OLG Celle, Beschluss vom 08.06.2005 - 1 Ws 185/05 (StrVollz)
Fundstelle
openJur 2012, 43062
  • Rkr:

Auch nach der am 1. April 2005 in Kraft getretenen Neufassung von § 115 StVollzG durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes vom 23. März 2005 (BGBl. I S. 930) muss das Gericht die entscheidungserheblichen Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte so vollständig wiedergeben, dass eine hinreichende Überprüfung des Beschlusses im Rechtsbeschwerdeverfahren möglich ist.

Die nach § 115 Abs. 1 Satz 3 StVollzG nunmehr zulässige Bezugnahme auf bei den Gerichtsakten befindliche Schriftstücke darf nicht allgemein, sondern muss ausdrücklich durch konkrete Bezeichnung der einzelnen Schriftstücke nach Herkunft und Datum erfolgen.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist aufgrund einer entsprechenden Verfügung der Antragsgegnerin am 7. März 2005 von der Justizvollzugsanstalt L.-D. in die Justizvollzugsanstalt S. verlegt worden.

Den dagegen gerichteten Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer am 5. April 2005 zurückgewiesen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung der Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Es gilt, der Gefahr der Wiederholung des im Nachfolgenden aufgezeigten Rechtsfehlers entgegen zu wirken.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Überprüfung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer gemäß § 119 Abs. 4 S. 3 StVollzG. Die Rechtsbeschwerde greift bereits mit der Sachrüge durch, so dass es eines Eingehens auf die ebenfalls erhobene Verfahrensrüge nicht bedarf.

Die Gründe der angefochtenen Entscheidung werden den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht.

a) In dem Beschluss nach § 115 StVollzG muss das Gericht die entscheidungserheblichen Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte so vollständig wiedergeben, dass eine hinreichende Überprüfung des Beschlusses im Rechtsbeschwerdeverfahren möglich ist. Daran hat sich auch durch die Neufassung des § 115 Abs. 1 StVollzG durch das am 1. April 2005 in Kraft getretene Siebte Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes vom 23. März 2005 (BGBl. I S. 930) im Grundsatz nichts geändert; nach wie vor will der Gesetzgeber die vollständige und unschwere Überprüfbarkeit der gerichtlichen Entscheidung in der Rechtsbeschwerdeinstanz sicherstellen (BT-Drucks. 15/2252 S. 6; zur Senatsrechtsprechung zu § 115 StVollzG a.F. vgl. zuletzt Beschluss vom 15. September 2004 - 1 Ws 272/04 - abgedruckt in NStZ-RR 2005, 29; s.a. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl., § 115 Rdn. 10 m.w.N.). Ausdrücklich hat der Gesetzgeber nunmehr in § 115 Abs. 2 S. 2 StVollzG festgeschrieben, dass der Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammengestellt werden muss.

Neu ist dabei allerdings, dass für die Darstellung der Einzelheiten des Tatbestandes auf bei den Gerichtsakten befindliche Schriftstücke Bezug genommen werden kann und soll. Diese Bezugnahme darf indes nicht allgemein, sondern muss ausdrücklich durch konkrete Bezeichnung der einzelnen Schriftstücke nach Herkunft und Datum erfolgen, § 115 Abs. 1 Satz 3 StVollzG. Nach § 115 Abs. 1 Satz 4 StVollzG kann das Gericht von einer Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

Diese Erleichterungen lehnen sich an § 117 Abs. 3 und 5 VwGO an. Sie sollen nach dem Willen des Gesetzgebers unnötige Schreibarbeit verhindern und zu einer erheblichen Entlastung der Strafvollstreckungskammern führen (BT-Drucks. 15/2252 S. 6). Die von der Rechtsprechung zu § 117 Abs. 3 und 5 VwGO entwickelten Grundsätze zur Darstellung von Tatbestand und Entscheidungsgründen können für die Auslegung von § 115 Abs. 1 StVollzG herangezogen werden.

Danach muss der Tatbestand, auch wenn wegen der Einzelheiten soweit wie möglich Bezug auf die Gerichtsakten genommen werden soll, insgesamt eine sowohl für die Beteiligten als auch für außenstehende Dritte verständliche, klare, vollständige und richtige Grundlage der Entscheidung bieten (BVerwGE 7, 12; BGH MDR 1977, 480; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 117, Rdn. 13 m.w.N.).

Die Entscheidungsgründe müssen die Gründe wiedergeben, die für die richterliche Überzeugungsbildung zum Sachverhalt und für dessen rechtliche Beurteilung im Einzelnen maßgebend gewesen sind (BVerwGE 22, 218; Kopp/Schenke aaO Rdn. 14 m.w.N.). Möglich ist hier aber auch die Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung, allerdings nur, soweit dadurch die Verständlichkeit der Darstellung und der Begründung aus sich heraus nicht in Frage gestellt wird (BVerwGE 7, 12 und 61, 367), und - wie § 115 Abs. 1 Satz 4 StVollzG auch ausdrücklich herausstellt - deutlich wird, dass sich das Gericht diese Überlegungen zu eigen macht.

b) Der angefochtene Beschluss genügt diesen Anforderungen nicht.

So wird bereits nicht erkennbar, ob die Verfahrensbeteiligten über die Verlegung aus dem offenen in den geschlossenen Vollzug oder lediglich um die Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt streiten. Datum, Inhalt und Begründung der angegriffenen Verfügung werden nicht mitgeteilt, auch nicht durch entsprechende Bezugnahmen. Das Vorbringen des Antragstellers bleibt ebenfalls unklar. Das Gericht teilt dazu lediglich mit, er rüge, dass „die JVA damit den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 09.02.2005 umgehe“. Was es damit auf sich hat und welchen Inhalt dieser Beschluss hatte, bleibt offen.

Soweit die Kammer ausführt, die Verfügung der Antragsgegnerin sei nicht zu beanstanden, weil die Justizvollzugsanstalt S. nach dem vorgelegten Vollstreckungsplan für den Antragsteller zuständig sei, weil er mehr als zwei Jahre Verbüßungszeit habe, ist unklar, auf welche Rechtsgrundlage sich die Verlegung stützen soll. Die Formulierung der Kammer deutet auf einen Streit lediglich um die örtlich zuständige Vollzugsanstalt nach dem Vollstreckungsplan (§ 152 StVollzG) hin.

Nach dem Vortrag des Antragstellers in seiner Rechtsbeschwerdebegründung ist er indes vom offenen in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt worden. Dem entspricht, dass - wie dem Senat bekannt ist - es sich bei der Justizvollzugsanstalt L.-D. um eine Anstalt des offenen Vollzuges, bei der Justizvollzugsanstalt S. um eine des geschlossenen Vollzuges handelt. Eine Rückverlegung vom offenen in den geschlossen Vollzug ist nicht nach § 152 StVollzG, sondern nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG i.V.m. § 10 StVollzG zu beurteilen. Als Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsaktes kann die Unterbringung im offenen Vollzug nach diesen Vorschriften nur widerrufen werden, wenn die Justizvollzugsanstalt aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Gefangenen nicht im offenen Vollzug unterzubringen und wenn ohne die Ablösung das öffentliche Interesse gefährdet würde (§ 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG). Dies ist der Fall, wenn ein Gefangener den Anforderungen des offenen Vollzuges nicht mehr genügt, namentlich zu befürchten ist, dass er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeit des offenen Vollzugs zu Straftaten missbrauchen werde (§ 10 Abs. 1 StVollzG). In diesen Fällen müssen die Tatsachen, die eine Rückverlegung rechtfertigen könnten, im gerichtlichen Beschluss mitgeteilt werden. Daran fehlt es hier.

Die Frage, in welcher Anstalt der geschlossene bzw. offene Vollzug nach dem Vollstreckungsplan der Landesjustizverwaltung N. zu vollziehen ist, mithin die Zuständigkeit nach § 152 StVollzG, ist demgegenüber logisch nachrangig.

III.

Angesichts des nur lückenhaft mitgeteilten Sachverhalts kann der Senat keine eigene Sachentscheidung treffen und hat die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen, § 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG.

Für das weitere Verfahren merkt der Senat lediglich vorsorglich an, dass Voraussetzung für eine Bezugnahme auf Schriftstücke - hier insbesondere auf die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt - ist, dass diese sich auch bei den Gerichtsakten befinden (s.a. BT-Drucks. 15/2252 S. 6).

IV.

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 1 Nr. 1j, 63 Abs. 3, 65 GKG.