OLG Celle, Urteil vom 15.10.2009 - 32 Ss 113/09
Fundstelle
openJur 2009, 1247
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1252 Js 21767/09
Umweltrecht Strafrecht
§ 326 Abs. 1 Nr. 4a StGB; § 4 AltfahrzeugVO
Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hannover zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der Angeklagten wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts Hannover vom 27.03.2009 vorgeworfen, am 11.04.2006 und davor als Halterin des Pkw Audi 80, ehemaliges amtliches Kennzeichen xxxxxxxxx, nicht hinreichend gründlich die Person geprüft zu haben, an die sie dieses nicht mehr fahrbereite Fahrzeug am 20.02.2006 verschenkte, wobei diese Person das Fahrzeug dann am 27.02.2006 im G. G. Weg in H. abstellte, obwohl sich darin noch umweltgefährdende Stoffe befanden. Danach habe sich die Angeklagte einer fahrlässigen umweltgefährdenden Abfallbeseitigung strafbar gemacht.

Die Angeklagte hat gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt, das Amtsgericht Hannover hat sie mit dem angefochtenen Urteil aus rechtlichen Gründen freigesprochen.

Nach den Feststellungen war die Angeklagte vom 12.09.2005 bis zum 20.02.2006 Halterin des Pkw Audi 80, dessen Erstzulassung am 04.04.1984 erfolgte. Sie hatte das Fahrzeug für 200 € gekauft und war damit gefahren, bis es am 20.02.2006 aufgrund eines Kupplungsschadens nicht mehr fahrfähig war. Sie konnte und wollte das Fahrzeug selbst nicht mehr benutzen und ließ es zum 20.02.2006 beim Landkreis H. vorläufig stilllegen. Die Angeklagte bot das Fahrzeug durch ein Inserat im „Heißen Draht“ zum Ausschlachten an. Auf ihre Anzeige meldete sich ein Interessent, der sich als A. A., wohnhaft W. Straße, H., vorstellte. Die Angeklagte hatte sich zwar noch einen gewissen Geldbetrag erhofft, überließ dem Interessenten das Fahrzeug dann aber unentgeltlich. In einem schriftlichen Übernahmevertrag vom 27.02.2006 ergänzte der Interessent seine Personalien. Die Angeklagte übergab ihm anschließend Schlüssel, Fahrzeugschein und Brief. Er holte das Fahrzeug am 28.02.2006 ab, wobei nicht mehr festgestellt werden konnte, ob er das Fahrzeug abschleppte oder nach kurzer Reparatur mit roten Kennzeichen davonfuhr. Am 08.03.2006 wurde der Wagen im G. G. Weg in H. ohne Kennzeichen aufgefunden und mit einem roten Aufkleber gemäß § 15 Kreislaufwirtschafts und Abfallgesetz (KrW /AbfG) versehen. In der Nähe des Auffindeortes lagen diverse kleine Autohändler und Werkstätten, in denen an Fahrzeugen gebastelt, diese ausgeschlachtet oder repariert wurden. Nachdem sich niemand um das Fahrzeug gekümmert hatte, wurde es am 11.04.2006 abgeschleppt. Das Fahrzeug wurde am 16.05.2006 begutachtet. Es wurde bei einer Laufleistung von 226.045 km mit einem Restwert von 20 € bewertet und als Wrack eingeordnet. In dem Fahrzeug befanden sich noch Betriebsflüssigkeiten und Schadstoffe. Eine Person namens A. A. konnte in H. nicht ermittelt werden.

Das Amtsgericht ist der Auffassung, der Angeklagten könne eine fahrlässige umweltgefährdende Abfallbeseitigung nicht nachgewiesen werden. Die Angeklagte habe den Pkw selbst nicht mehr benutzen können und wollen. Wenn sie aufgrund ihrer Anzeige einen Abnehmer gefunden habe, der den Wagen unentgeltlich mitgenommen habe, liege darin keine Verletzung der Sorgfaltspflicht bei der Auswahl des Abnehmers. Dafür hätten erkennbar Anhaltspunkte tatsächlicher Art vorliegen müssen, dass der Abnehmer nicht ordnungsgemäß mit dem Pkw umgehen werde. Der Abnehmer habe seinen Namen angegeben, eine Adresse aufgeführt und einen Vertrag unterschrieben. Allein der Umstand, dass er später nicht auffindbar und unter der von ihm genannten Anschrift nicht gemeldet gewesen sei, habe ihn gegenüber der Angeklagten nicht als unzuverlässig erscheinen lassen. Im Übrigen sei nicht auszuschließen, dass es die Person 2006 tatsächlich unter diesem Namen gegeben habe. Die Angeklagte habe den Pkw zudem ordnungsgemäß abgemeldet und mit Papieren und Schlüssel übergeben.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere des § 326 Abs. 1 Nr. 4a, Abs. 5 StGB, gerügt wird. Die Staatsanwaltschaft führt zur Begründung aus, das Amtsgericht habe den Anwendungsbereich der sog. verlängerten Sorgfaltspflicht im Abfallrecht nach einem rechtsfehlerhaften Maßstab bestimmt. Nach der sog. Falisanentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 40, 84 ff.) müsse sich der Abfallbesitzer, der einen anderen mit der Beseitigung umweltgefährdenden Abfalls beauftrage, vergewissern, dass dieser zur ordnungsgemäßen Abfallbeseitigung tatsächlich imstande und rechtlich befugt sei. Anderenfalls verletze der Abfallbesitzer seine Sorgfaltspflicht und handele fahrlässig. Dies ergebe sich auch aus § 16 Abs. 1 Satz 2 KrW/AbfG. Die Angeklagte, die sich durch das Verschenken des Fahrzeugs die Mühe und die Kosten einer ordnungsgemäßen Entsorgung habe ersparen wollen, habe das Wrack in Entledigungsabsicht einem Dritten überlassen, den sie nicht gekannt habe. A. A. sei nicht Inhaber eines zertifizierten Entsorgungsbetriebes gewesen. Der Angeklagten sei lediglich der von ihm genannte Name und die von ihm angegebene Anschrift bekannt gewesen. Dies reiche nicht aus, um dem strengen Sorgfaltsmaßstab des § 326 Abs. 1 Nr. 4a, Abs. 5 StGB gerecht zu werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft vertritt die Revision der Staatsanwaltschaft.

II.

Die Revision ist zulässig und begründet. Die ordnungsgemäß erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts.

1.

Der Freispruch hält sachlich rechtlicher Überprüfung nicht stand. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils könnte die Angeklagte durch die unentgeltliche Überlassung ihres nicht mehr fahrbereiten Pkw an den unbekannt gebliebenen Abnehmer unbefugt Abfälle, die nach Art, Beschaffenheit oder Menge geeignet sind, nachhaltig ein Gewässer oder den Boden zu verunreinigen, unter wesentlicher Abweichung von einem vorgeschriebenen Verfahren gemäß § 326 Abs. 1 Nr. 4a StGB beseitigt haben. Der Vorwurf einer (fahrlässigen) umweltgefährdenden Abfallbeseitigung kann in einer erneuten Hauptverhandlung noch aufgeklärt werden.

a)

Bei dem Pkw Audi 80 der Angeklagten handelte es sich zum Zeitpunkt der Übergabe am 28.02.2006 um Abfall im Sinne des § 326 Abs. 1 StGB. Der strafrechtliche Abfallbegriff ist an den verwaltungsrechtlichen Abfallbegriff angelehnt (vgl. hierzu BGH 2 StR 339/96 vom 06.06.1997) und umfasst gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. Anhang 1 KrW/AbfG alle beweglichen Sachen, die vom Besitzer nicht oder nicht mehr verwendet werden und deren sich der Besitzer entledigt, entledigen will (subjektiver Abfallbegriff, gewillkürter Abfall) oder entledigen muss (objektiver Abfallbegriff, Zwangsabfall).

Der Pkw Audi 80 der Angeklagten wurde am 16.05.2006 bei einer Laufleistung von 226.045 km mit einem Restwert von 20 € bewertet und als Wrack eingeordnet. Weitere Feststellungen dazu, in welchem konkreten Zustand sich das Fahrzeug befand, insbesondere ob Teile demontiert waren, finden sich im amtsgerichtlichen Urteil nicht. Ob das Fahrzeug seit der Übergabe an den Abnehmer am 28.02.2006 bis zum Auffinden im G.G.Weg am 08.03.2006 bzw. der Restwertbegutachtung am 16.05.2006 verändert wurde, ist offen geblieben. Feststellungen dazu, ob das Fahrzeug bereits zum Zeitpunkt der Übergabe am 28.02.2006 als Wrack einzustufen war und Zwangsabfall darstellte, werden auch kaum mehr getroffen werden können.

Es kann aber dahinstehen, ob eine weitere Aufklärung in einer erneuten Hauptverhandlung möglich ist. Denn das Fahrzeug war nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils zur Zeit der Übergabe zumindest gewillkürter Abfall, dessen sich die Angeklagte möglichst kostengünstig entledigen wollte. Bei dem Pkw Audi 80 handelte es sich um einen fast 22 Jahre alten Wagen, den die Angeklagte am 12.09.2005, also etwa fünf Monate vor der Übergabe an den Abnehmer, für nur 200 € erworben hatte. Nachdem das Fahrzeug am 20.02.2006 aufgrund eines Kupplungsschadens nicht mehr fahrtüchtig war, trat eine weitere Wertminderung ein. Weil es nicht mehr fahrtüchtig war, hatte die Angeklagte es vorläufig stilllegen lassen und zum Ausschlachten im „Heißen Draht“ angeboten. Demnach ging sie nicht von der Wiederherstellung der Fahrtüchtigkeit aus. Nach ihrer Einschätzung hatte das Fahrzeug keinen Gebrauchswert mehr. Damit war das Fahrzeug Abfall im Sinne des subjektiven Abfallbegriffs.

Dieser Einordnung steht nicht entgegen, dass Bestandteile des Fahrzeugs gegebenenfalls noch wiederverwendet oder weiterverwertet werden konnten. Denn das Ausschlachten stellt keinen Gebrauch eines Fahrzeugs zu seinem ursprünglichen Verwendungszweck dar (vgl. hierzu MüKoAlt, StGB, Rn. 19 und 59 f. zu § 326 StGB. BayObLG, VRS 89 (1995), 238 ff.). Zudem hat die Angeklagte dem Abnehmer das Fahrzeug unentgeltlich mitgegeben, und damit deutlich gemacht, dass das Fahrzeug für sie keinen relevanten Gebrauchswert mehr hatte. Die Tatsache, dass sie nicht nur den Fahrzeugschlüssel, sondern auch die Fahrzeugpapiere übergab, steht dieser Bewertung bereits deshalb nicht entgegen, weil die Übergabe der Papiere allein schon zum Eigentumsübergang erforderlich war.

b)

Das Fahrzeug war nach seiner Beschaffenheit auch geeignet, nachhaltig ein Gewässer oder den Boden zu verunreinigen. Die Frage, ob § 326 Abs. 1 Nr. 4 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt jede theoretische Möglichkeit einer Verunreinigung ausreichen lässt oder dies der Einschränkung bedarf (vgl. hierzu OLG Braunschweig, NStZRR 2001, 42 f.. MüKoAlt, StGB, Rn. 60 zu § 326 StGB. Anmerkung Iburg zu OLG Schleswig, NStZ 1997, 546 ff.. Anm. Henzler zu LG Stuttgart, NStZ 2006, 291 ff.), kann hier dahinstehen. Denn eine Gefährdungseignung wird selbst bei einschränkender Auslegung im Falle eines nicht mehr fahrtüchtigen Altfahrzeug auch dann vorliegen, wenn eine reale und gegenwärtige Gefahr eines unkontrollierten Austretens von umweltschädlichen Betriebsflüssigkeiten besteht (vgl. hierzu OLG Celle, NStZ 1996, 191 f.. OLG Braunschweig, NStZRR 2001, 42 f. unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, dass ein noch ausschlachtbares Wrack ein Wirtschaftsgut darstellt. LG Stuttgart, NStZ 2006, 291 f.. einschränkend, im Ergebnis aber offen gelassen OLG Schleswig, NStZ 1997, 546). Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils waren in dem Fahrzeug noch die Betriebsflüssigkeiten und andere Schadstoffe vorhanden, also jedenfalls Altöl und andere Schmierstoffe, Brems und Batterieflüssigkeit. Solche Stoffe sind geeignet, Gewässer und Boden zu verunreinigen. Das Fahrzeug war zudem bei Übergabe an den Abnehmer nicht mehr fahrbereit und sollte ausgeschlachtet werden. Beim unkontrollierten Ausschlachten muss wegen des zwangsweise damit einhergehenden Lösens von Verbindungen und Verschlüssen, sowie wegen des unsorgfältigen Ablegens von Aggregaten während des Ausbaus anderer Teile mit dem Austreten von Betriebsflüssigkeiten gerechnet werden. Von dem Fahrzeug ging somit nach seiner Beschaffenheit auch bei einschränkender Auslegung eine Umweltgefährdung im Sinne des § 326 Abs. 1 Nr. 4a StGB aus.

c)

Die Angeklagte hat nach den Feststellungen das Fahrzeug unter wesentlicher Abweichung von einem vorgeschriebenen Verfahren „sonst beseitigt“ im Sinne von § 326 Abs. 1 Nr. 4a StGB.

Gemäß § 4 Altfahrzeugverordnung ist jeder, der sich eines Fahrzeugs entledigen will, verpflichtet, dieses nur einer anerkannten Annahmestelle, einer anerkannten Rücknahmestelle oder einem anerkannten Demontagebetrieb zu überlassen. Dieser Verpflichtung ist die Angeklagte nicht nachgekommen. Es gibt keine Hinweise dafür, dass der unbekannt gebliebene Abnehmer einen solchen Betrieb führte. Durch die Übergabe ihres Fahrzeuges zum Ausschlachten an diesen Abnehmer hat die Angeklagte das nicht mehr fahrbereite Altfahrzeug der vorgeschriebenen Abfallentsorgung entzogen und es „sonst beseitigt“. Dadurch entstand die konkrete Gefahr eines unkontrollierten Freisetzens der umweltgefährdenden Stoffe, die sich noch in dem Fahrzeug befanden. Die Vorwerfbarkeit ihres Verhaltens liegt entgegen dem Strafbefehl nicht in einem Unterlassen geeigneter Feststellungen zur Identität des Interessenten und seiner Zuverlässigkeit für eine ordnungsgemäße Entsorgung des Fahrzeugs, sondern in der aktiven Übergabe des nicht mehr fahrbereiten Altfahrzeugs an den offensichtlich als Privatmann auftretenden Abnehmer zum Zweck des Ausschlachtens. Darin liegt ein Beseitigen von Abfall unter wesentlicher Abweichung von einem vorgeschriebenen Verfahren gemäß § 326 Abs. 1 Nr. 4a StGB.

2.

Allerdings ist derzeit ein Schuldspruch wegen einer fahrlässigen umweltgefährdenden Abfallbeseitigung durch den Senat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nicht möglich, weil das angefochtene Urteil keine Feststellungen zum subjektiven Tatbestand enthält und es insbesondere an Feststellungen für die Abgrenzung zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Begehungsweise fehlt.

Grundsätzlich kommt eine vorsätzliche Begehungsweise in Betracht, wenn der Täter alle Merkmale des § 326 Abs. 1 Nr. 4a StGB kennt. Der Vorsatz muss sich insbesondere auch darauf beziehen, dass es sich bei der Tathandlung um ein Beseitigen von Abfall handelt und diese Handlung außerhalb des dafür vorgeschriebenen Verfahrens erfolgt. Der Vorsatz kann entfallen, wenn der Täter über die Abfallqualität irrt, weil er die Sache als für den ursprünglichen Verwendungszweck noch brauchbar ansieht oder wenn er verkennt, dass er wesentlich von dem vorgeschriebenen Verfahren der Abfallentsorgung abweicht. Ein nicht vorsatzausschließender Verbotsirrtum kann hingegen vorliegen, wenn der Täter glaubt, Abfälle dürften außerhalb einer zugelassenen Anlage beseitigt werden (vgl. hierzu MüKoAlt, StGB, Rn. 81 ff. zu § 326 StGB). Dazu fehlen bislang jegliche Feststellungen, insbesondere steht nicht fest, ob die Angeklagte einem Irrtum unterlag und worüber sie gegebenenfalls irrte.

Soweit eine fahrlässige Begehensweise in Betracht kommt, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass dafür der Sorgfaltsmaßstab eines „umweltbewussten Rechtsgenossen“ gilt und für die Voraussehbarkeit der Erfolgsverursachung die persönlichen Verhältnisse des Täters, insbesondere seine Fähigkeiten, Kenntnisse und Lebenserfahrung sowie die situationsbedingten Umstände der Tat zu berücksichtigen sind (MüKoAlt, StGB, Rn. 41 und 52 zu § 324 StGB). Hier könnten das Lebensalter der Angeklagten zur Zeit der Übergabe des Fahrzeugs und die Tatsache, dass sie unter Betreuung steht, von Bedeutung sein.

Nach allem war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.