LG Hamburg, Urteil vom 23.10.2009 - 324 O 120/09
Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 10.000,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 25. Mai 2009 zu zahlen.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 1/21 und die Beklagte zu 20/21 zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger allerdings nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

und beschließt:

Der Streitwert wird auf EUR 10.500,00 festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten wegen der Veröffentlichung einer Wort- und Bildberichterstattung eine Geldentschädigung in Höhe von EUR 10.500,00.

Der Kläger war wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs seiner Tochter angeklagt und wurde in einem mehrtägigen Prozess vor dem Landgericht Hamburg freigesprochen.

In der H.-Ausgabe der von der Beklagten verlegten Tageszeitung „B.“ vom 20. Januar 2009 erschien auf Seite 8 ein Artikel unter der Überschrift „H. vor Gericht Hat er seine kleine Tochter missbraucht?“. Darin berichtete die Beklagte vom Verhandlungstag des 19. Januar 2009 unter Hinweis auf die Fortsetzung der Strafverhandlung am Tag des Erscheinens des Artikels. Die Beklagte veröffentlichte eine Fotografie des Klägers, bei der die Augenpartie mit einem schwarzen Balken verdeckt war, und nannte den Vornamen, den Anfangsbuchstaben des Nachnamens und das Alter des Klägers. Wegen der Einzelheiten der Berichterstattung wird auf Anlage K 1 Bezug genommen. Über den späteren Freispruch berichtete sie nicht. Nachbarn und Nutzer eines Internetforums erkannten den Kläger aufgrund des Artikels vom 19. Januar 2009.

Trotz anwaltlicher Aufforderung (Anlage K 3) gab die Beklagte weder eine Unterlassungsverpflichtungserklärung ab, noch zahlte sie die verlangte Geldentschädigung in Höhe von EUR 10.000,00 (vgl. Anlage K 4).

Der Kläger trägt vor, dass er erkennbar sei und seine Erkennbarkeit von den Mitarbeitern der Beklagten auch gewollt gewesen sei. Wegen der vorgerichtlichen Weigerung, die verlangte Geldentschädigung zu zahlen, sei der verlangte Betrag um weitere EUR 500,00 zu erhöhen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 10.500,00 nebst 5 % Punkte Zinsen über dem Diskontsatz der Bundesbank seit Klagzustellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, es habe sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung gehandelt. Angesichts der Eröffnung des Hauptverfahrens habe der erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen vorgelegen, wie sich im Einzelnen aus dem Eröffnungsbeschluss, der Anklageschrift und dem Protokoll der Videovernehmung der Tochter des Klägers ergebe (Anlagen B 1 bis B 3). Es habe sich um einen Fall schwerer Kriminalität gehandelt, also einen Gegenstand von berechtigtem öffentlichen Interesse, bei dem auch eine identifizierende Berichterstattung zulässig gewesen sei. Der Artikel sei nicht vorverurteilend. Die Einholung einer Stellungnahme sei angesichts des Umstandes, dass ein Leugnen zu erwarten gewesen wäre, hier entbehrlich gewesen.

Der Beklagten sei kein schweres Verschulden, nicht einmal Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Im Übrigen scheitere der geltend gemachte Anspruch am Grundsatz der Subsidiarität, da der Kläger zu keiner Zeit eine ergänzende Mitteilung verlangt habe.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

I. Die zulässige Klage ist begründet.

1. Der Kläger hat wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG.

Voraussetzung eines derartigen Anspruchs ist, dass das Persönlichkeitsrecht durch eine Veröffentlichung schuldhaft in schwerwiegender Weise verletzt wird und sich die eingetretene Rechtsverletzung nicht in anderer Weise als durch Zahlung von immateriellem Schadensersatz ausgleichen lässt Ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts gegeben ist, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, des weiteren von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGH, Urteil vom 12.12.1995, NJW 1996, S. 985 ff., 986 m.w.N.). Nach diesen Kriterien ist vorliegend eine Geldentschädigung erforderlich und geboten:

a) Die Berichterstattung der Beklagten verletzt in rechtswidriger und schwerwiegender Weise das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers.

aa) Vorliegend war eine identifizierende Berichterstattung nicht zulässig. Zwar handelte es sich bei den im Strafverfahren gegen den Kläger erhobenen Vorwürfen nicht um solche aus dem Bereich der kleineren bzw. ganz gewöhnlichen Kriminalität. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Berichterstattung aber Angeklagter; bis zu einem etwaigen Schuldspruch sprach die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Unschuldsvermutung für ihn.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 10. Juni 2009 zu Berichterstattungen über die Entstehung, Ausführung und Verfolgung einer Straftat unter Namensnennung, Abbildung und Darstellung des Straftäters Folgendes ausgeführt (1 BvR 1107/09, www.bundesverfassungsgericht.de, Rz. 20):

Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts muss ferner im angemessenen Verhältnis zur Schwere des Fehlverhaltens und seiner sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen (vgl. BVerfGE 35, 202 <232>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 1993 – 1 BvR 172/93 –, NJW 1993, S. 1463 <1464>; 13. Juni 2006 – 1 BvR 565/06 –, NJW 2006, S. 2835). Danach ist die Namensnennung, Abbildung oder sonstige Identifizierung des Täters keineswegs immer zulässig; insbesondere in Fällen der kleinen Kriminalität oder bei jugendlichen Straftätern wird dies nicht der Fall sein (vgl. BVerfGE 35, 202 <232>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 1993 – 1 BvR 172/93 –, NJW 1993, S. 1463 <1464>).

Ein an sich geringeres Interesse der Öffentlichkeit über leichte Verfehlungen kann im Einzelfall indes durch Besonderheiten etwa in der Person des Täters oder des Tathergangs aufgewogen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juni 2006 – 1 BvR 565/06 –, NJW 2006, S. 2835). Handelt es sich im Übrigen um ein noch laufendes Ermittlungsverfahren, so ist im Rahmen der Abwägung auch die zugunsten des Betroffenen streitende, aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Unschuldsvermutung zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 35, 202 <232>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juni 2006 – 1 BvR 565/06 –, NJW 2006, S. 2835). Bis zu einem erstinstanzlichen Schuldspruch wird insoweit oftmals das Gewicht des Persönlichkeitsrechts gegenüber der Freiheit der Berichterstattung überwiegen. Eine individualisierende Bildberichterstattung über den Angeklagten eines Strafverfahrens kann allerdings dann gerechtfertigt sein, wenn sich der Betreffende nicht beziehungsweise nicht mehr mit Gewicht auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen kann, etwa wenn er sich in eigenverantwortlicher Weise den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen in der medialen Öffentlichkeit auch im Wege der individualisierenden Berichterstattung gestellt hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. November 2008 – 1 BvQ 46/08 –, NJW 2009, S. 350 <352>), aber auch dann, wenn der betreffende Verfahrensbeteiligte kraft seines Amtes oder wegen seiner gesellschaftlich hervorgehobenen Verantwortung beziehungsweise Prominenz auch sonst in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und die Medienöffentlichkeit mit Rücksicht hierauf hinzunehmen hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. April 2009 – 1 BvR 654/09 –, juris <Rn. 23>)

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen stellte vorliegend die identifizierende Berichterstattung einen rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers dar. Denn er konnte aufgrund der nur unzureichenden Unkenntlichmachung im Bild und der weiteren identifizierende Merkmale (insbesondere Nennung des Vornamens, Anfangsbuchstabens des Nachnamens und des Alters) erkannt werden. Bis zu einer etwaigen Verurteilung kam seinem Anonymitätsinteresse – trotz der Schwere der Vorwürfe – Vorrang gegenüber dem Interesse der Öffentlichkeit an näheren Informationen über seine Person zu. Insbesondere führten weder eine besondere Bekanntheit oder hervorgehobene Stellung seiner Person noch eine Privatsphärenöffnung seitens des Klägers zu einem Vorrang des Interesses der Öffentlichkeit, nicht nur über das Strafverfahren an sich, sondern auch über die Person des Angeklagten informiert zu werden. Vielmehr war, wie sich bereits aus der angegriffenen Berichterstattung selbst ergibt, sogar die Öffentlichkeit aufgrund des Gesundheitszustandes des Klägers ausgeschlossen, mithin bestand ein umso stärkeres Interesse des Klägers an der Wahrung seines Anonymitätsinteresses.

bb) Darüber hinaus handelte es sich auch nicht um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zu den Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung gehört es, dass diese nicht zu einer Vorverurteilung des Betroffenen führen darf. Die angegriffene Berichterstattung ist nicht ausgewogen. Zwar wird an einigen Stellen durch Formulierungen wie „so die Anklage der Staatsanwaltschaft“ oder „laut Staatsanwaltschaft“ deutlich, dass auf die Ansicht der Staatsanwaltschaft Bezug genommen wird. An anderen Stellen wird aber ohne Distanzierung oder Verwendung des Konjunktivs der Eindruck erweckt, dass die Schuld des Täters schon feststehe. So heißt es „I. N. begrapscht plötzlich ihre Brüste“ oder „Ein unfassbares Martyrium für das Kind.“ Diese Textstellen sind auch unter Berücksichtigung des Kontextes und der erwähnten Bezugnahme auf die Staatsanwaltschaft geeignet, beim Leser den Eindruck zu erwecken, der Angeklagte sei bereits überführt. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass nur die Staatsanwaltschaft zu Wort kommt, dem Kläger jedoch keine Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt wurde. Diese Möglichkeit zur Stellungnahme war nicht entbehrlich. Insbesondere kann eine etwaige Erwartung der Beklagten, der Betroffene werde ohnehin nur leugnen, eine derartige Stellungnahme nicht verzichtbar machen, sondern gebietet es erst recht, ihm die Gelegenheit hierzu zu gewähren. Dies gilt umso mehr, als im streitgegenständlichen Artikel noch nicht einmal behauptet wird, dass der Kläger die Vorwürfe leugne.

cc) Angesichts der schwer diskriminierenden Wirkung der Berichterstattung handelte es sich auch um eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung. Die besondere Tragweite des Eingriffs folgt insbesondere aus der Art der vorgeworfenen Delikte und aus dem Umstand, dass das Gericht wegen des Gesundheitszustandes des Klägers die Öffentlichkeit ausgeschlossen hatte und die Beklagte diese Schutzmaßnahme durch ihre Berichterstattung konterkariert hat. Besonderes Gewicht kommt außerdem dem Umstand zu, dass der Kläger später freigesprochen wurde, ihn also durch die Berichterstattung die Gefahr einer Stigmatisierung und sozialen Isolierung trifft, ohne dass ihm vorgeworfen werden könnte, dass er selbst den Rechtsfrieden gebrochen hätte.

b) Die Beklagte hat das Persönlichkeitsrecht des Klägers schuldhaft, nämlich wenigstens grob fahrlässig verletzt. Sie hat die Anforderungen an die journalistische Sorgfaltspflicht grob missachtet. Denn ihre Mitarbeiter hätten wissen und beachten müssen, dass vorliegend nur eine Berichterstattung zulässig ist, die den Kläger nicht erkennbar macht. Dies hätte sich den Mitarbeitern der Beklagten gerade angesichts der stigmatisierenden Wirkung der Vorwürfe und angesichts des ihr bekannten Ausschlusses der Öffentlichkeit aufdrängen müssen.

c) Die eingetretene schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers lässt sich nicht in anderer Weise als durch die Zahlung eines immateriellen Schadensersatzes ausgleichen; die gebotene Gesamtabwägung ergibt ein unabwendbares Bedürfnis für die Zuerkennung einer Geldentschädigung. Schon angesichts der dargestellten Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung besteht hier ein derartiges unabwendbares Bedürfnis für die Zuerkennung einer Geldentschädigung. Daneben macht auch der dargestellte ganz erhebliche Grad des Verschuldens der Beklagten die Zuerkennung eines immateriellen Schadensersatzes unabweisbar. Eine anderweitige zumutbare und angemessene Ausgleichsmöglichkeit besteht nicht. Insbesondere muss sich der Kläger angesichts seines Anonymitätsinteresses nicht darauf verweisen lassen, dass er einen Berichtigungsanspruch oder ähnliches hätte geltend machen können.

2. Unter erneuter Würdigung aller vorgenannten Umstände erachtet die Kammer eine Geldentschädigung in Höhe von EUR 10.000,00 für geboten, aber auch ausreichend zum Ausgleich der eingetretenen Rechtsverletzung. Zwar hat die Verletzung der Rechte des Klägers – wie ausgeführt – ein erhebliches Gewicht und erfolgte in keineswegs geringem Maße schuldhaft, nämlich wenigstens grob fahrlässig. Die Verbreitung erfolgte in der H.-Ausgabe der „B.“, also mit einem hohen Verbreitungsgrad. Andererseits ist zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass die Berichterstattung über die Strafverhandlung wahr war und dass die Erkennbarkeit des Klägers durch den Augenbalken und die Abkürzung des Nachnamens zwar nicht ausgeschlossen, aber zumindest verringert wurde. Es führt nicht zu einer Erhöhung der Geldentschädigung, dass die Beklagte die verlangte Geldentschädigung nicht freiwillig gezahlt hat. Unter Abwägung aller Umstände ist vorliegend eine Geldentschädigung in Höhe von EUR 10.000,00 angemessen, um die erlittene Beeinträchtigung auszugleichen.

3. Der Zinsanspruch beruht auf §§ 288 Abs. 1, 291 Satz 1 BGB.

II. Der Kostenentscheidung liegen die §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO zugrunde. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 1 und 2, 711 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 3 ZPO.

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