OLG Dresden, Beschluss vom 22.10.2009 - 3 W 940/09
Fundstelle
openJur 2009, 1092
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 9 O 3861/08
Tenor

1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 9. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 15.12.2008 wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.

2. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 13.154,74 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Auf entsprechenden Antrag der Antragstellerin, einer italienischen Gesellschaft, erließ ein Richter der Zweigstelle Susa des Tribunale di Torino gegen die Antragsgegnerin, eine in Deutschland ansässige GmbH, am 26.09.2007 einen Mahnbescheid über einen Hauptforderungsgesamtbetrag von 13.154,74 EUR zuzüglich Zinsen und diverser Kosten. Der der Antragsgegnerin am 23.11.2007 zugestellte Mahnbescheid enthielt den Hinweis, dass innerhalb von 40 Tagen nach Zustellung in der gesetzlichen Form Einspruch eingelegt werden könne, andernfalls die Zwangsvollstreckung vorgenommen werde. Da ein Einspruch beim italienischen Gericht nicht einging, erklärte dieses den Mahnbescheid auf Ersuchen der Antragstellerin am 14.03.2008 für vollstreckbar und versah ihn mit der Vollstreckungsklausel.

Auf den Antrag der Gläubigerin gemäß § 4 AVAG, die Vollstreckungsklausel zu erteilen, hat das angerufene Landgericht Leipzig mit Beschluss vom 15.12.2008 den Mahnbescheid unter genauer - antragsgemäßer - Bezeichnung des Umfangs der Zahlungsverpflichtungen für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für vollstreckbar erklärt. Entsprechend einer internen Begleitverfügung des Zivilkammervorsitzenden vom selben Tag hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den Titel mit der Vollstreckungsklausel versehen.

Gegen den ihr am 14.08.2009 samt Vollstreckungsklausel zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 11.09.2009 beim Oberlandesgericht Beschwerde eingelegt. Zuvor hatte ihr Verfahrensbevollmächtigter beim Landgericht Akteneinsicht genommen. Sie beantragt, "die Zwangsvollstreckung aus der auf dem Mahnbescheid vom 26.09.2007 ... vom Ordentlichen Gericht Turin, Außenstelle Susa ... erteilten Vollstreckungsklausel ... für unzulässig" zu erklären. Zur Begründung macht sie geltend, die Erteilung der Vollstreckungsklausel verstoße gegen Art. 34 Nr. 2 EuGVO. Der Mahnbescheid sei ihr nicht in einer Weise zugestellt worden, dass sie sich habe verteidigen können. Der vorangestellte Mahnbescheidsantrag habe, was zutrifft, auf der ersten Seite links oben die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin, Rechtsanwältin M , mit einer Anschrift aus Italien bezeichnet. Auch auf dem Briefumschlag, in welchem der Mahnbescheid ihr zugestellt worden sei, sei als Absender Rechtsanwältin M angegeben gewesen. Da der Mahnbescheid selbst lediglich die Angabe enthalten habe, dass innerhalb der Frist von 40 Tagen in der gesetzlichen Form Einspruch eingelegt werden könne, sei sie davon ausgegangen, dass der Einspruch an die Adresse der Rechtsanwältin zu richten sei. Gegenüber dieser habe sie mit Schreiben vom 05.12.2007 Einspruch eingelegt.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Sie hält das Tatsachenvorbringen der Antragsgegnerin für unerheblich. Es treffe aber auch in der Sache nicht zu. Weder habe der Umschlag zum zugestellten Mahnbescheid Rechtsanwältin M als Absenderin erkennen lassen noch sei dieser das Schreiben vom 05.12.2007 jemals zugegangen.

II.

Die nach §§ 11 ff. AVAG zulässige, insbesondere rechtzeitig binnen Monatsfrist eingelegte Beschwerde hat keinen Erfolg. Das AVAG findet nach seinem § 1 Abs. 1 Nr. 2a Anwendung, weil sich die Vollstreckbarerklärung des italienischen Mahnbescheids nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVO) richtet.

1. Über das Rechtsmittel hat der Senat in voller Besetzung zu entscheiden, weil der Vorsitzende der Zivilkammer, dem § 3 Abs. 3 AVAG die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel zuweist, nicht als Einzelrichter i.S.v. § 568 Abs. 1 S. 1 ZPO anzusehen ist (grundlegend OLG Stuttgart OLGR 2003, 102 und seither ständige Praxis aller Oberlandesgerichte).

2. Die Beschwerde ist unbegründet.

a) Wie mittelbar auch aus der gesonderten Regelung für das Rechtsbeschwerdeverfahren in § 17 Abs. 1 S. 2 AVAG hervorgeht, ist die Bejahung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit durch das über einen Antrag gemäß § 4 AVAG entscheidende Gericht im Beschwerdeverfahren, abweichend von den zivilprozessualen Regeln der §§ 513 Abs. 2, 571 Abs. 2 S. 2 ZPO, einer Überprüfung zugänglich. Diese ist von Amts wegen vorzunehmen (OLG Köln, OLGR 2004, 237 unter II 2 a; anders für bloßen Mangel funktioneller Zuständigkeit - nur auf Rüge - OLG Köln OLGR 2004, 396 bei Entscheidung durch Vorsitzenden einer Kammer für Handelssachen). Sie ergibt, dass das Landgericht Leipzig, in dessen Bezirk die Antragsgegnerin ihren Sitz hat, seine ausschließliche sachliche und örtliche Zuständigkeit zu Recht angenommen hat, § 3 Abs. 1 und 2 AVAG.

b) Ziel der Beschwerde ist es entgegen dem zumindest missverständlich formulierten Antrag nicht, die Zwangsvollstreckung aus der vom italienischen Gericht erteilten, nur eine Zwangsvollstreckung in Italien ermöglichenden Vollstreckungsklausel für unzulässig zu erklären; hierzu sind deutsche Gerichte von vornherein nicht befugt. Im Gesamtzusammenhang wird hinreichend deutlich, dass es der Antragsgegnerin mit dem Rechtsmittel in Wahrheit darum geht, dem Titel die durch das Landgericht für das Inland ausgesprochene Vollstreckbarkeit wieder zu nehmen. Sie begehrt also der Sache nach eine Entscheidung des Senates, mit der der Antrag der Antragstellerin vom 20.11.2008 unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung abgewiesen wird.

c) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die in Art. 53 EuGVO vorgesehenen Förmlichkeiten zur Vollstreckbarerklärung der italienischen Entscheidung erfüllt sind. Dagegen erinnert auch die Beschwerde nichts.

d) Ein relevanter Fehler des Landgerichts liegt nicht darin, dass die unmittelbar allein nach außen verlautbarte Entscheidung des Kammervorsitzenden "lediglich" eine Vollstreckbarerklärung und nicht wörtlich, wie es § 8 Abs. 1 S. 1 AVAG dem Gericht für den zu erlassenden Beschluss an sich vorgibt, den Ausspruch einer Anordnung enthält, den Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.

Vollstreckbarerklärung gemäß Art. 38 Abs. 1 EuGVO und Klauselerteilungsanordnung gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 AVAG sind nicht zwei verschiedene Paar Schuhe (so aber offenbar OLG Rostock OLGR 2009, 548), sondern meinen letztlich, wie die Regelungen in §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 AVAG unterstreichen, ein- und dasselbe (vgl. auch Zöller/Geimer, ZPO, 27. Aufl., Anh I Art. 38 EuGVVO Rn. 6). Wie die in der Verordnung vorgesehene Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel beschaffen sein muss, um dem Gläubiger im Inland eine Vollstreckung zu ermöglichen, ist, seitdem den Mitgliedsstaaten die Form der Vollstreckbarerklärung durch Klauselerteilung nicht mehr verbindlich vorgeschrieben ist (vgl. Zöller/Geimer a.a.O. Rn. 3), der näheren einzelstaatlichen Ausgestaltung überlassen. In Deutschland erfolgt die in § 3 Abs. 1 AVAG - der ersten Regelung im Abschnitt 2 des AVAG ("Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus ausländischen Titeln") - ausdrücklich erwähnte Vollstreckbarerklärung nach wie vor durch die beschlussmäßige Anordnung des Gerichtes, dass der Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist, § 8 Abs. 1 S. 1 AVAG; die Klausel selbst wird dann gemäß § 9 AVAG vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erteilt. Eine gesonderte Vollstreckbarerklärung muss daneben nicht ergehen, weil sie bereits unmittelbar in der richterlichen Anordnung selbst liegt, den Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Stellt damit die Klauselerteilungsanordnung zugleich die Vollstreckbarerklärung dar, gilt umgekehrt jedenfalls in der Regel und so auch für die vorliegende Konstellation dasselbe. Es schadet also nicht, dass der Kammervorsitzende vom Wortlaut des § 8 Abs. 1 S. 1 AVAG abgewichen ist und in seiner uneingeschränkt stattgebenden Entscheidung über den Klauselerteilungsantrag stattdessen den Titel für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland "für vollstreckbar erklärt" hat. Selbst ohne den einem bloßen Hinweis gleichenden Inhalt seiner kurzen internen Begleitverfügung bestand für die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle - wie auch für die Verfahrensbeteiligten - nach Vorliegen des Beschlusses keinerlei Zweifel an dem Willen des Richters, die Inlandsvollstreckung zuzulassen und damit zugleich die Erteilung der Vollstreckungsklausel anzuordnen. Um etwaige Irritationen von vornherein zu vermeiden, mag es sich freilich für den Beschlusstenor empfehlen, entweder ausschließlich eine dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 S. 1 AVAG entsprechende Anordnung zu treffen oder aber dieser einen zusätzlichen Vollstreckbarerklärungsausspruch voranzustellen. In letztgenannter Weise verfahren etwa die Gerichte in Baden-Württemberg (vgl. zuletzt OLG Stuttgart OLGR 2009, 677).

e) Der von der Beschwerde geltend gemachte Verstoß gegen Art. 34 Nr. 2 EuGVO, der vom Senat gemäß Art. 45 Abs.1 S. 1 EuGVO zu prüfen ist, liegt nicht vor.

Besteht wie hier das verfahrenseinleitende Schriftstück in einem Mahnbescheidsantrag, den das ausländische Gericht durch entsprechende Entscheidung zu einem Mahnbescheid vervollständigt, der wiederum dem Antragsgegner ordnungsgemäß zugestellt wird, mag dahinstehen, ob und ggf. in welchem Umfang dem Merkmal "rechtzeitiger Zustellung in einer Weise, dass der Beklagte sich verteidigen konnte", eigenständige Bedeutung zukommt. Denn ein Anerkennungs- bzw. Vollstreckbarerklärungshindernis scheidet nach § 34 Nr. 2 EuGVO ("es sei denn") auch und erst recht in dieser Konstellation jedenfalls dann aus, wenn der Titelschuldner gegen den Mahnbescheid keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte. So liegt es hier. Die Antragsgegnerin hat den Mahnbescheid des italienischen Gerichts rechtskräftig werden lassen, indem sie dort - im Übrigen bis heute - keinen Einspruch eingelegt hat. Dieser Rechtsbehelf stand ihr, worüber das Gericht sie aufklärte, in der gesetzlichen Form binnen 40 Tagen nach Zustellung zur Verfügung. Der Irrtum ihres Geschäftsführers, der Einspruch sei an die damalige Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin zu richten, entlastet sie nicht. Der Mahnbescheid selbst hatte einen solchen unzutreffenden Eindruck nicht hervorgerufen. Über den richtigen Einspruchsadressaten musste sich die Antragsgegnerin notfalls kundig machen. Abgesehen davon ist von einer am kaufmännischen Geschäftsverkehr teilnehmenden Kapitalgesellschaft regelmäßig ohne weiteres die Kenntnis zu erwarten, dass ein Rechtsbehelf gegen eine Gerichtsentscheidung in zulässiger Weise nur unmittelbar bei Gericht und nicht gegenüber dem Prozessgegner eingelegt werden kann. Dieser selbstverständliche Grundsatz ist sowohl in den deutschen als auch in ausländischen Verfahrensordnungen verankert.

f) Ein sonstiger Fehler der angegriffenen Entscheidung des Landgerichts ist weder dargetan noch ersichtlich.

III.

Der Kostenausspruch für das Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO; die Sonderregelung des § 8 Abs. 1 S. 4 AVAG gilt nur für das erstinstanzliche Verfahren. Dass im Beschwerdeverfahren nur die pauschale Gerichtsgebühr der Nr. 1520 GKG-KV angefallen ist, macht im Hinblick auf die Wertabhängigkeit der Anwaltsgebühren auf beiden Seiten eine Festsetzung des Gegenstandswertes nicht entbehrlich (anders möglichersweise, soweit auch dort Anwälte tätig geworden sein sollten, OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14.01.2008 - 2 WF 158/07, juris, insoweit nicht in OLGR 2008, 680 abgedruckt; vgl. auch die ständige Festsetzungspraxis des Bundesgerichtshofes in entsprechenden Rechtsbeschwerdeverfahren, zuletzt BGH, Beschluss vom 05.03.2009 - IX ZB 192/07, juris, insoweit nicht in NJW-RR 2009, 1292 abgedruckt). Der festgesetzte Gegenstandswert entspricht dem vom Landgericht für vollstreckbar erklärten Hauptforderungsbetrag.

IV.

Eine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde hat (entgegen OLG Rostock, Beschluss vom 18.03.2009 - 1 W 25/09, juris, insoweit nicht in OLGR 2009, 548 abgedruckt) zu unterbleiben, weil die Rechtsbeschwerde bereits kraft gesetzlicher Vorschrift statthaft ist, § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO. Die Beurteilung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO obliegt allein dem Bundesgerichtshof; deren Ergebnis könnte ihm weder durch eine positive noch durch eine negative Zulassungsentscheidung des Beschwerdegerichts bindend vorgegeben werden.