich nicht auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises berufen.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SozialgerichtsHannover vom 15. August 2001 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat auch die Kosten der Klägerin imBerufungsverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten imBerufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Behandlungsweise der Klägerin im Quartal IV/93 noch auf Wirtschaftlichkeit überprüft werden konnte.

Die Klägerin betreibt eine zahnärztliche Gemeinschaftspraxis in F., die an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnimmt. Im Dezember 1994 beantragten Mitgliedskassen der Beigeladenen zu 2. bis 4. sowie zwei Rechtsvorgängerinnen der Beigeladenen zu 1. eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit ihrer Behandlungsweise in den Quartalen II-IV/1993 im Hinblick auf Röntgen- und chirurgische Leistungen sowie die Nrn. 38, 40 und 41 a des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für zahnärztliche Leistungen (Bema-Z). Die Klägerin wurde hiervon erstmals mit Schreiben vom 16. Januar 1995 informiert. In der Folgezeit blieben die Prüfungseinrichtungen untätig, nachdem es zu Streitigkeiten über die Kostentragung der Prüfverfahren gekommen war. Erst mit Schreiben vom 02. September 1997 wurde die Klägerin um Stellungnahme zu ihrer Behandlungsweise gebeten. Unter dem 10. März 1998 beschloss der zu 5. beigeladene Prüfungsausschuss für das Quartal IV/93 Honorarkürzungen im Hinblick auf die Bema-Z-Nrn. 41 a, 48, 54 a, 54 b und 56 c in Höhe von insgesamt 27.781,66 DM. Der Beschluss wurde der Klägerin mit Begleitschreiben vom 30. März 1998 per Einschreiben übermittelt. Ausweislich eines handschriftlichen Vermerks in der Verwaltungsakte des Beklagten ging er dort am 31. März 1998 ein.

Am 29. April 1998 haben die Mitglieder der Klägerin hiergegen Widerspruch eingelegt und sich zur Begründung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) berufen, wonach bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung der abschließende Bescheid über die Honorarkürzung spätestens vier Jahre nach der vorläufigen Quartalsabrechnung dem Vertragszahnarzt zugestellt werden müsse; diese Frist sei für die Quartale II-IV/1993 überschritten.

Mit Beschluss vom 21. April 1999 reduzierte der Beklagte die Honorarkürzung auf 9.828,41 DM und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Zum behaupteten Fristablauf führte er zur Begründung aus, wie sich aus dem Nachtrag zum Merkblatt „Zahlungen der KZV Niedersachsen aufgrund der Honorarabrechnung für Kassenzahnärzte“ ergebe, würden die Restzahlungen für das 4. Quartal bis zum 05. April d.J. überwiesen. Zeitgleich mit den Zahlungen würden die Honorarbescheide versandt. Die Zahlung für das Quartal IV/93 sei am 05. April 1994 angewiesen, der Honorarbescheid mit Wirkung zu diesem Datum erlassen worden. Somit sei der Beschluss des Prüfungsausschusses nachweislich fünf Tage vor dem am 05. April 1998 eingetretenen Fristablauf zugestellt worden. Eine Prüfung der Quartale II und III/93 dürfe dagegen nicht mehr erfolgen. Diese Entscheidung wurde der Klägerin mit Schreiben vom 21. Juni 1999 per Einschreiben bekannt gemacht.

Mit Schriftsatz vom 13. Juli 1999 haben die Mitglieder der Klägerin hiergegen Klage erhoben, die am 14. Juli 1999 bei dem Sozialgericht (SG) Hannover eingegangen ist. Zur Begründung haben sie zunächst bestritten, dass ein ordnungsgemäßer Prüfantrag für das Quartal IV/93 gestellt worden sei. Insbesondere sei jedoch die nach der Rechtsprechung des BSG zu beachtende Ausschlussfrist von vier Jahren nach der vorläufigen Honorarabrechnung nicht beachtet worden. Der Bescheid des Beigeladenen zu 5. sei der Klägerin zwar am 31. März 1998 zugestellt worden, das Zustellungsdatum der Quartalsabrechnung IV/93 datiere jedoch vor dem 31. März 1994. Man könne den Zustellungszeitpunkt dieser Quartalsabrechnung allerdings nicht konkret benennen, weil derartige Abrechnungen lediglich mit einfachen Schreiben erfolgten. Die Abrechnungen für das 4. Quartal 1994, 1995 und 1998 hätten jedoch das Datum 30., 28. bzw. 29. März getragen; es sei davon auszugehen, dass diese Abrechnungen wie auch der Prüfungsbescheid vom 30. März 1998 einen Tag nach Datumsangabe der Klägerin zugestellt worden sei. Auf die Zahlungsanweisung komme es demgegenüber nicht an.

Der Beklagte hat dagegen ausgeführt, dass es bei der zu 6. beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) regelmäßig so sei, dass das Datum der Anweisung der Quartalsrestzahlung mit dem Datum des Absendens der Quartals-abrechnungsbescheide zusammenfalle; damit spreche der erste Anschein dafür, dass die Klägerin den Honorarbescheid für das Quartal IV/93 mit einfacher Post erst nach dem 05. April 1994 erhalten habe. Der seinerzeitige Geschäftsführer der Beigeladenen zu 6. könne diese Regelmäßigkeit als Zeuge bestätigen.

Mit Urteil vom 15. August 2001 hat das SG den Beschluss des Beigeladenen zu 5. vom 10. März 1998 in Gestalt des Beschlusses des Beklagten vom 21. April 1999 aufgehoben. Die bei der Durchführung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung zu beachtende Vierjahresfrist wäre angesichts der unstreitigen Zustellung des Beschlusses des Beigeladenen zu 5. am 31. März 1998 eingehalten worden, wenn der vorläufige Honorarbescheid für dieses Quartal nach dem 31. März 1994 der Klägerin zugegangen wäre; dies könne nicht als nachgewiesen angesehen werden. Weder die Angaben zur regelmäßigen Absendepraxis der Beigeladenen zu 6. noch die Darstellung der Klägerin zu den Daten einzelner Quartalsabrechnungen seien insoweit zur Stützung einer Entscheidung ausreichend. Der Klägerin obliege nicht der Nachweis, dass der Prüfbescheid für das Quartal IV/93 außerhalb der Vierjahresfrist zugegangen sei.

Gegen das ihm am 06. September 2001 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schreiben vom 04. Oktober 2001 Berufung eingelegt, die am selben Tag beim Landessozialgericht (LSG) eingegangen ist. Zu Unrecht gehe das SG davon aus, der Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass der Honorarbescheid für das Quartal IV/93 erst nach dem 31. März 1994 bekanntgegeben worden sei. Fehlerhaft habe es nicht den angebotenen Beweis der Zeitgleichheit von Quartalsabrechnung und Versand des Quartalabrechnungsbescheides erhoben. Wäre dieser Beweis erbracht worden, hätte der erste Anschein dafür gesprochen, dass die Klägerin den Honorarbescheid IV/93 mit einfacher Post erst nach dem 05. April 1994 erhalten habe. Sie hätte dann ihrerseits Tatsachen vortragen müssen, um den für den Beklagten sprechenden ersten Anschein zu entkräften. Im Übrigen gelte im Rahmen der Beweislastverteilung der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trage, die von ihm geltend gemacht werden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Hannover vom 15. August 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Insbesondere habe das SG zu Recht den Beweisantritt zu dem regelmäßigen Zusammenfallen der Daten der Zahlungsanweisungen und des Absendens der Quartalsabrechnungsbescheide abgelehnt. Die vom Beklagten insoweit behauptete Gepflogenheit liege auch tatsächlich nicht vor. Im Hinblick auf die Beweislastverteilung sei zu berücksichtigen, dass dem Beklagten die Beweislast für die Unwirtschaftlichkeit und damit auch für den Zugang des strittigen Bescheids obliege. Insoweit wäre es für den Beklagten leicht, Zugangszeitpunkte darzulegen und zu beweisen, wenn die entsprechenden Postsendungen mit Einschreiben per Rückschein versandt worden wären.

Die Beigeladenen haben sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Urteil des SG ist zutreffend.

Die Klage, die sich im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung allein gegen den Bescheid des Beschwerdeausschusses (BSG SozR 3-1300 § 35 Nr. 5) und damit vorliegend gegen den Bescheid des Beklagten vom 21. April 1999 richtet, ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) statthaft. Grundsätzlich kann mit ihr nur das Ziel verfolgt werden, den Bescheid des Beschwerdeausschusses aufzuheben und diesen zur Neubescheidung über den Widerspruch des Klägers gegen den vorangegangenen Bescheid des Prüfungsausschusses zu verurteilen. Etwas anderes gilt aber, wenn - wie hier - geltend gemacht wird, dass der Beschwerdeausschuss rechtlich gehalten wäre, den ersten Prüfbescheid aufzuheben; in einem derartigen Fall kann die Aufhebung der Bescheide sowohl des Prüfungs- als auch des Beschwerdeausschusses geltend gemacht werden (BSG SozR 3-1300 § 35 Nr. 5; SozR 3-2500 § 106 Nr. 22).

Die Klage ist auch begründet. Zu Recht hat das SG die Bescheide des Beigeladenen zu 5. und des Beklagten aufgehoben.

Rechtsgrundlage der Wirtschaftlichkeitsprüfung im hier betroffenen 4. Quartal des Jahres 1993 ist § 106 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V; i. d. F. der Fassung des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 21. Dezember 1992). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfung ärztlicher Leistungen nach Durchschnittswerten geprüft.

20Nach ständiger Rechtsprechung (grundlegend BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 19) ist die Möglichkeit, eine derartige Prüfung durchzuführen, aber zeitlich begrenzt. Denn das rechtsstaatliche Gebot der Rechtssicherheit (Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz <GG>) erfordert, dass der betroffene Vertrags(zahn)arzt nicht einem fortwährenden, zeitlich nicht begrenzten Prüfverfahren ausgesetzt ist, sondern nach Ablauf einer angemessenen Zeit sicher sein kann, dass ihm die für ein bestimmtes Quartal zuerkannte Vergütung endgültig zusteht. Deshalb muss der Bescheid des Prüfungsausschusses dem Vertrags(zahn)arzt innerhalb einer Ausschlussfrist von vier Jahren zugegangen sein (BSG a.a.O.). Ausnahmsweise kann diese Frist zwar auch durch andere Akte gewahrt werden, mit denen der (Zahn)arzt über die Durchführung eines Prüfverfahrens informiert wird; diese müssen aus Gründen der Rechtssicherheit aber immer in einem förmlichen Verfahren ergehen, etwa in Gestalt der Beiladung innerhalb einer Untätigkeitsklage der Krankenkassen (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 39; vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 23. März 2005 - L 3 KA 160/03). Formlose Mitteilungen über Beginn und Durchführung des Prüfverfahrens - wie hier die Mitteilungen des Beigeladenen zu 5. an die Klägerin vom 16. Januar 1995 bzw. vom 02. September 1997 - wahren die Frist deshalb nicht.

Der Lauf der Frist beginnt nach der Rechtsprechung des BSG mit der vorläufigen Honorarabrechnung für das einzelne Quartal (SozR 3-2500 § 106 Nrn. 19 und 39) bzw. dem „Ergehen des Quartalsabrechnungsbescheides“ (SozR 3-2500 § 82 Nr. 3; vgl. zuletzt Beschluss vom 27. April 2005 - B 6 KA 46/04 B), worunter genauer die Zustellung oder der Zugang und das sich daraus ergebende Wirksamwerden (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch <SGB X>) des Honorarbescheids für das einzelne Quartal zu verstehen ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 19; Urteil vom 08. Dezember 1993 - 14a RKa 10/92 -). Demgegenüber vertreten einige Berufungsgerichte (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 06. August 2003 - L 3 KA 516/01 - und LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. April 2004 - L 11 KA 150/03 - jeweils Juris; noch offen gelassen im Senatsurteil vom 23. März 2005 - L 3 KA 160/03), in entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) sei das Ende des Kalenderjahres maßgeblich, in dem der Abrechnungsbescheid erlassen worden ist.

Der Senat folgt nicht der letztgenannten Auffassung, sondern schließt sich der Rechtsprechung des BSG an und stellt damit auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Honorarbescheids ab. Der Rückgriff auf das jeweilige Ende des Kalenderjahres mag zwar praktische Vorteile in Fällen wie dem vorliegenden haben, in denen der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Honorarbescheids nur mit Schwierigkeiten festzustellen ist. Gleichwohl kann der kalenderjahrbezogene Fristbeginn nicht als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens angesehen werden, der für alle Arten von Fristen herangezogen werden kann. Vielmehr stellt § 45 Abs. 1 SGB I eine Sonderregelung für die Verjährung von Ansprüchen dar, die grundsätzlich an das (objektive) Entstehen des Anspruchs geknüpft ist (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar, Lsbls - Stand Januar 2006 - , § 45 SGB I Rdnr. 10). Da dieser Zeitpunkt häufig nicht ohne weiteres erkennbar ist, dient es der Rechtssicherheit, wenn für den Beginn der Verjährung auf den Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres abgestellt wird. Für den Beginn der hier gegebenen Ausschlussfrist zur Korrektur einer durch Bescheid getroffenen Regelung liegt es dagegen näher, auf den in § 45 Abs. 3 SGB X zugrunde gelegten Zeitpunkt zurückzugreifen (in diesem Sinne bereits BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 19); nach dieser Vorschrift können rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung nur bis zum Ablauf von zwei bzw. zehn Jahren nach ihrer Bekanntgabe zurückgenommen werden.

Der Bescheid des Beigeladenen zu 5. ist der Klägerin am 02. April 1998 bekanntgegeben worden. Dies folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X, wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben gilt. Hierbei handelt es sich um eine unwiderlegbare Vermutung, die auch dann eingreift, wenn die tatsächliche Bekanntgabe nachweislich früher stattgefunden hat (BSGE 5, 53, 55), hier also - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - am 31. März 1998. Aus dem tatsächlichen Zugangszeitpunkt ist ersichtlich, dass der Prüfbescheid mit dem Begleitschreiben vom 30. März 1998 auch an dem letztgenannten Datum zur Post gegeben worden ist, woraus sich der genannte rechtlich maßgebliche Zugangszeitpunkt ergibt.

24Die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise der Klägerin im Quartal IV/93 konnte nach alledem nur dann noch überprüft werden, wenn der für dieses Quartal ergangene Honorarbescheid der Beigeladenen zu 6. der Klägerin am 02. April 1994 oder später bekanntgegeben worden ist. Dies kann jedoch nicht festgestellt werden.

Weder der Beklagte noch die Beigeladene zu 6. oder die Klägerin konnten nachvollziehbar angeben, wann der - mit einfachem Schreiben versandte - Honorarbescheid der Klägerin zugegangen oder von der Beigeladenen zu 6. zur Post gegeben worden ist. Der Bescheid konnte auch nicht vorgelegt werden, sein Erlassdatum ist unbekannt. Der Beklagte stützt seine Behauptung, der Honorarbescheid sei zum 05. April 1994 erlassen worden, lediglich darauf, dass die Restzahlungen für das 4. Quartal 1993 - entsprechend dem Nachtrag zum Merkblatt „Zahlungen der KZV Niedersachsen aufgrund der Honorarabrechnung für Kassenzahnärzte“ am 05. April 1994 in Wert gestellt worden seien und dass es bei der Beigeladenen zu 6. „regelmäßig“ so sei, dass das Datum der Anweisung der Quartalsrestzahlungen mit dem Datum des Absendens der Quartalabrechnungsbescheide zusammenfalle. Dies wird indes von der Klägerin unter Hinweis darauf bestritten, dass zumindest die Abrechnungen für die Quartale IV/94, IV/95 und IV/96 frühere Daten trügen.

Zu Unrecht meint der Beklagte, der demnach erforderliche Nachweis des Zugangs oder zumindest - wegen § 37 Abs. 2 SGB X - der Aufgabe des Bescheids zur Post sei im Wege des Anscheinsbeweises erbracht, wenn ein Mitarbeiter der Beigeladenen zu 6. den behaupteten regelmäßigen Zusammenhang zwischen Honorarauszahlung und Bescheidabsendung bestätigt. Denn derartige behördeninterne Vorgänge sind dem Anscheinsbeweis nicht zugänglich. Dieser kann nur auf dem Resümee zahlreicher Erfahrungen des Lebens oder von Erkenntnissen einer großen Zahl von Personen beruhen, die sie bei wesensgleichen Ereignissen immer wieder gewonnen haben (BFH NVwZ 1990, 303 f; der BFH verneint die Zulässigkeit des Anscheinsbeweis zum Nachweis des Zugangs eines zur Post gegebenen Bescheides). Derartige, allgemeinem Erfahrungswissen zugängliche Umstände liegen aber nicht vor, wenn es um organisatorische Üblichkeiten innerhalb einer Behörde geht. Würde man auch insoweit einen Anscheinsbeweis zulassen, käme dies einer unwiderlegbaren Vermutung zu Lasten des Bürgers gleich, weil dieser den Anscheinsbeweis schon deshalb kaum erschüttern könnte, weil er keinen Einblick in derartige Interna haben kann. Dieses Ergebnis widerspräche auch der Wertung des Gesetzes, das die Beweislast für den Zeitpunkt des Zugangs eines Bescheides der Behörde aufbürdet (§ 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SGB X). Im Übrigen teilt der Senat die in der Rechtsprechung (vgl. VGH Baden-Württemberg NVwZ-RR 1992, 339, 340) und im Schrifttum (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Auflage, § 41 Rdnr. 45; VerbKomm, Lsbls - Stand Oktober 1998 -, § 37 SGB X Rdnr. 9) verbreiteten Auffassung, dass es der Behörde im Hinblick auf die Dreitageregelung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X regelmäßig obliegt, die Aufgabe ihrer Bescheide zur Post durch einen Absendevermerk aktenkundig zu machen. Inwieweit der Nachweis der Absendung eines bestimmten Bescheides im Einzelfall auch durch andere Beweismittel möglich ist, kann hier dahinstehen; denn derartige Beweismittel sind weder angeboten worden noch von Amts wegen ersichtlich.

Kann damit weder die Absendung noch der Zugang des Honorarbescheids für das 4. Quartal 1993 ermittelt werden, geht dies zu Lasten des Beteiligten, der insoweit die objektive Feststellungslast trägt. Dies ist vorliegend der Beklagte.

Dies folgt schon aus § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SGB X, wonach im Zweifel die Behörde den Zeitpunkt des Zugangs eines Bescheides nachzuweisen hat. Dies gilt zwar zunächst nur für Bescheide, die die Behörde selbst erlassen hat. Der Anwendung dieser Beweislastregel im vorliegenden Fall kann aber nicht entgegenstehen, dass der Honorarbescheid IV/93 nicht vom Beklagten, sondern von der Beigeladenen zu 6. erlassen worden ist. Denn der Beklagte, der aufgrund der in § 106 SGB V geregelten Besonderheiten des Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahrens rechtlich verselbständigt ist, tritt mit seinem Kürzungsbescheid im Ergebnis an die Stelle der Beigeladenen zu 6. als die Stelle, die die vertragszahnärztliche Vergütung festsetzt; er muss sich deshalb im vorliegenden Zusammenhang deren Rechtsstellung zurechnen lassen. Insoweit kann nichts anderes gelten als bei sachlich-rechnerischen Berichtigungen, die von der Beigeladenen zu 6. vorzunehmen wären und für die ebenfalls die vierjährige Ausschlussfrist gilt (BSG SozR 3-5535 Nr. 119 Nr. 1).

Dieses Ergebnis wird dadurch bestätigt, dass die Prüfgremien - und damit vorliegend der Beklagte - grundsätzlich die objektive Feststellungslast dafür tragen, dass gegen den Vertrags(zahn)arzt eine Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise verhängt werden kann. Die Darlegungs- und Beweislast geht nur insoweit auf den (Zahn)arzt über, als dieser den Gegenbeweis wirtschaftlicher Behandlungsweise wegen des Vorliegens von Praxisbesonderheiten bzw. kompensationsfähigen Einsparungen führen muss, wenn das Prüfgremium ein offensichtliches Missverhältnis seines Fallwerts zu dem der Vergleichsgruppe festgestellt hat (BSG SozR 4-2500 § 106 Nrn. 1 und 4). Nach den allgemeinen Regeln der Beweislastverteilung trifft die objektive Feststellungslast den Vertrags(zahn)arzt darüber hinaus auch für Einreden, die nur bei Geltendmachung zu berücksichtigen sind. Um eine Einrede - vergleichbar der der Verjährung - handelt es sich bei der Ausschlussfrist aber nicht, auch wenn das BSG vereinzelt - missverständlich - von Fällen gesprochen hat, in denen sich die „Berufung“ des Vertrags(zahn)arztes hierauf als rechtsmissbräuchlich erweisen könne (SozR 3-2500 § 106 Nr. 19). Die Wirkungen der Ausschlussfrist treten vielmehr von Rechts wegen ein und sind von Prüfgremien und Gerichten von Amts wegen zu berücksichtigen (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 30). Die Einhaltung der Vierjahresfrist ist damit ein Tatbestandsmerkmal der Durchführung von Prüfmaßnahmen, für die der Prüfungs- bzw. Beschwerdeausschuss die objektive Feststellungslast trägt. Selbst wenn man - negativ gewendet - den Fristablauf als negatives Tatbestandsmerkmal ansehen würde, änderte sich hieran nur etwas, wenn die Ausschlussfrist ein Gegenrecht mit Ausnahmecharakter wäre (vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Auflage, S. 671 f). Dies ist jedoch nicht der Fall; die vierjährige Frist ist vielmehr eine der Prüfungsbefugnis nach § 106 SGB V immanente rechtsstaatliche Beschränkung, vergleichbar mit den - bereits angeführten - gesetzlich ausdrücklich in § 45 Abs. 3 SGB X geregelten zeitlichen Grenzen der Korrekturmöglichkeit rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG (in der bis zum 01. Januar 2002 geltenden Fassung).

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.