ArbG Göttingen, Urteil vom 29.06.2006 - 2 Ca 67/06
Fundstelle
openJur 2012, 44476
  • Rkr:

1. Wenn der öffentliche Arbeitgeber im Hinblick auf die gekündigten tarifvertraglichen Vorschriften zur Arbeitszeit (§§ 15 ff. BAT) und die ebenfalls gekündigten Tarifverträge über die Zahlung einer Sonderzuwendung (TV-Zuwendungen) und über die Zahlung eines Urlaubsgeldes (TV-Urlaubsgeld) einzelvertraglich vereinbart, dass sich die Arbeitszeit und die Zahlung der Sonderzuwendungen bzw. des Urlaubsgeldes nach den für vergleichbare Beamte maßgebenden Vorschriften richtet, könnte hierin ein gem. § 308 Abs. 1 Ziff. 4 BGB bzw. § 307 Abs. 1 BGB unwirksamer Änderungsvorbehalt gesehen werden.2. Der in der dynamischen Bezugnahme verkörperte Änderungsvorbehalt führt nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Klausel, da die verbleibende Restklausel aus sich heraus verständlich bleibt („blue pencil-test“). Die einzelvertragliche Bezugnahmeklausel bleibt daher insofern wirksam, als auf die derzeitigen beamtenrechtlichen Vorschriften verwiesen wird (statische Bezugnahmeklausel). Es liegt daher allenfalls eine Teilunwirksamkeit vor. Eine geltungserhaltende Reduktion ist hierin nicht zu sehen.3. Die Vereinbarung über den Umfang der regelmäßigen Arbeitszeit betrifft die Hauptleistungsverpflichtung und stellt keine der AGB-Kontrolle unterliegenden Nebenabrede dar.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird auf 7.000,-- Euro festgesetzt.

4. Die Berufung wird gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit sowie um tarifvertragliche Ansprüche auf die Zahlung einer Sonderzuwendung (Weihnachtsgeld) und die Zahlung eines Urlaubsgeldes.

Die am 08.11.1955 geborene Klägerin ist seit dem 26.08.1981 bei dem beklagten Land in der A. als Angestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) jeweils geltenden Fassung Anwendung, wobei in dem letzten einzelvertraglich vereinbarten Änderungsvertrag insofern gewisse Einschränkungen vereinbart worden sind.

Die Klägerin war bis zum 31.08.2005 in die Vergütungsgruppe VII eingruppiert. Zum 01.09.2005 wurde der Klägerin eine neue Aufgabe übertragen. In diesem Zusammenhang haben die Parteien unter dem Datum vom 09.08.2005 einen Änderungsvertrag geschlossen. Danach wird die Klägerin seit dem 01.09.2005 in die Vergütungsgruppe V c eingruppiert. Der Änderungsvertrag enthält darüber hinaus folgende Klausel:

Die gekündigten §§ 15 - 17 BAT und die Sonderregelungen hierzu gelten bis zum Zeitpunkt einer neuen Vereinbarung mit der Maßgabe, dass als durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 BAT diejenige Wochenarbeitszeit gilt, die für vergleichbare Beamtinnen und Beamte des Landes jeweils maßgebend ist (z. Zt. 40 Stunden).

Die gekündigten Tarifverträge über die Sonderzuwendungen für Angestellte vom 12.10.1973 und ein Urlaubsgeld für Angestellte vom 16.03.1977 gelten bis zum Zeitpunkt einer neuen Vereinbarung mit der Maßgabe, dass die Sonderzahlungen in der Höhe gewährt werden, wie sie die vergleichbaren Beamtinnen und Beamte des Landes erhalten.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die beiden Klauseln einen unzulässigen Änderungsvorbehalt darstellen und daher unwirksam seien. Aus diesem Grund würde sich die regelmäßige Arbeitszeit nach wie vor nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BAT (38,5 Stunden) richten. Darüber hinaus stünde ihr nach dem Tarifvertrag über Zuwendungen für Angestellte (TV-Zuwendungen) eine Sonderzuwendung (Weihnachtsgeld) in Höhe von 82,14 % der Urlaubsvergütung nach § 47 Abs. 2 BAT und nach dem Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld für Angestellte (TV-Urlaubsgeld) ein Urlaubsgeld zu. Darüber hinaus ist die Klägerin der Ansicht, dass sie wegen der seit dem 01.09.2005 zugrunde gelegten Wochenarbeitszeit pro Woche 1,5 Überstunden geleistet habe, für die ihr ein Freizeitgewährungsanspruch und eine Überstundenzulage zustünde. Die Klägerin beantragt,

1. es wird festgestellt, dass ihre durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auch nach dem 31.08.2005 38,5 Stunden beträgt,

2. festzustellen, dass sie seit dem 31.08.2005 wöchentlich 1,5 Überstunden geleistet hat, für die Arbeitsbefreiung zu gewähren und Zeitzuschläge zu zahlen sind,

3. es wird festgestellt, dass sie auch nach dem 31.08.2005 einen Anspruch auf Sonderzuwendungen nach dem Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte (TV-Zuwendungen) hat,

4. es wird festgestellt, dass sie auch nach dem 31.08.2005 einen Anspruch auf Urlaubsgeld nach dem Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld für Angestellte (TV-Urlaubsgeld) hat.

Die Beklagtenvertreterin beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land ist der Ansicht, dass die beiden Klauseln in dem Änderungsvertrag auch nach AGB-Recht nicht zu beanstanden seien, so dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden betrage. Darüber hinaus stünde der Klägerin eine Sonderzuwendung nur nach der Maßgabe der mit ihr vergleichbaren Beamten geltenden Regelung zu. Für das Jahr 2005 seien dies 420,00 Euro brutto, die auch ausgezahlt worden seien. Ein Anspruch auf Urlaubsgeld bestehe nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Klage ist am 07.02.2006 bei Gericht eingegangen und wurde dem beklagten Land am 10.02.2006 zugestellt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

I.

An dem Vorliegen der Voraussetzungen der Zulässigkeit bestehen keine Bedenken. Die Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes ergibt sich gem. § 2 Abs. 1 Ziff. 3 a Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich gem. § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 29 Zivilprozessordnung (ZPO). Der Erfüllungsort liegt im Zuständigkeitsbereich des Arbeitsgerichtes Göttingen. Das für die Feststellungsklage gem. § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, da die zwischen den Parteien streitigen Rechtsfragen auch Auswirkungen auf die Zukunft haben. Dies gilt jedenfalls bis zum Inkrafttreten des neuen Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L).

II.

Die Klage ist nicht begründet. Seit dem 01.09.2005 beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin 40 Stunden. Ein über die unstreitig gezahlten 420,00 Euro brutto hinausgehender Anspruch auf die Zahlung einer Sonderzuwendung oder die Zahlung eines Urlaubsgeldes besteht nicht. Zu den einzelnen Punkten wie folgt:

201. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin beträgt aufgrund der mit Änderungsvertrag von 09.08.2005 getroffenen Vereinbarung 40 Stunden pro Woche. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Verweisung auf die „jeweilig“ für die vergleichbaren Beamten maßgebliche Arbeitszeit einen gem. § 308 Satz 1 Ziff. 4 BGB bzw. gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unzulässigen Änderungsvorbehalt darstellt. Die Unwirksamkeit eines solchen Änderungsvorbehaltes würde nämlich nicht zur Unwirksamkeit der gesamten, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit betreffenden Regelung führen.

21Enthält eine der AGB-Kontrolle unterliegende Klausel neben einer unwirksamen, auch unbedenkliche, sprachlich und inhaltlich abtrennbare Bestandteile, bleibt diese regelmäßig wirksam (§ 306 Abs. 2 BGB). Dies gilt auch dann, wenn sie den gleichen Sachkomplex betreffen. Voraussetzung für eine solche Teilaufrechterhaltung ist nur, dass nach dem Wegstreichen der unwirksamen Teilregelung ein aus sich heraus verständlicher Klauselrest verbleibt (sogenannter „Blue pencil-test“ BAG vom 21.04.2005, NZA 2005, 1053 m.w.N.).

Dies ist hier der Fall. Der ggf. unwirksame Änderungsvorbehalt verbirgt sich ausschließlich in der Bezugnahme auf die „jeweils“ maßgebende Arbeitszeit der niedersächsischen Beamten. Unterstellt, man würde den unwirksamen Teil (dynamische Bezugnahmeklausel) aus der hier streitigen Vertragsklausel herausstreichen, würde die dann noch verbleibende Restklausel aus sich heraus verständlich bleiben. Die Unwirksamkeit der Bezugnahme auf die „jeweils“ maßgebende Arbeitszeit der Beamten würde mithin lediglich dazu führen, dass die derzeitige maßgebende Arbeitszeit der niedersächsischen Beamten (40 Stunden) als vereinbart gilt.

23Die verbleibende Restklausel (statische Bezugnahmeklausel) ist auch unter Berücksichtigung der AGB-Vorschriften rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass es sich bei der verbleibenden Restklausel (statische Bezugnahmeklausel) um eine nicht klar und verständliche Regelung handelt (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Im Gegenteil: Durch den Verweis auf die Arbeitszeit der niedersächsischen Beamten und den Klammerzusatz, dass diese z. Zt. 40 Stunden beträgt, wird hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sich die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nicht nach § 15 BAT richten, sondern 40 Stunden betragen soll. Hinzu kommt, dass es sich bei dem Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit um eine Regelung über die Hauptleistungsverpflichtung und nicht um eine vertragliche Nebenabrede handelt, die nach der Rechtsprechung des BAG keiner AGB-Kontrolle unterliegt (BAG vom 22.04.2004 AP Nr. 27 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag).

Letztendlich kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass auf tarifvertragliche Ansprüche gem. § 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz (TVG) nicht verzichtet werden darf. Da die die Arbeitszeit regelnden §§ 15 ff. BAT von der Tarifgemeinschaft der Deutschen Länder (TdL) zum Zeitpunkt des Änderungsvertrages bereits gekündigt waren, finden sie auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin gem. § 4 Abs. 5 TVG nur noch kraft Nachwirkung Anwendung, so dass sie durch eine andere (individuelle) Abmachung ersetzt werden können. Dies ist hier der Fall. Durch den Änderungsvertrag vom 09.08.2005 haben die Parteien im Hinblick auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eine andere Abmachung i.S.v. § 4 Abs. 5 TVG getroffen.

2. Die Klägerin hat neben der bereits gezahlten Zuwendung in Höhe von 420,00 Euro brutto keinen Anspruch auf die Zahlung einer weiteren Sonderzuwendung nach dem TV-Zuwendungen. Insofern wird auf die vorherigen Ausführungen Bezug genommen. Auch hier haben die Parteien in dem Änderungsvertrag vom 09.08.2005 ausdrücklich geregelt, dass dieser (gekündigte) Tarifvertrag bis zum Zeitpunkt einer neuen (tarifvertraglichen) Vereinbarung nur mit der Maßgabe gilt, dass Sonderzahlungen in der Höhe gewährt werden, wie sie die vergleichbaren Beamtinnen und Beamte des Landes (Niedersachsen) erhalten.

Sofern diese Klausel dahingehend auszulegen sein sollte, dass auf die „jeweils“ gültigen beamtenrechtlichen Vorschriften in Bezug genommen wird - was wohl der Fall sein dürfte -, wird auf die vorherigen Ausführungen Bezug genommen. Auch hier würde die ggf. einen unzulässigen Änderungsvorbehalt darstellende dynamische Bezugnahme nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Regelung führen. Auch insofern würde die verbleibende Restklausel (statische Bezugnahmeklausel) in sich verständlich bleiben. Durch die verbleibende Restklausel würde geregelt, dass sich die Höhe der Sonderzuwendung nach den derzeitigen beamtenrechtlichen Vorschriften bemisst und somit gem. § 67 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) i. V. m. § 8 niedersächsisches Besoldungsgesetz (NBesG) 420,00 Euro beträgt.

Auch im Hinblick auf die Regelung zur Sonderzuwendung kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass die verbleibende Restklausel (statische Bezugnahmeklausel) nicht klar und verständlich und daher unwirksam ist (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dies gilt auch dann, wenn in dem Änderungsvertrag nur auf die „vergleichbaren“ Beamten Bezug genommen wird und der die Sonderzuwendung regelnde § 8 NBesG nur für Beamte in den Besoldungsgruppen A 2 bis A 8 eine jährliche Sonderzuwendung vorsieht. Dass eine in die Vergütungsgruppe V c eingruppierte BAT-Mitarbeiterin im Sinne der tarifvertraglichen Regelungen mit einem Beamten der Besoldungsgruppe A8 vergleichbar ist, ist im öffentlichen Dienst allgemein bekannt und ergibt sich im Übrigen auch aus § 11 BAT.

3. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung eines Urlaubsgeldes nach dem TV-Urlaubsgeld. Insofern wird ebenfalls auf die vorherigen Ausführungen Bezug genommen. Auch hier würde der ggf. unwirksame Änderungsvorbehalt (dynamische Bezugnahmeklausel) nur zur Teilunwirksamkeit und somit nur zu einer statischen Bezugnahmeklausel führen, so dass die Klägerin unter Berücksichtigung der für die Beamten des Landes Niedersachsen maßgeblichen Vorschriften keinen Anspruch auf Urlaubsgeld hat.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich gem. § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 91 ZPO. Bei dem Streitwert handelt es sich um die geschätzte Vergütungsdifferenz für einen Zeitraum von drei Jahren. Die Berufung ist gesondert zuzulassen, da es um die Auslegung eines Tarifvertrages geht, dessen Geltungsbereich sich über die Bezirks des Arbeitsgerichtes Göttingen erstreckt (§ 64 Abs. 3 Ziff. 2 b ArbGG).

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