Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 13.05.2003 - 7 LA 140/02
Fundstelle
openJur 2012, 39815
  • Rkr:
Gründe

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO liegen nicht vor.

Die Kläger halten die Frage für grundsätzlich bedeutsam, "inwieweit die Verwaltung berechtigt ist, im Falle eines strafrechtlichen Urteils, auf das sich die Verwaltung im Rahmen ihrer Entscheidung beruft, eine Gewerbeuntersagung zu verfügen, wenn im Rahmen der strafrechtlichen Verurteilung ein Berufsverbot beantragt war, vom Gericht aber nicht ausgesprochen wurde". Sie werfen damit zugleich die Frage auf, "inwieweit die Verwaltung zum Nachteil des Klägers vom Inhalt des Strafurteils abweichen darf". Diese Fragen sind indes, soweit sie einer verallgemeinerungsfähigen Beurteilung zugänglich sind, unter Heranziehung des § 35 Abs. 3 GewO beantwortbar und durch die Rechtsprechung geklärt. § 35 Abs. 3 Satz 1 GewO bestimmt, dass die Verwaltungsbehörde - will sie in dem Untersagungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen einen Gewerbetreibenden gewesen ist - zu dessen Nachteil von dem Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen darf, als es sich bezieht auf die Feststellung des Sachverhalts, die Beurteilung der Schuldfrage oder die Beurteilung der Frage, ob er bei weiterer Ausübung des Gewerbes erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne des § 70 StGB begehen wird und ob zur Abwehr dieser Gefahren die Untersagung des Gewerbes angebracht ist. Maßgeblich dafür, ob Bindungswirkung besteht, ist der Inhalt des Strafurteils. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit beschränkt sich die Bindungswirkung auf den Urteilstenor und die schriftlichen Urteilsgründe (vgl. BayVGH, Beschl. v. 23.2.1990 - 22 B 89.3787 -, GewArch 1990, 172). Auf mündliche Äußerungen des Gerichts oder die sonstige Aktenlage darf nicht zurückgegriffen werden. Aus dem Urteil selbst muss sich daher ergeben, dass sich das Gericht ausdrücklich mit den drei in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3 GewO vorgegebenen Tatbeständen auseinandergesetzt hat. Schweigt sich das Urteil darüber aus, tritt keine Bindungswirkung ein (vgl. ferner Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, Bd. I, Rn. 143 zu § 35; Tettinger/Wank, GewO, 6. Aufl., Rn. 180 zu § 35). So liegt es hier. In den gegen den Kläger zu 2) ergangenen Urteilen, insbesondere in jenem vom 14. Oktober 1999, finden sich Ausführungen zur Frage eines Berufsverbots nach § 70 StGB nicht. Das letztgenannte Urteil befasst sich vielmehr im Rahmen der Strafzumessung allein mit der Frage einer Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung.

Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Bindungswirkung im Sinne der vorerwähnten Bestimmung schon deshalb nicht besteht, weil im Gewerbeuntersagungsverfahren in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht von einem Sachverhalt ausgegangen wurde, der sich nicht nur auf diejenigen Tatsachen beschränkte, die Gegenstand der strafrechtlichen Beurteilungen waren (vgl. dazu BVerwG, Urt. 2.2.1982 - 1 C 94.78 -, GewArch 1982, 298). Auch aus diesem Grund sind die aufgeworfenen Fragen in dem angestrebten Berufungsverfahren nicht klärungsbedürftig. Sie sind unter diesen Umständen auch nicht geeignet, auf besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache hinzuführen.

Eine grundsätzliche Bedeutung und besondere rechtliche Schwierigkeiten weist die Rechtssache auch nicht deshalb auf, "weil es einer obergerichtlichen Rechtsprechung zwecks Klärung der Frage bedarf, inwieweit § 12 der Gewerbeordnung einer Gewerbeuntersagung in der Insolvenz entgegensteht". § 12 GewO bestimmt, dass Vorschriften, welche die Untersagung eines Gewerbes oder die Rücknahme oder den Widerruf einer Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, ermöglichen, während der näher bezeichneten Verfahrenssituationen eines Insolvenzverfahrens keine Anwendung in Bezug auf das ausgeübte Gewerbe finden. Sinn und Zweck dieser Regelung besteht darin, einen Konflikt der Untersagungs-, Rücknahme- oder Widerrufsvorschriften mit den Zielen eines Insolvenzverfahrens und der Entscheidung der Gläubigerversammlung über die Fortführung oder Stilllegung des Unternehmens (§ 156, § 157 InsO) oder mit der Aufstellung eines Insolvenzplans nach § 217 InsO zu vermeiden. Das Ziel des Insolvenzverfahrens, zumindest vorläufig den Gewerbebetrieb zu erhalten, kann jedoch nur insoweit mit einer Unzuverlässigkeitsbeurteilung des Gewerbetreibenden in Konflikt geraten, als diese auf ungeordneten Vermögensverhältnissen beruht oder zumindest ein innerer Zusammenhang zwischen den ungeordneten Vermögensverhältnissen und anderen Unzuverlässigkeitsgründen besteht. Hingegen fehlt es an einem die Anwendbarkeit des § 12 GewO rechtfertigenden Zusammenhang, wenn die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden auf Vorgängen beruht, die mit seiner ungeordneten Vermögenslage nichts zu tun haben und aus ganz anderen Gründen zum Schutz der Allgemeinheit, der Mitarbeiter oder der Verbraucher die Untersagung der Gewerbeausübung oder den Widerruf der Zulassung erfordern, wie dies etwa bei Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit oder der Verletzung lebensmittel- oder hygienerechtlicher Vorschriften der Fall ist (vgl. Marcks, aaO, Rn. 11 zu § 12; Hahn, GewArch 2000, 361, 362). Diese sich bei der Auslegung des § 12 GewO zwanglos ergebenden Erkenntnisse begründen einen weiteren Klärungsbedarf nicht. Hier verhält es sich aber - wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargestellt hat - so, dass die Gewerbeuntersagung vorrangig auf die nachhaltige Verletzung lebensmittel- und hygienerechtlicher Bestimmungen gestützt worden ist. Unter diesen Umständen ergeben sich vorliegend bei Anwendung des § 12 GewO auch besondere rechtliche Schwierigkeiten nicht.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils und besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten bestehen auch nicht deshalb, weil - wie die Kläger meinen - das Gericht den zu Protokoll gegebenen Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen C. ignoriert habe und der Meinung gewesen sei, die Beklagte habe sich auf die Strafurteile verlassen dürfen. Zunächst kann keine Rede davon sein, dass die Strafurteile vom 8. Oktober 1997 und 14. Oktober 1999 wegen der angeblich weit zurückliegenden Taten der gewerberechtlichen Beurteilung nicht mehr zugrunde gelegt werden durften. Ob ein strafrechtlich relevantes Verhalten im Untersagungs- oder Widerrufsverfahren berücksichtigt werden darf, richtet sich nach den Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.5.1995 - 1 B 78.95 -, GewArch 1995, 377). Danach dürfen die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder zu tilgen ist (§§ 51, 52 BZRG). Wann eine Eintragung über eine Verurteilung zu tilgen ist, bestimmt sich nach §§ 45 ff. BZRG. Die Tilgungsfrist beträgt etwa bei Verurteilungen zu Geldstrafe von nicht mehr als 90 Tagessätzen, wenn keine Freiheitsstrafe im Register eingetragen ist, 5 Jahre, bei Verurteilungen zu höheren Geldstrafen oder zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als 1 Jahr, wenn die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, 10 Jahre. Hier lagen die Tilgungsvoraussetzungen im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2000 offensichtlich nicht vor (vgl. zur Feststellung und Berechnung der Tilgungsfrist § 47 BZRG). Das Amtsgericht Celle hat den Kläger zu 2) am 8. Oktober 1997 wegen Inverkehrbringens von zum Verzehr nicht geeigneten Lebensmitteln im August 1996 und Mai 1997 zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen und mit Urteil vom 14. Oktober 1999 wegen gemeinschaftlichen Inverkehrbringens von zum Verzehr nicht geeigneten Lebensmitteln in 5 Fällen in der Zeit von Januar bis November 1998 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Dem war im Übrigen eine weitere Verurteilung wegen gemeinschaftlichen fortgesetzten Inverkehrbringens zum Verzehr nicht geeigneter Lebensmittel in 4 Fällen vom 24. November 1993 zu einer Geldstrafe von 65 Tagessätzen vorausgegangen. Die Annahme der Kläger, die Taten in den Jahren 1996 bis 1998 seien als weit zurückliegend nicht zu berücksichtigen gewesen, erweist sich hier somit als abwegig.

Das Verwaltungsgericht war auch nicht gehindert, die den Strafurteilen zugrunde liegenden Sachverhaltsfeststellungen zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen. Die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts in den Urteilen vom 8. Oktober 1997 und 14. Oktober 1999 vermitteln ein detailliertes Bild von den tatsächlichen Verhältnissen im Betrieb des Klägers zu 2). Dieser hatte den Sachverhalt "im Wesentlichen" (Urt. v. 8.10.1997) bzw. "voll" (Urt. v. 14.10.1999) eingeräumt. Das Amtsgericht hat sich bei seiner Sachverhaltsfeststellung gestützt auf die Angaben des Klägers zu 2), der vernommenen Zeugen und die in Augenschein genommene Bildmappen. Zu weitergehenden, über die Feststellungen des Strafgerichts hinausgehenden Ermittlungen hatte das Verwaltungsgericht keinen Anlass. Abgesehen davon, dass es grundsätzlich nicht Aufgabe der Verwaltungsbehörden und der Verwaltungsgerichte ist, die in einem rechtskräftigen Strafurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen in allen Einzelheiten zu überprüfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.7.1964 - I C 102.61 -, GewArch 1965, 7; OVG Koblenz, Urt. v. 1.2.1967 - 2 A 56/66 -, GewArch 1967, 204), ist das Vorbringen der Kläger auch nicht geeignet, die Richtigkeit dieser strafrichterlichen Feststellungen in Zweifel zu ziehen. Der Vortrag der Kläger zu Form und Verfahren der durchgeführten Lebensmittelkontrollen lässt die insbesondere in den Bildmappen anschaulich dokumentierten Verhältnisse im Betrieb des Klägers zu 2) nicht in einem substantiell anderen Licht erscheinen. Beweisanträge sind in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht gestellt worden.